Kapitel 5 《Walking in my shoes》Eliza
Als ich später aufwachte hörte ich, wie eine Person etwas lauter sprach. Verwirrt richtete ich mich auf, streckte meine Arme und stand langsam auf. Fynn war schon wach, denn er lag nicht mehr auf seiner Matratze. Außerdem gehörte ihm die Stimme die sich gerade über irgendwas aufregte. Meine Verwirrung wuchs, als ich realisierte, dass er mit jemand anderes sprechen musste.
„Beruhig dich doch mal!", rief die unbekannte Person. Ihre Stimme hatte ich schon einmal gehört, nur wann und wo...?
Ich blieb stehen und lauschte weiter dem Gespräch zu.
„Du hast mich alleine gelassen." Fynns Stimme war tatsächlich leiser geworden, allerdings konnte man sehr gut hören, dass er zutiefst verletzt war. „Ich war nicht der einzige! Was ist mit-"
„Sie hatten ihren Grund! Sie hatten sich zerstritten, kamen nicht mehr mit sich selber klar und brauchten Zeit für sich! Und das weißt du genau! Du hast die Biege gemacht, als es Nacht war! Du hast dich diesen Bas-"
„Sie hatten ihren Grund?! Verdammt, Fynn! Wir beide wissen genauso viel von ihrem beschissenen Grund wie jedes Neugeborene von der Relativitätstheorie! Haben sie sich jemals nochmal bei uns gemeldet? Sind sie jemals wieder hierher zurückgekehrt? Haben sie dir jemals die Wahrheit über ihren mysteriösen und ach so dramatischen Grund erzählt? Die Antwort ist nein! Zum Teufel! Er hat sich doch nicht mal nach uns umgehört, nach uns gesucht, als er seine Gruppe geformt hatte! Und jetzt willst du mir die Leviten vorlesen, weil ich verzweifelt war, Angst hatte und obwohl es mir dort recht gut ging, wieder zurück gekommen bin?"
Plötzlich war es ganz still. Abgesehen von der schnellen Atmung des Unbekannten kam nichts mehr aus dem Raum.
Dann raschelte es und ein Reißverschluss wurde zugezogen. „Ich geh' wieder", sagte der Unbekannte nun ruhig. Auf einmal fiel mir wieder ein, von wo ich die Stimme kannte! Sie gehörte dem Jungen, der sich von den Adlern getrennt hatte!
Das verwirrte mich noch mehr; wieso war er hier und was hatte er mit Fynn zu tun? War es womöglich bei ihm doch nicht so sicher, wie ich gedacht hatte?
„Warte!" Fynn schien dem Jungen zu folgen, denn seine Stimme entfernte sich und ich konnte seine Schritte auf dem dreckigen und alten Parkett hören. „Nein, es ist schon okay. Ich komme alleine klar. Und wenn nicht, dann-" Er seufzte hörbar und ziemlich angefressen. „Ich schaffe das." Das klang eher beleidigt und gekränkt als zuversichtlich und ehrlich.
„Dann geh doch! Aber hast du wirklich gedacht, dass ich dich mit offenen Armen empfange, dir einfach so verzeihe, ohne dich für dein Abhauen zur Rede zu stellen?", rief Fynn noch. Weitere Schritte. Sie näherten sich und mussten dem Freund von meinem blonden Gastfreund gehören. Zumindest sprach er leise aber mit Nachdruck: „Zugegeben, ja, wenn auch nicht ganz. Ich hab gehofft, dass sich wenigstens noch einer um mich sorgt. Aber das bin ich ja schon von ‚diesen Bastarden' gewöhnt. Das war es doch, wie du sie eben nennen wolltest oder nicht?"
Ein Schauer lief mir über den Rücken, so verletzt und wütend klang die Stimme.
Fynn schien die Tonlage des anderen Jungen ziemlich mitzunehmen, denn ich hörte ein Schluchzen, und der musste definitiv von ihm gewesen sein.
Es knallte laut. Der fremde Junge hatte die Tür wohl heftig ins Schloss geworfen.
Ich hörte, wie Fynn sich gegen die Tür, die zwischen uns war, anlehnte und auf den Boden fallen ließ. Er schluchzte ein paar Mal, schniefte und stöhnte leise.
Es tat mir leid ihn so verletzt zu hören, jedoch wusste ich nicht ganz, was ich tun sollte. Ich wartete ein oder zwei Sekunden, doch Fynn blieb vor der Türe sitzen.
Ich griff nach der Türklinke und beschloss, keine Unwissenheit vorzutäuschen. Vielleicht konnte ich ihm helfen und dabei etwas mehr über ihn erfahren.
Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten und öffnete sie einen Spalt, um Fynn nicht gleich zu erschrecken und dass er nicht hinfiel.
