Kapitel Drei
Als das Gespräch endlich zu einem Ende kam und Pietro den Raum bereits verlassen hatte, blieb Wanda noch einen Moment bei mir sitzen, doch sie schien zu merken, dass ich im Moment einfach nur erschöpft war und gerade keine Energie für Small talk hatte, verschwand sie schließlich auch in ihr Zimmer, nachdem sie mir kurz über die Schulter gestrichen hatte. Obwohl ich es in dem Moment nicht ausdrücken konnte, war ich dennoch froh, dass sie sich mir gegenüber so entgegenkommend und höflich verhielt.
Einige Minuten blieb ich noch so am Tisch sitzen, stützte meinen Kopf in meine Hände und versuchte irgendwie klare Gedanken zu fassen, was natürlich misslang, weshalb ich dann doch beschloss, in mein Zimmer zurückzugehen.
Auf dem Weg dorthin musste ich am Badezimmer vorbei und als ich einen kurzen Blick hinein warf, stellte ich erstaunt fest, dass Pietro dort auf der Kante der Badewanne saß und etwas entnervt aussah. Eigentlich wäre ich weiter gegangen, aber er sah so frustriert aus, dass ich es nicht über mich brachte, ihn dort alleine sitzen zu lassen, außerdem erhoffte ich, dass mich das vielleicht ein wenig von meinen schwermütigen Gedanken ablenken würde.
"Ist alles okay?", erkundigte ich mich deshalb, während ich einen Schritt näher an die geöffnete Tür trat.
Pietro hob etwas verwirrt den Blick, scheinbar hatte er mich zuvor nicht bemerkt.
"Ja, klar, alles okay", bemerkte er dann fahrig, wobei es klang, als wäre dieser Satz schon Routine für ihn geworden.
Bevor ich mich jedoch hätte abwenden können, musterte er mich mit leicht zusammen gezogenen Augenbrauen und schien es sich auf einmal doch anders zu überlegen. "Tatsächlich könnte ich doch etwas Hilfe gebrauchen. Weißt du, wie man Haare schneidet?"
Demonstrativ hob er die Schere hoch, die er in seinen Händen hob, was ich als Einladung deutete, um einzutreten.
"Keine Ahnung." Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern. "Wie gesagt, ich kann mich nicht wirklich an irgendwas erinnern. Was für eine Frisur möchtest du denn?"
"Ich will sie nur gekürzt haben."
Als wolle er seine Worte unterstreichen, fuhr er sich durch seine langen, etwas wilden Haare, die tatsächlich so wirkten, als hätte er sie zu lange nicht mehr geschnitten. Wenn ich daran dachte, wie er in dieser kaum ausgestatteten Zelle gesessen hatte und wahrscheinlich den ganzen Tag nur die kahle Wand hatte anstarren können, vermutete ich schon, dass ihm dort vermutlich keiner einen Friseur oder sonst eine Möglichkeit auf Haarpflege angeboten hatte und dass er diesen Beweis für die Rücksichtslosigkeit von Hydra vermutlich möglichst schnell loswerden wollte.
"Ich denke, das sollte ich auf jeden Fall hinbekommen", versicherte ich ihm darum mit einem Lächeln, das sich irgendwie fremdartig anfühlte, nachdem ich heute ja wohl kaum Gründe für so eine glückliche Reaktion hatte.
"Danke."
Er erwiderte das Lächeln, auch wenn es einige Sekunden brauchte, bis es sich auf seine Lippen geschlichen hatte, dann hielt er mir die Schere entgegen, die ich dankend entgegen nahm.
Als ich mich damit direkt hinter ihn stellte und vorsichtig seine Haare mit meinen Händen in verschiedene Strähnen teilte, wurde mir bewusst, wie seltsam intim sich diese Handlung anfühlte und wie nah wir uns waren. Wenn es ihm genauso ging, ließ er sich zumindest nichts anmerken und einige Minuten lang arbeitete ich schweigend vor mich hin.
"Wie kommst du mit all dem klar?"
Zu meinem Erstaunen war er es, der mit dieser Frage als Erstes die Stille brach und mich somit kurz aus meiner Konzentration riss.
Eigentlich hätte ich gedacht, dass ich eher genervt oder angespannt wäre, wenn jemand heute noch einmal auf all die Geschehnisse angesprochen hatte, darum war ich überrascht darüber, dass diese Frage sich eher positiv anfühlte. Bis jetzt hatte noch niemand nach meinen Emotionen dazu gefragt und sich nur darauf zu konzentrieren, erschien mir einfacherer als zu versuchen nicht vorhandene Erinnerungen hervor zu kratzen.
"Hauptsächlich überrollt und erschöpft", antwortete ich deshalb vollkommen ehrlich, "und ziemlich ängstlich, wenn ich an das denke, was ihr über Hydra erzählt habt und an die Tatsache, dass sie uns nun scheinbar verfolgen."
Ich hatte meinen Prozess des Haareschneidens kurz unterbrochen und Pietro nutzte diesen Moment, um sich halb zu mir umzudrehen und mich mit ehrlicher Sorge in den Augen ansah.
"Ich weiß, dass das alles wahrscheinlich ziemlich erschreckend ist, aber du musst dir keine Sorgen machen, wir lassen nicht einfach zu, dass Hydra dich mitnimmt", versicherte er mir erstaunlich sanft, was eine beruhigende Wärme in mir auslöste, "immerhin hast du uns von dort gerettet und wir stehen jetzt in deiner Schuld."
Es war seltsam, wie viel sicherer ich mich alleine durch diese Worte fühlte, denn eigentlich kannte ich Pietro ja noch gar nicht lange und hatte keinen Beweis, dass er seine Worte ernst nehmen würde, aber ich hatte einfach das Gefühl, ihm vertrauen zu können, vielleicht auch weil ich es mir einfach so sehr wünschte, denn andernfalls wäre ich ganz auf mich alleine gestellt.
"Und nachdem du mir nun auch noch meine Haare schneidest und mich somit vor einer schrägen Topffrisur rettest, die ich sonst vermutlich zustande gebracht hätte, schulde ich dir dann scheinbar noch einmal etwas und muss wohl ab jetzt brav meine Schuld abarbeiten", fügte er noch hinzu und obwohl - oder vielleicht gerade weil - ich wusste, dass es ein Versuch war, mich aufzumuntern, schaffte ich es sogar etwas darüber zu lachen, was sich wirklich befreiend anfühlte, als wäre ich für einen kurzen Moment aus der Last meiner negativen Empfindungen ausgebrochen und könnte nun endlich wieder normal atmen.
In diesem Augenblick wurde mir noch ein weiteres Mal mit unbestreitbarer Kraft gezeigt, wie sehr mich all das doch belastete, doch gleichzeitig konnte ich zum ersten Mal einen Weg daraus erahnen.
"Danke."
Ich wünschte, ich könnte mehr sagen, um das auszudrücken, was ich empfand, darum fügte ich hinzu: "Auch dafür, dass ihr mich mitgenommen habt, sonst hätte ich wahrscheinlich keine Chance gehabt, mich in Sicherheit zu bringen."
"Kein Problem." Aus irgendeinem Grund wirkte er fast ein wenig peinlich berührt von meiner Dankbarkeit, schien sich jedoch schnell wieder zu sammeln, indem er stattdessen ein Grinsen aufsetzte, das sein Gesicht strahlen ließ. "Nachdem du uns den Kampf hast ganz ohne dich meistern lassen, hatte ich mir schon erschlossen, wie verloren du ohne uns wärst."
Obwohl dieser Witz eher auf meine Kosten ging, musste ich zugeben, dass mir sein Humor gefiel und die angespannte Stimmung nur weiterhin auflockerte, deshalb schenkte ich ihm nur ein dieses Mal vollkommen ehrliches Lächeln und begann wieder seine Haare zu schneiden.
"Außerdem glaube ich, dass Wanda dich echt etwas ins Herz geschlossen hat", fügte er noch hinzu, weshalb ich überrascht aufsah, "was mich auch etwas überrascht hat, denn sie ist nicht wirklich jemand, der sich schnell öffnet."
"Ich hatte den Eindruck, da wäre sie nicht die Einzige", stellte ich fest, hoffte jedoch sofort, dass er es nicht als Beleidigung auffasste, denn immerhin war er nie gemein zu mir gewesen oder irgendetwas in der Art. Dennoch hatte man stets gemerkt, dass er auf Distanz blieb und sein Misstrauen dabei nicht allzu stark verstärkte, auch wenn all das nun fast verschwunden schien.
Tatsächlich schwieg er einen kurzen Moment, weshalb ich schon dabei war, eine möglichst gute Entschuldigung zu formulieren, aber er kam mir wieder zuvor.
