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Triggerwarnung: Körperliche Gewalt sowie Hinweise auf körperlichen Missbrauch.
Schweigend sitzt Audra am Steuer ihres Chrysler. Ich starre auf die Strasse vor uns und versuche meine wirren Gedanken zu ordnen. Es gelingt mir nicht. Alles woran ich denken kann ist Luca . Ich hasse mich selbst dafür, aber meine Gefühle für diesen Mann sind wie der Wechsel vom Tag in die Nacht, vollkommen beständig inmitten der eigenen Unbeständigkeit.
Und das ist auch der Grund, warum ich aus dem Auto springe, kaum das es zum Stehen gekommen ist.
Bereits durch die Glastür kann ich Josies blonden Haarschopf erkennen. Die Arme in die schmalen Hüften gestemmt, steht sie vor einem hochgewachsenen Mann. Luca. Als hätte er meinen Blick gespürt, dreht er den Kopf in meine Richtung. Abrupt bleibe ich stehen. Doch Audra stiefelt an mir vorbei und hält mir die Tür auf.
Erst als wir im Laden stehen, entdecke ich Jason der, halb verdeckt von einer großen Topflanze, neben ihr kauert. Augenblicklich gebe ich einen piepsenden Laut von mir, denn er hält sich ein blutiges Taschentuch unter die Nase.„Luna! Da bist du ja. Kannst du mir das hier bitte mal erklären?" Mit ausgestreckter Hand deutet Josy auf Luca, als wäre er lediglich ein Produkt meiner entgleisten Phantasie.
Verübeln kann ich es ihr nicht. Nie zuvor habe ich Luca so gesehen.Das Blau seiner Augen ist komplett vom Schwarz der Pupillen verschluckt und das dunkle Haar hängt ihm wirr in die Stirn. Ein trüber Schleier liegt auf seinem Blick, der zwischen mir und Audra hin und her zuckt, um schliesslich auf mir zur Ruhe zu kommen. „Luna," er macht einen Schritt auf mich zu. Perplex bleibe ich stehen, als er seine Hand an meine Wange legt und mein Körper mit dem üblichen Wärmeschauder reagiert.
Doch als er versucht mich an seine Brust zu ziehen, erwache ich aus dieser Starre und mache mich von ihm los. „Luna...bitte," fleht er mit rauer Stimme. „Komm her zu mir."
„Jason, stimmt es was du mir gesagt hast?" Beharrt Josy mit gefährlich verengten Augen.
„Ich kann gerne weiterhelfen, wenn es um die Wahrheit geht." Mischt Audra sich ein, woraufhin Josy sie mustert als würde sie die alte Dame zum ersten Mal sehen.
„Audra...ich glaube hier ist es eine Spur zu ungemütlich für Deinesgleichen."
„Pah, Meinesgleichen." Seelenruhig streift Audra sich die Mütze vom Kopf , stemmt die Hande in die Hüften und mustert Jason voller Abscheu.
„Du bist also dieser miese Typ."
Jason stösst ein kehliges Lachen aus.
„Ich bin der miese Typ, ja." Grinsend verdreht er die Augen. „Ich wußte das sie es ausplaudern würde."
„ Was ausplaudern?" Presst Luca hervor , seine Hände sind zu Fäusten geballt. Audra legt einen Arm um meine Schultern und zieht mich zur Seite .
Die Ladenglocke ertönt, und eine Frau in elegantem Mantel mit passendem Hütchen stöckelt in das Geschäft. Als sie uns erblickt, zieht sie den Kopf ein und macht auf dem Absatz kehrt. Es ist grotesk, aber auf der Rückseite ihres Mantels ist eine bunte Spinne abgebildet. Doch ich habe keine Zeit mir darüber irgendwelche Gedanken zu machen.
Ein kaltes Ziehen durchzuckt meinen Körper, als Josy ihre Hände auf Lucas Brust legt, um ihn zurückzudrängen, wobei er gegen ein Regal mit Dekoartikeln stösst, die gefährlich ins Wanken geraten. „Wenn du ihn nochmal angreifst, schmeiß ich dich raus!" zischt sie.
„Okay." Luca sucht meinen Blick. „Ich habs verstanden. Luna zuliebe." Für Sekundenbruchteile verschwindet die Härte und das Blau blitzt hervor.
„Weiß du Luca, ich verstehe dich einfach nicht." Jason schiebt Josy zur Seite und baut sich vor ihm auf. Achtlos wirft er das Taschentuch auf den Boden. Die Nase ist merklich angeschwollen. Blut sammelt sich über der Oberlippe und läuft am Kinn herunter.
„Was regt dich das eigentlich so auf? Du wolltest es doch so. Oder etwa nicht?"
„Luca!" Rufe ich, als jeder Rest Farbe aus seinem Gesicht weicht und die Kiefermuskeln sich anspannen. „Bitte!" Und auch wenn ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, nicht nach allem was passiert ist, gehe ich zu ihm und nehme seine Hand. „Sieh mich an. Es ist egal. Ich habe es jetzt verstanden , okay?"
Mit irritiertem Lächeln mustert er mein Gesicht. „Verstanden? Was meinst du? "
„Das ...das du einfach nicht wußtest, wie du mir klarmachen solltest, dass aus uns niemals ein Paar werden wird."
„Luna... was redest du da?"
Ich lege einen Finger an seine Lippen. „Lass mich ausreden ,okay?"
Er nimmt meine Hand und haucht einen Kuss auf meine Fingerspitzen.
„Luna, weißt du ...ich..."beginnt er und sieht aus, als müsse er über die Worte, die er nicht hervorbringt, selber die Stirn runzeln. Wieder öffnet sich die Tür und zwei Teenager schieben ihre Köpfe durch den Spalt. Noch bevor die Ladenglocke ertönt, huschen sie zurück und laufen davon.
„Ich habe mit Jason geschlafen," platzt es aus mir heraus. „In der Nacht nach dem Dating Abend."
Schmerz lodert in Lucas Augen auf und lässt alle Farbe aus seinem Gesicht weichen, als ein ungläubiges Lächeln darüber zuckt.
Abrupt lässt er meine Hand los und stößt Jason nach hinten. Dieser taumelt, fängt sich jedoch schnell wieder. „Luca," droht Josy mit zitternder Stimme. „Noch einmal und ich rufe die Bullen."
„Das wäre tatsächlich eine gute Idee," zischt Audra. "Dann kann dieser Mistkerl denen erzählen, was er Luna in den Drink gemischt hat."
„Oh, wir haben eine Mrs. Marple unter uns," grinst Jason.„Gratuliere, alte Lady!"
„In den Drink gemischt?" Luca macht einen weiteren Satz auf Jason zu, wird aber von Josy gestoppt.
Jason lacht hysterisch auf. „Du hast es geglaubt Luna?"Fassungslos lässt er die Hände durch seine Haare streifen. „Oh Mann, Fuck das wars echt Wert. Schade das ich nicht so mies bin, wie alle hier glauben. Denn dann würde ich die Sache jetzt eiskalt durchziehen, und dich in dem Glauben lassen, wir hätten tatsächlich eine Liebesnacht miteinander verbracht."
„Jason, mahnt Josy, sag ihnen was du mir gesagt hast."
„F**ck!" Flucht Jason. Mit der Hand wischt er sich das Blut vom Gesicht, was alles nur noch schlimmer macht, weil er es dabei in seinen Haaren verteilt.
„Erinnerst du dich noch an Alicia?" Luca, der einen Punkt in Jasons Gesicht fixiert, als plane er wo er seinen nächsten Faustschlag platzieren soll, verengt die Augen zu schlitzen . "Alicia?"
„Ja. Alicia, meine Freundin auf dem College. Die du gevögelt hast. Auf irgendeiner dämlichen Party, während ich mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus lag." Stösst Jason hervor. „Luca Blackwater, unser strahlender Football-Held. Noch heute glaubst du jeden, der sich dir in den Weg stellt, einfach so zur Seite rammen zu können. Aber so läuft das Leben nicht. Manchmal steht derjenige, den du umgerannt hast wieder auf und schlägt zurück, wenn du längst nicht mehr damit rechnest."
„Luca..."ich lege eine Hand an Lucas Arm. „Bitte, vergiss es einfach, okay?"
Doch niemand beachtet mich. Audra und Josy lauschen Jasons Worten ebenso gebannt wie Luca, dessen Unterkiefer sich immer mehr anspannt.
„Und jetzt rate mal, wann ich meine Chance gekommen sah, es dir heimzuzahlen? Ich wußte schon lange, dass du scharf auf die Kleine bist. Dexter hat mir erzählt, wie ihr in der Redaktion miteinander umgegangen seid. Aber das war gar nicht nötig, ich habs selbst gemerkt, du hast ja dauernd von ihr geredet. Wenn auch nicht immer sehr nett. Aber was sich liebt, das neckt sich ja bekanntlich." Er zwinkert Luca zu. Sein Blick fliegt zu mir und dann zurück zu seinem Freund.
„Als du mir dann ein paar Tequila später erzählt hast, dass du unseren Georgie auf sie angesetzt hast, konnte ich gar nicht anders. Ich mußte die Chance ergreifen.Unter irgendeinem Vorwand bin ich vorzeitig abgehauen und zu Marcio geschlendert. Naja, unser George hatte gerade seine hübsche Spinne hervorgezaubert, wie von dir geplant, aber dann kam ich und habe deine Kleine Lieblingsredakteurin gerettet."
Er senkt die Stimme als könne er so verhindern das nicht nur ich, sondern auch die Anderen ihn hören können.
„Ich habe dich nur ausgezogen Luna. Erinnerst du dich nicht? Du wolltest mich wegstossen, aber es war wie ein Rausch." „Sei still!" flehe ich und presse mir die Hände auf die Ohren, aber ich kann trotzdem jedes seiner Worte verstehen. "Ich wollte unbedingt, dass du am nächsten Morgen glaubst, wir hätten es wirklich getan. Doch als du nackt warst, habe ich mich einfach nur neben dich gelegt und bin eingepennt. Ich habe dich nicht angerührt." Er deutet mit dem Kinn auf Audra. „Mrs. Marple hat Recht. Ein paar Tropfen in deinen Drink und du warst zahm wie ein kleines Lamm, und ich fand...," weiter kommt er nicht, denn mit einem Aufschrei rammt Luca ihn zu Boden und lässt seine Faust mitten in Jasons Gesicht krachen.„Hör auf! Brülle ich. „Luca. Bitte!" Doch er hört mich nicht. Entsetzt sehe ich mit an, wie er immer wieder auf Jason einschlägt. Alles in mir zieht sich krampfhaft zusammen. Nie zuvor habe ich soviel Wut und Hass an einem Menschen erlebt, wie in diesem Moment an Luca. Doch ich werde nicht tatenlos zusehen, wie mein Leben außer Kontrolle gerät. Nicht mehr.
Gerade will ich Luca von Jason herunterziehen, als er sich zu halb mir umdreht.„Luna!"Ruft er. Sein Gesicht ist vollkommen verzerrt. Angst, Hass und grenzenlose Wut liefern sich einen erbitterten Wettstreit. Diesen Moment nutzt Jason. Abrupt verpasst er ihm mit seinem Siegelring einen seitlichen Kinnhaken. Luca strauchelt zur Seite. Mit beiden Händen packt Jason ihn am Kragen und schleudert ihn neben mir auf den Boden. Mit letzter Kraft werfe ich mich auf Luca und spüre eine Welle aus Schmerz als ein heftiger Schlag meinen Hinterkopf trifft.
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„Es hat nicht mehr viel gefehlt und ihr Freund hätte seinem Widersacher das Jochbein samt Kiefer gebrochen ," fassungslos lausche ich den Worten der Ärztin, die mir das Coolpack abnimmt, das ich eine Weile an die dicke Beule gehalten habe, die meinen Hinterkopf ziert. " Ich soll ihnen sagen, dass er draussen auf sie wartet."
„Er ist nicht mein Freund," korrigiere ich die Frau.
„Sie werden mir nicht erzählen worum es ging oder?" Die Ärztin nimmt eine kleine Taschenlampe und leuchtet mir damit in die Augen. Wenn Ihnen in den nächsten Stunde übel wird, oder schwindelig, kommen sie bitte sofort her. Okay?" Ich nicke. "Okay."
„Ihr ...also der junge Mann, der sie hergebracht hat, ist soweit unverletzt. Er hat eine leichte Prellung am Unterkiefer und wird ein paar Tage Schmerzen haben ,aber ich schätze die hat er verdient. Der andere, naja. Er hatte wie sie wissen, weniger Glück. Ihn werden wir ein paar Tage hier behalten müssen."
