Chapter Thirty
Steady little boat
Steady little boat
Take me to the shore
Take me to the shore
Take me back home all the way to where I'm from
to the banks of the Illinois
Show me the house I was raised in
and the woods where I used to play
Steady little boat
Take me home
Cause I'm far away
Es war ruhig. Das einzige Geräusch im Raum war Kyles gleichmäßiger Atem vom anderen Ende des Raumes und das Rascheln der Decke, wenn er sich im Schlaf bewegte. Ich war hellwach und starrte an die Decke, zählte die Schatten, als ich versuchte, einzuschlafen. Das Zimmer war nicht komplett dunkel, das gelbliche Licht der Straßenlaternen draußen viel durchs Fenster. Die Minuten vergingen wie in Zeitlupe.
Vielleicht war es wegen meines vorherigen Nickerchens im Auto, als wir hierher gefahren waren. Oder weil ich zu aufgeregt auf Mexiko war und erstmal die Tatsache verarbeiten musste, dass ich quasi von einer bösartigen Kreatur besessen war, die in meinem Kopf herumspukte. Oder aber die Tatsache, dass meine Mutter seit einer halben Stunde nicht mehr angerufen hatte.
Sie hatte mich förmlich mit Anrufen und SMS bombardiert, jede Minute war der Bildschirm meines Handys zum Leben erwacht und hatte mir angezeigt, dass jemand versucht hatte, mich zu erreichen. Hätte ich den Ton nicht auf Stumm gestellt, hätte ich sicherlich Kyle damit geweckt und wenn der schon unerträglich tagsüber war, war er nachts bestimmt nicht besser.
Aber jetzt war mein Handy still. Ich hatte nachgeschaut, ob der Akku leer war, aber der war noch einigermaßen voll. Also starrte ich stumm an die Decke und wartete nur darauf, dass das bekannte Licht am Rande meines Sichtfeldes auftauchen würde. Aber das tat es nicht und mir wurde schlagartig klar, dass das kein gutes Zeichen sein konnte. Sofort wünschte ich mir, dass ich die Zeit eine halbe Stunde zurückdrehen konnte.
Meine Mutter hatte damit aufgehört, zu versuchen, mich zu erreichen. Das konnte nur eines bedeuten: Sie hatte aufgegeben. Sie hatte die Hoffnung aufgegeben, dass ich vielleicht ein anständiger Mensch wäre und ihr alles erklären würde, oder besser noch, ihr sagen würde, dass das alles eine dumme Idee gewesen wäre und ich zurückkommen würde.
All die Jahre hatte ich mir meinen Freiraum gewünscht; dass sie einmal nicht da wäre, um mich mit ihren Sorgen herunterzuziehen. Ich hatte mich schuldig deswegen gefühlt, aber den Wunsch nie aus meinem Kopf verbannt. Jetzt könnte ich das Universum dafür schlagen, dass es meinen Wunsch ernst genommen hatte. Und mich am Besten gleich dazu, weil ich die Schuld auf eine höhere Macht geschoben hatte, die wahrscheinlich nicht mal existierte.
Ich fühlte mich schuldiger denn je. Was meine Mutter wohl durchmachen musste wegen mir. Sie wusste nicht wo ich war, wie es mir ging, ob ich vielleicht entführt worden war, wieso ich nicht mehr in der Klinik war... sie wusste gar nichts. Und ich war hunderte Meilen von ihr entfernt und weigerte mich, ihre Fragen zu beantworten, auch wenn sie mich eigentlich dazu erzogen hatte, ehrlich zu sein.
Na gut, das mit dem ehrlich sein hatte ich aufgegeben. Ich hasste Lügen, aber in den letzten Monaten waren sie ein notwendiges Übel gewesen. Meiner Mutter vorzugaukeln, dass ich joggen gewesen war, während ich in Wahrheit schlafgewandelt war, war eine Sache. Die Polizei anzulügen, um nicht verdächtig zu wirken, war eine andere. Aber meiner Mutter zu verschweigen, wo ich war und ob ich überhaupt noch am Leben war und nicht irgendwo tot in der Ecke lag, war ein komplett anderes Level.
Ich konnte spüren, wie die Schuldgefühle nicht nur an mir nagten, sondern mich innerlich auffraßen. Ich wusste nicht, wie es war, eine Mutter zu sein - ich war ja immerhin erst ein Teenager - aber ich wusste, wie es war, nicht zu wissen, wo eine geliebte Person sich gerade befand.
Das war früher oft mit meinem Vater passiert. Er war stundenlang nicht aufgetaucht, war nicht an sein Telefon gegangen, hatte uns keine Nachricht hinterlassen gehabt... wir dachten, ihm wäre etwas passiert. Einmal war er für ein paar Tage weg gewesen und wir hatten keinen blassen Schimmer gehabt, wo er gewesen war. Ich erinnerte mich daran, wie meine Mutter mit der Polizei telefoniert hatte und wie Amaia und ich unsere Ohren an das kalte Holz der Tür gepresst hatten, um etwas vom Gespräch zu verstehen. Das schmerzhafte Gefühl in meinem Magen, das ich damals gespürt hatte, kam auch jetzt zum Vorschein.
Wir hatten uns zu Tode gesorgt. Und dann war mein Vater einfach wieder zur Tür hereinspaziert, so als wäre nichts gewesen. Er hatte erzählt, dass er bei einem Freund übernachtet hätte. Wir hatten nie herausgefunden, ob das wahr gewesen war, aber seitdem hatte meine Mutter ihn so selten wie möglich aus dem Auge gelassen. Vielleicht dachte sie jetzt auch, dass eine meiner Persönlichkeiten übernommen hatte und ich deswegen ausgebrochen war.
Als mein Vater gestorben war, war das schlimm gewesen. Es hatte meine Schwester und mich fast zerstört, von meiner Mutter ganz zu schweigen. Aber nachdem die Trauerphase vorbei gewesen war, kam die Erleichterung. Zwar nur ein kleiner Funken, aber dieser Funken schaffte es, uns morgens aus dem Bett zu kriegen. Es war die Tatsache, dass wir uns keine Sorgen mehr um ihn machen mussten. Er war an einem anderen Ort, ob Himmel oder Unterwelt oder sonstwas. Wir mussten uns nie wieder Sorgen darum machen, wo er gerade war und ob es ihm gut ging. Es war egoistisch, aber es hatte geholfen.
All die Jahre hatte meine Mutter diese Angst nicht mehr spüren müssen. Und jetzt tat ich ihr das erneut an. Und Amaia vielleicht auch. Wahrscheinlich hatte sie ihr erzählt, was passiert war. Bestimmt waren einige Anrufe und Nachrichten auch Amaias gewesen. Aber ich zwang mich dazu, meine Hände still zu halten und nicht an mein Handy zu gehen. Wenn ich die Nachrichten sehen und meine Voicemails abhören würde, würde ich nicht standhalten können und sofort zurückrufen, das war mir klar.
Aber ich wollte meine Familie nicht mit irgendeiner wagen Antwort abspeisen, dass ich abgehauen war wegen... wegen was eigentlich? Ich konnte die ganze Alux-Schamanen-Sache nicht am Telefon erzählen. Die beiden würden mich für noch verrückter halten und direkt die Polizei zu mir schicken, da ich meinen Verstand komplett verloren hatte. Nein. Ich musste es ihnen persönlich erzählen. Ich wusste, wo Amaia wohnte und das war in Catemaco, also genau der Ort, wo wir hinwollten. Von dort aus würde ich dann meine Mutter anrufen und ihr erzählen, dass alles wieder gut werden würde und dass ich mir Hilfe gesucht hatte, Amaia als glaubwürdige Unterstützung. Dann würde ich dieses Schamanen Zeug über mich bringen und hoffentlich wieder geheilt sein.
Wenn richtige Schamanen denn überhaupt existierten, was sie laut Kyle jedoch taten, da sonst die Story mit seinem Vater und dessen Freundin nicht hingehauen hätte. Aber ich hatte bereits beschlossen, Kyle in der Sache zu vertrauen. Es gab keinen Grund für ihn zu lügen und ich wollte auch nicht die restliche Nacht damit verbringen, nach einem zu suchen und womöglich noch einen zu erfinden.
Ich stieß einen tiefen Atemzug aus, der sich in der nächtlichen Stille viel lauter anhörte, als er eigentlich war. Es gab keine Garantie, dass all das funktionieren würde. Das einzige, was ich tun konnte, war beten, dass Amaia mich unterstützen würde und ich von diesem Alux-Ding befreit werden konnte.
Aber wer garantierte, dass Amaia mich unterstützen würde? Dass sie meiner Mutter sagen würde, dass alles gut war und ich das Richtige tat, damit sie sich nicht weiter Sorgen machen musste? Dass sie nicht die Polizei rufen und mich wieder zurück nach Oklahoma verfrachten würde und-
Oh Gott. Die Polizei.
Abrupt setzte ich mich auf und ignorierte die schwarzen Punkte in meinem Sichtfeld, die davon rührten, dass ich mich lange Zeit nicht einen Zentimeter bewegt hatte. Ich griff nach meinem Handy und schaltete es sofort aus. Was, wenn die Anstalt und meine Mutter die Polizei informiert und meinen Standort raus gefunden hatten? Ich hatte mein Handy die ganze Zeit angehabt und keinen Gedanken an diese Möglichkeit verschwendet. Dafür hätte ich mir selbst eine verpassen können.
Das würde alles ruinieren! Vielleicht war schon ein Suchtrupp auf den Weg hierher, wahrscheinlich von einem Polizeirevier in der Nähe. Oh Gott. Dann würde ich wieder in der Klinik und im Ruheraum landen für alle Ewigkeit, nie vom Alux befreit werden und für immer verrückt bleiben. Das durfte nicht passieren!
Ich schwang meine Beine über die Bettkante, ignorierte den Protest meiner Haut, die Wärme der Decke zu verlassen und eilte hinüber zu Kyles Bett. "Kyle!", zischte ich, während ich ihn wach rüttelte. "Kyle! Wach auf!" Er stöhnte, als er langsam die Traumwelt verließ und in die Realität zurückgeholt wurde. "Was ist denn?", wollte er wissen und blinzelte mich verschlafen an.
"Wir müssen hier weg! Jetzt! Und mach dein Handy aus!"
"Ich soll... was?" Er sah mich verwirrt an und setzte sich ein Stück weiter auf. Die Bettdecke glitt herunter und enthüllte die Hälfte seiner nackten Brust, aber ich war zu ängstlich, um dem Beachtung zu schenken. "Ich hatte mein Handy die ganze Zeit an", erklärte ich ihm schnell. "Was, wenn die Polizei unseren Standort raus gefunden hat? Sie hatten schließlich genug Zeit dafür. Vielleicht haben sie schon eine Einheit losgeschickt, die uns zurückholen soll u- und dann kommen wir nie nach Catemaco! Wir müssen gehen, damit sie uns nicht kriegen und-" Er unterbrach mich.
"Jetzt mach mal halblang. Du lässt es so klingen, als wären wir Kriminelle", entgegnete er in einem viel entspannterem Ton, als mir lieb war. Verstand er etwa nicht, wie ernst die Lage war? "Naja, ich bin offiziell krank und aus einer Irrenanstalt ausgebrochen und du hast mir dabei geholfen, also..." Ich beendete den Satz nicht. "Niemand weiß, dass ich dir geholfen habe. Ich könnte auch einfach aus reinem Zufall nicht mehr in der Stadt sein zu dem Zeitpunkt, an dem du abhaust. Aiden und mein Onkel sind wahrscheinlich eher froh darüber, als Zwei und Zwei zusammen zu rechnen." Er gähnte ausgiebig.
