Kapitel Dreizehn
- Pietros Sicht -
Am liebsten hätte ich Alicia einfach nur umarmt, sie in meinen Armen gehalten und ihr dasselbe Gefühl von Wärme und Sicherheit vermittelt, das sie mir immer gab.
Sie sah so furchtbar verloren und hilflos aus, wie sie mitten im Raum stand und widerstandslos zuhörte, wie wir ihrem Plan widersprachen, in den sie scheinbar so viele Hoffnungen gesetzt hatte.
Dabei wollte ich ihr so gerne helfen. Das wollte ich schon, seit ich sie das erste Mal sah und sie mich mit diesen großen, unendlich tiefen, braunen Augen ansah, die so wahnsinnig viel Wärme ausstrahlten, selbst in diesem Augenblick, in dem sie so viel Angst hatte und damit beschäftigt gewesen war, mich aus meiner Zelle bei Hydra zu befreien.
Und genau dorthin wollte sie nun zurück.
Genau das war ja das Problem. Zu jedem anderen Ort hätte ich sie sofort gebracht, wenn sie mich darum gebeten hätte, aber zu Hydra...wie könnte ich das zulassen?
Wie könnte ich die Gefahr eingehen, dass ihr etwas passiert?
Allein, wenn ich daran dachte, wie ich mich gefühlt hatte, als sie damals auf der Brücke in Gefahr war. Sobald ich den Schuss der Pistole gehört hatte, war ich losgerannt und dennoch hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl gehabt, viel zu langsam zu sein. Manchmal verfolgte mich das Image, wie ich sie auf dieser Brücke sah, umringt von den Hydramännern, und für den Bruchteil einer Sekunde dachte, ich würde sie nicht rechtzeitig erreichen. Das Einzige, das mich dann beruhigt, ist daran zu denken, wie erleichtert ich mich gefühlt hatte, sobald ich sie in meine Arme schließen konnte.
Die letzten Tage hatte ich mich oft gefragt, warum dieses Bedürfnis, sie zu beschützen und an ihrer Seite zu sein, so stark war, aber auch wenn ich natürlich eine Vermutung hatte, wollte ich diese nicht so recht wahrhaben.
Im Moment gab es aber sowieso wichtigere Dinge, auf die ich mich konzentrieren sollte, zum Beispiel mit Alicia zu reden, die immer noch mit ihrem hoffnungslosen Blick da stand, als fühle sie sich auf einmal fehl am Platz.
Da ich vermutete, dass ihr ein kleiner Ortswechsel und etwas frische Luft guttun würde, warf ich Wanda einen fragenden Blick zu. Diese schien sofort zu verstehen, was ich meinte und obwohl sie immer noch verschreckt von dem Plan wirkte, nickte sie mir bestärkend zu, weshalb ich vorsichtig, aber wortlos Alicias Hand in meine nahm und sie nach draußen zu der Bank vor der Unterkunft führte.
Obwohl ich spürte, wie sie mich dabei erstaunt ansah, wehrte sie sich nicht und stellte auch keine Fragen, sondern ließ es geschehen.
"Es tut mir leid", begann ich das Gespräch, sobald wir nebeneinander saßen.
"Was denn?"
"Ich weiß, wie wichtig es dir ist, zu wissen, wer du bist und ich glaube, das war nicht die Reaktion, die du dir erhofft hast", antwortete ich ihr sanft.
Sie schien einen Moment lang zu überlegen, als wüsste sie nicht, was die richtigen Worte für diese Situation waren. "Das stimmt, aber ich verstehe das und ich will nichts tun, was gegen euren Willen verstößt."
Ich wusste, dass sie das nie tun würde -aber, dass sie das nicht wollte, das glaubte ich ihr nicht. Wäre ich in ihrer Situation, würde ich auch alles tun wollen, um zu wissen, wer ich bin.
"Versprichst du mir, dass du nicht einfach allein dorthin gehst?", bat ich sie eindrücklich, da genau dies meine größte Sorge war, seit ich von dem Plan erfahren hatte.
