Das Scheitern eines Vorhabens
»Oooooh«, platzte es aus Garrett heraus, als sie nach einer halbstündigen Autofahrt in Enniskerry ankamen und Henry den Wagen auf dem eigens angelegten Parkplatz von Powerscourt House and Gardens anhielt.
Sie hatten sich entschlossen, der Ruhe und Langeweile Dunmoors durch einen Ausflug in einen öffentlichen Garten zu entfliehen.
Das Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert war aus hellem Stein erbaut und leuchtete im Licht des Vormittags so sehr, dass der Vampir sich murrend eine Sonnenbrille auf die Nase schob, bevor er ausstieg und das Auto verriegelte.
Garrett war bereits aus dem Fahrzeug gehüpft, kaum dass es stand, und sortierte nun seine Kamera, während er den Blick wandern ließ. Eine aufgeregte Röte hatte sich in seinem Gesicht breit gemacht.
»Was grinst du denn so? Das wirklich Spannende ist auf der anderen Seite«, lachte Henry leise.
»Egal. Warst du schon mal hier?«
»Nein, ich hatte damals keinen Blick für so etwas. Aber das Haus ist auch nicht der Publikumsmagnet, sondern der Garten und der Wasserfall.«
Sie entrichteten den Eintrittspreis und schlossen sich einigen anderen frühen Besuchern an, die in den unterschiedlichsten Sprachen miteinander redeten und sich ebenso neugierig umblickten wie Garrett.
Der Duft von Wasser und unzähligen blühenden Blumen lag in der Luft wie ein Parfum, während der Wind leise die Blätter der Bäume rauschen ließ und das Summen von Bienen dem Ganzen etwas Gemütliches gab.
Der Unsterbliche wanderte langsam und entspannt hinter dem jungen Mann her, bis dieser schließlich auf einem gepflasterten Platz stehen blieb und fasziniert über die wie Stufen angelegten, fein säuberlichen Grünflächen blickte, die durch Treppen zu überwinden waren und an deren unterem Ende ein kleiner See in der Sonne glitzerte. Eine Neptun-Statue in der Mitte und eine Fontäne verursachten einen feinen Regenbogen im Licht.
»Der Rasen ist so perfekt, er könnte englisch sein«, kicherte Garrett, »stell' dir vor, du hast so einen Garten ganz für dich allein.« Er seufzte und fing zu knipsen an. Henry blätterte in dem Lageplan, den sie am Eingang bekommen hatten.
»Hm ... mir wäre das zu groß. Ich mag es gemütlich, klein, wild und ungezähmt. Das hier ist zu brav. Schau, wenn wir hier diesem Weg folgen, kommen wir in den japanischen Garten. Da gibt es einen Bach, Brücken und einen kleinen Pavillon.«
Das, so dachte Henry, wäre ein besserer Ort für das, was er vorhatte als vor all diesen Touristen in ihren Bermuda-Shorts und Anglerhüten, die ihre Smartphones herumwirbeln ließen, um hinterher verwackelte Urlaubsfotos zu haben.
»Und ich schätze, es gibt auch Schatten, hm? Du hast Schweiß auf der Stirn. Es ist dir viel zu sonnig, hab ich Recht?«
Der Unsterbliche nickte nur. Ihm war wirklich heiß und aufgrund der Feuchtigkeit auf seiner Haut verrutschte ihm permanent die Sonnenbrille.
»Wenn man mir damals, als ich das Essay über Vampire geschrieben habe - das ich übrigens nie abgegeben habe, wie ich gestehen muss - gesagt hätte, dass es möglich ist, mit einem davon im Hochsommer über eine sonnenhelle Anlage zu spazieren, ich hätte denjenigen ausgelacht.«
»Peng und Puff und Staubwolke ist es halt nicht. Aber ich verbrenne mich trotzdem, wenn wir nicht in den Schatten kommen.«
»Oooh, ein Vampir mit Sonnenbrand«, kicherte der junge Mann, machte noch zwei Aufnahmen von dem aufwändig gearbeiteten eisernen Zaungitter, das am Rand des Platzes angebracht war, und folgte Henry dann die Treppen hinunter. Unten stand ein kleiner italienischer Brunnen, mit dessen Wasser sich der Vampir ein wenig die Haut erfrischte.
»Schmerzhafter, Blasen schlagender Sonnenbrand. Das willst du bestimmt nicht miterleben.«
»Ich mag es nicht, wenn dir etwas weh tut, nein«, entgegnete Garrett und hakte sich bei dem Unsterblichen unter. »Komm, lass uns in den kleinen japanischen Dschungel verschwinden und uns eine Bank suchen zum Ausruhen. Es ist wirklich warm und dabei ist es noch nicht einmal Mittag.«
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»Das ist bestimmt nicht erlaubt«, lachte der Vampir leise, als Garrett ihm seine Schuhe zuwarf und in den Bach stieg, der leise gluckernd durch den wild bewachsenen kleinen Wald floss.
»Was soll schon passieren? Dass mich ein Koikarpfen frisst?«
»Gibt es hier welche? Koi schmeckt gut.«
»Henry! Du bist eine Bestie«, lachte der junge Mann vergnügt und erfrischte sich, bevor er so weit in die Knie ging, wie es möglich war, ohne einen nassen Hosenboden zu bekommen, um das bewachsene Ufer zu fotografieren.
Der Vampir wartete wie immer geduldig auf seinen Freund und genoss es, dass der Schatten die Temperaturen um gefühlte zehn Grad absenkte.
Er achtete kaum auf die Leute, die ebenfalls über den Pfad flanierten. Viele waren es nicht. Dieser Bereich des Gartens bot weniger Attraktion für die, die auf Landschaftsgestaltung abfuhren. Im Gegenteil hatte man hier offenbar alles so wachsen lassen, wie es das wollte. Die blühenden Büsche und Beete waren ordentlich und von Gärtnern getrimmt, aber lange nicht so geometrisch angelegt wie in anderen Teilen. Entzückende japanische Brücken überspannten den Bach an mehreren Stellen, es wuchs Schilf und auf Seerosenteppichen quakten die Frösche um die Wette.
Doch der Unsterbliche konnte ein leises Klingeln in seinen Ohren nur schwer ignorieren. Garrett hatte ihn einmal deswegen aufgezogen und es Henrys »Spinnensinn« genannt, wie bei Spider Man. Und genau so etwas war es auch. Die geschärften Sinne, ausgelöst durch den ausgeprägten Überlebensinstinkt des Vampirvirus, warnten seinen Träger lange bevor etwas geschehen konnte.
Der Unsterbliche wollte seinen Freund allerdings nicht beunruhigen. Obwohl er die Umgebung im Auge behielt, vermutete der Vampir, dass es lediglich an den anderen Menschen lag, die sich leise unterhaltend durch den Garten bewegten und die Henry zwar hören, aber nicht sehen konnte. Überall knackte es, das Wasser gluckerte, in den Bäumen saßen Vögel, die lauthals ihr Lied in die Welt hinausschrien.
»Du siehst gestresst aus«, drang die Stimme des jungen Mannes in das Bewusstsein des Unsterblichen und dieser merkte, dass er zusammenzuckte.
»Ist alles in Ordnung?« Garrett machte große Augen und schlüpfte wieder in die Schuhe, nachdem er sich die Füße mit einem Taschentuch getrocknet hatte.
»Hm«, entgegnete Henry und rieb sich den Nacken. »Obwohl wir in der Natur sind, ist alles so voll mit fremden Geräuschen, dass mir die Ohren klingeln.«
»Also muss ich mir keine Sorgen machen?« Der junge Mann sah sich misstrauisch um, was der Unsterbliche bedauerte. Er wollte nicht, dass Garrett immer über die Schulter blicken musste, nur weil er, Henry, so viel Mist an den Hacken hatte.
»Liegt wahrscheinlich an den vielen Stimmen in der Luft«, murmelte der Vampir und sie setzten ihren Weg fort, bis sie einen Teil des Parks erreichten, in dem sich niemand aufhielt. Erleichtert atmete der Unsterbliche auf, als endlich Stille herrschte.
»Schau mal, da steht ein einsamer kleiner Turm«, rief Garrett.
Henry zog den Lageplan aus der Tasche. »Pepperpot Tower heißt das Ding«, las er vor und folgte dem jungen Mann, der unermüdlich querfeldein über die Wiese, unter den Bäumen hindurch, eilte.
»Haa ... süß, schau mal. Ein Rapunzelturm. Wie im Märchen«, lachte Garrett und blickte an dem kleinen Bauwerk nach oben. »Kann man da rauf gehen, was meinst du?«
»Keine Ahnung ... da ist ein Eingang. Versuch' es«, der Vampir beschattete seine Augen mit der Hand, als er den Kopf hob. »Offenbar dient der Turm als Ausguck. Im Plan steht, dieser Abschnitt des Parks heißt ‚Tower Valley'.«
»Komm' mit, ich mach ein Selfie von uns«, kicherte der junge Mann und zog den Unsterblichen hinter sich die Stufen des kleinen Bauwerks hoch. Henry murrte, weil er es nicht mochte, fotografiert zu werden, wehrte sich aber nicht gegen seinen Freund.
»Kanonen, wie cool. Der einstige Besitzer dieser Anlage war bestimmt ein bisschen paranoid, dass ausgerechnet hier Bewaffnung zu finden ist.« Oben auf dem Turm angekommen, drehte sich Garret einmal im Kreis und blickte über das Gelände. Der Unsterbliche tat es ihm gleich und schnalzte mit der Zunge. Die Aussicht war großartig, obwohl das Gebäude nicht sehr hoch war. Sein Standort auf einem Hügel machte das wett.
Grinsend stellte der junge Mann seine Kamera auf Serienbild ein und platzierte sie auf der Mauer, bevor er den Auslöser drückte, der mit leisem Piepen herunterzählte.
»So, und jetzt lächle mal, du wunderhübscher Griesgram«, lachte Garrett, nahm Henry die Sonnenbrille ab und sprang ihm auf den Rücken. Der Unsterbliche packte ihn reflexartig und musste lachen, weil der Andere sich albern wie ein Kind benahm. Es klickte einige Male, doch das letzte Geräusch bekamen sie nicht mit, weil sie mit Küssen beschäftigt waren.
»Ah ...«, machte Garrett, »schon fertig. Siehste? Du lebst noch. Kameras fressen keine Vampire.« Mit einem letzten Schmatzer auf Henrys Wange entließ dieser den jungen Mann wieder aus der Huckepackstellung und er schnappte sich sein kostbares Arbeitsgerät.
»Oooh, schau mal. Das ist gut geworden. Das auch ...« Garrett hatte rote Wangen vor Freude bekommen. Er liebte es, Pärchenbilder mit Henry zu machen und diese demonstrativ daheim im ganzen Haus zu verteilen. Der Vampir blickte ihm über die Schulter und nickte.
»Sei' froh, dass Kameras heute digital sind, sonst würdest du da allein in der Luft hängen.«
»So ein Unsinn«, lachte Garrett. Er wusste, dass der Unsterbliche ihn aufzog. Die Legende, dass Vampire weder auf Fotos noch in Spiegeln erschienen, war ein Ammenmärchen.
»Na, einen Versuch war es wert, nicht?«, schnurrte Henry und umwand den jungen Mann von hinten mit seinen Armen, bevor er ihn an seine Brust zog. Garrett drehte sich in der Umarmung und hob dann den Kopf.
»Mich zu verkohlen? Nice try. Wenn einer weiß, dass Vampire ein Spiegelbild haben, dann bin ich es, Mr. Ich-pfleg-mich-lächerlich-lange. Anders wäre es nicht möglich, dass ein Blutsauger so narzisstisch sein kann.« Er lachte und Henry nickte zerknirscht und vor sich hin grinsend.
»Alles nur für dich, damit ich dir gefalle«, murmelte er.
»Ich weiß.« Garrett lächelte vergnügt und nachdem er von der Aussicht noch einige Aufnahmen gemacht hatte, verließen sie die Plattform des Pepperpot Towers wieder.
Der Vormittag war inzwischen verstrichen und die Sonne gewandert.
»Wollen wir hier im Restaurant was essen gehen?« Der junge Mann strich sich die Haare aus dem Gesicht und hängte die Kamera um seinen Hals, damit er die Hände frei hatte.
»Ja, also weißt du«, setzte Henry an und rieb sich den Nacken, »eigentlich wollte ich ... ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Ich schiebe es schon Wochen vor mir her und ... es verstreicht ein Moment nach dem anderen.«
Garrett machte ein besorgtes Gesicht. »Was? Ist etwas passiert? Du willst aber nicht ausgerechnet jetzt mit mir Schluss machen, oder?«
Der Vampir riss erstaunt die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Nein! Wie kommst du denn ...? Nein, nein, das ist es nicht ... Eher ... das Gegenteil.«
Sichtbar verwundert neigte der junge Mann das Haupt. Offenbar konnte er sich keinen Reim auf das Gedruckse seines Freundes machen, der sonst immer offen heraus sagte, was er wollte oder was ihm nicht passte. Was konnte Henry denn sonst wollen, wenn er nicht Schluss machen wollte?
Als Garrett eine Idee kam, musste er schlucken und konnte in der nächsten Sekunde spüren, wie ihm sein Herz hart und schmerzhaft gegen die Rippen schlug. Aufregung stieg in ihm auf.
»Ja?«, murmelte er atemlos.
Henry schob die Hand in die Hosentasche, doch ehe er die Bewegung vollenden konnte, ruckte sein Kopf hoch, er machte einen Satz und drückte Garrett gegen die Mauer des Turms, bevor er ihn mit seinem eigenen Rücken abschirmte.
Er knurrte und der junge Mann, der durch die Plötzlichkeit dieser Handlung etwas irritiert war, sah an dem Vampir vorbei. Als er die Ursache für Henrys Handeln erkannte, spürte er die vertraute kalte Hand mit eisigen Fingern über seinen Rücken streichen.
Auf dem Weg waren drei Männer aufgetaucht, die auch Garrett eindeutig als Vampire erkennen konnte. Der in der Mitte war Lawrence Donnchadh und der Ausdruck auf seinem Gesicht verhieß nichts Gutes für den Ausgang dieses Tages.
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