Die gelben Vans
POV. Louis
Der Regen prasselte auf meine Haut, aber ich lief deswegen ganz sicher nicht schneller - ganz im Gegenteil. Mich interessierte es nicht, dass ich krank werden würde oder meine Lieblingsschuhe - meine gelben Vans - vollkommen dreckig aussehen werden. Meine Schultasche lag schwer auf meinem Rücken und müde schliff ich über den Gehweg. Autos fuhren an mir vorbei. Die Kleinststadt in der ich lebte war langweilig, trostlos und in meiner Ansicht, hoffnungslos verloren. Jeder kannte jeden, aber eigentlich konnte man es nicht als kennen betiteln. Für mich bestand kennen, dass man etwas über die Person wusste, die man zu kennen schien. Diese Menschen kannten nichts über ihre Nachbarn oder die Menschen mit denen sie sich zu verstehen schienen. Man interessierte sich für sich selbst und versuchte immer der beste zu sein, der angesehenste, der reichste - einfach der beste eben. Vielleicht war es so ein unausgesprochener Wettstreit zwischen den Erwachsenen, den ich nicht verstand, aber sowas wollte ich auch in keinster Weise verstehen. Vielleicht gab es unter ihnen diesen Wettkampf, der sie im stillen dazu zwang so zu sein, wie sie nun einmal waren. Vielleicht konnte man sowas gar nicht steuern. Vielleicht konnte man das Verhalten gar nicht ändern, weil es wie ein Zwang war. Der Zwang, dass alle zu einem herauf schauen würden, wenn man der beste war.
Wie eine Star, der Millionen Pounds machte und ständig ein Lächeln auf den Lippen hatte. Konnten selbst Erwachsene von diesem Schein und dem makellosen Lächeln geblendet werden? Für mich schien das alles eine schlechte Show zu sein, die vorgeführt werden musste, aber eigentlich niemanden interessierte. Vielleicht war ich der einzige, der das so sah, aber dies war mir Recht so, denn es schien am logischsten zu sein nicht allem hinterher zu eifern, was andere taten.
Die Nachbarn, die Millers hatten frisch ihre Hecke geschnitten und einzelne Blätter lagen noch immer auf dem Gehweg. Sie tanzten im Wind und drehten sich um sich selbst, um danach unter das nächste Auto zu gelangen und dann platt auf der nassen Straße zu kleben. Ich seufzte unzufrieden und vergrub meine Hände in meiner Hosentasche. Ich ging einfach weiter und entfernte mich von den einzelnen grünen Blättern, die wahrscheinlich an irgendeinem Reifen kleben bleiben würden und in die weite Welt getragen wurden.
Der Angestellte der Stevens räumte die Einkäufe in das Haus, welches mit dem roten Anstrich viel zu sehr heraus stach. Wie schon erwähnt, jeder wollte hier die Oberhand haben und es störte mich. Als wäre es das wichtigste aus einer Straße mit trostlosem Anstrich mit seinem roten, knalligen Anstrich heraus zu stechen. Es blendete einen schon fast - vor allem an diesem grauen, verregneten Tag. Es sah aus wie eine Feuerwehrwache und das Geschrei der kleinen Tochter hörte sich fast so an wie eine Sirene, die durch die Stille peitschte. Alleine deswegen schaute jeder an ihrem Haus hoch - nicht weil es schön aussah, nein. Es sah auffällig und schrecklich aus. Doch den Stevens war es egal, dass diese Aufmerksamkeit keine positive war. Warum rannten Menschen dieser Aufmerksamkeit in so einer Geschwindigkeit hinterher, dass man sie in kürzester Zeit in der Ferne verlor?
Auf der Schule war es nicht's anderes. Es war ein Kampf, wie unter ihren Eltern auch. Es gab keine Grenzen und jeder schien gewinnen zu wollen. Jeder wollte als die oder der Beste da stehen und somit über den Schulhof herrschen, falls man es so nennen konnte. Vielleicht wollten dies unsere Eltern auch, aber der Aufstellung eines Bürgermeisters, schien niemals jemand unbedingt diesen Posten übernehmen zu wollen, weil dies war offensichtlich mit Arbeit verbunden. Manchmal fragte ich mich wirklich ob ich der einzige normale in dieser Kleinstadt war. Vielleicht war ich auch einfach nur der einsame Freak mit den gelben Vans. Alles schien möglich zu sein.
Ich betrat das Haus in dem ich wohnte. Es war in dieselbe triste Stille getränkt, die auch draußen ausgebrochen war - zumindest bevor ich das Geschrei aus dem Haus unserer Nachbarn gehört hatte. Einzig und alleine brodelte die Kaffeemaschine in die Stille und verteilte ihren angenehmen Geruch von frischen Kaffee. Ich behielt meine Schuhe an, die leichte, schmutzige Abdrücke hinterließen und hing die tropfende Jacke neben die meiner Schwester. Ein dickes Fell hing an ihrer Kapuze und sie schien nicht durch den Regen gelaufen zu sein. Sie erkannte auch die Schönheit nicht daran. Sie sah es als Mieselaunemacher und einem tristen Dauerzustand, der sich wie immer über England legte. Sie sah nicht das schimmern des Grasses, wenn es frisch von dem Nieselregen bepackt war oder der weiße Nebel, der durch die Luft schwebte und sich irgendwann auflöste. Als wäre er niemals da gewesen. Sowas fand ich schön - keine Kleider oder Schuhe, die einem Mitteilen sollten, dass man die neuste Modezeitschrift gelesen hatte und ein kleiner Nachläufer war, um irgendwie dazuzugehören. Ich gehört niemals dazu und dies hatte Vor- und Nachteile.
Ich fand die Vorteile gewichtiger als die Nachteile, immerhin brauchte ich nicht vorgeben jemand zu sein, der ich nicht war.
Mein Blick traf mich in dem großen Spiegel, der im Flur stand und für einen Moment beobachtete ich die Regentropfen, die langsam über meine Wange liefen. Wie Tränen, die ich nicht vergießen konnte und stumm in meinem inneren erstickten.
Kurz darauf erlosch das Geräusch der Kaffeemaschine und Stille breitet sich aus, aber ich konnte nicht einmal beginnen diese zu genießen, da ein Stuhl zurück geschoben wurde und Schritte in der Küche gesetzt wurden. Also bewegte ich mich auf diese zu, in der meine Mutter stand und sich Kaffee in eine schlichte Schwarze Tasse eingoss. Ich hasste diese Tassen, weil man nicht erkennen konnte wie viel Kaffee bereits darin verschwunden war. Es sah aus als würde es darin verschwinden, bis es überschwappte und du gemerkt hast, dass du früher hättest aufhören sollen. So war es auch mit Worten, die man mir an den Kopf warf - doch ich lief nicht über. Es war belanglos wie oft man mich als einen Freak betitelte, denn es traf nicht. Ich fraß dies alles und schloss es in dieselbe Ecke, in der ich auch alles andere versteckte, was mich verfolgte.
"Hallo mein Schatz, wie war die Schule?", fragte meine Mutter und ich fragte mich, ob es sie wirklich interessierte oder ob es jedeglich eine Frage der Höflichkeit war. "Wie immer", antwortete ich monoton und nahm mir einen Joghurt aus dem Kühlschrank. "Du musst heute Abend mit Dan, Lottie, Fizzy und mir ins Tunaks", sprach sie, nachdem sie sich zurück auf ihren Stuhl gesetzt hatte und tippte auf ihrem Laptop herum. Ich nahm eher an, dass es jedeglich eine Frage der Höflichkeit war. "Weswegen?", hinter fragte ich ohne viele Worte. "Dan wird befördert und dies müssen wir feiern", erzählte meine Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich konnte nicht ausmachen ob sie wirklich aus Glücklichkeit lächelte oder weil man es so tat. "Wieso feiert er nicht mit seiner blonden, jungen Sekretärin?", fragte ich hemmungslos. Ich kannte Dan und hatte oft genug die Nachrichten gesehen, die jeden Sonntag aufleuchteten, wenn meine Mutter einkaufen war oder sich mit ihren Freundinnen auf einen Kaffeeklatsch traf.
Mich scherte es nicht, was meine Mutter dabei dachte, wenn ich so über ihn sprach - immerhin war es die Wahrheit. Unsere Familie war ein komplettes Chaos - auch wenn Dan gerne das Gegenteil behauptete. Dies zeigte auch das Familienfoto, welches ganz klassisch über dem Kamin hing und er jeden Besucher unter die Nase reiben musste. Wir fünf stander dort als wären eine perfekte Familie, die voller Liebe und Verständnis war. Pustekuchen. Wir waren weiten davon entfernt. Kilometer um genau zu sein - vielleicht sogar Meilen. Es war wie ein Alibi, als ob Momente nicht auch nur ein gelogener Haufen Schwachsinn sein konnten.
