2. Kapitel - Die Anderen
Ich wachte in der Früh auf, weil mein Wecker klingelte. Ich war hundemüde und tastete nach meinem Handy. Aus irgendeinem Grund fand meine Hand mein Nachtkasterl nicht und ich musste die Augen öffnen.
Ich sah mich um und merkte, dass ich nicht zuhause war. "Die Anstalt" ,stöhnte ich und schlug mir die Hand vors Gesicht. "Ja, du Genie. Und wenn du so freundlich wärst den verdammten Wecker auszuschalten, damit ich meine letzte halbe Stunde vor der Schule genießen kann." Eine verschlafene Stimme tönte aus dem Bett neben. "Schule?" ,fragte ich entsetzt. Marion setzte sich jetzt auch auf und strich sie zerzauste Strähnen aus ihrem Gesicht. "Ja, hast du gedacht wir sitzen hier herum und drehen Däumchen? Wilkommen in der Realität. Und kannst du jetzt bitte diesen Wecker abschalten?"
Marion war um einiges freundlicher, als sie vollkommen wach war (was noch eine Weile dauerte). Sie überlies mir sehr großzügig das Bad und kramte derweil Anziehsachen aus ihrem Schrank. Es war ein winziger Raum, den ich gestern Abend übersehen hatte. Dusche, Waschbecken und Klo, und ein kleiner Handtuchhalter. Ich hatte wirklich keine Schule erwartet, eher, ich weiß nicht, Therapien? (Insgeheim hatte ich gehofft Schule hier loszuwerden). Marion hatte sich inzwischen auch schon angezogen. Sie trug ein dunkelblaues Top mit irgendeiner Kette und zwei paar Ohrringe. Dazu noch Shorts und Flip-Flops. Ihre blonden Haare trug sie in einem Pferdeschwanz. Sie war kleiner als ich, aber nicht zierlich, sondern hatte breite Schultern und Hüften. "Ich mag deine Haarfarbe" ,sagte sie unvermittelt. "Ist das gefärbt?"
"Äh, nein, natürlich" ,antwortete ich. Sie nickte und fuhr dann fort: "Ich nehme einmal an du gehörst zu den 'kränkeren' Personen." Sie malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. "Sonst wärst du wohl kaum bei mir einquartiert worden."
"Wieso denn nicht?"
"Weil ich verrückt bin. Zumindest verrückter, als die anderen. Well then, Florica, ich stell dir die ebenso verrückte Gang vor. Auch bekannt, als meine Freunde."
Mir kam Marion tatsächlich ein wenig verrückt vor, allerdings war jeder mit seinen Freunden manchmal komisch drauf. Also lächelte ich und folgte ihr hinaus auf den Gang.
"Du brauchst dich nicht vor Leona fürchten. Sie ist eigentlich sehr nett." "Wieso sollte ich mich vor ihr fürchten?"
"Naja, sie mag Messer sehr gern, und manchmal ist sie aufbrausend..."
Ich blieb überrascht stehen. "Was meinst du mit 'Sie mag Messer sehr gern'? Und kannst du von vorne anfangen, wenn du mir Sachen erklärst?"
Marion blieb auch stehen und schaute mich entschuldigend an. "Natürlich, sorry. Ich bin in der ARF, weil..." "ARF?" ,fragte ich. "Anstalt für Realitätsverlust und Fantasieerscheinungen" ,erklärte sie rasch. "Ich bin hier, weil ich sehr viel lese und träume. Und Geschichten schreibe. Ich bin einer von den schwierigen Fällen. Und man ist ein schwieriger Fall, wenn man mehr getan hat, als im Unterricht verträumt dreinzuschauen, oder ein Buch zu erwähnen."
"Dann bin ich wohl einer von den schwierigen Fällen" ,gab ich zu. "Du kannst nachher den anderen Problemkindern und mir erklären wieso, also wenns dir nichts ausmacht. Und wir können dir erklären wie es hier läuft." Sie lächelte und ging weiter. "Und Leo mag einfach Messer."
Leona mochte tatsächlich Messer (Zumindest vermutete ich dass sie es war). Sie hatte ein großes Küchenmesser in der Hand seufzte ungeduldig, als wir endlich kamen. "Meine Fresse, Marion. Am besten brauchst du nächstes Mal noch länger." Leona trug knielange Hosen in Tarnfarben, auf jeder Seite schienen mindestens drei Taschen angenäht zu sein. Lange blonde Haaren fielen auf ein schwarzes T-Shirt mit silbernem Eulenaufdruck. Ihre Haare waren an den Spitzen ausgedunkelt und hellbraun, außerdem waren sie irgendwie puffig. Sommersprossen bedeckten ihr Gesicht und sie hatte eine hohe Stirn und mittelblaue Augen.
"Chill Leo. Alles gut, also holen wir uns was zu essen?" ,antwortete diese und schaute in die Runde.
'Die Runde' bestand aus ihr, einem ungeduldigen Mädchen mit Messer, einem anderen Mädchen mit unordentlichem geflochtenen Zopf, welches mich anlächelte und einem Jungen mit langen Haaren, die in seinem Nacken zu einem Zopf gebunden waren. Ach ja, und mir.
"Die anderen beiden sind übrigens Hannes und Cloud" ,erklärte Marion stellte sich bei der Essensverteilung an. "Eigentlich heiße ich Claudia, aber alle nennen mich Cloud" ,meinte sie. Sie trug ein graues T-Shirt und schwarze Shorts. Cloud war blass und ihre Augen hatten einen blau-grün Stich.
Hannes war ein wenig größer als ich (allerdings kleiner als Leona) und trug ein rot-weiß gestreiftes T-Shirt, welches ihm zu groß war. Seine Haare und Augen waren hellbraun und als er mich anlächelte sah es ein wenig traurig aus.
Zum Frühstück gab es Brote, Aufstriche, Schinken, Käse, Müsli, Apfel- und Birnenspalten, Eier, Tee, Milch, oder Kakao. Ich lud mir ein Brot, Erdbeermarmelade, Käse, Apfelstücke und eine Tasse mit Milch aufs Tablet. Wir setzten uns an einen Tisch in der Ecke, neben das Fenster. "Also Florica" ,Marion legte die Fingerspitzen aneinander. "Wieso bist du hier? Du brauchst keine Angst haben, dich uns mitzuteilen. Wir sind alle sehr verständnisvoll." Leona schlug sie auf den Arm. "Wir haben nächste Stunde sowieso scheiß Therapie, ich brauch das jetzt nicht auch noch."
"Also gibt es doch Therapien" ,sagte ich. "Ja, und Schule" ,fügte Marion dazu und strich Erdnussbutter auf ihr Brot. "Du kannst später zwischen Latein und Spanisch und Französisch und Geometrie entscheiden" ,erklärte Cloud von meiner linken aus.
"Äh, dann nehme ich Spanisch und Geometrie?" Spanisch hatte ich auch schon an meiner alten Schule gehabt.
"Pff, Latein ist viel cooler. Nicht wahr, Hanni, Leo?" ,wiedersprach mir Marion und Leona nickte.
"Hör nicht auf die" ,flüsterte mir Cloud zu, "die sind nur eifersüchtig, weil wir etwas nützliches lernen."
"Und was machen wir in Theorie so?" ,lenkte ich das Gespräch zum ursprünglichen Thema zurück.
"Aufmerksam nicken und ernst schauen" ,sagte Hannes. "Und so tun, als würden wir Fortschritte machen."
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich mir niemals merken würde wo welcher Raum war. "Halt dich einfach an Marion" ,riet mir Cloud. "Nein, halt dich nicht an Marion, Marion hat Alzheimer" ,widersprach Marion. "Halt dich an Cloud, die hat Orientierungssinn und kann sich Dinge merken!"
Der Raum, in dem unsere Therapiestunden stattfinden sollten war klein und dunkel. Fast alle Jalousien waren nach unten gelassen worden und ich konnte einen kleinen Sesselkreis im schummrigen Licht sehen. Eine dickliche Frau mit großer Brille und buntem Tuch saß schon dort und sah uns erwartungsvoll an. "Kommt herein, meine Lieben, kommt herein." Sie lispelte furchtbar, es klang als würde sie mit der Zunge zwischen den Zähnen sprechen. "Du musst Florica sein. Ich heiße Chrisi" ,sie sprach langsam und deutlich, als würde sie zu einem Kleinkind sprechen. "Vielleicht sollten sich alle mal vorstellen und sagen warum sie hier sind. Marion fängst du an?" Marion nickte und stellte sich vor: "Ich heiße Marion Elisabeth Sommer und bin hier, weil ich gerne lese, träume und Geschichten erfinde."
"Sehr gut gemacht Marion" ,rief Chrisi erfreut. Cloud war die Nächste in der Reihe. "Ich heiße Claudia König-Kaiser und bin hier, weil ich gerne nachdenke."
"Könntest du das ein wenig genauer erklären?" ,fragte Chrisi freundlich. Cloud zuckte mit den Achseln. "Ich höre gerne Musik und denke über Bücher und so nach."
"Ich bin die Leona Schwarzwald und ich zeichne, lese und schreibe gerne" ,sagte Leona, allerdings konnte ich mir sie nicht nicht zeichnend vorstellen.
Auch fragte ich mich was Marion und Leona schrieben.
"Ich heiße Hannes Grün" ,sagte jetzt auch Hannes, "und ich bin hier, weil ich äh Leute sehen und mit ihnen reden kann."
"Und jetzt du Florica, erzähl uns was über dich, die anderen stellen dir dann Fragen."
"Äh, okay" ,sagte ich. "Ich heiße Florica Valentine und ich erfinde gerne Geschichten."
Marions Hand schoss in die Luft. "Wieso hast du einen englischen Nachnamen?" ,fragte sie.
"Weil mein Vater Ire ist."
"Was für Geschichten erfindest du?" ,wollte Cloud wissen. Ich lächelte verlegen. "Naja, hauptsächlich zu Blumen."
"Hast du irgendwelche Geschwister?" ,Hannes sah mich an
"Ja, eine kleine Schwester."
"Sehr gut, meine Lieben" ,lobte Chrisi uns. "Jetzt wo wir wissen, was ihr alle falsch macht, sagt mir doch mal, was ihr besser machen könnt. Ja, Marion?" Marion machte ein ernsthaftes Gesicht und erzählte dann: "Ich sollte wirklich aufhören so viel über Bücher nachzudenken. Schließlich sind sie nicht echt und halten mich von der Realität ab. Außerdem ist Geschichten schreiben Blödsinn, es hilft mir in der echten Welt nicht weiter." Sie sagte das ganze mit unüberhörbarem sarkastischen Unterton und nickte wichtig. Chrisi schien davon nichts zu merken und deutete stadtdessen auf Cloud. Die erzählte, dass träumen unnötig und für die Schule lernen viel besser sei. Währenddessen warf Marion Hannes einen Blick zu und die beiden mussten sich zusammenreißen, um nicht laut zu lachen.
"Ja, wisst ihr" ,meinte Leona. "Kreativität ist sowas von unnütz, sie hilft uns kein bisschen im Leben. Wir sollten uns wirklich auf die Realität konzentrieren, damit wir genauso wie du werden Chrisi! Du bist uns großes Vorbild."
Marion musste sich die Faust in den Mund stecken, um nicht loszulachen. Chrisi musste inzwischen von alldem etwas mitbekommen haben, denn sie schaute uns fragend an. "Was ist so lustig?"
Ich musste jetzt auch losprusten, ich wusste nicht wieso, vielleicht weil die anderen auch lachten. Vielleicht auch weil diese Therapeutin so unglaublich dämlich war.
"Oh, wissen Sie Christina, wir kommen zu spät zu unserem Treffen mit der Queen" ,meinte Cloud. "Nein, Tee mit der Queen ist am Nachmittag!" ,rief ich dazwischen. "Ja" ,fügte Marion hinzu und hakte sich bei mir und Leona ein. "Jetzt ist Brunch mit dem Präsidenten." "Tut uns wirklich Leid" ,erklärte Hannes noch entschuldigend, während wir lachend auf den Gang hinausstolperten.
Bitte Lili, hab dir doch gesagt ich veröffentliche es noch heute :)
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