Donnerstag 15. Dezember

14:54

"Gott, wie viel Kram nimmst du überhaupt mit?"

Lance guckte hinter dem Kofferraum des Autos, welches nun bis obenhin mit ihrem Gepäck befüllt war, hervor. "Es sind zwei Wochen. Ich bin nur vorsichtig."

Keith blickte nur finster drein. "Ich würde es ja eher übervorsichtig nennen."

Lance verschwand wieder im Kofferraum um das Gepäck umzuräumen um Platz zu schaffen, aber nicht ohne Keith vorher den Vogel zu zeigen.

Das Auto war klein und verdammt alt, ein Corolla aus dem Jahr 1987. Lance hatte sie stolz seine 'Kleine Lady' genannt. Offensichtlich wusste Lance nichts über Autos, das Ding war ein schrecklicher Anblick. Drei Dellen, unzählige Kratzer und ein ekelhafter beigeton. Keith konnte nicht glauben, dass sie damit den ganzen Weg nach Arizona fahren würden.

Neunzehn Stunden mit Lance. Neunzehn schlimme, lange, lächerliche Stunden. Das waren eintausendeinhundertvierzig Minuten von Lances schrecklichem Musikgeschmack. Das umschloss auch stündliche Toilettenpausen und die Entscheidung zu jeder verdammten Mahlzeit bei McDonalds anzuhalten. Keith war kurz vor'm sterben, er konnte es fühlen.

"Ich dachte der Fahrer entscheidet welche Musik läuft." merkte Keith an, als die beiden bei der Grenze von Oreon die Plätze tauschten. Sie fuhren schon seit Drei Uhr und Keith war mittlerweile bereit alles zu hören, was nicht Beyoncé, Kesha, oder Nicki Minaj war. Warum hatte er seine Kopfhörer nochmal zu Hause gelassen?

"Nope" lautete Lances Antwort  darauf, worauf er das 'p' besonders betonte. Er hüpfte auf den Beifahrersitz und begann sich zurückzulehnen. "Der Besitzer des Autos sucht aus. Und das bin ich. Ich bin der Besitzer."

"Diese Regel ist idiotisch."

Keith protestierte nicht mehr wirklich und hoffte einfach, dass Lance einschlafen würde, damit er das AUX-Kabel von seinem Handy stehlen konnte.

Sein Plan funktionierte. Die fünf Stunden Autofahrt hatten Lance ziemlich mitgenommen. Nachdem er 'Halo' von Beyoncé schon sicherlich zum vierten Mal auf dieser Autofahrt gehört hatte, war er weggenickt. Er sabberte leicht auf das Kissen das zwischen dem Fenster und seinem Kopf steckte und sanftes Schnarchen war von ihm zu hören.

Für eineinhalb Stunden konnte Keith in Ruhe mit Lances seichtem Schnarchen und seiner bevorzugten Musik auf leiser Lautstärke fahren.

"Mh." murmelte Lance in sein Kissen und wischte sich den Speichel weg. "Wie spät ist es?"

Keith seufzte, als er realisierte das seine friedliche Ruhe jetzt wo Lance wach war vorüber war. "Guck auf die Uhr."

Lance spähte auf die analoge Uhr im Auto. 21:39. Er rieb sich seine Augen wie ein Baby und fing langsam an seine Umgebung wahrzunehmen, bis ihm Keith auffiel und er angeekelt die Nase rümpfte.

"Was?" fragte Keith, nachdem er Lances Blick voller Abscheu bemerkte.

"Hörst du da gerade etwa Depeche Mode?!" murmelte Lance und setzte sich, nun komplett wach, aufrecht in seinen Sitz. "Freiwillig?"

"Ja, und?"

Lance schnaubte kurz amüsiert. "Das ist abschreckend. Depeche Mode ist Emo-Musik aus den 80ern."

"Und dein Musikgeschmack ist nicht abschreckend?" fragte Keith und rollte mit den Augen. "Du hörst Beyoncé. Was bist du? Eine Mutter in ihren späten dreiziegern?"

Lance schnappte nach Luft als hätte Keith gerade Frevel geredet. "Beyoncé ist ein wundervolles Geschenke für die Menschheit. Wie kannst du nur anders denken?"

"Oh mein Gott." stöhnte Keith und umfasste das Lenkrad mit mehr Kraft. "Du bist so schwul."

"Was?! Du bist hier der schwule. Ich bin bisexuell!"

Keith öffnete seinen Mund um zu protestieren, wusste aber nicht was er sagen sollte. Technisch gesehen hatte Lance recht.

Nachts fuhren sie immer jeder zwei Stunden und wechselten dann, damit der andere eine Chance auf Schlaf hatte. Nach einer kurzen Zankerei hatten sie sich darauf geeinigt, dass der Fahrer aussuchen durfte was lief und Keith spielte triumphierend Depeche Mode und Pet Shop Boys ab während er fuhr. Manchmal machte er sogar ein paar modernere Lieder, wie von MCR oder Panic!at the Disco an, bei denen Lance sogar den Liedtext wusste, sie aber als lächerlich betitelte.

Um ehrlich zu sein war es nicht so schlimm nachts mit Lance zu fahren. Wenn der eine wach war, schlief der andere. Sie mussten nicht reden, was Streitigkeiten und gemeine Kommentare verhinderte. Keith mochte es, nur mit seinen Scheinwerfern an, dem leisen brummen des Autos, seiner Musik, und Lances gleichmäßigem Atmen zu fahren. Alles zusammen ergab eine irgendwie heitere Atmosphäre.

Noch dazu war Lance süß wenn er schlief. Er war kein Arschloch wenn er ruhig war und in der Art und Weise wie seine Wimpern an seiner Haut lagen sah er unschuldig aus. Nur das er sabberte. Das ließ ihn einfach aussehen wie ein zu groß geratenes Baby.

Nach einem Stopp um 6:00 bei McDonalds um zu frühstücken waren beide vollkommen wach. Lance fuhr nun in Arizona auf der Hauptautobahn an Phoenix vorbei.

Lance versuchte etwas zu sagen, was Keith jedoch nicht verstand, da sein Mund voller McGriddle Frühstückssandwich war.

"Kumpel, ich kann dich mit vollem Mund nicht verstehen."

Lance schluckte sein Essen herunter. "Wir sollten einen Plan machen. Sowas wie Regeln für's Küssen und so."

Keith schlang ein Stück Sandwich zu schnell herunter und verbrannte seine Zunge dabei. "Gott-" Er schnappte sich den Orangensaft und trank einen Schluck. "Was?"

"Regeln." wiederholte Lance. "Dafür wenn wir bei mir zu Hause sind."

"Ja, das habe ich verstanden. Ich meine, wir müssen uns küssen?"

"Ja?"

"Mist, meinst du das ernst?"

Lance sprach ohne seinen Blick von der Straße abzuwenden und trotzdem konnte Keith sehen, dass auch Lance nicht allzu angetan von der Idee war. "Das gehört ja irgendwie zum Job dazu. Du bist mein Fake Freund. Das bringt falsches küssen, falsches knuddeln, falsches händchenhalten mit sich. Wir müssen meiner Familie schließlich klarmachen, dass wir uns lieben."

"Aber ich liebe dich nicht!" verkündete Keith lauter als nötig. Keith liebte Lance nicht. Nicht in einer Millionen Jahre. Lance war eine Plage, unausstehlich, laut, und viel zu ungestüm für Keiths Geschmack.

Lance sah aus als wäre er bereit seinen Kopf gegen das Lenkrad zu schlagen. "Natürlich Idiot. Deshalb ist es auch keine echte Beziehung."

Keith versuchte sich an all seine Gründe die er hatte hierbei mitzumachen zu erinnern. Erst klang es nach einer tollen Idee. Ein kostenloser Platz um Weinachten zu verbringen, was kostenloses Essen, ein nettes Haus und Sachen zu tun mit sich brachte, anstatt zwei Wochen durchgehend Overwatch zu spielen. Er würde zwei Wochen kostenlos seine Wäsche gemacht bekommen und Lances Mutter war bestimmt eine gute Köchin.

Aber küssen? Lance? Auf den Mund?

"Wie auch immer," begann Keith und holte sein Handy raus, um zu sehen wie weit es noch bis Meda del Caballo, Arizona war. "Ich werde dich küssen, denke ich mal. Aber nur vor den Augen deiner Familie, verstanden? Das ist nur um deine Eltern zu überzeugen."

Lance nickte einverstanden. "Und... Dann ist da noch das Problem mit meiner Abuela."

Das, realisierte Keith, könnte ein Problem werden. "Sie ist homophob, richtig? Wie wird sie reagieren?"

"Ich bin mir nicht komplett sicher." gab Lance zu. "Ich habe ihr noch nie einen Freund vorgestellt. Sie möchte nur die Mädchen treffen."

"Gott, in was für ein Schlamassel bist du da nur reingeraten?"

Lance zuckte zusammen. "Ich weiß das ich das verkackt habe! Und ich versuche meinen Fehler wieder gerade zu biegen, aber ehrlich gesagt muss ich meiner Großmutter dieses eine Mal gegenübertreten. Ich muss es sowieso früher oder später, also hat es doch etwas gutes."

Keith war geschockt. Er hatte von Lance nicht erwartet einen reifen Annäherungsversuch der Situation hingegen zu zeigen, geschweige denn das Lance in irgendeiner Art und Weise reif sein könnte. Keith war für ein paar Momente still, dann drehte er seinen Kopf um aus dem Fenster zu gucken, die an ihnen vorbeiziehen Wüste beobachtend.

"Du liebst deine Großmutter, richtig?"

Lance's Antwort kam sofort. "Natürlich tue ich das. Sie ist meine Abuela!"

"Also..." Keith schluckte. "Also möchtest du ihre Einverständnis."

"Natürlich."

"Warum bringst du dann einen Jungen mit nach Hause, wenn sie ein Mädchen sehen will?"

Keith richtete seinen Blick zurück auf Lance und erwartete eine berechtigte Antwort. Es war so komisch über Familie und Liebe zu reden. Keith hatte Nicht mal eines von beiden.

"Vielleicht weil meine Gefühle auch eine Rolle spielen?" Lance's Stirn war gerunzelt. "Ich weiß nicht. Ich mag Jungen genauso wie ich Mädchen mag und das ist etwas, was sie akzeptieren muss. Wenn sie mich wirklich liebt, dann-" Lance fluchte laut. "Warum zum Teufel erzähle ich dir das überhaupt? Es ist emotional und super verdammt komisch. Ich fühle mich unwohl, lass uns das Thema wechseln."

Keith stimmte froh zu. "Dein Transformer ist blöd." Er schnipste gegen den kleinen Optimus Prime, der vom Rückspiegel baumelte. Danach entstanden wieder ihre kleinen Zankereien. Die beiden stritten sich um den wahren Level der Geschmacklosigkeit.

Keith würde es niemals zugeben, doch er mochte die Transformer-Figur. Er hatte sie nur dumm genannt um das Thema zu wechseln und innerlich war Keith froh, dass sie wieder zu ihrem lächerlichen Zanken gekommen waren. Sich besser kennen lernen und das durch emotionale Sachen war einfach nicht ihr Stil.