40. Prüfungen
Ich befinde mich gerade in der ultimativen Herausforderung um die Seele der heiligen Prinzessin der Aigua und habe soeben die Halle der Prüfungen erreicht. Für die meisten meiner Klassenkameraden ist sie das eigentliche Ziel doch für Matt, Kiara und mich geht der Wettkampf jetzt erst los.
Ich bleibe in der Tür stehen und beobachte, wie mein Mitstreiter die Halle zeitgleich mit einem anderen Schüler betritt. Kurz darauf erreicht Axel dieses von Ragnar ausgerufene Zwischenziel direkt gefolgt von Kiara. Jetzt trete auch ich ein und sehe aus dem Augenwinkel, dass Matt mit mir gleichauf ist. Die dankbaren Blicke der beiden Erstplatzierten sorgen für ein warmes Gefühl in meinem Herzen. Es macht mich stolz zu erkennen, dass der den ich liebe, genau wie ich, jemanden vorgelassen hat, um den Preis von Ragnar abzusahnen.
Neugierig lasse ich meine Blicke durch den Raum schweifen, der komplett in helles Marmor gekleidet und mit Fackeln beleuchtet ist. Gegenüber der Türen, durch die wir reingekommen sind, gibt es weitere bewachte Türen. Außerdem gibt es in der linken Wand jeweils nah an der Ecke zwei Durchgänge, der eine - in der Nähe unserer Eingänge - ist schlicht gehalten wie diese und führt in einen Seitengang, der den anderen Schülern als Ausgang dient.
"Kiara, du musst die Aufgabe finden, die am besten zu deinem Splitter passt, du hast doch einen Splitter oder?" Axel scheint aufrichtig interessiert an ihr zu sein, aber die Prinzessin ist überrascht. "Woher weißt du das?" Er sieht sie ernst an. "Ich beobachte dich jetzt schon so lange und habe gesehen, wie die Leute tun was du willst, sobald du mit ihnen sprichst. Da sie bereits vorher wussten wer du bist, als sie deine Anfrage zunächst ablehnten, dachte ich, das muss deine Splitterfähigkeit sein." In diesem Moment kann ich Matts Blicke auf mir fühlen, der vermutlich nicht weniger überrascht ist als Kiara, die Axel anstarrt. "Wieso hast du mich beobachtet?" - "Aus dem selben Grund, aus dem ich dir heute geholfen habe. Ich hab mich in dich verliebt."
Ich sehe Kiara bei diesem Bekenntnis mit Tränen in den Augen aufseufzen und höre, wie Matt nach Luft schnappt. Zum ersten Mal drehe ich meinen Kopf und begegne seinen Blicken. "Du hast mir heute auch geholfen, oder?" Ich nicke. "Und aus dem gleichen Grund." Kiara schüttelt nur ihren Kopf. Sie ist noch nicht ganz frei von Ragnars Einfluss aber beweist jetzt die Richtigkeit von Axels Theorie in dem sie zu einer Wache vor einem Tor geht und ihn dazu bringt, sie in den nächsten Gang zu lassen. Matthias muss das prüfen und bittet dieselbe Wache mit den gleichen Worten, ihn durchzulassen. Dessen Antwort lässt ihn erneut zu mir zurück blicken. "Sicher, überzeuge mich."
Axel grinst und ist sichtlich stolz auf seine Angebetete. "Natürlich auf magische Weise," erklärt er herausfordernd doch Matt sieht statt dessen wieder mich an. "Es ist ihre Fähigkeit, nicht deine", wird ihm klar, doch ich gehe nicht darauf ein. "Dein Weg ist der Wächter mit den drei Türen," sage ich stattdessen zu ihm und der benannte reagiert sofort und deutet auf die erste Tür. "Richtig mein Herr, dies ist ihr Weg." Matt sieht ihn an und blinzelt überrascht. "Das ist eine Lüge", erklärt er erstaunt und die Wache nickt nur und zeigt auf die nächste Tür. "Oh, tut mir leid mein Herr, Tür Nummer zwei ist ihr Weg." - "Stimmt wohl." Ich zwinkere ihm zu und verlasse die Halle durch den zweiten, reichlich verzierten Durchgang auf der linken Seite nahe dieser anderen Türen. Axel stellt sich hinter mir in den Gang und ruft mir eine Warnung nach. "Dir ist klar, dass du auch auf diesem Weg eine besondere Fähigkeit brauchen wirst, oder?" Natürlich ist mir das klar. Ich werde mindestens eine Fähigkeit brauchen, um durch den Irrgarten zu kommen der vor mir liegt, doch ich besitze vier.
Dank Nonna verliere ich selbst auf Erde und Wurzelwerk nicht meine Orientierung und kann die Windungen und Sackgassen voraus erspüren. Dank meiner Mutter kann ich Wege voraussehen, die ich bislang noch nicht gegangen bin und werde vor den ausliegenden Fallen und falschen Wegen gewarnt. Dank Fryr kann ich die zerstörerische Magie der Wächter spüren, die die heilige Seele hier bewachen und deren Energie der eines Sturms gleicht, um ihnen auszuweichen und dank Eryk kann ich ein paar Springbrunnen, oder besser gesagt das Wasser in ihnen, dazu benutzen, um einige brennende Hindernisse und aufgetürmte Geröllhaufen aus dem Weg zu spülen. Und weil ich alle vier Fähigkeiten perfekt miteinander kombiniere gelingt es mir von den vier vorgegebenen Wegen die besten Abschnitte zu wählen und so die kürzeste Route zu nutzen. Deshalb erreiche ich die riesige Muschel im Zentrum des Tempels lange vor den anderen.
Ich nutze die Zeit um den Raum zu durchsuchen und mir die Muschel genau anzusehen. Auch hier ist Marmor das vorherrschende Material aber es gibt einige Holzschnitte an den Wänden die die Geschichte unserer heiligen Prinzessin erzählen wie sie in unseren Gebeten erzählt wird. Vom Tag, an dem sie zu unserem Volk kam und es für immer veränderte bis zum Tag, als ihre Seele in tausend Splitter zersprang. Das letzte Bild zeigt die Prophezeiung ihrer Auferstehung. Zwischen den Bildern hängen Fackeln in hölzernen Halterungen und erhellen den Raum, der wirklich hoch und kuppelförmig ist. Am obersten Rand der Wände direkt unter dem Ansatz der Kuppel befinden sich gut verteilt Luftschächte die für Zu- und Abluft sowie Rauchabzug sorgen.
In der Mitte unter der Kuppel befindet sich ein großes, steinerndes Podest mit Bildern und Ornamenten und darauf liegt eine riesige Muschel. Es scheint keinen Weg zu geben, sie zu öffnen. Wenn Kiara sie nicht davon überzeugen kann, sich von selbst zu öffnen, dann geht es hier nicht mehr um unsere magischen Fähigkeiten. Gerade als ich beschließe auf die Anderen zu warten, werde ich erneut von diesen liebevollen Gefühlen eingehüllt wie von einer Umarmung. Als Matt eintrifft und sieht, dass ich warte, ist er überrascht.
"Worauf wartest du?" - "Auf Dich", ist meine schlichte Antwort und verstärkt damit nur noch seine Verwirrung. "Aber warum hast du dir die Seele noch nicht genommen?" Ich deute auf die Muschel. "Ich kann sie nicht öffnen." Genau wie ich zuvor untersucht auch Matt jetzt den Raum und die Muschel. "Da ist eine Art Puzzle in dem Podest auf dem die Muschel liegt mit Teilen die man verschieben kann und drei Möglichkeiten es zu lösen." Ich lächle ihn bewundernd an. "Ich wusste, der mittlere Tunnel würde der richtige für dich sein. Alle behaupten immer, ich sei so schlau, aber du bist der Intelligentere von uns beiden mit dem größten Wissen und der Fähigkeit, es richtig zu nutzen." Er schnappt überrascht nach Luft. "Also kamen diese Stöße ebenfalls von dir?" Meine Augen verengen sich und ich lege besorgt meinen Kopf zur Seite um unschuldiger zu wirken. "Ähm, Entschuldigung?", biete ich an, doch er schüttelt sofort den Kopf. "Nein, du musst dich nicht entschuldigen. Du hast mir geholfen. Aber warum? Ich - ich war nicht gerade fair zu dir. Ich habe dich der Lüge bezichtigt ...", vehement fahre ich dazwischen: "Ich habe dich niemals angelogen, Matt." Seine Blicke werden ebenso verzweifelt wie sein Tonfall als es aus ihm heraus bricht: "Aber wie war es möglich, dieses Geheimnis vor mir zu verbergen?" Ich bin mir nicht sicher, ob er meinen Erklärungen glauben würde, deshalb wähle ich eine andere Strategie. "Frag sie. Ich denke, sie weiß es."
Kiara hat uns ebenfalls erreicht und kommt jetzt vorsichtig näher. "Ich - Ich darf nicht ..." hebt sie an, aber dieses Mal lässt sich Matt nicht einfach abspeisen. "Warum?", unterbricht er ihr Gestammel. "Ah, Matt, sicher weißt du ..." Ich funkele sie böse an. "Kiara, hör auf ihm das anzutun," bitte ich inständig, denn ich bin nicht bereit, sie weiter so mit meinem ... mit Matt umspringen zu lassen, der jetzt hellhörig geworden ist. "Was tut sie denn?" - "Sie beeinflusst dich." Sein Kopf schießt zu ihr herum und in seine Verzweifelung mischt sich Wut und Enttäuschung. "Wie kannst du es wagen? Ich dachte wir wären Freunde." Ja, das dachte ich auch. Ich sage es nicht, doch es steht mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn plötzlich beginnt Kiara zu weinen. Ich lasse sie, denn mein Herz ist ihr gegenüber vor kurzem versteinert und bevor Matt sie trösten kann, lenke ich ihn ab.
"Ich habe dich niemals angelogen und auch nichts vor dir geheim gehalten. Wenn ich mich selbst an Linus erinnert hätte, dann hätte ich dir alles über ihn erzählt. Aber ich hatte partiellen Gedächtnisverlust und wann immer diese Erinnerungen hoch kamen, bekam ich diese fürchterlichen Kopfschmerzen." Er sieht mich jetzt ernst an, als er sich an unseren letzten gemeinsamen Tag erinnert. "Also galt der Schrei in dieser Nacht nicht der Tatsache, dass ich dich verlassen habe?" Ich lasse ihn jetzt nicht aus den Augen. "Nur zum Teil. Hauptsächlich aber brachten Eryks Worte und deine Reaktion all das vergessene und unterdrückte Wissen zurück und ich dachte, mein Kopf explodiert, bevor ich ohnmächtig wurde." Matt wendet sich wieder an Kiara. "Und du hast es gewusst und mir kein Wort gesagt? Stattdessen hast du mich leiden lassen, und ihn auch?" Ich nicke bestätigend und beantworte damit seine Frage an sie. "Ja, und während sie vorgibt, unsere Freundin zu sein, benutzt sie ihre Magie gegen uns."
"Und worum geht es hier überhaupt? Was steckt hinter alldem?" Kiara hat mittlerweile aufgehört zu weinen während Matt diese Frage in den Raum stellt. "Ragnar will mir meinen Splitter mit einem Trick stehlen, doch das werde ich nicht zulassen. Vorher gebe ich ihn dir. Mit einer meiner Fähigkeiten kannst du ihre Magie erkennen und dich vor ihrem Einfluss schützen." Kiara sieht mich überrascht an. "Aber dann wird er dich nicht mehr lieben." Mein Kopf ruckt zu ihr herum und ich funkle sie wütend und anklagend an. "Und nicht mehr darunter leiden. Er wird es nur vermissen und er wird wissen, dass es alles deine Schuld ist." - "Vielleicht gibt er mir dann seinen Splitter, damit er zu dir zurück gehen kann." Matt wird bei ihren weinerlich vorgetragenen Worten erst richtig wütend. "Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Levi würde mir das niemals verzeihen. Nein, ich denke aus purem Hass auf dich würde ich stattdessen sogar deinen Splitter ablehnen, nur damit du ebenso allein bleibst wie ich."
"Warum seid ihr so gemein zu mir?" Ihre kindische Frage lässt mich den Kopf schütteln. "Ein weiser Mann hat mir einmal gesagt, um Freunde zu finden musst du zuerst selbst ein Freund sein," trage ich vor und erreiche sie noch immer nicht. "Also gibt es hier keine Lösung für mich?" Eine unheimliche Stille senkt sich auf uns herab.
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