2. Begegnung
Soeben bin ich in jemanden hinein gerannt und stehe nun mit geschlossenen Augen und zitternd da während ich darauf warte, ergriffen und zu Paul und seiner Bande geschleppt zu werden. Doch stattdessen höre ich ein leises Räuspern.
"Ich bin untröstlich, dass ich dir im Weg stand, ich hatte nicht damit gerechnet, dass aus dieser Richtung jemand kommt." Meine Augen fliegen auf und richten sich auf den Fremden, der zu der warmen, tiefen Stimme gehört die zu mir spricht. Vor mir steht ein junger Mann mit vollem Haar, buschigen Augenbrauen und einem kurzen Bart, der sich von seinem Haupthaar in einer feinen Linie über seine Kieferpartie zu seinem Kinn zieht und dort voller wird und seine schmalen Lippen einrahmt. Sein Kopf ist rund und seine Nase breit, die Wangenknochen hoch und seine dunkelbraunen Augen in einem besorgten Blick auf mich gerichtet. "Nein, ich muss mich entschuldigen dass ich nicht aufgepasst habe wohin ich renne. Geht es dir gut?" Nervös betrachte ich den Fremden, einerseits erleichtert, dass er keiner meiner Verfolger ist und offensichtlich nicht vor hat, mich irgendwo hin zu schleifen. Aber andererseits bin ich mir noch nicht sicher, ob er mir nicht noch viel größere Probleme bescheren wird.
Der Fremde ist mir ein Rätsel. Zuerst einmal ist da seine Kleidung, oder besser gesagt die Tatsache, wie viel er an hat. Aigua tragen normalerweise kaum Kleidung, nur Shorts die aus einem speziellen wasserabweisenden Material gefertigt sind, und wenn es sein muss Slipper an den Füßen, aus denen man schnell raus schlüpfen kann. Unser Körper ist dazu gemacht, im kalten Flusswasser warm zu bleiben und kann daher an Land schnell überhitzen. Natürlich passt die besondere Fettschicht unter unserer Haut zu unserer Lebensweise, trotzdem oder gerade deshalb sieht man uns nur selten mit mehr als einem Leinenhemd und einem passenden Sarong bekleidet und das auch nur zu besonderen Anlässen.
Die Kleidung des Fremden und sein Bart passen besser zu einem Pedra, auch Bergleute genannt, die in, von, auf und unter den Bergen im Norden leben, wo es deutlich kälter ist. Ihr Körperbau ist in der Regel auch kompakter, nicht so groß dafür breiter. Er ist jedoch genauso groß wie ich wenn auch ein ganzes Stück breiter. "Alles gut, danke." Er strahlt die stoische Ruhe eines Pedra aus, aber sein Gesicht verrät zu viele seiner Gefühle und trägt nicht die unter Bergleuten übliche steinerne Maske.
"Was machst du hier? Ich kenne dich nicht. Bist du neu in der Stadt?" Bombardiere ich ihn regelrecht mit meinen Fragen, wohl wissend, dass meine Frist, mich vor Paul und seinen Schergen in Sicherheit zu bringen, langsam abläuft. Auf meine Fragen schaut mich der Fremde neugierig an, dann wandern seine Blicke die Straße hinunter zu den Stimmen die von dort zu uns rüber schallen und wieder zurück zu dem nervösen Aigua, der ich im Moment bin. "Du kennst also normalerweise jeden in der Stadt?" Zum ersten mal muss ich lächeln und ich sehe, wie deshalb die Mundwinkel meines Gegenübers ebenfalls zu zucken beginnen.
"Tatsächlich tue ich das. Da mein Vater ein Ratsmitglied ist verpasse ich nur schwerlich ein wichtiges Gesicht und da ich der faule Apfel am Stammbaum meiner Familie bin, kenne ich auch alle unwichtigen Gesichter. " Mein Gegenüber sieht mich interessiert an und runzelt fragend die Stirn: "Sag mir deinen Namen, und dass du nur ein Opfer bist und kein gejagter Verbrecher," verlangt er ernst und ich bewundere ihn für seine Ruhe, die ich im Moment nicht teilen kann. Mit einem vorangestellten Seufzen, dass meiner Situation und nicht seiner Frage gilt, antworte ich schnell. "Ich bin kein Krimineller, aber ich bin auch kein Opfer, ich bin einfach nur anders, das ist alles. Und die dort" ich nicke mit dem Kopf zu den laut diskutierenden Leuten, "sind meine tägliche Herausforderung. Mein Name ist Linus."
Das Gebrüll mit dem Hausbesitzer ist zum erliegen gekommen und jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis die Gruppe hier auftauchen wird. Ich habe gerade alles auf eine Karte gesetzt in dem ich mich dem Fremden offenbart habe und jetzt liegt es in seinen Händen wie es weiter geht. "Muss ich mich vor ihnen in Acht nehmen?" Er nickt mit seinem Kopf in die Richtung der Stimmen und ich schüttle meinen daraufhin sofort. "Ich bin Arto," stellt er sich mir nun vor, "Diplomatensohn aus FlussEnd. Ich bitte dich, mich zu einem besseren Zeitpunkt erneut aufzusuchen, ich würde gerne mit dir darüber reden, was es zu bedeuten hat, anders zu sein." Damit dreht er sich um und geht die Straße hinauf den Stimmen entgegen und ich sehe ihm überrascht nach. Für einen Diplomaten war die Unterhaltung aber sehr freundschaftlich und doch fühlte es sich richtig an. Doch dann nutze ich meine Chance und schlüpfe in mein Versteck.
"Maus, du solltest jetzt besser heraus kommen. Wenn ich noch länger warten muss werde ich ärgerlich und du willst nicht, dass ich sauer bin wenn ich dich verprügle." Als ob es wirklich einen Unterschied machen würde, in welcher Stimmung er mich erwischen würde. Paul macht mir keine Angst aber als ich höre, wie Arto ihm seine Hilfe anbietet, stockt mir mein Atem. Habe ich einen Fehler gemacht, als ich dem Kerl vertraut habe? "Entschuldigung, kann ich vielleicht irgendwie behilflich sein?" Seine Stimme ist weiterhin ruhig und stoisch und Paul reagiert wie immer nicht sehr schnell auf die neue Situation. "Wen haben wir denn hier? Einen von Maus' Freunden?"
Arto klingt nun reichlich verwirrt und mir wird klar, dass nicht nur sein Gesicht sondern auch seine Stimme viel mehr von seinen innersten Gefühlen preis gibt, als man es von einem seiner Art erwarten würde. "Soweit ich mich erinnere, sind Mäuse winzig kleine Tiere im offenen Feld. Wie viel Leute braucht man denn, um eine zu fangen?" Sofort beginnt einer der Bandenmitglieder mit beleidigenden Flüchen aber Pauls Vater ist ebenfalls ein Ratsmitglied und als sein Sohn erinnert er sich jetzt an die heutige Gästeliste. "Du bist einer der neuen Pedra-Diplomaten aus FlussEnd, oder?" Ich schüttle in meinem Versteck den Kopf über Paul, denn offizielle Vertreter der Bergleute geben sehr viel auf Höflichkeit und allein ihn einfach zu duzen ist normalerweise ein Fauxpas sondergleichen. obwohl dieser Pedra hier selbst direkt zum du greift und es herausfordert. Gespannt belausche ich weiter die Unterhaltung.
"Bin ich, und ich dachte, ich könnte die Stadt ein wenig auf eigene Faust erkunden, aber ich fürchte ich habe etwas die Orientierung verloren." Artos warme dunkle Stimme bringt die Gruppe wohl endlich zur Ruhe und Paul besinnt sich endlich seiner Aufgaben, die man von ihm als Sohn eines Ratsmitglieds erwartet. "Willkommen und bitte erlaube mir, dich ein wenig herum zu führen." Er hat die Rolle des Anführers übernommen, aber der Pedra ordnet sich nicht einfach so seiner Führung unter. "Ich möchte aber wirklich niemanden von seiner Arbeit abhalten," erklärt er ernst und zögert somit, die Hilfe anzunehmen, die ihm angeboten wurde. "Oh, dass ist überhaupt kein Problem, bei der Jagd ging es nur um ein wenig Spaß, doch dich sicher zu deinen Angehörigen zurück zu begleiten ist für mich als Sohn eines Stadtrats auf jeden Fall die wirklich wichtige Aufgabe."
Endlich höre ich sie weggehen. Ich sitze in mein Versteck gezwängt und muss mich wirklich anstrengen nicht laut los zu lachen, über Arto und die Worte mit denen er Paul geschickt aber wirkungsvoll in die Schranken gewiesen und sogar indirekt beleidigt hat. Und als ich ihn dann aus einiger Entfernung noch einmal laut rufen höre, bricht mein unterdrücktes Gelächter fast aus mir heraus. "Hey, ihr zwei, wenn ihr mitkommen wollt solltet ihr euch beeilen." Ich sehe Paul regelrecht vor mir, wir er genervt die Augen verdreht während er diejenigen, die er wohl bei mir zurück lassen wollte, ebenfalls abberuft. "Er hat recht, beeilt euch. Morgen ist auch noch ein Tag."
Danke Arto, denke ich bei mir und warte noch einige Minuten ab, bevor ich mein Mauseloch verlasse. Das war eine echt knappe Jagd dieses Mal aber auch eine sehr interessante Begegnung. Es schien mir als wüsste er selbst ein oder zwei Dinge darüber was es bedeutet, anders zu sein. Ich habe sofort, als ich ihn erblickte, eine besondere Beziehung zu ihm gespürt, als ob ich ihm ungesehen vertrauen könnte. Ich will auf jeden Fall ebenfalls noch einmal mit ihm sprechen.
Ganz abgesehen davon hilft mir das schnelle Ende dieser Jagd sehr. Ich muss ganz dringend neue Fluchtwege herausfinden und denke, ich sollte Nonna einen Besuch abstatten und sie nach Vorschlägen dazu fragen. Vielleicht ist sie bereit, ein paar mehr Geheimnisse mit mir zu teilen.
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