"Das stimmt. Wanda und ich sind ganz alleine aufgewachsen und wir hatten immer nur uns beide. Nach allem, was passiert ist, war es schwer Freunde zu finden oder sonst irgendwie Vertrauen zu fassen."
"Das verstehe ich", versicherte ich ihm sanft, während ich instinktiv durch seine weichen Haare strich und dann jedoch direkt zurückzuckte und hoffte, er würde es nicht als komisch auffassen.
Dass er sich mir gegenüber gerade nämlich dennoch öffnete, bedeutete mir viel und das wollte ich nicht zerstören.
"Tja, hätten wir nur damals nicht ausgerechnet Hydra ausgewählt, um einmal in unserem Leben unser Misstrauen abzulegen und uns zu entscheiden ihnen zu vertrauen", murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen, weshalb ich ihn am Liebsten umarmt hätte, jedoch nicht sicher war, ob das angebracht wäre.
"Es war nicht eure Schuld", warf ich stattdessen ein und obwohl ich wusste, dass er mir nicht wirklich glauben konnte, nickte er nur stumm und ging nicht weiter darauf ein.
Da ich Angst hatte, dass die unangenehme Stille zurückkehren konnte, stellte ich einfach die nächstbeste Frage, die mich gerade beschäftigte, obwohl ich mir im Nachhinein nicht sicher war, ob das gerade das beste Thema war. "Was denkst du, ist mit mir passiert?"
Dadurch, dass wir uns so nah waren, konnte ich spüren, wie er sich leicht anspannte, aber ich war zu gierig auf Antworten, um meine Frage zurückzuziehen. Wenn er nicht antworten wollte, konnte er das immer noch sagen oder einfach ausweichen, da war ich mir sicher.
"Ich weiß es nicht sicher, auch wenn mich die Antwort ehrlich gesagt auch ziemlich interessieren würde", gab er schließlich zu, "Aber es scheint alles darauf hinzudeuten, dass du ebenfalls eine Versuchsperson bei Hydra warst, das würde zumindest den Gedächtnisverlust erklären und ebenso, warum du genau dort aufgewacht bist."
Er schien nicht vollkommen überzeugt, auch wenn ich nicht bezweifelte, dass das für ihn tatsächlich der naheliegendste Gedanken war. Auch wenn ich ebenso versucht hatte, mich mit dieser Erklärung abzufinden, ergab für mich doch zu viel an dieser These keinen Sinn.
Wieso war ich nicht in eine Zelle gesperrt?
Wenn ich von dort entkommen sein sollte, wieso lag ich dann ohnmächtig auf dem Gang, ohne dabei irgendwelche physischen Verletzungen aufzuweisen?
Warum hatte ich Wandas Stimme in meinem Kopf gehört?
Weshalb kannten mich Wanda und Pietro nicht, wenn sie schon ewig dort gefangen waren?
Wieso verfügte ich über keinerlei Kräfte wie die anderen?
Bei Pietro und Wandas Experiment hatten immerhin scheinbar nur die überlebt, die dadurch besondere Kräfte bekommen hatten, und selbst wenn ich bei einem anderen Versuch mitgemacht habe, bezweifelte ich, dass Hydra mich nach einem fehlgeschlagenen Versuch einfach so weiterleben lassen würden, wenn ich somit keinen Zweck mehr für sie erfüllte. Das passte zumindest nicht in mein Bild von ihnen.
Hatte ich etwa auf irgendeine Weise mit ihnen zusammengearbeitet?
Sobald dieser Gedanke in mein Gehirn schoss, spürte ich förmlich, wie mich die pure Vorstellung erschaudern ließ.
Pietro schien mein Zittern fehlzuinterpretieren, denn er wandte sich noch einmal leicht zu mir um und schenkte mir ein beruhigendes Lächeln. "Keine Sorge, jetzt bist du erstmal sicher."
Da ich kein Verlangen verspürte, ihm den wahrhaftigen Grund meiner Angst zu erklären, nickte ich nur dankbar und beendete schweigend seinen Haarschnitt.
"Fertig", verkündete ich ihm, während ich die Schere absetzte und mit ihr zum Waschbecken herüber ging, um sie abzuwaschen.
Statt jedoch zu warten, bis ich zurückgetreten war, trat Pietro hinter mich und blickte über meine Schulter hinweg in den Spiegel direkt über der Spüle, was ihm wegen unserem Größenunterschied sicherlich nicht sonderlich schwer fiel.
"Gefällt es dir?", erkundigte ich mich, während ich meinen Blick gesenkt hielt, um zu verstecken, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
War ihm selbst der enge Körperkontakt denn gar nicht unangenehm?
Oder machte er das etwa mit Absicht, um mich verlegen zu machen?
"Ja, besser als ich dachte", bemerkte er, wobei ich sein Grinsen förmlich aus seiner Stimme hören konnte, "Hätte ich dir gar nicht zugetraut."
Insgeheim war ich ziemlich beeindruckt von seiner Fähigkeit zwischen ernsten Themen und Witzen hin und her zu springen, als wäre es einfach, auch wenn ich vermutete, dass dahinter ein jahrelanger Prozess der Abhärtung steckte, die er vermutlich dadurch erlernte, dass er so lange alleine mit Wanda überleben musste und dadurch eine überzeugende Fassade für Fremde aufgebaut hatte.
"Ich entscheide mich hiermit, das einfach als Kompliment zu werten", informierte ich ihn in einem ebenso scherzenden Unterton, obwohl ich eigentlich noch wegen all den Vermutungen, was mit mir passiert war, und Pietros Nähe, die mich nervös machte, etwas angespannt war.
Leider war es nicht so einfach ihn zu täuschen, wie ich gehofft hatte, denn er senkte seinen Blick, sodass er nachdenklich mein Spiegelbild betrachtete, bevor er mir sanft eine Hand auf die Schulter legte und sie behutsam drückte, wobei man deutlich merkte, dass er es gewöhnt war, sich um jemand, vermutlich Wanda, zu kümmern.
"Ich weiß, dass all das schwer ist, aber von nun an bist du nicht mehr alleine", bemerkte er mit einer unglaublich weichen Stimme, "Du bist jetzt eine von uns und dir wird nichts mehr passieren."
Er wusste nicht, dass diese Worte genau das waren, was ich gerade gebraucht hatte.
Bevor ich ihm jedoch noch einmal danken konnte, spürte ich, wie er sich hinter mir leicht anspannte und scharf einatmete.
Verwirrt drehte ich mich halb zu ihm um, doch zu meinem Erstaunen war sein Blick auf mein Handgelenk fixiert.
„Was ist das?", erkundigte er sich mit einem Stirnrunzeln, weshalb ich erstaunt seinem Blick folgte, sodass ich endlich auch verstand, was er meinte.
Während wir zuvor gesprochen hatten, hatte ich die Ärmel meines Pullovers nach oben geschoben, um mir die Hände zu waschen.
Da ich dabei meinen Blick auf Pietros Spiegelbild gerichtet hatte, war mir gar nicht aufgefallen, dass dabei ein weißes Bändchen an meinem Handgelenk enthüllt wurden war, das Pietro nun anstarrte, als wäre es aus einer völlig anderen Welt erschienen.
Scheinbar hatte sich das schmale Plastikbändchen, das mir seltsam vertraut und doch so fremd wie ich selbst vorkam, an meinem Pullover verfangen und war mir deshalb nicht schon zuvor aufgefallen, doch nun berührte ich es vorsichtig, um es zu drehen, bis ich kleine Buchstaben erblickte.
Pietro lehnte sich über meine Schulter, wobei sich unsere Körper leicht berührten, doch dieses Mal fiel es mir kaum auf, denn ich war zu fokussiert auf die Informationen, die in kleinen, schwarzen Druckbuchstaben auf das Bändchen geschrieben waren:
„May, Alicia
geboren am 21.08.1990
Patientennummer 908971"
Hatte dieses kleine, unscheinbare Bändchen mir gerade etwa endlich verraten, wer ich bin?
Bemerkungen:
- Auf dem GIF oben im Kapitel seht ihr ungefähr, wie Pietros neue Frisur nun aussieht. (Natürlich werden seine silberschwarzen Haare aus dem Film noch folgen, keine Sorge.)
- Wie ihr seht, habe ich mich dazu entschieden, zweimal statt nur einmal in der Woche Updates zu posten.
//Frage 1: Bevorzugt ihr Aaron Taylor - Johnson mit seiner Pietro Maximoff Frisur oder seinen braunen Haaren?
Frage 2: Was haltet ihr von dem Gespräch und den neuen Informationen?//
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