Der Sturm | Tag 14
„Viel Erfolg und möge das Glück stets mit euch sein."
Këila Moran
Këila Moran lag auf dem kalten Boden ihrer Höhle. Sie wusste nicht, wie lange sie nun bereits da lag und in die Leere starrte. Glücklicherweise war sie mittlerweile zu müde, um irgendeinen Gedanken fassen zu können.
In dieser Nacht hatte sie kein Auge zu bekommen. Jedes Mal, wenn sie es versucht hatte, war sie an Lunas Tod, und daran, dass sie ihn sie größtenteils zu verschulden hatte, erinnert worden. Zwar war es kein direkter Mord gewesen, doch die Spielemacher würden ihr den Tod trotzdem zuschreiben.
Ich wollte sie eigentlich gar nicht töten, dachte sie immer und immer wieder, doch das minderte die Schuldgefühle nicht, die sie zu überwältigen drohten. Wenn ich sie nicht getötet hätte, wäre sie mein Ende geworden.
Das war der einzige Gedanke, der ihr Trost spenden konnte, selbst wenn sie wusste, dass Luna sie niemals umgebracht hätte. Wir waren sowieso nur noch zu acht. Früher oder später wären wir aneinandergeraten.
Sie schloss langsam die Augen und atmete tief ein. In ihren Gedanken spielte sich die Szene erneut ab. Die taumelnde Luna, die sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und schliesslich in die Tiefe stürzte. Këila hatte sich den Anblick von Lunas Leiche erspart, die Kanone war ihr Antwort genug gewesen.
Eine plötzliche Kälte riss sie aus ihren Gedanken. Zwar war es in der Höhle nie warm gewesen, doch allemal warm genug, um nicht zu erfrieren. Dieser beißende Windstoß allerdings, der Këila nun entgegenwehte, würde selbst Feuer zu Eis gefrieren lassen.
Sofort war das Mädchen auf den Beinen. Ihre Hände zitterten in der kalten Luft, ein beklemmendes Gefühl machte sich in ihrer Brust breit. Sie schulterte den Rucksack und verließ die Höhle. Je näher sie dem Ausgang kam, desto kälter wurde ihr.
Als sie am Ausgang stand, erkannte sie die Quelle der Kälte. Ihr Herz begann zu pochen.
Verdammt, das sieht nicht gut aus.
Der Himmel hatte sich verdüstert, in der Ferne konnte sie ein weißes, Tornado ähnliches Ding erkennen, dass sich mit hoher Geschwindigkeit auf sie zubewegte und alles, was ihm im Weg stand, dem Erdboden gleichmachte.
Ein lautes Grollen begleitete den Sturm, verursacht durch massive Gerölllawinen. Das Gebirge schien unter der Wucht des Unwetters einzustürzen. Alles, was sich in seiner Nähe befand, wurde von wuchtigen Geröllbrocken und Schlamm begraben.
Këila wusste, dass sie nicht bleiben konnte. Wenn der Sturm sie erstmal erreicht hatte, war sie verloren. Während sie mit schnellen Schritten das Gebirge herabstieg überlegte sie angestrengt, wo sie in solcher Situation am sichersten war. Die Höhlen konnte sie vergessen, in ihnen würde sie gnadenlos verschüttet werden. Im Wald wäre sie geschützt, solange der Sturm noch in der Ferne sein Unwesen trieb, doch danach würde es brenzlig werden. Ihr fiel lediglich der See ein. Aus früheren Spielen wusste sie, dass Stürme, die mit Sicherheit von den Spielemachern erzeugt worden waren, nie lange andauerten und nur in gewissen Teilen der Arena wüteten.
Vielleicht war sie in der Nähe des Sees sicher. Allerdings musste sie auch daran denken, dass sie den Karrieros damit direkt in die Arme lief.
Sie sind nur noch zu zweit, rief sie sich in Erinnerung. Zwar konnte sie nicht hoffen, es mit ihnen aufnehmen zu können, doch möglicherweise konnte sie sich verstecken.
Këila warf einen letzten Blick über die Schultern. Der Sturm hatte sich ihr bedrohlich schnell genähert, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er sie erreicht hatte. Sie beschleunigte ihr Tempo, ging immer schneller, bis sie schließlich so schnell rannte, wie ihre Beine sie trugen.