Er sah zu mir hoch, Tränen hatten sich in den Augen des Blonden gesammelt. „Du hast alles mitbekommen oder?", fragte er traurig lächelnd. „Nicht alles", antwortete ich. „Bloß das Ende." Ich trat durch die Tür und setzte mich neben Fynn. „Das war Linus", begann jener zu erzählen. „Er kam und wollte sich wieder mit mir vertragen. Du musst wissen, dass es vor beinah zwei Jahren zu einem heftigen Streit zwischen Aidan und Tristan kam. Beide sind weggegangen, haben uns aber nicht wirklich aufgeklärt. Die Ursache wegen des Streites kannten sowohl Linus als auch ich nicht. Wir waren völlig ratlos und dachten, dass wir sie irgendwie dazu bringen könnten, sich zu vertragen. Das hat allein deswegen schon nicht geklappt, weil sie uns nicht erzählen wollten, was ihr Problem eigentlich ist. Es kam wie es kommen musste und Linus verschwand ein paar Monate später, in einer Nacht und Nebel Aktion. Er hatte nur einen Zettel zurück gelassen. Ein paar Vorräte hatte er mitgenommen. Später hab ich ihn mit einigen Adlern gesehen. Das war der Moment, wo ich endgültig mit ihm abgeschlossen hatte. Und bei Aidan und Tristan habe ich einfach irgendwann die Hoffnung aufgegeben, dass sie je zurückkehren werden. Aidan hat seine eigene kleine Gruppe gegründet und von Tristan habe ich nichts mehr gehört und gesehen." Fynn sah auf seine Hände. Er hatte aufgehört zu weinen, worüber ich ganz froh war.
„Was wollte Linus denn?", fragte ich. „Er meinte, dass er froh wäre, mich zu sehen und erzählte mir, wie sehr er mich vermisst hätte. Und dann meinte er, dass er wieder bei mir bleiben möchte. Aber er kann mir gestohlen bleiben." Ächzend stand der Blonde auf. Ich tat es ihm gleich.
„Hm, ich glaube, ich bin Linus gestern begegnet", gestand ich ihm. Mit ungläubigen Gesichtsausdruck wurde ich angeschaut. Ich erzählte davon, wie ich in den einen Typen reingerannt bin, wie sie mir meine Sachen klauen wollten und wie mich Linus "gerettet" hat. Als ich fertig war, blieb Fynn erstmal stumm.
„Ich vermute es zumindest", sagte ich nach einer Weile. „Seine Stimme kam mir sofort bekannt vor und die Tatsache, dass er anscheinend bei den Adlern war, stärkt meine Vermutung." Langsam nickte Fynn, und er starrte in die Ecke des Raumes. Scheinbar dachte er nach. Irgendwann schüttelte er leicht mit dem Kopf und meinte, dass das zwar ganz schön und gut wäre, es aber nichts an der Tatsache änderte, dass er ihn im Stich gelassen hatte. „Ja, schon, aber willst du wirklich die ganze Zeit ihm die kalte Schulter zeigen? Schließlich ist er wieder sofort zu dir gegangen", versuchte ich auf ihn einzureden. Dass er enttäuscht und verletzt von Linus war, kann ich verstehen, aber er darf nicht vergessen, dass er scheinbar der einzige seiner damaligen Freunde ist, der zurückkam. Es handelte diesem Linus auch nicht viele Sympathiepunkte ein, sich einfach so aus dem Staub zu machen und den Adlern anzuschließen, aber jeder tut doch zumindest einmal im Leben etwas Dummes, was man am Ende bereut oder nicht? Wer weiß, vielleicht hatte auch Linus seine Gründe?
Ich versuchte Fynn damit zu überzeugen, Linus eine zweite Chance zu geben, doch er wurde nur wütend: „Du kennst ihn nicht mal! Wieso verteidigst du ihn? Er gehörte zu der Gruppe, die deine Eltern entführt hat! Diese Leute sind skrupellos, sie haben kein Gewissen und zögern nicht, was Morden angeht!"
„Du sagst es! Er gehörte zu ihnen! Wenn sie ihm über den Weg laufen, werden sie ihn wohl nicht freundlich begrüßen und fröhlich über die gemeinsam verbrachte Zeit quatschen! Er lebt in Gefahr!" Fynn blieb stumm und sah wieder nachdenklich in die eine Ecke.
„Du möchtest doch auch nur wieder mit deinen Freunden vereint sein oder nicht?", sagte ich ruhig. „Das wird nie passieren. Aidan und Tristan werden sich wohl nie vertragen und ich habe Linus' Ego sehr verletzt", entgegnete der Blonde leise. Seiner Stimme nach zu urteilen, schien er es langsam zu bereuen, Linus so angefahren zu haben.
„Vielleicht doch?" Aufmunternd lächelte ich ihn an. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine Eltern noch lebten, waren quasi bei null, hingegen die einer Vereinigung der vier Freunde nicht allzu schlecht war. Er sollte eigentlich größere Hoffnung hegen als ich.
Doch Fynn war weiterhin der Meinung, dass es nicht zu einer Vereinigung kommen würde: „Träumen kann man nachts. Selbst wenn ich mich bei Linus entschuldigen würde, wäre da noch die Tatsache, dass wir beide keine Ahnung haben, wo Aidan und Tristan sind." Schulterzuckend drehte er sich zum einzigen Fenster dieser Bruchbude und blickte hinaus. „Was für eine Gruppe hat denn der eine gegründet?", fragte ich nun. Mit etwas Glück könnten wir zumindest diesen dann aufspüren.
Ungläubig sah mich Fynn an. „Du willst sie doch nicht wirklich suchen gehen oder?" Ich lächelte bloß, was ihm wohl als Antwort reichte. Er seufzte und fasste sich an die Stirn. „Warum willst du mir überhaupt helfen? Wir kennen uns seit vielleicht vierundzwanzig Stunden." Er hatte mich gerettet und in diesen Zeiten kann jeder Hilfe brauchen. „Ich helfe, wo ich kann und außerdem hast du mich gerettet", antwortete ich ihm. Er grummelte etwas, meinte dann aber, dass man es ja zumindest versuchen könnte. „Na also!", grinste ich, „Dann sag doch mal, wie diese Gruppe heißt!" „Blizzard's Fury". Vielleicht kennst du sie nicht. So lang ist's nämlich noch nicht her, dass er sich und seinen neuen Freunden einen Namen gegeben hat." Ich nickte. Von dieser Gruppe hatte ich tatsächlich noch nie etwas gehört. Scheinen dann wohl nicht allzu viel anzustellen.
„Weißt du denn, wo die ihre Base haben?", fragte ich weiter. Fynn schüttelte den Kopf. „Nein." Enttäuscht seufzte ich, da fügte er was hinzu: „Also, nicht wirklich."
„Ja, was denn jetzt?"
„Ich sehe Aidan manchmal in der Nähe des Bootshauses, aber dort wäre niemals Platz für alle von ihnen", erklärte er mir. Nachdenklich nickte ich. Weshalb sollte er dort wieder zurückgehen, wenn das nicht sein Hauptquartier war? Vielleicht, weil es sich in der Nähe befand? Ich fragte Fynn, ob irgendwelche großen Gebäude in der Nähe dieses Hafens wären, doch er verneinte. ,,Seine Gruppe ist zwar nicht wirklich groß, aber alle Häuser, die für die Anzahl an Personen reichen würden, sind viel zu weit von dem Hafen entfernt."
Wir setzten uns an den kleinen Tisch hin und überlegten weiterhin, wo denn dieser Aidan sein könnte. Währenddessen fragte ich mich, wie wohl seine Gruppe so ist.
Irgendwann wurde es Fynn zu viel und er stand auf. Er raufte sich die Haare und stöhnte: „Ach, verdammt! Wie sollen wir Tristan bitte finden, wenn wir es nicht einmal schaffen, Aidan zu finden?" Ich sah ihm mitleidig zu. Er musste sich schrecklich fühlen. „Wir müssen jeder Spur folgen, nur so kommen wir weiter", versuchte ich ihn aufzumuntern. „Das ist ein wenig so, wie früher, wo man Detektiv gespielt hat." Ich musste lächeln, als ich daran dachte, wie gerne ich mit meinen Freunden so getan habe, als würden wir Fälle lösen.
Fynn schnaubte verächtlich. „Ein Detektiv hat eine ganze Datenbank zur Verfügung! Wir haben nichts."
„Na ja... Manchmal hat er sogar noch weniger als wir. Wir haben den Namen von ihm, den Namen seiner Gruppe und einen Aufenthaltsort, den er hin und wieder mal besucht. Ist doch schonmal was", entgegnete ich. So formuliert, klang das ganze nach sogar relativ viel.
„Um welche Uhrzeit kommt Aidan denn meistens an das Hausboot? Vielleicht können wir ihn abfangen?"
„Eher nachts. Er bleibt auch nie wirklich lange dort, weshalb ich ihn auch unfassbar selten dort sehe", gab er mir als Antwort zurück und setzte sich wieder an den Tisch.
„Okay, dann sollten wir einfach eine Weile dort bleiben", schlug ich vor. „Und was", fragte Fynn unsicher, „wenn Linus wiederkommt?" Ich biss mir auf die Lippe. An ihn hatte ich nicht mehr gedacht. Aber nach dem, was Fynn zu ihm gesagt hatte, würde es mich nicht wundern, wenn Linus vorerst gar nicht mehr hier aufkreuzen würde.
„Ist eher unwahrscheinlich, aber wir müssen das Risiko eingehen." Zustimmend nickte Fynn. „Also sind wir uns einig?", versicherte ich mich nochmal. „Wir machen uns die nächsten Tage auf dem Weg zum Hausboot und warten dort?" Erneut nickte Fynn. „So werden wir es wohl machen müssen...", seufzte er. Sein Blick blieb auf mir heften. Es war viel eher ein Mustern. Ich quittierte es mit einem zufriedenen Lächeln. Wir werden sie schon finden!
---------------------------------------------------
"Walking in my shoes" ist eines meiner Lieblingslieder von Depeche Mode. :D
Ich mag so einige Lieder dieser Band.
Was hört ihr eigentlich so? ^^
LG LMS
Aktuelle Version vom: 14. August 2021
Erstveröffentlichung: 28. Dezember 2021
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro