Kapitel 15 - Ein weißes Pferd
- Früher -
Charlie drehte sich erschrocken um.
Zwischen den Obstbäumen stand Garwin und starrte sie mit einer Mischung aus Schock und Ärger an.
Sie erhob sich mühsam und fuhr sich mit dem Handrücken über die verweinten Augen.
Mit bedrohlichen Schritten kam er auf sie zu. „Ist dir eigentlich klar, was du getan hast?", zischte er sie an.
Sie schluckte, doch bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Garwin wütend fort: „Du hast alles kaputt gemacht! Du hast die Zukunft geändert!" Er fluchte laut.
„Aber ich...", setzte Charlie leise an.
Als Garwin sah, dass sich erneut Tränen in ihren Augen sammelten, schluckte er die nächsten Worte verkrampft herunter.
Entmutigt fuhr er sich über das Gesicht.
„Ich wollte das doch nicht!", jammerte Charlie, die die Tränen nun nicht mehr zurück halten konnte, „Es ist einfach passiert, Garwin, ich.." Die letzten Worte gingen in ihrem Schluchzen unter.
Garwin seufzte schwer. Das wusste er doch. Charlie hatte nicht mit Absicht die Geschichte verändert.
Zaghaft nahm er das Mädchen in den Arm.
„Ich weiß, Charlie", sagte er leise, während er ihr beruhigend über den Rücken strich.
Sie schluchzte. „Es tut mir leid", rief sie mit bebender Stimme, „wirklich!"
Garwin zwang sich, einen kühlen Kopf zu bewahren, doch die Gedanken an die nun ungewisse Zukunft, ließ langsam Panik in ihm aufsteigen.
Er musste an Patrizia denken.
Was, wenn sie sich nie begegnen würden?
„Was zum Henker ist denn hier los?"
Jennys Stimme ließ Garwin und Charlie zusammenzucken.
Unsicher versuchte Jenny den Anblick, der sich ihr hier bot, einzuordnen: eine komplett verheulte Charlie und ein leicht panisch wirkender Garwin, die sich in den Armen lagen, war nicht das, was sie erwartet hatte.
Garwin öffne den Mund, doch Charlie schüttelte den Kopf. Es war ihr Fehler, sie musste Jenny erklären was los war.
Jenny fluchte laut, nachdem sie gehört hatte, was zwischen Charlie und Arman vorgefallen war. Und dann noch ein zweites mal, als Garwin erzählte, was sich zuvor am Flussufer zugetragen hatte.
„Puh, wir haben wohl echt verkackt", stellte sie resigniert fest. Dann schien ihr etwas einzufallen. Nachdenklich kniff sie die Augen zusammen.
„Vielleicht ist das aber alles gar nicht so schlimm", überlegte sie laut.
Fragend sah Garwin sie an. „Wie meinst du das?"
„Naja, vorhin, auf dem Weg hierher, habe ich Arman und Rosalie zusammen gesehen", erklärte sie eifrig.
Sie berichtete den anderen, dass Arman und Rosalie zusammengesessen hatten. Es war ihr komisch vorgekommen, wie unglücklich er ausgesehen hatte. Rosalie hatte seine Hand gehalten und ihm ernst zugehört.
„Vielleicht schafft sie es ja, ihn zu trösten. Ihr wisst schon wie", schloss Jenny und hob vielsagend eine Augenbraue.
Charlie zuckte bei diesen Worten schmerzhaft zusammen. Sie wollte gar nicht daran denken.
Aber Jenny hatte recht, vielleicht war das ihre Chance, den richtigen Lauf der Zeit wiederherzustellen!
- Jetzt -
Tarik lachte laut auf. „Echt jetzt? Mehr Klischee geht ja nicht."
„Aber es ist wahr!", rief Vivi verärgert. Dann sah sie zu Arman auf. „Liebe kann die Zeit überwinden, es ist also gar nicht ungewöhnlich, dass zwei verliebte Menschen fühlen können, was der andere fühlt."
Arman schwieg nachdenklich. Was hatte Charlie denn in der Vergangenheit erlebt, das sie so traurig werden ließ?
„Mann, das ist doch total unlogisch, Vivi!", warf Tarik ein, „Wie kann Arman bitte jetzt fühlen, was Charlie in der Vergangenheit fühlt? Das widerspricht doch allen Naturgesetzen."
Vivi funkelte ihn genervt an. „Liebe ist eine Macht und Macht hält sich an keine Naturgesetze!", fauchte sie.
„Bitte könnt ihr jetzt nicht streiten?", flehte Arman leise. Selbst wenn Violéta unrecht haben sollte, was auch immer es war, verursachte ihm Übelkeit. Und die beiden Zankhähne machten es nicht besser.
Tarik betrachtete seinen Freund besorgt. Er schwitzte leicht und es schien ihm wirklich nicht gut zu gehen, also schlug er eine Pause vor.
Dass Arman zustimmte, obwohl er es vorher so eilig gehabt hatte, bestätigte nur Tariks Befürchtungen.
Sie machten bei einer kleinen Waldquelle halt und Tarik füllte Armans Trinkflasche mit frischem, kalten Wasser.
Nach ein paar Schlucken schien es ihm besser zu gehen und er nahm sogar ein Stück von Vivis Elbenproviant an.
Nachdem sie ihre Mahlzeit schweigend verbracht hatten, unterbrach Tarik die Stille.
Ihm war plötzlich etwas eingefallen, an das er noch gar nicht gedacht hatte.
Er wollte Arman keinesfalls beunruhigen, doch die Frage machte ihn selbst nervös.
„Wieso haben wir hier und jetzt denn eigentlich keine ältere Version von Charlie, Garwin und Jenny getroffen?"
Arman horchte auf. Er bemerkte auch das leichte Zittern in Tariks Stimme.
Tarik hatte recht. Alwin hatte gesagt, sie könnten nicht viel weiter zurückgereist sein, als die Uhr gebaut wurde. Das konnten also höchstens 10 bis 15 Jahre sein.
War Charlie etwas Schlimmes zugestoßen?
„Ihr könnt euch nicht treffen."
Vivi hatte gemerkt, worauf die beiden Männer hinaus wollten und unterbrach ihre Gedanken, bevor sie in eine falsche Richtung abbogen.
„Ich versuche, es euch so einfach, wie möglich zu erklären: Es ist genauso, wie wenn zwei Wanderer gleich schnell denselben Weg entlang gehen. Der eine wird den anderen nie einholen."
Sie schielte traurig in Tariks Richtung.
„Es wird immer derselbe Zeitabstand zwischen euch sein."
Tarik hatte ihren Blick nicht bemerkt.
„Das ist doch total unlogisch!", rief er aus. „Wenn man die Quantentheorie beachtet, dann -"
„Was für eine Theorie auch immer", herrsche Violéta ihn an. „Du brauchst mit ‚unlogisch' gar nicht kommen. Du bist ein Magier. Was zum Henker könnte unlogischer sein, als Magie?"
Tarik schwieg beleidigt. „Woher willst du das denn überhaupt so genau wissen? Nicht mal Alwin kennt sich mit Zeitreisen aus", bohrte er schließlich nach.
„Meine Familie baut Uhren seit Jahrhunderten und das Wissen über die Zeit ist nicht eines, das man leichtfertig mit Fremden teilt."
Tarik lachte bitter. „Wieso erzählst du es dann uns?"
„Danke, dass du das mit uns geteilt hast", unterbrach ihn Arman.
Er fand Tariks Reaktion mehr als unfreundlich und dass Violeta Familiengeheimnisse mit ihnen teilte, empfand er als große Ehre.
Das bedeutete also, dass Charlie wahrscheinlich nichts passiert war.
Das beruhigte ihn etwas, auch wenn ihn Charlies Traurigkeit, die er gefühlt hatte, immer noch besorgte.
Sie müssten jetzt nur so schnell wie möglich diese verflixte Uhr bauen!
***
„Magst du mir jetzt vielleicht endlich sagen, was wir hier machen?", flüsterte Nils ungeduldig.
„Sch! Halt den Mund!", zischte ihn Milena an, „Du verdirbst sonst alles."
Nils verdrehte die Augen. Er hatte das Gefühl, sie und er wären ständig nur mit Sich-verstecken beschäftigt.
Sie hockten in einem Gebüsch aus meterhohen, blühenden Goldruten und starrten beide seit einer Ewigkeit auf eine leere Wiese, während sich die untergehende Sonne immer mehr dem Hügelkamm näherte.
Noch immer war nichts passiert und Milena starrte wortlos nach vorne über die Grashalme, die sich gleich Meereswellen im Abendwind bewegten.
Plötzlich jedoch glaubte er, im Gegenlicht der fast verschwundenen Sonne eine Silhouette zu erkennen.
„Ja!", hauchte Milena erfreut.
Nils kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, was sich da jetzt langsam über die Wiese bewegte.
Ein Pferd?
Tatsächlich, ein weißes Pferd trabte bedächtig durch das Gras.
Irgendetwas daran kam ihm komisch vor, bis er erkannte, dass das Tier von einem sanft leuchtenden Schimmer umgeben war.
Seltsam..
„Komm schon!", flüsterte Milena ungeduldig.
Besorgt sah Nils Milena an. Was hatte sie denn vor?
Sie beobachteten das Pferd, wie es kurz die Ohren spitzte und dann den Kopf senkte, um an den Wiesenblumen zu knabbern.
Ruckartig hob Milena ihre Armbrust hoch.
Nils erschrak.
Sie wollte doch nicht etwa...
Geistesgegenwärtig schlug Nils auf Milenas Arm.
Mit einem erstickten Schrei ließ sie die Waffe fallen.
„Bist du irre?", knurrte Milena ihn an und sah verärgert auf die Wiese.
Aufmerksam hob das Pferd den Kopf. Es hatte sie gehört.
Zögerlich wich es ein paar Schritte zurück.
Doch Nils bekam davon nichts mit.
„Du bist doch die Irre hier!", schrie er sie an. „Wolltest du das Pferd erschießen?"
Das weiße Tier starrte nun wachsam in ihre Richtung.
„Das ist die einfachste Lösung", sagte Milena nur knapp.
„Und jetzt aus dem Weg!", herrschte sie ihn an und griff wieder nach der Armbrust.
„Du kannst doch kein Tier töten!"
Nils war aufgesprungen. Zum ersten mal hatte er den Mut gefunden, Milena die Stirn zu bieten.
„Nicht wenn ich es verhindern kann!"
Er brach aus dem Gebüsch heraus und rannte auf das weiße Pferd zu.
***
So, irgendwie hat das Kapitel diesmal von allem was, Drama, lange Gespräche, Action... was jetzt nicht heißt, dass ich zufrieden bin damit, haha! Und mit dem Titel schon gar nicht (-_-)
Nächstes Kapitel wird es nochmal dramatisch ;-)
Stay tuned!
Wenn dir wieder gefallen hat, was du gelesen hast, würde ich mich freuen, wenn du für dieses Kapitel ein Sternchen vergibst oder einen Kommentar hinterlässt <3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro