Kapitel 9: Die Welt steht still
Mit zitternden Händen halte ich das Telefon in einer Hand, in der anderen die Nummer. Der Schweiß läuft mir von der Stirn, wie die Tränen über meine Wangen. Der Gedanke, dass ich es wirklich loslassen muss ... Dass ich nicht anders kann ...
Wenn ich es tue, ist mein Leben im Eimer. Wenn nicht, ebenso.
Ich will, dass meine Geschwister nicht so anfangen wie ich, dass sie sich nicht an so etwas binden. Das ist doch alles, was ich mir wünsche ... Ist das zu viel verlangt? Mit Magenschmerzen beginne ich, langsam Taste für Taste zu wählen, doch der grüne Hörer ...
Diese eine, kleine Bewegung soll nun mein Leben verändern ... ?
Wie wird meine Zukunft aussehen?
Werde ich jemals wieder glücklich sein können? ...
Ich will nicht ohne meine Drogen sein, nicht ohne meinen Trostpreis, meine Hoffnung. Ich hasse Rye so sehr dafür ... Ich weiß, dass sie mich kaputt machen und dass ich mein Geld dafür ausgebe, welches ich eigentlich für Nahrung hätte nehmen können ... Aber ich brauche es! Es ist das wichtigste für mich ... Und obwohl ich nur ein Teil eines Experiments von einem verrückt gewordenen Schnösel bin, drücke ich auf die letzte Taste und halte mir das Telefon an mein Ohr.
Die Welt steht still, für diesen kurzen Moment.
Das kratzende Geräusch des Tutens dringt in gleichmäßigen Abständen aus dem Gerät.
Eins. Zwei. Drei. Vier ...
"Scales hier. Guten Abend. Wer ist da?"
Mein Herz setzt für eine Sekunde aus und ich ziehe verschrocken die Luft ein, als ich die fremde Stimme mit dem amerikanischen Dialekt höre.
"H-hallo", zittern meine Stimmbänder.
"I-ich bin ein Freund von ihrem Sohn ... Rye ... Bin ich hier richtig?"
"Ja."
Kurze Zeit kommt nichts.
"Ja ... K-könnte ich ihn sprechen?"
"Hehe ... Ich hab' dich doch nur verarscht", wird die Stimme wieder hell und kichert. Auch der Dialekt verschwindet und ich erkenne Rye.
"Schön, dass du anrufst."
"Du bist so ein Arschloch", murmle ich leise und fertig mit der Welt. Das hätte wirklich nicht sein müssen!
Tue ich mir nicht schon schwer genug? Nein, er kann nie seriös bleiben.
"Dass du mich sofort beleidigst, ist aber weniger schön ..."
Ich kann vor meinen Augen sehen, wie er grinst, und das obwohl er nicht vor mir steht. "Ach so."
"Du hast dich also dazu entschieden, dein Leben auf die Reihe zu kriegen, dein Geld nicht mehr zu verschwenden und nicht von Staub abhängig zu sein? Tja, hier bist du genau richtig!", spricht er wie ein Werbemacher in den Hörer. "Gut, ich helfe dir dabei. Du musst nur ein bisschen aushalten und Tada! Du bist befreit von allem Übel! Mal sehen, wie du so reagierst ... Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich 'ne kleine Liste führe?"
"Doch, es stört." Ich will das nicht.
"Na ja, ist auch egal. Ich mach's trotzdem." Du Arschloch.
Er ist so unglaublich unverschämt!
"Ist dir klar, wie sehr du mir damit weh tust?", frage ich noch immer mit zitternder Stimme. "Ich w-..."
"Wir treffen uns morgen wieder im Park und reden über den Rest. Du nimmst heute in der Nacht nichts! Ich sehe es an deinen Augen, wenn du es doch tust und dann heißt es für dich: Polizeiwache!"
Die Zähne zusammen beißend schweige ich, meine Hassgefühle für mich behaltend. So viel Hass fühle ich für ihn ...
"Wir sehen uns."
Am liebsten würde ich das Telefon in eine Ecke werfen, darauf herumtreten und ...
Ich schüttle mich, stelle das Gerät zur Kommunikation an seinen Platz und werfe mich in mein Bett neben Maurice. Jetzt bin ich hoffnungslos. Eigentlich bräuchte ich etwas, aber Rye würde es mir wohl wirklich ansehen und die Angst, verpiffen zu werden, ist leider größer als mein Wille und Selbstbewusstsein.
Die Nacht ist schwer und lang.
Ich liege wach und denke über mein Leben nach. Wie es war, wie es sein könnte, wie es werden wird.
Fragen über Fragen kommen auf.
Was wäre, wenn ich wirklich frei davon werden würde?
Ach, das ist völlig unmöglich.
Ich brauche es, um in dieser Welt alleine überleben zu können.
Andernfalls würde ich sterben.
Alles läuft auf das selbe Ziel hinaus.
Egal, ob glücklich mit meinem letzten Zug durch die Nase, oder durch ein verzweifeltes Herz.
Dieses Schicksal holt uns alle ein ...
Ich seufze bei meinen Gedanken, die von einen Thema auf das andere springen. Leben, Tod, Liebe, Familie.
Werde ich jemals Kinder haben?
Wie alt werde ich werden?
Will ich überhaupt alt werden?
Alt werden wollen schließlich alle, aber keiner will es sein.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro