Erinnerungen an damals
Es war nach Neun, als Garrett Miss Cairns, die Betreiberin der Pension, darum bat, doch noch etwas zu essen zu bekommen. Die junge Frau zeigte sich erstaunlich freundlich und nahm die Verlegenheit des jungen Mannes offenbar als hinreichende Strafe dafür an, dass er so spät noch einen Wunsch geäußert hatte.
Mit einem Tablett, auf dem sich Sandwiches, ein paar Scheiben kalter Braten und Tee befanden, saßen Henry und Garrett schließlich auf dem Sofa, bereits im Pyjama, und sahen eine Late Night-Quizshow im Fernsehen.
»Das war echt peinlich«, murmelte der junge Mann und schob sich etwas Brot in den Mund.
»Wenn du mit deiner Schmuserei bis nachher hättest warten können, hätten wir eher was in den Bauch bekommen.«
Garrett schnurrte. »Darauf kann ich aber nie warten, das weißt du genau.«
»Ich weiß ... noch genauso verrückt nach mir wie ganz zu Anfang. Ich fühle mich geschmeichelt.« Henry lachte.
»Du bist ein Blödmann«, kicherte sein Freund und nippte am Tee. »Sei doch froh. Wir sind lange genug zusammen, ich könnte dich inzwischen voll abstoßend finden und es hassen, mit dir ins Bett zu gehen. Tue ich aber nicht.«
»Was mich sehr dankbar stimmt.«
»Warum sollte ich auch? Was sind denn vier Jahre? Viel zu wenig.« Garrett kuschelte sich in die Zierkissen und zog die Beine an die Brust, während er Henry ansah. »Wann immer ich dich sehe, kann ich nicht verstehen, wie Liebe vergehen kann ... mir hüpft noch immer jedes Mal das Herz.«
Der Unsterbliche lächelte und neigte sich zu seinem Liebsten hinüber. »Geht mir genauso«, flüsterte er und strich mit seinen Lippen über Garretts Mund.
»Gut. Du wirst mich nämlich nicht los«, murmelte der junge Mann schläfrig und ließ sich widerstandslos von Henry in dessen Arme ziehen.
»Komm, mein Liebling. Wir gehen ins Bett. Du bist total erledigt und wir wollten doch morgen den Ort angucken, nicht?«
»Hmhm ...«, stimmte Garrett müde zu. »Ich will sehen, wo dein Haus stand und an den Strand und ...«, nuschelte er, als der Vampir ihn hochhob und ins Bett legte.
»Ja ... morgen. Jetzt ist Schlafenszeit.«
»Henry ...«, quengelte der junge Mann.
»Was ist?«
»Ich muss Zähne putzen.«
Der Unsterbliche lachte und verschränkte vor ihm stehend die Arme vor der Brust, während er auf seinen Freund herunter blickte, der wie eine Krabbe auf dem Rücken versuchte, wieder aufzustehen. Doch er war so müde, dass er schließlich matt liegen blieb.
»Hilf mir doch«, maulte Garrett und der Vampir zog ihn hoch.
»Du machst mich fertig, Pinkerton!«
»Ich warte noch auf die grauen Haare, Schatz«, grinste der junge Mann und wankte ins angrenzende Badezimmer, während Henry die Decke ganz aufschlug und die Kissen auflockerte. Garrett hing todmüde über dem Waschbecken, als der Unsterbliche zu ihm kam.
»Soll ich dir jetzt dabei auch noch helfen?«, grinste er und kassierte einen Knuff in die Rippen. »Du bist manchmal wie ein Kind, das man hüten muss, weißt du das?«
»Dafür hab ich dich doch. Damit du immer auf mich aufpasst«, nuschelte sein Freund und spuckte aus. Der Vampir lachte und zog Garrett mit dem Rücken an seine Brust. Er schnurrte, als er begann, seinen Hals zu küssen, was den jungen Mann seufzen ließ.
»Sicher, dass du mich zum Aufpassen brauchst?«
»Hör auf damit. Ich kann dich spüren, okay? Ich bin zu müde für eine zweite Runde«, jammerte Garrett und wand sich, wollte aber nicht ernsthaft aus der Umarmung fliehen.
»So ein Pech«, kicherte Henry und ließ ihn wieder los. Grinsend begann der Vampir, sich die Zähne zu putzen, während sein Freund mit roten Wangen neben ihm stand, aufgeregt, erhitzt und irgendwie gar nicht mehr schläfrig.
»Du bist ein Schweinehund«, knurrte Garrett. »Jetzt kann ich bestimmt nicht mehr schlafen!«
Henry spülte sich den Mund aus und grinste anschließend. »Ich weiß da etwas, was hilft. Kommst du mit ins Bett?«
Es dauerte lange, bis sie endlich einschliefen.
_
Der Himmel war noch rot, als Garrett erwachte und die Bettseite neben sich leer vorfand. Er setzte sich auf und rieb sich die Augen, bevor er sich umsah.
»Henry?«
Murrend erhob er sich und trabte verschlafen ins Bad. Muskelkater in seinem Rücken und den Beinen weckte süße Erinnerungen in ihm und er musste grinsen, als er sich wusch. Seine Müdigkeit war tatsächlich wie weggeblasen gewesen und war mit einem Hammerschlag zurückgekehrt, als sie schließlich genug voneinander gehabt hatten.
Garrett hatte sich daran gewöhnt, häufig allein aufzuwachen, weil er wusste, dass der Vampir in Henry den Drang hatte, auf die Jagd zu gehen und sich zu nähren. Es kam nur selten vor, dass der Unsterbliche von seinem Freund trank. Henry sagte immer, Tier- und Menschenblut würde keinen Unterschied machen für seine Ernährung. Das eine war nicht besser als das andere. Das Beißen geschah meist als Nebeneffekt während des Aktes, ganz unbewusst und beeinflusst durch Erregung und Leidenschaft.
So räumte der junge Mann das Geschirr vom Vorabend zusammen, was sie hatten stehen lassen, öffnete das Fenster, um die Morgenluft und den leisen Klang des Städtchens ins Zimmer zu lassen und lüftete das Bettzeug. Immerhin würde dieser Raum für die nächsten vier Wochen ihr Zuhause sein, da konnte er ihn auch so behandeln.
Garrett zappte sich gerade durch das Fernsehprogramm, das zum Großteil aus langweiligen Frühstückssendungen bestand, als Henry wieder herein kam.
»Guten Morgen, mein Hase«, schnurrte dieser und drückte seinem Liebsten einen Kuss auf die Wange.
»Na du? Hunger gehabt?«
Der Vampir, der nach Seife und kühler Morgenluft roch, setzte sich zu ihm und seufzte. »Ich hab mal Ausschau gehalten, wo ich hier auf Beutefang gehen kann.«
»Und? Du siehst nicht sehr euphorisch aus ...«
»Rund um Dunmoor gibt es einige Weiden und es riecht nach Schafen. Also sollte es gehen. Aber ich mag sie nicht. Etwas größeres wäre mir lieber gewesen.«
»Wenn nicht, trinkst du von mir. Das Bisschen kann ich geben.«
»Ich weiß. Aber das vermeide ich lieber, wie du weißt. Ich schwäche dich nicht gern.«
»Warum? Gibt es noch mehr Allisters?«
Der Unsterbliche grinste schief. »Ich hab eine Menge Altlasten, ganz genau.«
»Daran will ich nicht denken. Keine Monster, keine Werwölfe, keine Vampire, die mich als Geisel nehmen. Nein! Urlaub! Sommer! Schönes Wetter!« Garrett zog einen Schmollmund, was Henry zum Lachen brachte. Er zog ihn an sich und drückte ihm einen Kuss auf die blonden, noch vom Schlafen zerzausten Haare.
»Ich lasse so etwas nie wieder zu. Wollen wir frühstücken gehen? Wir könnten danach zur Küste. Du wolltest doch sehen, wo ich gelebt habe ...«
Garrett nickte. »Ich kämm' mich rasch.« Henry nickte und schob sich einen Brotrest vom Abendessen in den Mund.
»Vermutlich wird es richtig warm heute. Es kribbelt auf meiner Haut, das ist lästig.«
»Sollten wir Badesachen mitnehmen?«
»Warum nicht? Wenn nicht etwas Schwerwiegendes geschehen ist, sind die Strömungen vor der Küste nicht so stark, sodass man gefahrlos schwimmen kann. Ich glaube kaum, dass sich das in den letzten siebenhundert Jahren geändert hat.«
»Super«, Garrett hatte sich vollständig angezogen und seine Strubbelmähne gezähmt. »Wollen wir dann runtergehen? Frühstückszeiten sind von acht bis zehn, also ...«
Gemeinsam betraten sie schließlich den Frühstücksraum und bemerkten, dass sie nicht die einzigen Gäste der kleinen Pension waren. Garrett erinnerte sich mit Scham daran, dass er in der Nacht nicht gerade leise gewesen war und senkte den Kopf, während Henry, der seine Gedanken zu erraten schien, nur hämisch grinste.
Doch die anderen Pensionsgäste; ein älteres Ehepaar, das über Tee und der Morgenzeitung hockte, ein Mann, der aussah, als wäre er nur auf der Durchreise und eine Gruppe Rucksacktouristen; nahmen nicht wirklich Notiz von den beiden. Die Mädchen, die zu den Backpackern gehörten, kicherten zwar, doch das waren Henry und Garrett bereits gewöhnt. Sie erlebten diese Reaktion häufig in der Nähe von jungen Mädchen, die oftmals offenbar automatisch davon ausgingen, dass es sich bei den beiden um ein schwules Paar handelte, was ja so ‚süß' war. Vielleicht dachten die Mädels aber auch nur, dass sie gut aussahen und reagierten deswegen so.
»Nimm schon mal Platz, ich hol uns was vom Buffet«, sagte der Vampir leise und Garrett, dessen Gesichtsfarbe sich wieder normalisiert hatte, besetzte einen Tisch am Fenster mit Blick auf einen kleinen Garten.
»Hier«, hörte er seinen Freund wenige Minuten später, der ihm einen Teller voller Eier, Speck, Toast und Würstchen hinstellte. »Hau' rein, die Energie wirst du brauchen. Für den Ausflug sollten wir aber noch mal in den Supermarkt die Straße runter, Getränke kaufen.«
»Denke auch ... ich glaub kaum, dass wir hier was mitnehmen können. Das macht man nicht«, murmelte der junge Mann und nippte an seinem Kaffee. Obwohl er Engländer war und für ihn nichts über einen guten Tee ging, brauchte er morgens etwas Stärkeres.
Gesättigt und gestärkt waren die beiden eineinhalb Stunden später auf dem Weg an den Strand. Sie hatten sich dazu entschlossen, das Auto stehen zu lassen. Dunmoor war nicht sehr groß und so konnte man alles zu Fuß erreichen. Badesachen und Handtücher steckten zusammen mit zwei großen Wasserflaschen aus dem Supermarkt in den Rucksäcken.
»Hier stand früher die Kirche«, sagte Henry, als sie eine freie Fläche erreichten, in dessen Mitte ein riesiger Findling lag. Der Vampir ging auf diesen zu und drehte sich dann im Kreis. »Dort war das Gasthaus ... da drüben die Schmiede und da der Krämer. Es ist nichts mehr übrig, wie ich mir schon dachte. Selbst die Kapelle haben sie verlegt.«
»Aber der Platz ist noch da.«
»Ja ... und heute sind hier all die Geschäfte, die die Neuzeit eben so braucht, nicht?« Der Unsterbliche lächelte schief und setzte den Weg fort, während Garrett, der seine Kamera dabei hatte, immer mal stoppte, sich hinhockte, ja sogar auf den Bauch legte, um aus verschiedenen Perspektiven die malerischen alten Häuser zu fotografieren.
»Auch wenn so vieles anders ist, ich fühle noch immer, dass das mein Zuhause ist. Auch wenn ich seit Jahrhunderten heimatlos bin. Das ist wirklich merkwürdig. Ich lebte nur zehn Jahre hier«, murmelte Henry, der jedes Mal artig auf seinen Liebsten wartete.
»Aber du wurdest hier geboren. Also ist es egal, wie viel Zeit du hier verbracht hast oder wie lange du nicht mehr da warst. Es wird immer dein Ursprung bleiben.«
»Ja ... lass uns weiter gehen. Dann können wir an der Klippe unser Lunchpaket verdrücken.«
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