Man sah den Widerstand in ihren Augen, aber dann sah sie mich an und der Ausdruck schien einfach dahinzuschmelzen.
"Ja. Ich kann immerhin sowieso allein nichts ausrichten."
"So würde ich das nicht sagen...", versuchte ich sie aufzumuntern, auch wenn ich eigentlich tief in meinem Inneren wusste, dass sie recht hatte.
"Ich weiß, die Umstände, wie ihr eure Kräfte erhalten habt, ist schrecklich und davon will ich auch nichts leugnen, aber dennoch fühle ich mich zwischen euch beiden manchmal so schwach und nutzlos", gestand sie, wobei sie mich bewusst nicht ansah, sondern auf ihre Füße sah, mit denen sie ein verwelktes Blatt umherschob.
"Das bist du aber nicht für uns", versicherte ich ihr sofort, wobei ich tief schlucken musste, da mich ihre Offenheit doch etwas emotional getroffen hatte. Ich versuchte noch etwas Lustiges oder Charmantes zu sagen, scheiterte jedoch irgendwo.
"Es ist ja auch nicht eure Schuld." Ihre Worte waren vermischt mit einem Seufzen, das ihrem Mund entwischte, während sie sich auf der Bank etwas zurücklehnte.
Normalerweise wusste ich immer, was ich bei ihr tun sollte, es passierte alles so natürlich und zwanglos, ich konnte einfach ich selbst sein, aber gerade war ich ratlos. Ich wollte ihr helfen, hatte jedoch keine Ahnung wie.
"Lass uns doch gehen", brachte ich schließlich heraus, da mir nichts anderes einfiel und ich sie so gerne wieder lächeln sehen wollte.
"Was?" Verwirrt blickte sie mich an, bis sie dann doch zu verstehen schien, was ich meinte. "Nein! Nein, auf keinen Fall. Ihr hattet doch beide recht, das ist zu gefährlich und ohne Wanda haben wir noch weniger eine Chance."
"Aber..."
"Nein", unterbrach sie mich sofort, "Ich bin zwar enttäuscht, dass ich nicht mehr über mich und meine Angehörigen erfahren kann, aber das ist es nicht wert, dass euch etwas passiert. Ich hatte nicht genug über den Plan nachgedacht, bevor ich ihn vorgeschlagen habe, tut mir leid."
Mit diesen Worten atmete sie tief ein, schob ihre Schultern zurück und stand auf. "Danke, Pietro, aber lass uns das bitte einfach vergessen, okay?"
Auch wenn ich nicht vollkommen überzeugt war, nickte ich stumm, was sie wohl zufrieden stellte, denn sie lächelte aufmunternd.
"Lass uns hereingehen, ich bin müde."
Als ich diese Nacht im Bett lag, fand ich keine richtige Ruhe, selbst als die anderen beiden schon längst tief eingeschlafen waren. Die ganze Zeit dachte ich darüber nach, was für eine große Chance das für Alicia wäre, wenn wir tatsächlich die Akte über sie hatten. Zu Beginn hatte Hydra uns Fragen zu gefühlt allem gestellt und wenn diese Antworten dort notiert wären, dann hätten wir endlich einen entscheidenden Schritt zu der Wiederherstellung ihrer Erinnerungen gemacht.
Dennoch, sie hatte recht. Ich wollte ihr Leben dafür nicht riskieren und sie konnte das ganz allein nicht schaffen.
Aber ich schon.
- Alicias Sicht -
Ich hatte Glück, dass Wanda schon wach war, als ich am nächsten Tag aufstand, um mich auf den Weg zur Arbeit zu machen, denn ich hatte sowieso mit ihr reden wollen und war froh gewesen, es so bald wie möglich erledigen zu können.
"Wanda?"
Zu meiner Erleichterung wirkte sie nicht nachtragend oder verärgert, als sie erstaunt aufsah, sobald ich sie ansprach.
"Ich wollte mit dir über gestern reden", begann ich meine bereits eingeübte Rede, "Der Plan war taktlos von mir, ich habe nicht genug darüber nachgedacht, was für grauenvolle Erinnerungen ihr mit diesem Ort verbindet. Ich will meine Erinnerungen nicht zurück, wenn ihr dafür eure schlimmsten erneuert durchleben müssten."
Ihre grünen Augen wirkten wachsam und nachdenklich, während sie mich musterte und sich Zeit dabei ließ, die Worte zu verarbeiten.
"Bist du sicher?", erkundigte sie sich schließlich, was jedoch neutral statt anklagend oder zweifelnd klang.
"Natürlich. Dass es euch gut geht, ist mir wichtiger als alles andere auf der Welt", beteuerte ich sofort instinktiv und bemerkte erst in dem Moment, indem ich das ausgesprochen hatte, wie wahr das doch wirklich war.
Sie schien zu bemerken, dass dies von Herzen kam, denn sie lächelte warm und nickte mir zu und sofort wusste ich, dass alles wieder in Ordnung war.
Nachdem wir noch eine Weile geplaudert hatten, begab ich mich schließlich in die Arbeit. Ich begegnete Alek kurz und wir unterhielten uns einige wenige Minuten, ansonsten lief alles wie immer ab, dennoch fieberte ich dem Ende dieses Tages entgegen, denn heute hatte ich genau einen Monat im Rathaus gearbeitet und würde so mein erstes Gehalt bekommen, wofür der Bürgermeister sogar selbst zu mir kam, um es mir in bar zu überreichen, da ich noch kein Bankkonto eröffnet hatte.
Sobald ich das Geld in der Hand hielt und spüren konnte, dass sich meine Arbeit ausgezahlt hatte, fühlte ich mich sofort noch so viel besser und auch ein kleines bisschen stolz darauf, die Maximoffs jetzt vielleicht wenigstens ein bisschen finanziell zu unterstützen zu können, auch wenn der Betrag noch nicht sehr hoch war.
Ich hatte jedoch schon gestern entschieden, was die erste Sache sein würde, die ich mit meinem eigenen Geld erwerben würde und so fand ich mich wenig später auf dem Friedhof von Novi Grad wieder, vor dem Grab vor Pietros und Wandas Eltern.
"Das hier ist stellvertretend von Ihrem Sohn", bemerkte ich leise, während ich einen großen Blumenstrauß, den ich gerade erst auf dem Markt gekauft hatte, vor dem Grabstein ablegte, "Er hat vielleicht noch kein eigenes Geld, mit denen er Ihnen diese Blumen kaufen kann, aber das ist nur, weil er seine ganze Zeit damit verbringt, uns zu beschützen und für uns zu sorgen. Sie wären sicherlich wahnsinnig stolz auf ihn und das sollten Sie auch sein."
Seitdem Pietro erwähnt hatte, wie schlecht er sich fühlte, weil er seinen Eltern keinen Blumenstrauß bringen konnte, wusste ich, dass ich genau das tun wollte, denn auch wenn es nicht dasselbe war, setzte es hoffentlich dennoch das gleiche Zeichen. Nicht, dass ich vorhatte, ihm zu sagen, dass ich es war, aber ich hoffte, er würde sich über die Geste freuen, sobald er die Blumen dort finden würde.
Gerade als ich mich wieder erheben und gehen wollte, bemerkte ich auf einmal ein Stück Papier, dass unter einem kleinen Stein am Rand des Grabes hervorschaute.
Obwohl ich dies eigentlich nicht tun sollte, folgte ich meiner Neugier und schob den Stein vorsichtig zur Seite, um das Papier hervorzuziehen.
Eigentlich hatte ich nur vor, es von außen zu betrachten, um zu sehen, ob es sich um Müll oder um eine Nachricht oder ähnliches handelte, doch dann erkannte ich zu meinem Erstaunen, dass mein und Wandas Name in etwas unordentlicher Schrift darauf notiert war, weshalb ich scharf einatmete und mich dann instinktiv umsah, um zu sehen, ob die Person, die diesen Zettel hinterlassen hatte, aus irgendeinem Grund noch hier anwesend war, aber der Friedhof war um diese Uhrzeit wie leergefegt.
Während ich das Papierstück betrachtete, schlich sich eine leichte Gänsehaut über meinen Arm, als ich darüber nachdachte, wer wohl eine Nachricht an uns auf dem Grab von Wandas Eltern hinterließ und wieso.
Kurz überlegte ich, ob ich erst zurück zu der Unterkunft gehen sollte und den Zettel zusammen mit Wanda öffnen sollte, falls irgendeine Art von Zauber darauf lag (so sehr hatte ich mich scheinbar schon an die vielen seltsamen Umstände in meinem Leben gewöhnt), doch dann entschied ich mich dagegen, denn zuerst wollte ich wissen, worum es ging. Falls es etwas schlimmes sein sollte, wäre es schließlich meine Aufgabe, sie zumindest behutsam darauf vorzubereiten.
Aus diesem Grund entfaltete ich das Papier vorsichtig und lies meine Augen über die Buchstaben wandern, wobei mir immer mehr der Atem wegblieb:
"Liebe Wanda, liebe Alicia,
falls ihr diesen Zettel findet, bin ich vielleicht schon einige Zeit lang weg und vielleicht macht ihr euch auch Sorgen um mich. Das tut mir leid. Ich schätze, ich schulde euch eine Erklärung.
Nach unserem Gespräch habe ich mich entschlossen, selbst die Akte bei Hydra zu suchen, immerhin bin ich eindeutig der Schnellste und kann so unauffällig und unerkannt hinein und die Akte an mich nehmen, zumindest ist das, was ich hoffe.
Ich weiß, dass ihr diese Idee niemals gut heißen würdet, aber ich konnte keinen von euch in Gefahr bringen.
Aus diesem Grund habe ich diese Nachricht auch hier versteckt, damit ihr sie nicht zu früh findet und eingreift.
Falls jedoch schon einige Tage vergangen sind, dann lief wohl doch etwas schief. Bitte folgt mir nicht oder versucht mich zu befreien, dann würdet ihr euch nur unnötig für mich in Gefahr bringen und das will ich nicht. Das hier war alleine meine Entscheidung und dafür muss ich die Verantwortung tragen. Ihr solltet einfach wissen, dass ich alles versucht habe, um zu euch zurückzukehren.
Wanda, ich habe nie oft genug gesagt, wie stolz ich darauf bin, wie sehr du dich über die letzten Jahre entwickelt hast und ich bin so glücklich, dass du nun auch eine weitere Person gefunden hast, der du dein Herz öffnen kannst, denn ich sehe, wie sehr du das gebraucht hast.
Alicia, es tut mir leid, dass ich dir deine Identität nicht zurückbringen konnte, denn das wollte ich wirklich. Ich hoffe, du findest einen anderen Weg, um zu erfahren, wer du bist, denn das verdienst du.
Ich werde euch jeden Tag vermissen.
- Pietro."
Im ersten Moment verstand ich gar nicht, was er da geschrieben hatte, so schockiert war ich von dem Inhalt.
Als ich es dann doch langsam realisierte, fühlte ich mich, als würde mir jemand den Hals zuschnüren, während ich langsam in einen Strudel der Panik gezogen wurde.
Wieso hatte er das getan?
Wieso nur war er einfach alleine losgezogen?
Heute Morgen, als ich aufgestanden war, war er schon nicht dagewesen und ich hatte einfach angenommen, er wäre bei seiner Kontrollrunde oder würde Zeit mit Maria verbringen, aber stattdessen war er bereits losgezogen, um sich in die Hölle der Löwen zu begeben und in Hydras Hauptquartier einzubrechen, nachdem er mir gestern noch erklärt hatte, wie gefährlich das war.
Wieso nur musste er immer alles tun, um uns zu beschützen?
Egal, wie lange ich darüber nachdachte, eins war mir klar: Er war in größter Gefahr und es war ganz alleine meine Schuld.
//Frage 1: Hättet ihr das erwartet? Was haltet ihr von Pietros Entscheidung?
Frage 2: Stimmt ihr zu, dass es Alicias Schuld ist?
Ich freue mich wie immer über jeden Kommentar! Danke an alle, die so zuverlässig lesen und abstimmen.//
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