Chapter Thirty Three
Can't anybody hear me,
am I hidden underground?
Can't anybody hear me,
am I talking to myself?
"Hi." Amaia sah mich verwirrt an. Ihr Blick glitt über mich, dann rüber zu Kyle und schließlich wieder zurück zu mir. "Jewel...? Was-", sie unterbrach sich selbst und schüttelte verwirrt den Kopf. "Lange Geschichte", sagte ich und zog nervös an meinem T-Shirt. "Können wir reinkommen?" Ein paar Sekunden vergingen, in denen niemand auch nur ein Wort sprach oder sich bewegte, ehe meine Schwester die Tür schließlich ganz öffnete und zur Seite trat, um uns reinzulassen.
Ihre Wohnung war klein und vollgestopft mit vielen unterschiedlichen Möbeln. Das durch die gelben Vorhänge einfallende grelle Licht der aufgehenden Morgensonne bildete einen Kontrast zu den zwei dunkelblauen Sofas. "Was zur Hölle tust du dir?", hörte ich ihre Stimme und drehte mich um. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, ihre dunklen Augen sahen mich mit einer Mischung aus Skeptik und Verwirrung an. Ihre glatten Haare, die ihr knapp bis zur Schulter reichten, waren zerzaust und ungekämmt. Anscheinend war sie gerade erst aufgestanden.
"Freust du dich denn nicht, mich zu sehen?", versuchte ich die Atmosphäre ein bisschen zu lockern, indem ich ihr ein kleines Lächeln schenkte. Ich konnte verstehen, wieso sie so skeptisch war, aber die ganze Sache würde definitiv leichter sein, wenn ich jemanden hätte, dem ich vertrauen könnte. Amaia starrte mich ein paar Sekunden nur stumm an und rührte sich nicht. Dann, gerade als ich die Hoffnung aufgeben wollte, tat sie plötzlich ein paar Schritte vor und umarmte mich, wobei sie mich fast erdrückte. "Gott, hab ich dich vermisst, Schwesterchen!" Sie war ein gutes Stück größer als ich und musste sich dementsprechend zu mir herunter beugen.
Nach ein paar Sekunden lösten wir uns voneinander. "Was tust du hier? Weiß Mum Bescheid? Was ist mit der Schule? Und... wer ist das?" Sie sah über meine Schulter hinweg zu Kyle, ihre Hände noch immer auf meinen Schultern. "Das ist Kyle." Ich drehte mich kurz zu ihm um und er hob grüßend seine Hand. "Er... er hat mir geholfen, hier her zu kommen. Er ist Aidens Cousin." Aiden. Gott, an ihn hatte ich schon so lange nicht mehr gedacht gehabt. Ich wartete auf mein schlechtes Gewissen, aber es kam nicht. "Was Mum angeht... ähm... wie gesagt, es ist eine ziemliche lange Geschichte. Hast du Zeit?"
Sie nickte. "Meine Vorlesung beginnt erst in zwei Stunden."
*
"Und ihr denkt, dass ein... Schamane euch helfen wird?" Amaia sah uns beide mit hochgezogenen Augenbrauen an. Sie saß uns gegenüber auf der blauen Couch und hatte die Beine übereinander geschlagen. Ich nickte. "Aus dem Grund sind wir hier." Die Brünette zögerte ein paar Sekunden. "Ich... also ich weiß schon, dass hier viele Leute als Hexer und Schamanen und sonst was verkleidet rumrennen und einem die Karten legen und alles - aber du glaubst das ganze Zeug doch etwa nicht, oder?"
"Hey, ich hatte die gleiche Reaktion", versuchte ich, die Dinge ein wenig zu wenden. "Frag Kyle, ich hab ihn für verrückt erklärt." Ich warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu. Kyle, der sich bis jetzt aus dem Gespräch raus gehalten hatte, richtete sich ein wenig auf. "Das stimmt. Und bist dann paranoid geworden, dass die Polizei uns verfolgt."
"Zu Recht", warf Amaia ein. "Du bist aus einer Klinik abgehauen für einen Schamanen? Jewel, Schwesterchen, ich hab dich lieb, aber das kann nicht dein Ernst sein." Sie schüttelte den Kopf und ich biss mir auf die Lippe. Verdammt. "Aber das ist es. Das ist mein einziger Weg, den Alux loszuwerden."
"Wenn diese Teile wirklich existieren. Ich hab noch nie davon in meinem ganzen Leben gehört. Außerdem existiert übernatürliches nicht, du bist doch nicht mehr fünf Jahre alt."
"Ich hab ihn gesehen." Ich spürte die Verzweiflung in mir wachsen. Ich hatte immer auf Amaia zählen können. Sie konnte mich jetzt nicht im Stich lassen. Ich wusste, dass die Erklärung für mein Auftauchen unglaubwürdig klang und ich hatte auch nicht damit gerechnet, dass sie mir sofort alles glauben würde, aber irgendwie wollte mich das Gefühl nicht loslassen, dass sie nicht mal versuchte, mir Glauben zu schenken. "Mehrmals. In meinen Träumen, in meiner Schlafparalyse, ich konnte ihn fühlen, als ich angegriffen wurde... er ist real. Glaub mir, ich will das doch auch nicht. Aber er ist da und er muss weg und der einzige Weg, ihn loszuwerden, ist einen Schamanen zu Rate zu ziehen. Hier in Mexiko, weil hier nämlich auch echte Schamanen rumrennen und nicht nur Betrüger. Kyles Vater hatte einmal den selben Fall und-"
"Hat seine Freundin mithilfe eben jenem Schamanen gerettet, ich weiß", zitierte sie meine Worte von vor ein paar Minuten. "Ich weiß es ist hart, aber du musst akzeptieren können, dass du das hast, was Dad auch hatte. Und dass-"
"Dankeschön, dass du nicht mal versuchst mich zu verstehen und mich direkt als krank und verrückt abstempelst", unterbrach ich sie und bereute meine Worte sofort. Ich wollte nicht streiten, das würde uns nicht weiterhelfen. Meine Schwester sah mich ein paar Sekunden lang stumm mit offenem Mund an. Dann schloss sie ihn, nur um ihn eine Sekunde später wieder zu öffnen. "Das tue ich doch gar nicht. Ich versuche doch, deine Taten nachzuvollziehen, aber alles was ich sehen kann ist, dass du vor deiner Diagnose wegläufst, weil du Angst davor hast, genauso wie Dad zu enden. Und jetzt stürzt du dich auf die erstbeste Option, die dir erlaubt, dich von der Realität abzulenken."
"Aber so ist es nicht." Ich lehnte mich weiter vor. "Ich wusste die ganze Zeit, dass irgendetwas nicht gestimmt hat in der Klinik. Und nicht, weil ich schizophren bin oder mehrere Persönlichkeiten habe oder sonstwas, nein, weil irgendetwas anderes falsch war. Ich wusste nicht was, aber jetzt weiß ich es und das ist alles, was zählt. Dass ich mir jetzt Hilfe suche und dass ich diese auch bekommen werde morgen. Denkst du nicht, dass ich das Szenario schon tausendmal in meinem Kopf durchgespielt habe? Was, wenn Kyle mich reinlegt? Was, wenn wir uns beide geirrt haben und ich wirklich einfach nur krank bin? Aber jetzt bin ich hier und hab die Gelegenheit, morgen bestätigt zu bekommen, dass ein Alux sonstwas mit meinem Kopf treibt. Oder eben auch nicht. Und diese Gelegenheit werde ich in Anspruch nehmen und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine positive Antwort auf meine Frage erhalten werde. Oder wie willst du denn bitte sonst das Wesen erklären, was in meinen Träumen umhergespukt ist und das haargenau zu der Beschreibung eines Alux' passt? Oder das für Aluxe typische Steinhaus? Soll das alles Zufall gewesen sein?"
"Du könntest dir das eingebildet haben und-"
"Wie denn bitte?" Ich ließ sie nicht zu Wort kommen. "Ich habe dieses Wesen gesehen. Kyle ist zu mir gekommen und hat mir erklärt, dass dieses Wesen real ist und dass ich mir das nicht einbilde. Er hat mich nach einem Steinhaus gefragt und wie der Alux aussah und hat dann eins und eins zusammengerechnet. Sein Vater hat ihm geholfen dabei, einen geeigneten Schamanen zu finden und erst heute Nacht hat der Alux mir gesagt, dass ich nicht nach Catemaco gehen soll."
"In Träumen kann man sich viel einbilden. Das bedeutet noch lange nicht, dass es real ist. Und woher weißt du überhaupt, dass Kyle dich nicht anlügt?" Ich hörte, wie er neben mir zu einer Antwort ansetzen wollte, aber ich war schneller. "Er ist den ganzen Weg hierher gefahren, von Oklahoma nach Mexiko, hat uns alle nötigen Papiere besorgt, alles bezahlt... denkst du wirklich, dass er sich die Mühe machen würde, um mich dann für zwei Minuten auslachen zu können? Das ergibt keinen Sinn. Glaub mir, ich hab mich das stundenlang gefragt", fügte ich hinzu und kam somit Amaia zuvor, die ihren Mund protestierend geöffnet hatte. "Aber ich vertraue ihm. Ohne ihn würde ich immer noch in der Klinik sitzen und den Alux weiter Schaden anrichten lassen."
Ich spürte Kyles Blick auf mir und war ein wenig überrascht über mich selbst. Ich vertraute ihm. Die Worte waren einfach so über meine Zunge gekommen, so als würden sie nichts bedeuten. Aber jetzt, wo ich sie ausgesprochen hatte, fühlten sie sich gar nicht mal so falsch an und sogar ziemlich richtig. Ich vertraute Kyle also?
"Ich... Jewel." Amaia seufzte und vergrub ihren Kopf in den Händen. "Ich weiß es ist verwirrend", sagte ich leise nach ein paar stillen Sekunden, in denen nur der Verkehr draußen zu hören gewesen war. "Und du musst es nicht verstehen." Auch wenn es schön wäre, wenn du es tun würdest. "Aber akzeptiere meine Entscheidung bitte. Ich werde meine Meinung nicht ändern. Wenn der Schamane sagt, dass ich keinen Alux in meinem Kopf habe, dann bin ich sofort wieder in Oklahoma in der Klinik. Aber wenn ich doch einen habe, und die Wahrscheinlichkeit dafür ist - leider - ziemlich hoch, dann wird der Schamane mir helfen und ich werde wieder gesund. Ich habe nichts zu verlieren. Einen Versuch ist es doch wert, oder etwa nicht?" Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln in der Hoffnung, sie zu beruhigen.
Und es wirkte.
Sie seufzte erneut und erhob sich, streckte sich und dehnte ihren Rücken. "Das ist doch alles verrückt", meinte sie. "Und ich glaube die ganze Sache immer noch nicht. Aber wenn ich dich anscheinend nicht umstimmen kann, dann ist das eben so, ob ich will oder nicht." Sie platzierte beide Hände auf ihren Hüften. "Warst du schon immer so stur? Habe ich da irgendetwas nicht mitbekommen?" Wir lachten beide auf und die Atmosphäre im Raum lockerte sich. "Und was sagt Mum dazu? Sie hat dir doch niemals erlaubt, hierher zu kommen. Und erst Recht nicht allein."
Mein Blick fiel auf meine Fingernägel, mit denen ich etwas nervös spielte. "Das hat sie auch nicht", antwortete ich schließlich zögerlich. "Genauer gesagt weiß sie nicht mal, dass ich hier bin."
"Was?" Ich blickte auf und sah eine entsetzte Amaia. "Du hast es ihr nicht erzählt? Wo denkt sie denn bitte, wo du bist?" Ich zuckte die Schultern. "Keine Ahnung. Ich hab noch nicht mit ihr geredet."
"Bist du verrückt? Du weißt doch, wie viele Sorgen sie sich macht!"
"Ich weiß!" Und wie ich das wusste. Mein schlechtes Gewissen meldete sich wieder und ich wollte auf gar keinen Fall, dass Amaia dachte, dass mir das egal wäre. "Ich will es ihr ja sagen. Aber mit dir zusammen. Weißt du, ich wollte ihr nicht nur eine halbe Antwort geben. Wenn ich sie anrufe mit dir dabei, dann weiß sie wenigstens, dass ich sicher bin."
"Du bist doch verrückt." Sie starrte mich ein paar Sekunden lang an, Hände immer noch auf ihren Hüften. "Komplett verrückt."
"Ja, ich weiß." Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. "Rufen wir sie also an?"
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