Kapitel 11: Dahergelaufener Stalker
Der Blonde kramt aus einer kleinen Schultertasche, welche er um hat und zieht ein rotes Klemmbrett hervor - darauf irgendwelche angeschriebenen, linierten Blätter.
"Also ... Fangen wir mal an." Der Junge mit den hellgrünen Augen schlägt kurz eine Seite um und zeigt mir das Blatt unter dem ersten. Darauf steht mein Vor- und Nachname, meine Adresse ... "Woher hast du das bitte alles!?"
"Na, aus dem Telefonbuch."
Seufzend verdrehe ich die Augen. Bei Rye bereut man wirklich beinahe alles und das, obwohl er mir gerade eine Pizza gespendet hat ... und einen Lutscher. So etwas hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr im Mund und ich muss beinahe schon ein schlechtes Geweissen haben, weil ich es nicht mit meinen Geschwistern geteilt habe. "Ja, weiter im Text?"
"Wie viele Geschwister hast du?"
"Ist doch voll egal ..."
"Sag."
"Fünf."
"Okay."
Was soll ich nun auf diese glorreiche Antwort ewidern? Rye kritzelt meine Antworten in seine dafür vorgesehenen Zeilen und als ich einen genaueren Blick auf sein Papier werfe, werden meine Augen groß. "Bist du ein Stalker oder sowas?"
"Nee."
"Doch."
Rye antwortet mir nicht und deutet nach dem Beenden seiner Einträge auf diverse Stichpunkte, die er sich über mich angeordnet hat. "Du bist nicht selbstbewusst, deswegen machst du das Ganze hier mit"; beginnt er seine Fakten aufzuzählen und ich habe in der kurzen Zeit, welche ich Rye bereits kennenlernen durfte gelernt: Ihm zu widersprechen bewirkt rein gar nichts, auch wenn seine Worte mich provozieren. "Du haust nicht sofort zu, bist unfreundlch, überfordert und der Papa deiner Familie ... Mhm ..." Seine leuchtenden Augen blicken mich prüfend an. "Schmeckt dir der Lolli?"
"Ja."
"Okay, ist das die richtige Geschmacksrichtung?"
"Ich weiß nicht", wundern mich seine komischen Fragen. "Himbeere wäre sicherlich auch noch gut."
Kurz darauf schreiben seine schlanken Hände tatäschlich auf, dass mir Himbeer- und Apfellutscher gut schmecken und ich Pizza gerne esse - und er will mir weismachen, er wäre kein kranker Stalker.
"Gut, dann bringe ich dir morgen einen Himbeerlutscher mit."
"Warte ... Morgen?!"
"Klar, ich muss ja jeden Tag deinen Zustand überprüfen ... Bisher bist du eigentlich noch ziemlich ruhig dafür, dass du ja deinen geliebten Lebenssaft verlieren wirst", beginnt er wieder mit seinen frechen und provozierenden Grinsen. "Hier werde ich aufschreiben, wie nervös du wirst, ob du aggressiver wirst und ob du mir früher oder später nicht doch noch eine klatschen wills - aber sei gewanrt, ich kann die härtesten Kampfssportarten ... Karate und so, wir verstehen uns?"
Mal ganz davon abgesehen, dass ich ihm vom letzten Teil zurecht kein Wort glaube, da es ziemlich nach Sarkasmus klingt, will ich gerade mal alles zusammenfassen. "Also, du bist irgendein dahergelaufener Stalker, der mir erzählt, dass er mich am Leben erhalten will, obwohl er mich gar nicht kennt und machst jetzt so däm- ..."
"Ich bin kein dahergelaufener Stalker, sondern Hobbypsychologe."
"Mann, das ist mir doch voll egal! Und jetzt machst du diese dämlichen Tests mit mir? Sag mal, hast du denn nichts besseres zu tun? Die Firma von Papa übernehmen oder sowas?"
"Jin-Jin, sei mal leise, du nervst mich grade." Wie bitte!? "Sozusagen ist das tätsächlich so ... Vielleicht mache ich gerade auch ein tolles Schulprojekt und teste dafür lebende Menschen, mhm?"
Am liebsten würde ich sofort sagen, dass ich raus aus der Sache bin, aber er würde mir sofort wieder drohen. Schweigend beobachte ich den blonden, dessen Reaktionen für mich alles andere als nachvollziehbar sind. "Und jetzt zeig mir deine Wohnung."
"Spinnst du oder so?"
"So etwas sagt man nicht zu seinen Freunden!"
"Wir sind keine Freunde, Rye."
"Aber du hast zu mir gesagt, wir wären welche." Frech grinsend erhebt sich der junge Mann und sieht zu mir herab. "Hast du keine anderen Freunde, oder was?", reizt mich seine provozierende Art schon wieder im Übermaß, doch diese Antwort von mir ignoriert Rye einfach gekonnt und nimmt mein Fahrrad. "Ich setze mich hinten drauf, du fährst uns nach Hause", tut er so, als wären wir wirklich einfach nur Kumpel,ich hätte so etwas gemeines nie zu ihm gesagt und wir würden völlig freiwillig zusammen irgendwohin fahren. "Kannst du mir wenigstens sagen, was das hier soll? Du kommst rüber wie ein Verrückter."
"Ist es denn schlimm, etwas verrückt zu sein?"
"Nein, aber du bist mehr als nur etwas verrückt, du bist ja schon krank."
"Na ja, ich bin nicht krank, schließlich nimmst du die Drogen von uns beiden."
Wenn wir bei mir Zuhause sind, werde ich seinen Kopf nehmen und ihn in unsere Toilette stopfen.
Ich schwinge mein Bein über den Sattel des Rades und warte, bis Rye hinten aufsitzt. Er legt ohne jegliche Berührungsangst die Hände an meine Hüften, um sich besseren Halt zu gewähren, als ich so kraftvoll wie ich kann in die Pedale trete und es mir schwer fällt, mit en halb platten Rädern und so viel zusätzlichen Gewicht ein normales Fahrradtempo zu erzielen. "Geht es nicht schneller?", kommt nach nur wenigen Sekunden von hinten und sofort bleibe ich mit dem Rad stehen. "Willst du eine in's Gesicht, oder so?"
"Jin-Jin, das würde eh nicht weh tun." Rye steigt vom Rad ab und deutet mir an, es auch zu tun. Am liebsten würde ich einfach los fahren, doch er hat alle meine Daten und kennt mein Geheimnis - eben weil der Stalker mich doch beobachtet hat! "Aha, und woher willst du das wissen?" Schließlich hatte er noch nie eine Faust von mir auf seinem Mund. "Weil du noch nicht so versifft bist, als dass du das einfach so tun würdest und du sogar zu schwach bist, um mach kräftig in die Pedale zu treten! Geh' runter da! Ich übernehme!"
Dann soll mir der schmale Junge mal zeigen, was er angeblich drauf hat! Wir wechseln die Plätze. "Du weißt ja, wo ich wohne, du Stalker." Im Gegensatz zu ihm halte ich mich am Sitz des Rades fest, nicht direkt an ihm. Leider muss ich zugeben, sogar dieser kleine, schmale Jugendliche scheint mehr Kraft in den Beinen zu besitzen als ich ...
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro