11. Kapitel- Sonne
„Sag mal, was hast du eigentlich in deiner Tasche? Es stinkt fürchterlich!", fragte Felix mich Nase rümpfend, als wir gerade den Marktplatz betraten.
Ich roch selbst einmal an mir und musste Felix Recht geben. Das Taschentuch stank gewaltig nach Chemikalie.
"Ich habe ein Tuch mit Chloroform mitgenommen", antwortete ich wahrheitsgemäß. Wieso sollte ich meinem Beta auch etwas verschweigen, wenn er eh den beißenden Duft des Chloroforms riechen konnte?
"Warum hast du es mitgenommen? Willst du jemanden betäuben?", fragte er belustigt. Er wusste nicht, wie richtig er lag, wenn es darauf ankommen musste, dass Chloroform einzusetzen.
"Ich weiß es noch nicht. Vielleicht muss ich es früher oder später." Ich zuckte die Achseln. Bei Coleen sollten wir vorsichtig sein und vor allem mit dem Gang. Der Gang!
Bei den vielen Informationen hatte ich glatt vergessen Felix Bescheid zu geben! Innerlich schlug ich mir gegen die Stirn.
Felix wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als ich ihn hektisch unterbrach.
"Felix, wir müssen noch einmal in die Bibliothek. Ich habe einen Gang entdeckt und mir ist nicht wohl dabei", gestand ich ihm. Ohne Luft zu holen, hatte ich gesprochen und ich hoffte, dass er mich verstanden hatte.
"Wieso hast du das nicht gleich gesagt?!" Entschuldigend schaute ich ihn an.
Wir beschleunigten zeitgleich unsere Schritte und steuerten die Bibliothek an. Unterwegs wurden wir schief angesehen, da wir beinahe rannten, aber dies war uns egal.
In der Bibliothek angekommen, umfing mich ein Geruch der nach feuchtem Moos und Waldnadeln roch. Ich wusste nicht, woher dieser Geruch plötzlich kam, aber er war sofort mein Lieblingsduft.
Felix schien diesen Geruch ebenso zu riechen, denn er schnupperte in der Luft.
"Woher kommt dieser Geruch?", fragte ich laut.
"Ich weiß es nicht. Vielleicht von dem Gang den du entdeckt hast? Ich rieche den Duft nur ganz schwach", antwortete Felix und scannte die Umgebung ab. Aber wenn der Geruch aus dem Gang kam, hätte ich ihn nicht früher gerochen? Oder ich war einfach viel zu abgelenkt gewesen.
"Ich rieche den Duft ziemlich stark. Als würde ich mitten im Wald stehen", gab ich zu und Felix Blick fiel auf mich.
"Dann zeig mir mal den Gang." Ich nickte und ging schnellen Schrittes auf die Regale zu. Der Geruch war die ganze Zeit über präsent, selbst als wir den dunklen Gang erreichten.
Zeitgleich steckten Felix und ich den Kopf in den Gang, so wie ich es auch vorhin schon einmal getan hatte. Aber wie auch zuvor konnte ich nur einen Meter weit in den Gang schauen, da wir weißen Wölfe in der Dunkelheit, ohne künstliches Licht, nichts sahen.
"Wir brauchen wohl Fackeln", flüsterte Felix. Ich glaubte, dass er ziemlich geschockt war, sonst würde er nicht so erschrocken flüstern.
"Und ein wenig Verstärkung", warf ich hinzu. Je mehr wir waren, desto besser würden wir den Durchgang erkunden können und den ganzen grausamen Elend ein Ende setzen. Das hoffte ich zumindest. Coleen's Spiel darf nicht so weiter gehen. Es musste ein Ende geben, ganz egal wie dieses auch aussehen mag.
Über Mind-Link rief ich Martenz, Cyril, Klea und Susan, vier, erfahrene und erwachsene Kämpfer, zu uns. Zu sechst waren wir hoffentlich genug Leute, um die Dunkelheit zu durchforsten.
Doch sobald die vier Krieger eintrafen, herrschte sofort Unruhe. Etwas stimmte nicht.
"Was ist los?", fragte ich in die kleine Runde und schaute jeden dabei prüfend an. Klea wippte nervös mit ihrem Fuß auf und ab.
Mein Blick fiel auf sie und sie senkte ergeben den Kopf, bevor sie sprach. "Travor, mein kleiner Bruder, hatte gesagt, dass er in einem der Bibliotheksfenster eine schwarzhaarige Frau gesehen hatte, als er den Marktplatz überquerte. Sie war die Schönheit selbst, bemerkte er."
Klea blickte entschuldigend auf.
Schwarzhaarige Schönheit, dass konnte doch nur eine sein!
"Sicher, dass dein Bruder sich diese Schönheit nicht eingebildet hatte?", fragte ich zweifelnd.
"Er würde nie lügen. Er ist schwer krank und kann nur die Wahrheit sagen! Würde er lügen... ich wüsste nicht, welche Folgen die Mondgöttin für ihn bereit hielt."
Ich hatte von dieser Krankheit gehört, also muss er sie tatsächlich gesehen haben! Das bedeutet, dass Coleen hier in der Bibliothek war!
Panisch drehte ich mich zu dem Sessel um, auf den ich das Tagebuch liegen gelassen habe. Ich hatte gleich ein ungutes Gefühl dabei gehabt. Wieso hatte ich das Buch nicht eingepackt?! Ich bin keine guter Alpha!
An den Sesseln angekommen, liegt dort immer noch ein Buch und das Übersetzungsblatt obendrauf. Doch ich wusste, dass ich das Blatt in das Tagebuch gelegt hatte.
Ich schnappte das Buch und blickte hinein. Es war keineswegs das Buch des Königs! Es handelte sich um ein Märchenbuch.
Wütend knallte ich das Buch auf den Boden, sodass es einen lauten Knall von sich gab. Ich hörte erschrockenes Keuchen hinter mir und voller Zorn drehte ich mich um.
Ich fühlte mich wie unter Strom gesetzt und jeder Nerv und jede Sehne war bei mir bis zum zerreißen gespannt.
"Lasst sie uns finden", knurrte ich und alle anderen senkten ehrfürchtig den Kopf. Sie unterwarfen sich mir und würden mir folgen.
An dem Eingang entzündeten wir die Fackeln und betraten den Raum. Dieser war aus Lehm und Stein gebaut.
Zu sechst und zusätzlich mit den Fackeln füllten wir den Raum nur beinahe aus. Gegenüber des Einganges war eine Halterung an der Wand befestigt.
Martenz hängte dort seine Fackel hinein und zündete sich eine Neue an.
Im Fackelschein, der die sieben Lichtquellen aussendete, erspähte Susan einen Gang, der von dem Raum wegführte. Es gab also ein richtiges Tunnelsystem. Wahrscheinlich existierte dieses System durch den größten Teil des Waldes, aber das werden wir alles noch herausfinden.
Ich war der Erste, der den Tunnel betrat. Alle anderen folgten mir. Auf dem Boden war überall aufgewirbelter Staub zu finden. Coleen war also tatsächlich hier gewesen.
Meine Wut kochte noch immer heiß in meinen Venen und wir beschleunigten unsere Schritte.
Nach kurzer Zeit kamen wir bei einer Abbiegung an. Auf dem Boden lag eine benutzte Fackel. Leichter Rauch stieg von ihr empor, was bedeutete, dass sie vor kurzer Zeit ausgegangen war oder sogar gelöscht worden war.
Links aus dem Gang konnte ich leises knirschen von Kieselsteinen wahrnehmen. Niemand, außer mir, schien dies gehört zu haben, denn die anderen bestaunten die Gänge und das Muster der Steine, welches auf dem Fußboden zu sehen war. Also schlich ich mich mit meiner Fackel davon.
Als ich mir sicher war, dass die anderen mich weder sahen, noch hörten, richtete ich mich auf und folgte dem Gang. Ich hatte mir das Knirschen nicht eingebildet. Jemand war hier!
Der Geruch nach Moos und Waldnadeln war plötzlich wieder da. Der Duft beruhigte mich etwas und ich ging lauschend weiter.
Der nächsten Gabelung folgte ich nach rechts und den nächsten beiden nach links, da auch von dort der Geruch kam.
Zerrissene Spinnweben kreuzten meinen Weg, also war ich richtig.
Bei der nächsten Gabelung gab es gleich fünf weitere Gänge, die ins Dunkle führten. Ich drehte mich einmal um meine eigene Achse und langsam wurde mir klar, dass ich mich verlaufen hatte.
Meine Fackel flackerte kurz und beinahe hätte ich die dunkle Gestalt nicht gesehen. Im Augenwinkel erkannte ich, dass es eine Frau mit schwarzen Haaren war. Coleen!
Ich wirbelte herum und folgte ihr in den dunklen Gang. Immer wieder steigerte ich mein Tempo und joggte ihr hinterher, durch die Gänge. Noch schneller durfte ich nicht laufen, da sonst die Fackel ausgehen würde.
Aber ich hörte ihren Atem vor mir und der Duft nach Wald, ihr Geruch, benebelte mein Gehirn. Doch ich musste mich konzentrieren und blieb eisern hinter ihr.
Nach einiger Zeit der Verfolgung stand ich plötzlich wieder in der Bibliothek und ich musste meine Augen zusammenkneifen, da die Helligkeit wieder intensiver war.
Als meine Augen sich wieder an das Bibliothekslicht gewöhnt hatten, spürte ich Coleens Präsenz sehr nah. Sie hatte mich also von den anderen weg und hierher gelockt. Doch das Spiel konnten auch zwei spielen.
Über Mind-Link sagte ich zu Felix: >>Ich habe sie gefunden. Wir sind in der Bibliothek. Versucht leise herzukommen und wartet dann auf den richtigen Moment. Ich will sie zur Rede stellen.<<
Von Felix kam ein kurzes >>Okay<< und ich betrat vollends die Bibliothek.
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Ich hoffe es bleibt spannend.
Danke fürs lesen, Voten und kommentieren!
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