"Louis William Tomlinson!", beschwerte sich meine Mutter, was mich innerlich die Augen verdrehen ließ. Sie sprach mich immer mit vollem Namen an, wenn ihr etwas nicht passte, was ich zu sagen hatte. Hieß es damals nicht, dass lügen etwas schlechtes war? Alles was Erwachsene taten war lügen, lügen und noch mehr lügen. Man sollte das Maul nicht so weit aufreißen, wenn man sich selber nicht an seine Worte hielt. "Red nicht so über deinen Stiefvater", sagte sie mit nachdruck und richtete die Lesebrille, die sie nur Zuhause trug. Sowas trug man immerhin nicht, ließ einen vielleicht bescheuert da stehen oder verpasste einem kleine, fast mikroskopische Rötungen an der Nase. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die beiden wirklich nur wegen Geld und ansehen zusammen waren. Wahrscheinlich auch um bei ihrer Freundin Maura richtig angeben zu können. Ich wusste nicht ob ich meine Familie schrecklicher fand oder die der Horans.
Niall, der jüngste der Familie. Ein angeberisches, schlecht blondiertes Arschloch, welches sich in allen möglichen Hinsichten viel zu wichtig nahm. Ob in meiner Klasse, die ich mir mit ihm teilen musste oder an sämtlichen Abenden, an denen wir alle an einem überdimensionalen Tisch saßen und um die Wahrheit herum redeten. Lieber angaben, über Schmuck, Reisen oder Erfolge bei der Arbeit. Niall erzählte gerne über seine neusten Kleidungsstücke, die er sich gekauft hatte. Lottie und Fizzy sprangen zu offensichtlich darauf an, denn ihre Augen funkelten, wie die Ohrringe, die sich nach jedem Mal tragen in den tiefen ihrer Schubladen verloren - wie einen unbedeutenden Kugelschreiber, der an manchen Tagen auftauchte und am nächsten Tag so mysteriös wieder verschwand, wie er aufgetaucht war.
"Ich werde da sein", meinte ich lediglich und zuckte desinteressiert mit den Schultern. Ich hatte gar keine andere Wahl als mich an einen überfüllten Tisch zu setzten, der gedeckt mit Lügen war.
"Danke, Louis. Denk an den Termin bei Frau Doktor Star, Morgen", erwiderte sie, was ich ohne ein Wort so stehen ließ. Ich war nicht die Gesprächigste Person, weswegen meiner Mutter dies auch nicht auffiel. Mit nasser Hose und T-Shirt schliff ich mich die Treppe hoch und wollte einfach nur in mein Bett springen und bis heute Abend schlafen. Ich war unglaublich müde und wollte einfach in eine Traumwelt verschwinden, die weniger traurig war, wie alles was ich hier so erlebte.
"Brüderchen", sprach mich meine reizende Schwester Lottie an, die es mit dem selbstbräuner etwas übertrieben hatte. Sie trug ebenfalls Highheels und ein schwarzes Kleid, welches für meinen Geschmack zu eng saß, aber es trag eben jeder. "Was gibt's?", fragte ich. "Dan meinte du sollst einen Anzug tragen", antwortete meine Schwester. "Sicherlich nicht", antwortete ich schlicht und ließ die nervigste meiner Schwestern im Flur stehen. "Louis, sei kein Idiot. Das Tunaks ist ein Nobel-Restaurant, dort kannst du nicht in T-Shirt und Jeans und deinen hässlichen gelben Vans aufkreuzen!", beschwerte sie sich, bevor ich meine Zimmertür zu schlug. Genervt verdrehte ich die Augen und zog meine gelben Vans aus, die jeder zu kritisieren schien. Ich verstand nicht was so schlimm an ihnen war, den ich mochte sie. Dieses paar Schuhe war das einzig freundliche, was ich trug. Meine Hosen waren alle schwarz und meine Oberteile variierten zwischen schwarz und weiß.
Kurz wartete ich ab bis Lottie den Flur verlassen hatte, um danach die Ruhe zu genießen. Ich liebte Ruhe Das Gefühl von nichts und der Welt, die für einen Moment aufhörte laut zu sein. Solche Momente waren meine liebsten. Wenn man nur den Regen hörte, der in einer angenehmen Lautstärke gegen das Fenster prasselte und die Regentropfen herunter fließen lies. Sie vereinten sich oder schafften es alleine mein Fenster zu verlassen. Es wurden immer mehr und da ich das Licht angeknipst hatte spiegelte ich mich in der Scheibe. Es war als würden die kleinen Wasserfälle, die aus Salz und Wasser bestanden über meinen Körper fließen. Ich drehte mich um und sah in den großen Spiegel, der dort herum stand. Ich musterte mich erneut, wog ab was ich mochte an mir und ließ mich auf das Bett fallen. Meine noch immer nassen Klamotten fanden die leichte Wärme angenehm und so schloss ich die Augen.
Meine Unterarme brannten etwas, wegen den Wunden, die ich letzte Nacht aufgefrischt hatte. Ich spürte noch immer den angewiderten Blick von Darla auf mir, die mich mit ihren Bitch-Blick einmal beäugt hatte. Ihr tuscheln hörte man bis zu meinem Platz, der zwei Reihen vor ihr war. Wie gesagt, ich war ein Freak, aber es schien auch niemanden zu interessieren warum dies der Fall war. Warum auch?
Ich war nichts besonderes, was man um sich haben wollte, weil es eventuell auf einen Abfärben konnte. Ich war komisch und dies färbte auf Menschen ab, die in meiner Nähe waren. Vielleicht sahen es nur die anderen, weil ich tat es nicht. Doch ich war überflüssige. Das bisschen Luft, was ich einatmete eigentlich nicht wert. Der Gedanke verfolgte mich bereits eine ganze Weile, aber immer wieder ertrank er in anderen, doch an diesem Tag nicht. Es war als wäre ein Ende greifbar, aber noch unsicher ob ich zugreifen sollte oder es einfach nur bewundern sollte, blieb ich liegen und schipperte langsam und vorsichtig in eine Traumwelt.
Während ich zwischen dem gefälschten gelächter meiner Eltern saß, das Klingeln von Niall's Handy immer und immer wieder im Restaurant zu hören war und Fizzy ihr Glück bei dem viel zu alten Kellner versuchte, da hing ich mich an den Gedanken - als wäre ich auf der Titanic und es wäre meine Letzte Rettung. Niemand sah auf als ich kurz zur Toilette verschwand und dies war ein Anzeichen mehr für mich, dass ich überflüssig war. Ich saß nur herum und hörte zu. Ich versuchte nicht einmal ein Gespräch zu beginnen, weil dort nichts war worüber ich reden wollte. Schweigen war mir lieber, denn dort war Ruhe, die ich liebte und als einziges genoss. Während ich zum dritten Mal an diesem Tag in den Spiegel schaute und mich ansah, am liebsten durch mich durchgesehen hätte, klammerte ich mich wie ein ängstlicher Junge an seinen Teddy, an diesen Gedanken, der vielleicht meine Ruhe wäre. Die Sache, die ich liebte. Schon als Kind vergötterte ich die Ruhe, auch wenn ich nichts dagegen hatte mich oder auch andere laut und ehrlich Lachen zu hören. Doch irgendwann klang es ab und in meinem Kopf entstand kein Tag mehr, an dem ich das Bedürfnis hatte mir oder anderen beim Lachen zuzuhören.
"Wie fühlst du dich?", fragte Frau Doktor Star, die schon seit ich klein war meine Psychologin war. "Wie immer", antwortete ich. Es war eine dicke, fette Lüge, die man mir sicherlich von der Nasenspitze ablesen konnte. Doch es gab nichts, was von meinem Plan abbringen würde. Niemand würde das Feuer der Hoffnung in mir entfachen und mir einen Grund geben dieses Theater noch für eine Minute länger zu spielen. Niemand auf dieser Welt würde mich abhalten können. "Keine besonderen Ereignisse?", fragte sie nach und hielt einen Stift und einen Block in meiner Hand. Scheinbar hatte sie mir die Lüge nicht von der Nase ablesen können, was vielleicht daran lag, dass es keine war. Immerhin war dieser Gedanke immer da, aber er hatte es nie geschafft längeren Boden unter den Füßen zu bekommen, als für einen Moment oder zwei. "Nein", antwortete ich schlicht," alles gut." "Es freut mich, dass es mit dir langsam Bergauf geht!", sagte sie mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen. Manchmal hatte ich wirklich das Gefühl, dass meine Psychologin die einzige war, die sich wirklich für mich interessierte. Es war ein seltsamer Gedanke, aber wahrscheinlich die Wahrheit.
"Ja", erwiderte ich nickend. "Irgendwann wird es wieder besser werden", versicherte sie mir. Dies sagte sie bereits seit Jahren, aber eine Besserung spürte ich nicht. Ich erwartete sie auch in keinster Weise. Ich war eben so wie ich war, ein komischer Kerl, der einfach ein beschissenes Leben hatte. Es war eben so wie es ist, dies sagte auch das Tattoo, welche ich mir illegal stechen ließ; it is what it is .
Meine Mutter war ausgerastet, aber es hätte mich nicht weniger interessieren können. Dieses Tattoo war etwas, was ich an mir mochte, weswegen sie es bei den aufgebrachten Worten beließ. Fizzy war die einzige, die nach der Bedeutung dieses Satzes gefragt hatte. Ein knappes, Das Leben ist, wie es ist , war meine Erklärung, die sie nickend hinnahm.
Am Abend war das Haus mal wieder leer. Es war wie immer in Stille getränkt, aber diese Ruhe reichte mir nicht, sie war mir nicht genug, denn meine Gedanken waren zu laut. Meine Mutter war mit Dan ausgegangen, Fizzy war bei ihrer Freundin und Lottie hatte mit Sicherheit wieder irgendwen gefunden, der sie für die Nachte bespaßte. Mich interessierte dies genauso wenig wie sich alle anderen für mich interessierten. Ich war halt einfach da - eine Last, die jeder gerne los werden würde. Es gab Zeiten, da gab es nur meine Mutter und mich. Da war ich die einzige Person, die sie noch hatte und sie war die einzige Person die ich hatte. Nach Jahren hatten wir einander verloren, ich hatte sie an das Geld eines Mannes verloren, der es im Grunde genommen sowieso nicht ernst mit ihr meinte, aber sie wollte immer hin auch nur sein Geld - sie ergänzten einander. Und meine Mutter hatte mich an meinen Vater verloren, der mir jegliche Gefühle geraubt hatte.
Durch das dunkele Haus schritt ich immer und immer weiter. Ich hasste alles, was sich in meinen Gedanken ansammelte. Ob Rückblicke meiner Kindheit oder anderweitige Gedanken, die mich verfolgten. Es schloss mich immer für einen Moment in eine andere Welt, die noch düsterer war als dieser Flur in dem Moment. An manchen Tagen fühlte ich so sehr in mir selber gefangen, dass in die Blätter der Bäume beneidete, die einfach so loslassen konnten und sich treiben ließen. In der Hoffnung, dass sie die Luft an einen schöneren Ort brachte. Doch trotz der Gefahr, dass sie in der nächsten Hecke gefangen werden könnten, ließen sie los und brachten es vielleicht auf die andere Seite der Hecke, die etwas anderes zeigte. Ob es beim Sterben auch so einfach war? Ob es auch ein treiben war, welches einen mit sich zog? Wie der Wind die Blätter verschluckte, stellte ich es mir vor zu sterben. Langsam und schmerzlos.
Ich sollte Angst davor haben, aber diese hatte ich nicht. Ich empfand überhaupt nichts, aber dies war nichts, was mich überraschte. Es war normal - das war ich. Damit konnten andere einfach nicht umgehen. Sie fanden es unnormal, dass man niemals Lachte oder einen Hauch von Humor aufkommen ließ. Für mich war dies normal. Es war normal leere zu empfinden und sie in mir zu spüren. Sie fraß mich auf. Still, langsam und in der Dunkelheit der Nacht, wenn niemand hinsah. In Momenten, in denen ich herauf schaute, an die Decke, die mir metaphorisch auf den Kopf fiel. Wenn ich am liebsten aufspringen wollte und rennen wollte in das unbekannte Nichts, welches ich mir vorstellte. Wenn ich mich in dem Schwarz verlor, welches ich sah, wenn ich die Augen schloss.
Auf andere machte ich einen komischen Eindruck, aber wüssten die Erinnerungen, die ich von Tag zu Tag in meinem inneren herum schleppte, würden sie mich bemitleiden. Ihre Augen würden traurig zu mir herüber sehen und sie würden ihre Köpfe darüber zerbrechen ob ich immer noch daran dacht, ob ich es immer noch spürte. Doch vielleicht würden sie auch lachen und es wäre ihnen egal. Um ehrlich zu sein wäre mir Aspekt zwei lieber.
Im Badezimmer blieb ich stehen. Ich schaute mich im Spiegel an, der ebenfalls meinen ganzen Körper zeigte. Meine Narben waren deutlich zu sehen und ich schaute mir ins Gesicht. Ich sah müde aus, als hätte ich noch nie ein Auge zugedrückt und immer nur wach gelegen.
"Was willst du noch hier?", fragte ich mich selber und schaute mir emotionslos in die Augen. Auch Traurigkeit, Einsamkeit, Angst und Schmerz empfand ich nicht. Jedeglich Wut kam hin und wieder durch, was meine Psychologin für ein gutes Zeichen hielt - ich eher weniger. Wie konnte Wut als etwas gutes eingestuft werden? Ich sah es als eine Art, wie ich aus mir ausbrechen wollte, aber den fehlenden Mut hatte, weil Wut war eben nicht alles was man brauchte.
Ich schaute die große, protzige Badewanne an und drehte den Hahn auf. Lauwarmes Wasser sprudelte herunter und nach einer Weile legte ich mich voll bekleidet herein. Etwas schmutz perlte von meinen gelben Vans ab und ich ließ meine Kopf für einen Moment in das Wasser tauchen. Es war wie schweben - wie als würde man im Wind treiben. Es schwappte irgendwann über und das war der Moment indem ich es ausschaltete. Ich griff zu den Klingen, die ich mir vorher aus meinem Zimmer geholt hatte. Sie waren immer in einer roten Box verstaut, die aussah wie ein erste Hilfe Kasten, aber am Ende genau das Gegenteil waren.
Irgendwann waren meiner Mutter meine Verletzungen aufgefallen, aber sie nahm mir nur die Klingen weg. Glaubte sie ich besaß nicht mehr als zwei Stück? Hatte sie nie daran gedacht, dass ich weiter machen würde? Es schien sie auch in keiner Weise zu interessieren, was mich nicht überraschte. Sie sprach nie darüber. Sie beerdigte dieses Ereignis, wie sie meine Kindheit begrab. Als wäre es nie passiert. Aus den Augen, aus dem Sinn - dies war scheinbar ihr Motte und dies zog sie durch. Mir konnte es nur Recht sein, denn es war ein weiterer Grund dem ganzen ein Ende zu setzten. Ich war es Leid dieses Leben zu leben. Ich war es Leid, dass sich niemand für mich interessierte. Ich wollte, dass sich jemand für mich interessierte - wenigstens ein einziges Mal.
Das Blut lief aus meinen Handgelenken und trotz des Schmerzes lächelte ich - ich hatte schon ewig nicht mehr gelächelt. Es war ein gewaltiges Gefühl von Erleichterung, welches mich packte. Als würden tausende von Tonnen von meinen Schultern rutschen und im Wasser um mich herum ertrinken. Es gab mir einen Schub, der dem Gefühl von Fliegen sicherlich am nächsten kam. Im Augenblick darauf fielen mir die Augen zu. Ich spürte wie das Bewusstsein am Rand war und einen Moment noch und ich würde es verlieren, es würde wie die lästigen Probleme in dem roten Wasser ertrinken, wie die Hoffnung, die ich einst tatsächlich hatte. Es gab Tage, an denen glaubte ich, dass es besser werden würde, aber irgendwas war geschehen, was mir diese Hoffnung direkt nahm.
Vielleicht würde sich nun jemand für mich interessieren. Vielleicht würde es sogar jemand bereuen, aber vielleicht war es auch allen egal. Wahrscheinlich wären sie alle froh, wenn ich endlich gehen würde. Ich war es ja selber, also wieso sollte jemand anderes anders über mich denken. Alleine dieser Gedanke schlug direkt die kälte in meinen Körper. Erschöpft schloss ich die Augen endgültig. Meine Ohren waren Unterwasser und das Rauschen wurde immer lauter. Es verschluckte mich und das Gefühl von Fliegen verwandelte sich in den freien Fall, der mich auffraß. Still und Schnell. Einmal geblinzelt und weg war ich. Ich spürte das Wasser nicht mehr und auch die süßen Schmerzen verschwanden. Dort war nur ein kleines brennen, welches sich so anfühlte als würde irgendwer meine Unterarme so feste zudrücken, dass meine Hände einfach abfielen.
Doch im nächsten Moment war ich weg. Ich spürte rein gar nichts mehr.
Es war vorbei!
Jetzt konnte alles nur noch besser werden.
A/N: Das erste Kapitel dieser Story ist online! :)
Ich würde gerne eure Meinung hören, da ich das Kapitel bestimmt dreimal umgeschrieben habe, bis es mir gefällt.
Ich hoffe bis jetzt gefällt euch die Geschichte - auch wenn sie so begonnen hat...
Anderes Thema;
Heute vor einem Jahr kam Walls heraus!
Ist schon viel zu lange her.. :(
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