"Aber Ronny tut es bestimmt!"
"Wer?"
"Der Pfleger, den du davon überzeugt hast, dass du mein Freund wärst. Du tauchst auf und kurz darauf bin ich weg. Er weiß, wie du aussiehst, er hat es bestimmt der Polizei erzählt!" Für den Bruchteil einer Sekunde war ich dankbar dafür, dass er nicht einen seiner sarkastischen Kommentare auf mich losgelassen hatte. Ich war zu panisch, um damit umzugehen können, aber gottseidank war es anscheinend zu spät - oder früh, je nach dem - in der Nacht für seinen mir so verhassten Humor.
"Jewel", fing Kyle an und lehnte sich an die Wand, seine Brust nun komplett unbedeckt. "Beruhig dich mal. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach uns suchen, ist gering. Du wirst deine Mutter bald darüber aufklären, was Sache ist, und alles wird wieder normal werden." Das beruhigte mich nicht im Geringsten. "Und wenn sie nach uns suchen?"
"Dann tun sie das eben und dann bringen sie uns eben wieder zurück nach Oklahoma. Dann besorge ich uns einen Schamanen da."
"Und das hättest du nicht früher sagen können?" Ich sah ihn entsetzt an. "Wir hätten das ganze Theater vermeiden und einfach gleich in Oklahoma bleiben können?" Er zuckte die Schultern. "Vielleicht. Aber in Mexiko bin ich mir sicher, dass ich dir einen guten aufreiben kann. Ich weiß nicht, ob das in Oklahoma auch der Fall ist."
"Du hättest es wenigstens probieren können, anstatt mich gleich aus der Klinik zu schleppen!", warf ich ihm wütend vor. Und hatte alles Recht dazu. Ich tat meiner Mutter gerade die Hölle an, nur weil der Herr zu faul war, einen Schamanen in den Staaten zu finden! "Hab ich ja." Seine Stimme wurde ein wenig lauter. "Aber die hatten alle volle Terminkalender und waren weit weg. Außerdem sind Schamanen mit Internetseite nicht wirklich vertrauenserregend, oder bist du da anderer Meinung?"
"Ich..." Ich ließ seine Worte ein paar Sekunden lang einwirken. Er hatte Recht. Mexiko war unsere - meine - einzige Chance. Ich fuhr mir durchs Haar und nickte schließlich. "Du hast Recht. Tut mir Leid", entschuldigte ich mich, sah ihm aber dabei nicht in die Augen, da dort bestimmt irgendein Funken von Triumph und Spott lag, der mich nur wieder wütend gemacht hätte. "Aber was, wenn sie wirklich nach uns suchen?" Er legte den Kopf schief. "Geh wieder ins Bett, Jewel. Es ist mitten in der Nacht." Seine Worte bedeuteten, dass er keine wirkliche Antwort für den Fall hatte, dass wirklich nach uns gesucht wurde und ich konnte mich immer noch nicht entspannen. Aber ich musste anscheinend wohl oder übel einsehen, dass er diese Antwort auch nicht finden würde und ich die Sache einfach auf sich beruhen lassen und auf das Beste hoffen sollte.
Also erhob ich mich langsam, stützte mich dabei am Bettpfosten ab und nickte. "Okay. Aber schalt dein Handy bitte trotzdem aus", bat ich ihn, während ich mir eine Strähne hinters Ohr strich und mich bemühte, meinen Blick nur auf seinem Gesicht zu halten. Ich spürte, wie das Blut in meine Wangen floss, als mir plötzlich die viele nackte Haut, die er offenbarte, bewusst wurde, und hoffte, dass er das in der Dunkelheit nicht sehen konnte. "Wenns dich besser schlafen lässt."
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