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Talvi Romanova
Talvi Romanova spürte die Veränderung, ehe sie sie sehen konnte. Auf den ersten Blick wirkte es wie ein Sturm, doch bald zeigte sich, dass es viel mehr war als das.
„Wir müssen hier weg!", schrie Lee Veeres, während ihnen der Wind schonungslos ins Gesicht peitschte. Innerhalb weniger Sekunden hatte sich das Wetter rapide verändert.
So etwas ist auch nur in der Arena möglich, dachte Talvi, als sie behutsam begannen, das Gebirge herunterzusteigen. Wenn sie überleben wollten, war der See ihr sicherstes Ziel. Darin waren sich alle wortlos einig.
Vermutlich war der Sturm so etwas wie ein Startschuss. Meistens versuchten die Spielemacher, die Tribute zusammenzutreiben, wenn nur noch knapp eine Handvoll übrig war.
Ein lautes Grollen ertönte und Talvi wollte lieber nicht wissen, was es ausgelöst hatte.
Sie waren noch nicht einmal zehn Minuten gerannt, da erschall das Grollen erneut. Diesmal lauter und näher als zuvor. Der Wind, der ihr schonungslos entgegenschlug, zwang sie dazu, die Augen zu Schlitzen zu verengen. Obwohl sie rannte, konnte Talvi keine Wärme generieren. Im Gegenteil, je weiter sie lief, desto kälter wurde ihr.
Blinzelnd sah sie, wie sich ihre Verbündeten durch das Chaos zu kämpften. Das Unwetter hatte sich schneller als gedacht genähert.
Ich schaffe es nicht. Der Gedanke überwältigte Talvi wie ein unerwarteter Faustschlag.
Ein hässliches Gefühl überkam sie, ein Gefühl, dass sie nicht beschreiben konnte. Sie wusste bloß, dass sie weg wollte. Weit weg.
Nach Hause.
Ihre Brust schnürte sich zusammen, sie bekam kaum noch Luft. Mit Schrecken musste sie feststellen, dass sie weit zurückgefallen war. Sie war von dickem Nebel umzingelt, der Wind pfiff ihr die Seele aus dem Leib und das ohrenzerreissende Knallen liess sie beinahe taub werden.
Plötzlich blieb sie stehen. Verzweifelt krallte sie sich am Hals und versuchte, nach Luft zu schnappen. Doch es nützte nichts, ihre Lunge füllte sich nicht mit genug Sauerstoff.
Es ist dieser Nebel. Ich muss raus aus diesem Nebel. Im Moment war ihre einzige Chance, zu überleben, der, dem Unwetter zu entrinnen.
Ihre Beine fühlten sich an wie Blei. Sie hatte das Gefühl, ihren Körper nicht mehr selbst unter Kontrolle zu haben.
Holt mich hier raus!, dachte sie panisch.
Ich will nach Hause.
Noch im selben Moment gaben ihre Beine jegliche Kraft auf. Mit einem gellenden Schrei, den sie sich selbst in diesem Zustand niemals zugetraut hätte, sank sie auf den kalten Boden.
Es ist so kalt hier. Wieso ist es so kalt?
Dann war es plötzlich vorbei. Das tosen in ihren Ohren verschwand, ihre Brust löste sich. Eine abrupte Müdigkeit überkam sie. Doch es war in Ordnung.
Es ist okay.
Sie wollte schlafen.
Sie wollte endlich nach Hause kommen.
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Chaos Ruel
Es war der Schrei, der Chaos dazu brachte, sich umzudrehen. Sie kannte diesen Schrei, sie würde ihn immer und überall erkennen.
Talvi.
"Wieso bleibst du stehen?", schrie ihr Lee durch den starken Wind zu.
Doch Chaos erwiderte nichts, ihr Mund war staubtrocken. Das Getöse legte sich.
Es fühlte sich an, wie der erste Frühlingstag nach einem tiefen Winter. Das Unwetter erstarb, der Wind ließ nach, der Nebel legte sich.
„Nein", war das Einzige, das Chaos hervorbrachte als sie sah, was hinter dem Nebel zum Vorschein kam.
„Nein, nein, nein!"
Niemand sagte ein Wort. Man hätte eine Nadel auf dem Boden aufkommen hören.
Chaos Knie ließen nach.
Talvi war tot.
Sie hatte dem Sturm ein Ende bereitet, ihr Tod allein. Eine Woge der Trauer übermannte das Mädchen aus Distrikt 8. Schon wieder war jemand tot, der ihr am Herzen lag.
Lenja. Gwen. Joshua. Luna. Es war zu viel, keiner von ihnen hatte verdient, zu sterben.
„Chaos", die tonlose Stimme von Paula Lotus drang an ihr Ohr. „Es tut mir so unfassbar leid, aber wir müssen weiter. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis dieser Sturm wieder aufkommt. Außerdem sind wir hier auf offenem Feld. Leichte Beute für die Karrieros."
„Sie hat das nicht verdient", schluchzte Chaos. Paula legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. „Nein, hat sie nicht. Niemand hat es verdient. Doch wenn wir ihr nun mit ins Grab folgen, war ihr Tod völlig sinnlos."
Chaos empfand diesen Satz dermaßen dämlich, dass sie sich von Paula losriss.
"Sinnlos?", wiederholte sie ungläubig. "Von uns Dreien werden zwei ihr früher oder später sowieso ins Grab folgen. Und wenn ich wählen kann, will ich lieber hier bei Talvi sterben, als von einem der Karriero aufgespießt und zerstückelt zu werden."
Tief in ihrem Inneren wusste Chaos jedoch, dass sie gehen mussten. Sie konnten es nicht riskieren, zu Talvi zu gehen, je nachdem befand sich dort noch immer das, was sie getötet hatte.
Es war schwer zu beurteilen, woran sie gestorben war. Von Weitem wirkte ihr Körper nahezu ohne Verletzungen. Kein Blut, keine abgetrennten Gliedmaßen. Wenn sich Chaos nicht irrte, wirkte Talvi sogar friedlich.
Es war reine Wut, die Chaos Brust füllte, als sie ihrer ehemaligen Verbündeten den Rücken zudrehte und davonstapfte.
Sie wusste zwar nicht, wem genau ihre Wut galt, doch sie wusste, dass sie etwas töten musste, um sie wieder zu bändigen.
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Azula Blue
Bumm.
Noch als die Kanone ertönte, wusste Azula, dass sie dem Sieg einen weiteren Schritt näher gekommen war. Jetzt waren nur noch sechs Tribute übrig - fünf, die noch getötet werden mussten.
Einen Moment lang schloss sie die Augen und versuchte sich auszumalen, wie stolz alle in Distrikt 1 auf sie sein würden. Sie sah das Gesicht ihrer Eltern, wie sie ihr zufrieden zulächelten und überall im Distrikt damit prahlten, eine Siegerin der Hungerspiele ihre Tochter nennen zu dürfen.
Allen voran würde sie jedoch allen zeigen, dass sie nicht ihr Bruder war. Azula würde dieses Ding gewinnen, davon war sie entschlossen.
„Heilige Scheiße. Azula, das musst du dir ansehen", riss Elaine Sterling sie aus ihren Gedanken. Schnell wandte sie sich herum und blickte direkt auf ihre Bündnispartnerin, die am Ufer des Sees kniete.
Eilig stand Azula auf und stellte sich neben sie. Was sich nun jedoch vor ihren Augen abspielte, war mehr als nur beängstigend.
Jetzt wollen sie es endgültig zu Ende bringen.
Der gesamte Fluss war zugefroren. Keine Chance mehr, Wasser daraus zu entnehmen. Sie konnten nicht einmal mehr darauf vertrauen, dass ihre einzige Wasserquelle wieder auftaute. Seit dem Unwetter waren die Temperaturen erheblich gesunken.
Plötzlich kam Azula ein böser Gedanke. Sie wandte sich um und steuerte ihre Wasserflaschen an, die vor einer Stunde noch gefüllt gewesen waren. Mit Schrecken musste sie feststellen, dass das Wasser darin ebenfalls eingefroren war.
Wütend schmiss sie die Plastikflasche auf den Boden. Waren wenigstens ihre Vorräte noch intakt?
Nein. Als sie einen Blick in ihren Rucksack mit den Nahrungsmitteln warf, erkannte sie, dass ihr gesamtes Essen restlos verfault war.
„Ich fürchte, wir haben ein kleines Problem", sagte Azula und ließ den Rucksack zu Boden gleiten.
Elaine schnaubte. „Ein kleines Problem? Wenn wir nicht bald eine neue Wasser- und Nahrungsquelle finden, sind wir in zwei Tagen tot. Maximal."
„Nein", entgegnete Azula. „Das ist ein Trick der Spielemacher. Wir sind nur noch zu sechst, sie müssen uns irgendwie zusammentreiben."
„Ist das nicht etwas früh?" Elaine hob eine Braue. „Normalerweise treiben sie die Tribute erst zusammen, wenn noch vier übrig sind."
„Denk doch mal nach", sagte Azula. „Wir zwei sind Verbündete. Wer ist also sonst noch da? Ziemlich sicher besteht das Bündnis zwischen Distrikt 7, 8 und 3 noch. Je nachdem sind sie jetzt nur noch zu zweit, wer weiß, wem die Kanone galt. Dann gibt es noch dieses andere Mädchen aus Distrikt 8, vermutlich ist sie im Einzelgang unterwegs. Das wären sechs, fehlt noch jemand."
„Lee", warf Elaine schnell ein. „Diese verräterische Schlange. Ich hoffe, wir sehen heute Abend ihr Gesicht am Nachthimmel."
„Wie dem auch sei", Azula verschränkte die Arme vor der Brust. „Fakt ist, dass sich in dieser Arena vor allem noch zwei große Bündnisse befinden. Sie wollen uns zusammentreiben, um den Zuschauern eine gute Show zu geben."
„Und die werden sie auch kriegen", spottete Elaine mit einem gefährlichen Grinsen auf den Lippen. Azula legte die Stirn in Falten. Sie wusste nicht, wie lange sie das Bündnis mit Elaine noch aufrechthalten konnte.
Im Geheimen waren sie sich einig, dass es klüger war, nach wie vor zu Zweit zu bleiben. Selbst wenn sie Karrieros waren, gegen drei andere Tribute alleine anzutreten war gefährlich. Außerdem war davon auszugehen, dass sich die meisten Tribute zu wehren wussten, die es in dieses späte Stadium der Spiele schafften.
Unerwartet erklang plötzlich ein Knacken, dicht gefolgt von einem Räuspern.
„Wir gratulieren den noch übrigen sechs Tributen", sagte eine männliche Stimme. Azula spitzte die Ohren, das musste eine wichtige Durchsage sein. „Ihr alle seid ausgeschossen an Lebensmitteln und Trinkwasser, doch morgen wird euer Glückstag sein. Gleich in der Frühe wird beim Füllhorn ein Festmahl stattfinden. Dort werdet ihr alles erhalten, was ihr jetzt am Dringendsten braucht. Viel Erfolg und möge das Glück stets mit euch sein."
Was soll ich sagen? Ich hab's auch mal wieder geschafft. @talvi_tarchia, ich danke dir herzlich für deine Teilnahme! Es hat mich sehr gefreut.
Vielleicht ist euch aufgefallen, dass die Tabelle etwas anders aussieht, was daran liegt, dass ich die Alte nicht mehr gefunden habe. War ein kleiner Reminder, dass ich wieder regelmässiger Updaten muss. Ich werde mich diesbezüglich auf jeden Fall an der Nase nehmen ...
Ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht, wie eine zweite Runde aussehen könnte. Wir nähern uns schliesslich langsam dem Ende. Wäre überhaupt noch Interesse an einer zweiten Runde vorhanden (die Frage ist auch an die gerichtet, die an diesen Spielen nicht aktiv teilnehmen/teilgenommen haben)?
Wenn ja würde ich mich definitiv mit der Frage auseinandersetzen, wie ich die Spiele noch besser gestalten könnte. Hier bin ich auch offen bezüglich eurer Vorschläge. Wenn ihr also Ideen oder Kritik habt - immer her damit!
Jetzt wünsche ich euch noch einen schönen Sonntag und möge das Glück stets mit euch sein!
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