„Ich hoffe es geht ihm bald besser," lasse ich sie wissen, murmele einen Abschiedsgruß und verlasse die Notaufnahme.
In der Hoffnung das Luca inzwischen gegangen ist, steuere ich auf den Parkplatz zu, wo Josy in ihrem Auto auf mich wartet. Sie meidet Krankenhäuser , weil sie stets die Erinnerung an Thomas zurückbringen, der nach seinem Autounfall noch in der Notaufnahme gestorben ist.
Audra ist inzwischen nach Hause gefahren. Der Nachmittag war einfach zu viel für sie.
Josies roter Mazda ist in der Menge der parkenden Autos leicht erkennbar. Zielsicher steuere ich darf zu und ignoriere den lächerlichen Anflug von Enttäuschung, das Luca tatsächlich nicht auf mich gewartet hat. Auf der Fahrt hierher haben wir kein Wort miteinander geredet. Luca hat mich einfach zu seinem Auto getragen und hierher gefahren, während Josy mit dem übel zugerichteten Jason gefolgt ist. Die Hände in den Taschen meines Trenchcoats vergaben, rede ich mir ein, dass es besser so ist. Die Worte werden zu einem Mantra , welches von einer vertrauten Stimme durchbrochen wird.
„Weißt du noch als ich dir gesagt habe, ich hätte mir selbst das Herz gebrochen?" Ich erstarre. Mit dem Rücken zu ihm stehe ich da. Ich sollte jetzt weitergehen, ihn vergessen und ihm endlich meine Kündigung schicken. Doch ich kann nicht. Meine Gefühle für ihn haben sich entschieden zu bleiben. Entsetzt stelle ich fest, das sie die einzige Konstante in meinem Leben sind. Das Einzige, auf das ich mich verlassen kann. Es ist so traurig ,dass es fast schon wieder zum Lachen ist. Doch was auch geschieht , ich darf mich jetzt auf keinen Fall umdrehen.
Trotzdem bleibe ich stehen.
„Ich brach mir mein eigenes Herz, als ich dich zu diesem Dating Abend geschickt habe." Er ist ganz nah hinter mir. "Ich habe in der Nacht nicht geschlafen, die ganze Zeit mußte ich an deine Worte denken, als du mich angerufen hast. Du hattest Recht, mit allem was du gesagt hast."
„Als ich Ewigkeiten damit verbracht habe, sinnlos herum zu grübeln, bin ich zu Marcio, aber die Pizzeria war schon geschlossen. Also irrte ich durch die Stadt, tingelte durch Bars und rief dich immer wieder an. Dann bin ich nach Hause gegangen , habe versucht zu schlafen, bis ich Abends zu dir kam, aber du hast mir nicht die Tür aufgemacht."
Ich spüre seine Hand auf der Schulter. Langsam drehe ich mich um, aber ich habe den Kampf gegen mich selbst noch nicht verloren. Ich darf ihn nur nicht ansehen. Konzentriert fixiere ich seine glänzenden Schuhspitzen, die von roten unregelmässigen Punkten gefleckt sind.
„Du hast Blut auf den Schuhen,"höre ich mich sagen.
Schon spüre ich Lucas warme Hand an meiner Wange und erhasche kurz zuvor einen Blick auf die aufgeplatzte Haut an seinen Fingerknöcheln. „ Du wolltest mich beschützen," wispert er und streicht vorsichtig über die schmerzhafte Beule an meinem Hinterkopf. Sowas hat noch nie jemand für mich getan." Krampfhaft kaue ich auf den Innenseiten meiner Wangen herum.
„Ich wollte das nicht, Luna. Und es tut mir Leid, dass du mich so erlebt hast. Ich..."die Art wie er verzweifelt nach Worten sucht, versetzt mir einen Stich. „Ich...Verdammt Luna, bitte sieh mich an!"
„In den nächsten Tagen schicke ich dir meine Kündigung," entgegne ich tonlos. Es kommt mir vor, als würde ich neben mir selbst stehen und bei diesen Worten fassungslos die Hände vor den Mund schlagen. Dennoch bin ich Stolz auf mich. Mit Tränen in den Augen nutze ich die Sekunden, die Luca braucht um meine Worte zu verarbeiten, drehe mich um und renne zu Josies Auto.
2285 Wörter
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