Kapitel 20 《21 Guns》 Eliza
„Sind wir uns sicher, dass wir losgehen?", hinterfragte Linus nochmal.
Aidan war gestern nicht mehr zurückgekommen. Wir waren bereit aufzubrechen, zumindest waren das Fynn und ich. Linus hatte auf einmal Zweifel, dabei war er derjenige gewesen, der Fynn von dem Plan überzeugt hat. Jetzt waren die Rollen vertauscht.
„Aidan wird schlau genug sein, um zu wissen, dass wir bei seinen Kumpels sind." Fynn war immer noch angefressen. Er würde es wahrscheinlich nicht zugeben, aber seine Körpersprache verriet ihn und auch die Art, wie er sich ausdrückte. Er klang ziemlich harsch. Auch jetzt, als er uns aufforderte, endlich die Wohnung zu verlassen und aufzubrechen.
Wir gingen definitiv nicht denselben Weg zurück, den wir genommen hatten, um herzukommen, und Linus bemerkte das auch, aber wir beide trauten uns nicht, Fynn das zu sagen. Am Ende kamen wir wieder bei dem Haus der Geschwister aus Aidans Gruppe an, was ja das Ziel war.
„Was sagen wir eigentlich?", fragte Linus, als wir in die Straße einbogen. „Ich meine, wir können nicht einfach da rein gehen und sagen ‚Hey, Aidan ist einfach verschwunden. Sowas Blödes aber auch!'" Fynn verrollte die Augen. „Natürlich nicht, du Dummkopf! Wir sagen ihnen einfach, was passiert ist. Da Tristan nicht in der Wohnung war, haben wir uns aufgeteilt und Aidan kam abends nicht mehr zurück, weshalb wir die Nacht dort verbracht haben und erst heute wiederkamen." Linus grummelte nur.
Mira war im Garten und hockte, mit ihrem Rücken zu uns gekehrt, vor einem kleinen Blumenbeet. Sie hatte sich sofort zu uns umgedreht, als Fynn das Gartentor öffnete. „Ihr habt mich erschrocken!", sagte sie. „Hey, wo ist Aidan?" Sie musterte uns mit ihren blau-braunen Augen und klemmte sich ihre blonden Haare wieder hinter die Ohren. Sie mussten sich wohl aus ihrem Zopf gelöst haben, als sie sich die Blumen angeguckt hat.
„Wir hatten uns aufgeteilt, um nach Tristan zu suchen und Aidan kam abends nicht wieder", erklärte ich ihr. Die beiden Jungs haben mir ein bisschen zu lange gebraucht zu antworten. Mira nickte, wirkte aber nicht verwundert, sondern eher so, als hätte sie damit gerechnet. „Ja, das sieht ihm ähnlich."
Es war still, Fynn nickte langsam und sah sich um, Linus kratzte sich am Kopf und Mira sah von sich runter und dann wieder hoch. „Bist du oft im Garten?", fragte ich sie, damit die unangenehme Stille nicht Überhand gewann.
„Hm? Äh, ja, ich versuche mich zumindest am Gärtnern", antwortete sie und zog die Ärmel ihres Pullis über ihre Hände. „Cool!"
Fynn zog geräuschvoll etwas Luft ein. Er hätte auch einfach was sagen können, wenn er unsere Aufmerksamkeit haben wollte. „Ich müsste mit Eliza und Linus alleine reden", meinte er dann, an Mira gewandt, „wo könnte ich das am besten machen?"
„Oh, klar. Sorry! Am besten geht ihr dafür auf den Dachboden, Aidan scheint ja nicht da zu sein. Ansonsten könnt ihr auch ruhig in mein Zimmer gehen, ich bleibe noch im Garten."
Fynn bedankte sich bei Mira und wir gingen hoch auf den Dachboden. Auch hier musste jemand schlafen, denn zwischen dem grob organisierten Gerümpel stand ein bezogenes Klappbett, auf welchem das Bettzeug völlig zerknäult lag. Vermutlich Aidan, sonst hätte Mira ihn nicht erwähnt.
Linus ließ sich sofort auf einen der vielen Sitzsäcke fallen und lehnte sich zurück. Fynn und ich schoben uns zwei Sitzsäcke in seine Nähe. Fynn öffnete seinen Rucksack und holte das Tagebuch heraus. „Ich glaube, es wird an der Zeit, dass wir das hier lesen."
Mir war noch immer nicht ganz wohl bei dem Gedanken.
Das Geschriebene wird sehr persönlich sein und das zu lesen, ohne die Einverständnis von Alex, macht das ganze nur schlimmer.
Fynn begann allerdings schon vorzulesen: „ ‚ Montag, der 11.3.2013.' Wow, ist das schon lange her! Wie alt waren wir da noch mal?" Linus stieß Luft aus. „Keine Ahnung, elf oder zwölf, irgendwie sowas." Fynn murmelte ein „Krass" vor sich hin, bevor er weiterlas: „ ‚Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wie man sowas beginnt. Ich bin keine 11 mehr, wo man noch mit „Liebes Tagebuch" anfängt. Tagebuch klingt sowieso viel zu kitschig, aber wem mache ich was vor? Ich werde verdammt viel Kitsch hier reinschreiben. So funktioniert das doch, wenn man seine Erlebnisse vom Tag jemanden anvertrauen will, man aber sich nicht traut mit jemanden darüber zu reden, oder?
Zumindest hab ich das Gefühl, dass man sowas dann macht und deshalb hab ich hiermit angefangen.'"
Oh Gott, das wird wirklich persönlich...
Fynn brabbelte einige Worte und seine Augen flitzten über den Rest der Seite. Er überflog wohl nur das Geschriebene. Nach kurzer Zeit las er weiter: „ ‚Ob ich Kinder haben werde? Ich mein, Kinder sind laut und anstrengend und ehrlich gesagt weiß ich gar nicht warum Leute Kinder wollen. Aber viele haben später Kinder, oder?' War er nicht 16, als er das geschrieben hat? Ich denke ja nicht mal jetzt daran, irgendwann Kinder zu haben." Mein Mund war schneller als mein Kopf: „Du benimmst dich ja auch selber noch wie eins." Linus begann zu lachen. „Du bist noch schlimmer", richtete ich mich, nun ebenfalls lachend, an ihn. Linus grinste, zuckte mit den Schultern und schien es locker zu nehmen.
Fynn fuhr schnell mit Vorlesen fort: „ ‚Ich glaube, ich werde keine haben. Ich mag Jungs und nur Jungs, da ist das mit den Kindern etwas schwerer. Kann ich überhaupt dann Kinder adoptieren? Die ganze Sache ist schon irgendwie beängstigend. Warum hassen Leute Schwule? Ich hasse die doch auch nicht, nur weil die nicht schwul oder lesbisch sind. Auf dem Schulhof ist das echt anstrengend, ständig was zu hören. Ich wünschte, sie würden aufhören. Es bringt nicht viel, wenn ich was sage, aber mich nervt es einfach nur noch.'" Ich warf Fynn sofort einen Blick á la „Hab ich dir doch gesagt" zu. Der Blondschopf hatte meine Worte wohl noch im Kopf, denn er wirkte etwas kleiner, aber er sagte nichts dazu.
„Ja, war keine tolle Zeit für ihn und alle anderen, die schwul oder lesbisch sind", seufzte Linus. Fynn presste die Lippen aufeinander und nickte lediglich.
„Oh, er erwähnt seinen Freund: ‚Eric versucht mich immer abzulenken, aber das klappt nicht so gut. Seine Witze sind miserabel, aber er hilft mir genug, indem er mir einfach zuhört und neben mir ist. Ich mag ihn wirklich sehr und ich glaube, er mag mich genauso. Er hat schon mal gesagt, dass er auch denkt, nicht wirklich hetero zu sein, was ihn ziemlich zu beschäftigen scheint. Ich hab ihm schon oft gesagt, dass er sich damit Zeit lassen soll und dass ich selber manchmal immer noch Probleme damit habe, zu wissen, dass ich nicht „normal" bin, aber ich glaube, ich bin genauso schlecht wie er, was Aufmuntern angeht.' Da waren sie anscheinend noch gar nicht zusammen. ‚Erst gestern hatte er wieder so ein Tief, was mich auch direkt mitgezogen hat. Sobald es ihm schlecht geht, geht es mir auch schlecht. Ich finde es bemerkenswert, wie er sich negative Gefühle in der Schule kaum oder gar nicht anmerken lässt, das könnte ich nicht. Dafür bin ich ein viel zu großer Hitzkopf.' Oh Gott, ja, er hat eigentlich immer mit irgendwem diskutiert."
Linus nickte. „Aber er hat dadurch auch einiges bewegt, das darfst du nicht vergessen." Fynn brummte und las weiter: „Das ist einige Monate später: ‚Eric war wütend, aber ich finde es nur halb so schlimm. Es gibt Schlimmeres als Nachsitzen. Meine Mutter und mein Vater waren zwar auch nicht gerade glücklich, aber sie verstehen mich. Ich bin es einfach leid. Die sagen immer wieder dasselbe und hören einfach nicht auf, irgendwann muss was passieren. Selbst Eric kann mich da nicht von abhalten.'"
„Was ist passiert?", fragte ich sofort.
„Er muss wohl sich mit irgendwem geschlagen haben oder so", antwortete Fynn, ehe er weiterlas: „‚Es ist schade, dass wir uns nur in den Pausen sehen können. Ohne ihn ist es so seltsam leer neben mir, auch wenn meistens wer neben mir sitzt. Nur die fänden es wahrscheinlich eher weniger nice, wenn ich mich an sie lehne. Wir haben ja zum Glück noch die ganzen Nachmittage für uns.' Da mussten sie schon zusammen gewesen sein." Er blätterte durch die Seiten und war im Begriff uns einen weiteren Eintrag vorzulesen, da hörten wir von weiter unten einen lauten Knall, als hätte jemand eine Tür gewaltvoll zugeschlagen.
Wir sahen uns an. Wer war das?
Jetzt ein Hämmern.
Linus stand auf und ging zur Luke. In dem Moment öffnete sich eben diese und Mira teilte uns mit, dass Aidan wieder da sei.
„Er kam schon so wütend an, aber ich glaube, ich hab seine Stimmung nicht damit verbessert, ihm zu sagen, dass ihr auf dem Dachboden seid. Er schläft dort nämlich, aber eigentlich ist er sonst selten dort", erklärte uns das blonde Mädchen, während wir die steile Treppe, die schon fast einer Leiter ähnelte, hinabstiegen. „Er ist in Jonas Zimmer gestürmt." Sie zeigte auf eine der Türen in der zweiten Etage. Fynn war der erste an der Tür und klopfte. Aidan klopfte auch, aber nicht an der Tür. Fynn versuchte gegen den Lärm zu sprechen: „Aidan?"
Das Klopfen hörte auf. Fynn versuchte die Tür zu öffnen, aber sie war abgeschlossen. „Aidan!", rief Fynn erneut. „Verdammte scheiße, lasst mich doch alle einfach allein!", donnerte es aus dem Raum.
Ich ging näher an die Tür und versuchte mein Glück: „Was ist los?"
„'N Dreck ist los!", kam es nur zurück. Seine Stimme überschlug sich. Ratlos sahen wir zu Mira, doch sie war genauso schlau wie wir, was den Jungen hinter der Tür anging.
Fynn räusperte sich. „Wie geht's dir?"
Fassungslos starrten Mira und ich Fynn an. Linus biss sich auf einen Finger. „Ist das dein Ernst?", fragte er den Blonden leise.
Aidan sprang auf die Frage an: „Wie soll's mir bitte gehen? Ich bin ein Arsch! Großartig geht's mir! Ich fühle mich wunderbar, wenn ich daran denke, wie beschissen taktlos, gefühlskalt und egoistisch ich mich in den letzten Jahren verhalten habe! Mir geht's blendend! Alles super! Und bei euch so?"
Je mehr er sprach, desto lauter wurde er und desto brüchiger wurde seine Stimme. Wenn er so weiter machte, dann ist er gleich heiser oder kann gar nicht mehr reden.
Er schluchzte. Leise, aber wir konnten es dennoch hören. Überfordert sah Fynn zu mir. Wenn er dachte, dass ich wüsste, was zu tun ist, dann hatte er sich geirrt. Ich bin nicht weinende Menschen gewohnt.
„Möchtest du reden?", fragte Fynn. Er schien zu improvisieren, aber diese Frage war tausendmal besser, als „Wie geht's dir?"
Es ruckelte im Schlüsselloch und die Tür ging auf. Vor uns stand Aidan, aber er sah überhaupt nicht gut aus. Er war völlig verheult; seine Augen waren rot, genauso wie sein ganzes Gesicht. In den paar Tagen, die wir uns schon kannten, hatte ich seine Haare noch nie so durcheinander gesehen wie jetzt und auch seine gesenkten Schultern und in sich gekehrte Körperhaltung zeugten gar nicht von dem Aidan, den ich noch vor kurzem kennengelernt hatte.
„Wo ist das Tagebuch?"
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Sagt man noch frohes neues Jahr...?
Ach, egal... Frohes Neues! :D
Nun, wie ihr seht, ist dieses Kapitel recht kurz, aber hey, dafür ist Kapitel 22 länger.
Kapitel 21 muss ich noch fertig schreiben... 'xD
Wenn alles gut geht, kommt das im Februar, aber versprechen werde ich nichts.
Ansonsten: Ich werde wie letztes Jahr versuchen, mindestens jeden zweiten Monat ein Kapitel zu veröffentlichen. :D
Wir sehen uns also spätestens im März wieder. ^^
Ah, und noch was: Am 19. Januar (also am dreijährigen Jubiläum dieser Story) werde ich den ersten Teil der Funfact/Krimskrams Sammlung über diese Story hochladen. Es handelt sich um die "Kurzgeschichte", auf die diese Story basiert. :)
Also, entweder bis zum 19. oder bis spätestens März! :D
- LMS
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