4. Nonna
Ich habe mich von Linus in Levi verwandelt und die Grenze zwischen der eigentlichen Stadt und der Sackgasse überschritten. Jetzt bin ich auf dem Weg zu Nonna. Natürlich hat sich weder mein Aussehen noch meine Kleidung verändert, und doch ist die Verwandlung sichtbar. Als Levi trete ich weniger stolz und aufrecht auf und doch wirke ich selbstbewusster und mutiger. Mein sonst zielgerichteter Gang ist einem scheinbar ziellosen Schlendern gewichen. Mein Körper ist immer noch angespannt wie stets, aber Flucht ist an diesem Ort keine Option. In den letzten Jahren habe ich den schmutzigen Kampf gelernt und meine Talente in Schleichen und Spionieren perfektioniert. Mit einem Messer in der Hand bin ich schon lange ein gefährlicher Gegner.
Unglücklicherweise ist mir Paul und seine Gang stets zahlenmäßig weit überlegen so dass mir meine Fähigkeiten dort nicht helfen würden. Und selbst wenn ich Paul auf diese Weise besiegen würde, hätte ich danach noch mehr Probleme als sonst. Der Bestrafung meines Vaters für so ein ungebührliches Verhalten möchte ich lieber nicht gegenüber treten. Ich träume von dem Tag, an dem ich jedem zeigen kann, dass es andere Wege als Muskelkraft gibt, um zu überleben. Aber vermutlich muss ich dafür eines Tages gehen und meine Bestimmung andernorts suchen.
"Levi, mein liebster Sohn. Komm zu mir, wir müssen reden." Ich gehe strahlend auf die alte Frau zu. "Nonna meine Nonna, ich komme." Sie hat auf mich gewartet und will also auch was von mir. Das könnte gut für mich sein. Wir setzen uns zusammen auf eine Bank unter einem großen Baum mitten auf einem Platz der von dreckigen Marktständen umgeben ist. "Was kann ich für dich tun?" Frage ich und bin dieses Mal schneller als sie, was ihr ein zufriedenes Lächeln über ihren besten Schüler entlockt. "Was möchtest du von mir?", stellt sie die Gegenfrage nach dem Preis und ich zögere nicht. "Neue Fluchtwege." Sie nickt. "Es ist höchste Zeit dein Jagd-Training zu beenden. ich akzeptiere. Dafür möchte ich, dass du jemanden in der Stadt triffst." - "Wen?" - "Einen Diplomatensohn der Pedra namens Arto." Ich stocke und runzele die Stirn. Arto ist niemand, den ich mit den Schlammtauchern teilen will und er hat mir geholfen. daher bin ich ihm etwas schuldig. "Warum?" Meine Frage ist verhalten und meine Bereitschaft zu handeln deutlich weniger enthusiastisch als zuvor, doch sie winkt ab. "Meine Sache."
Ich zögere. Jetzt kommt es auf Verhandlungsgeschick an und es gilt zu beweisen, dass meine Mutter recht hat was die Beweglichkeit meines Geistes angeht. "Nur treffen?" Fordere ich sie auf, ihre Bitte zu spezifizieren und wir beäugen uns beide kritisch. "Dann kannst du das bereits als erledigt betrachten." Das erlangt ihre Aufmerksamkeit und sie verengt ihre Augen als sie mich zu lesen sucht. "Ihr habt geredet?" Ich schmunzele bei der Erinnerung an unser Gespräch und zucke mit den Achseln. "Ein bisschen?" Ich bleibe wage doch sie lässt nicht locker. "Hast du ihm in die Augen gesehen?" Plötzlich kommt mir ein Verdacht worum es ihr geht und ich sehe sie fragend an. "Du willst wissen, was ich darin gesehen habe?" Frage ich vorsichtig doch sie reagiert promt. "Ich will, dass du weißt, was es darin zu sehen gibt." Meine Augen verengen sich zu Schlitzen während ich nachdenke. "Wird ihn das in Schwierigkeiten bringen? Er hat mir heute geholfen und ich möchte ihm keinen Ärger bereiten." Nonna nickt, sie hat schon lange akzeptiert, dass ich den ehrliche Weg gehe und manchmal habe ich den Verdacht, dass meine Verweigerung kriminell zu werden einer der Gründe ist, warum sie mich gerne ihren Lieblingssohn nennt. Sie scheint Menschen mit Prinzipien generell zu mögen, selbst wenn es Prinzipien sind, die sie nicht teilt. Auf meine Sorge antwortet sie jedoch mysteriös wie immer. "Eine Verbindung kann eine Freundschaft sein oder das Gegenteil. Das liegt ganz bei euch beiden." Ich seufze, denn ich mag diese geheimnisvollen Aussagen nicht, aber ich habe es lange aufgegeben, sie zu hinterfragen.
"Nonna, ich möchte dich etwas fragen, aber ich will nichts dafür bezahlen. Die Antwort, die ich suche, muss freiwillig kommen oder überhaupt nicht." Sie nickt nur und lächelt erneut, weil ich nie vergesse, die Frage nach dem Preis zu stellen, egal mit wem ich spreche. "Fahre fort." - "Haben all deine Kinder diese Sprenkel in ihren Augen?" Sie strahlt mich an als habe ich die richtige Frage gestellt und zieht an ihrer stinkenden Zigarre. Tief inhaliert sie den Rauch bevor sie antwortet. "Mehr oder weniger." Ich grüble während meine Augen nie die Umgebung aus dem Blick lassen, immer bereit zu reagieren, falls Schwierigkeiten auftauchen. "Wirst du mir jemals mehr darüber erzählen?" Leider weicht sie erneut aus. Die richtigen Fragen zu stellen scheint nicht zu bedeuten, dass man auch die richtigen Antworten bekommt. "Irgendwer wird dir eines Tages davon erzählen." Dann macht sie ein Handzeichen um mir zu verdeutlichen, dass die Zeit der kostenlosen Fragen vorbei ist und ich bin nicht so dumm, es zu ignorieren. "Aber genug davon. Lass mich dich lehren, wie du eine Kanalratte in Alta wirst."
Auf meinem Weg zurück denke ich über diese glitzernde Augenmagie nach. Seit meinem ersten Treffen mit Nonna habe ich begonnen, auf andere Weise in die Augen meiner Mitmenschen zu sehen. Doch ich habe niemanden sonst mit diesen silbern leuchtenden Sprenkeln gefunden. In einigen Augen habe ich ein blasses Glühen entdeckt, aber die meisten Augen sind unberührt von dieser Magie. Dass ich in den Augen meiner Mutter zwar keine Sprenkel aber ein intensives Glühen entdeckt habe, hat mich überrascht. Das die Augen meines Vaters leer sind, war für mich eher eine Erleichterung als eine Überraschung.
Irgendwer wird dir eines Tages davon erzählen. Ich kann echt nicht sagen wie sehr ich dieses mystische Gerede alter Leute hasse. Erneut überschreite ich die Schwelle diesmal zurück in die Stadt und in mein Leben als Linus, der gejagter Sohn des Premierministers. Es ist ein riesiger Vertrauensbeweis und eine enorme Hilfe, dass ich jetzt die Eingänge und Wege in die Kanäle unter der Stadt kenne. Von jetzt an kann ich einfach zu Levi der Ratte werden und sie alle hinter mir lassen. Nonna hat mir auch einen Generalschlüssel gegeben, der die meisten Schlösser zum und im Kanal öffnet. Sie hat mir außerdem den Rat gegeben, weniger zu rennen und mehr Zeit im Fluss zu verbringen, damit sich meine Fettschicht unter der Haut, die in den letzten Jahren echt dünn geworden ist, regenerieren kann. Und damit ich das ungestört von meinen Verfolgern tun kann, hat sie mir einen geheimen Kanalausgang direkt zum Fluss gezeigt.
Vielleicht hat es etwas mit dieser Augenmagie zu tun, aber ich habe längst heraus gefunden, dass Nonnas Tipps mich stets weiter bringen und auf etwas in meiner Zukunft vorbereiten. Ich habe es bisher nicht bereut, sie anzunehmen und werde ihrem Rat daher auch dieses Mal folgen. Das bedeutet, ich habe zwei neue Aufgaben neben der Schule. Im Fluss schwimmen und Freundschaft mit Arto schließen.
Zuhause werde ich von meiner Mutter begrüßt, die meinen fragenden Blick mit einem liebevollen Lächeln und weit geöffneten Armen erwidert. Mit einem Seufzen eile ich zu ihr und in ihre feste und herzliche Umarmung. "Mama, bist du okay? Wo ist Vater?" Sie streichelt mir über den Rücken und ihre Stimme klingt warm und fast zärtlich, als sie mich informiert. "Mein süßer kleiner Junge. er ist auf einem Treffen mit dem neuen Pedra-Diplomaten aus FlussEnd. Er war ziemlich aufgebracht, dass du nicht hier warst. Er wollte dich mit nehmen damit du dessen Sohn treffen kannst."
Hab ich schon erwähnt wie dankbar ich bin, dass ich im Aussehen ganz nach meiner Mutter komme? Ich habe ihre Haut- und Haarfarbe geerbt und auch im Gesicht kann man die Familienzugehörigkeit sehen. Vor allem aber ihre wunderschönen grauen Augen sind es, für die ich besonders dankbar bin sie ebenfalls mein Eigen nennen zu dürfen. Von Vater habe ich nichts an mir und ich bin dankbar darum, obwohl er mir hin und wieder genau das vorwirft, wenn er bezweifelt, ob ich überhaupt sein Sohn bin.
Ich seufze erneut und entspanne mich in ihren Armen. Diese Nähe können wir nur genießen, wenn er nicht da ist, nichtsdestotrotz hat Mutter nie gezögert sie mir zu geben, wann immer es ihr möglich war. "Vermutlich ist er jetzt froh dass ich nicht dabei bin. Ich habe Arto in der Stadt getroffen und ich glaube, er wird seinen Vater ebenfalls nicht begleiten." Sie lacht leise und spricht dann leise ein Gebet dass mich überrascht, denn ich habe sie noch nie beten gehört. "Heilige Prinzessin der Aigua, ich danke dir. Bist du verletzt?" Ich sehe sie fragend an, schüttele aber zur Antwort ihrer Frage den Kopf und sie geht auf meine Neugier nicht ein. "Es geht mir gut. Arto hat mich gebeten ihn noch einmal privat zu treffen, kannst du mir dabei helfen?" Sie nickt und drückt mich noch einmal fest an sich. Dann hören wir Schritte an der Tür und sie zieht sich schnell vor mir zurück. Ich eile in mein Zimmer, bevor mein Vater das Haus betritt und springe ins Bett. Meine letzten Gedanken bevor ich einschlafe drehen sich um meine Zukunft und mir wird klar, dass ich diese Stadt und meinen Vater so schnell wie möglich verlassen muss.
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