
6. Freundschaft
Am nächsten Tag nach der Schule am Vormittag trainiere ich am Nachmittag im Fluss bevor ich abends Arto wieder treffe.
Wir gehen nebeneinander von Statue zu Statue und sind nach außen hin einfach zwei Politiker-Söhne, die sich unterhalten, und unser Thema ist gerade Paul. "Es war nicht einfach mein Gelächter zu unterdrücken, als ich dich am Tag unserer Begegnung mit ihm reden hörte. Er glaubte wirklich, du hättest dich verlaufen." Noch immer ungläubig schüttle in bei dieser Erinnerung mit dem Kopf und Arto nickt bestätigend. "Die meisten glauben dass wir hilflos sind, sobald wir die Berge verlassen." Ich sehe ihn überrascht an. "Soweit ich weiß haben die Pedra den besten Orientierungssinn von allen. Ihr verliert den doch nicht einfach unter freiem Himmel, oder?" Mein Freund grinst mich verschmitzt an. "Solange unsere Füße die Erde berühren wissen wir, wo Süden ist und unsere Schuhe unterbrechen unsere Verbindung zur Erde nicht." Wir stehen vor einem ziemlich grimmig aussehenden und übergroßen steinernen Pedra und starren ihn an, doch unser beider Aufmerksamkeit ruht auf unserem Gespräch. "Wir haben außerdem ein kartographisches Gedächtnis dass sich um jeden Weg den wir gehen erweitert. Es ist also unmöglich auf einem Weg verloren zu gehen, den wir selbst gegangen sind. Allerdings erzählen wir das normalerweise niemandem." Er sieht mich kurz an, doch es liegt keine Sorge vor Verrat in seinem Blick sondern nur die Bitte, sein Geheimnis zu bewahren. "Es ist immer gut einen Vorteil im Ärmel zu haben und es ist auch nicht verkehrt, wenn dein Gegner dich unterschätzt." Ich blinzle erstaunt und flüstere dann überwältigt von seinem Vertrauen: "Danke dass du dieses Wissen mit mir teilst, Arto. Ich werde dich nicht enttäuschen." Er seufzt diesmal wirklich tief und gesteht mir: "Wenn mein Vater das heraus findet bin ich wirklich in Schwierigkeiten und ich kann ihm nicht einmal genau erklären, wieso ich dir so sehr vertraue, ich verstehe es ja selbst nicht wirklich."
Die nächsten paar Tage bekommen eine eigene Routine mit Schule am Morgen, Schwimmtraining am Nachmittag und Treffen mit Arto am Abend. Wir reden über alles und ich führe ihn herum um ihm die Stadt zu zeigen. Immer öfter sitzen wir eng beieinander und unsere Schultern und Hüften berühren sich. "Gibt es bei Euch in FlussEnd auch ein Armenviertel?" Arto zieht verlegen seine Schultern hoch. "Ja. Ich denke, so etwas gibt es wohl in jeder größeren Stadt." Ich nicke doch mir geht es nicht darum, ihn bloß zu stellen. "Hier in Alta heißt das Viertel Sackgasse und dort habe ich Hilfe gefunden, nicht nur was mein Training angeht." Ich sehe ihm tief in die Augen und er versteht wie wichtig es mir ist, mein eigenes Vertrauen in ihn ebenfalls zu beweisen. "Unter den Kanalratten werde ich Levi genannt und ich will, dass du das weißt." Er nickt und ich sehe, wie sich dieses Wissen in ihn einbrennt. "Dort habe ich von Leuten erfahren, die wie wir diese funkelnden Augen haben, aber sie scheinen selten zu sein. Häufiger findet man nur ein Glühen, manchmal hell aber meistens nur sehr blass. Doch die Augen der überwiegenden Mehrheit sind komplett leer. Nonna meinte, eine Verbindung kann eine Freundschaft bedeuten aber genauso das Gegenteil. Ich bin froh, dass wir Freunde sind."
Arto weiß über dieses helle Leuchten und Funkeln auch nicht mehr. "Wenn ich wieder zuhause bin werde ich versuchen mehr darüber heraus zu finden. Solltest du mich jemals dort besuchen, dann frag bitte nach Prinz Pedrason. Mein Vater, der Botschafter, ist der Bruder von König Pedrahim und solange der keine Kinder hat bin ich der nächste in der Erbfolge." Ich sehe ihn wieder einmal überrascht an. "Du hast keine Angst vor mir, jetzt wo du weißt, dass ich Levi der Schlammtaucher bin?" Arto sieht mich ernst an. "Und du erstarrst nicht in Ehrfurcht, weil du neben einem königlichen Mitglied der Pedra sitzt?" Wir grinsen uns beide nur an und eine angenehme Stille senkt sich über uns und verdeutlicht unsere Einigkeit um so mehr.
Die Zeit verrinnt und aus Tagen werden Wochen und jetzt ist es soweit. Morgen ist der Tag der Abschlussfeier mit der nachfolgenden feierlichen Entlassung der Schüler ins Erwachsenenleben. "Was wirst du jetzt tun?" Artos Frage habe ich mir selbst in den letzten Tagen regelmäßig gestellt. "Ich werde einen Weg finden müssen die Stadt zu verlassen und weg von meinem Vater zu kommen. Irgendwo muss es doch einen Platz geben wo Stärke nicht alles ist." Meine verzweifelte Hoffnung die in dieser Aussage liegt ist deutlich heraus zu hören doch mein Freund runzelt besorgt die Stirn. "Du hast noch keinen Plan?" Ich zucke mit den Achseln und schüttele den Kopf. "Was auch immer ich in dieser Stadt tue, mein Vater wird es erfahren und kann es verhindert, solange ich noch nicht Erwachsen bin. Deshalb kann ich mit meinem Plänen frühestens morgen starten." Daraufhin verfällt Arto eine Weile in Schweigen und ich sage ebenfalls kein Wort. Wir wussten beide, dass unsere gemeinsame Zeit begrenzt sein würde und jetzt ist das Ende nah.
"Arto, ich möchte dich etwas fragen, aber ich will dich nicht beleidigen oder beschämen." Hebe ich an und muss noch einmal tief Luft holen um den Mut für das aufzubringen, was mir schon so lange durch den Kopf geht und ich dennoch nie gewagt habe anzusprechen. "Ich grübele andauernd darüber nach und komme zu keinem Ergebnis. Vielleicht kannst du mir helfen es zu verstehen?" Arto grinst über meine vielen, sorgsam gewählten Worte und nickt. "Bist du schwul?" Ich feuere die Frage ab und halte dann den Atem an, nicht sicher, auf was für eine Antwort ich hoffe. Der Pedra neben mir seufzt und versinkt einen Moment in Gedanken. Als er schließlich antwortet ist seine Stimme leise und unsicher. "Ehrlich? Ich weiß es nicht." - "Ich auch nicht." Nach meiner Erwiderung nehme ich einen weiteren tiefen Atemzug, bevor ich mich näher erkläre. "Bis jetzt gab es kein Mädchen, dem ich nachlaufen wollte aber ich habe auch nie an die Möglichkeit gedacht, dass ein Junge mein Interesse wecken könnte."
"Ich weiß genau was du meinst." Bestätigt er mir schließlich und ich ahne, dass ihn die Überlegungen, die mich schon so lange beschäftigen, möglicherweise selbst umgetrieben haben. "Ich hatte immer zu viel andere Dinge, die meine Aufmerksamkeit erforderten und zu wenig Kontakt mit anderen Mädchen oder Jungen um das heraus zu finden." Wieder ist da dieses unglaubliche Gefühl einander genau zu verstehen und vertrauen zu können. "Ganz genau," stimme ich seinem Erklärungsversuch zu. "Aber mit dir ist es irgendwie anders. Ich will dir immer nah sein, ich vertraue dir und weiß einfach, dass ich dir alles erzählen kann. Es fühlt sich an, als ob ich nie wieder alleine sein werde, solange du nur in meiner Nähe bist." Er sieht mich jetzt genauso unsicher an wie ich mich gerade fühle. "Hört sich irgendwie nach Liebe an, denkst du nicht auch?" Fragt er besorgt doch ich stimme ihm vorbehaltlos zu. "Stimmt, aber ist es die Liebe zwischen Freunden, eine brüderliche Liebe, oder mehr?"
Arto zuckt nur mit den Schultern weil er es ebenso wenig versteht wie ich. Eine Weile sagt keiner von uns etwas, dann frage ich ihn nervös: "Wollen wir diese Möglichkeit ausprobieren?" Er wirkt jetzt wirklich interessiert aber ahnungslos. "Wie?" Ich zucke mit den Schultern und sehe auf den Boden vor mir. Nervös knete ich meine Hände, doch wenn ich es heute nicht versuche, dann vielleicht nie mehr, denn keiner von uns weiß, was der nächste Tag bringen wird und ich will es endlich wissen. "Mit einem Kuss? Hast du schon mal jemanden geküsst?" Arto hat große Augen bekommen und starrt mich jetzt an. "Nein, du?" - "Auch nicht."
Unsicher, was wir als nächstes tun sollen sitzen wir nah nebeneinander bis Arto meine Hand nimmt. Unsere Köpfe neigen sich einander zu bis unsere Schläfen sich berühren. Er drückt meine Hand um mich zu ermutigen und wir drehen unsere Köpfe, bis wir uns an der Stirn berühren. Wir bewegen uns langsam während unsere funkelnden Augen einander fixieren. Dann berühren sich unsere Lippen und ich spüre, wie irgendetwas tief in mir davon berührt wird. Es fühlt sich an als ob Arto gerade in meinem Herz eingezogen ist und sich dort nieder gelassen hat. Er ist jetzt ein Teil von mir.
Dann werden wir plötzlich beide ergriffen und auseinander gerissen und ein Mann schreit Arto an und fragt ihn, was er da tut. Ich erstarre als ich eine andere, eisige, drohende Stimme höre. "Wie kannst du es wagen ?" Vater!
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