I | Der Sprechende Hut
Viele Geschichten sowie Legenden kreisten um das britische Zaubererinternat, Hogwarts, welche alle magischen Familien ihren Kindern mit Freude erzählten und so kam es, dass die jungen inoffiziellen Zauberlehrlinge es kaum erwarten konnten, wenn der sehnliche Brief aus der berühmten Zaubererschule sie mit elf Jahren erreichte. Aber nicht nur die zahlreichen Erzählungen waren der Grund für ihre Euphorie, sondern ebenfalls die Tatsache, dass sie endlich die Möglichkeit hätten, zu lernen, wie sie ihre Magie kontrollieren könnten.
Hayley war einer der wenigen, denen es nicht so ging, auch wenn sie aus einer Familie von lauter Zauberern und Hexen stammte. Selbstverständlich war sie glücklich über die Tatsache, dass sie endlich ihrem Traum nach neuem Wissen nachgehen konnte, jedoch war auch das Gefühl der Angst ein ständiger Begleiter von ihr. Diese aufwühlende Empfindung verstärkte sich schließlich bei dem Anblick des Sprechenden Hutes, als sie gemeinsam mit den anderen Erstklässlern die Große Halle betrat. Es schien, als würden Tausende von Augenpaaren sie anstarren und jeder ihrer Bewegungen genaustens beobachten, nur um einen kleinen Fehler ihrerseits zu finden. Alles zog sich in ihrer Magengegend zusammen, bis sie sich schließlich selbst wieder zurecht rief. Sie durfte jetzt keinen Anfall von Panik ereilen. Sie durfte ihrer Angst keinen Freiraum geben. Was würde ihre Mutter nur sagen, wenn sie sie jetzt so sehen würde?
Rasch verbannte sie jegliche Gedanken, die um ihre Familie kreisten, aus ihrem Kopf und widmete sich ihrer Umgebung. Einige bekannte Gesichter entdeckte sie unter den anderen Neuankömmlingen. Gesichter, die sie bereits seit ihrer Kindheit kannte oder einfach nur vom Sehen her, wenn sie mal wieder von ihren Eltern mit auf eine Feier von Ministeriums Leuten geschleift wurde. Es waren aber auch neue Gesichter dabei, die sie etwas genauer studierte.
Von klein auf hatte sie nämlich gelernt, dass aufmerksam zu sein, immer einen großen Vorteil mit sich brachte. Es war eine Fähigkeit, auf die ihr Vater sehr viel wert legte. Allgemein hatte ihr Scharfsinn sie bereits öfters vor einer Strafpredigt bewahrt, und zugegebenermaßen liebte sie es, die Menschen um sich herum zu beobachten. Es verlieh ihr das Gefühl von Sicherheit und es war auch manchmal die einzige Beschäftigung, die sie in dem großen Haus, in dem sie nur mit ihren Eltern und den Hauselfen lebte, hatte, um ihre Langeweile zu stillen. Die einzige Abwechslung, die sie bekam, war, wenn sie einen Besuch bei ihren Cousins abhielten – aber auch nur dann, wenn kein besonderer Anlass bevorstand.
Als sie schlussendlich wieder ihre Fassung zurückerlangt hatte, kamen sie vor dem Lehrertisch zum Stehen und unweigerlich musste sie erneut damit kämpfen, ihre Fassade aufrechtzuerhalten. Zur Ablenkung blickte sie sich abermals in dem großen Festsaal um.
Ein Junge, der etwas abseits von der Gruppe stand und offenbar genauso interessiert seine Umgebung betrachtete wie sie selbst, erweckte ihre Neugierde. Sein schwarzes, gelocktes Haar fiel ihm leicht über die Stirn und seine dunklen Augen, die sich in ihre hellblauen bohrten, als er sich ihr zuwandte, strahlten eine kalte Abweisung aus.
Hayley war es gewohnt, so angesehen zu werden, da musste man nur in ihren Stammbaum blicken, um ihre Ungerührtheit zu verstehen, aber in dieser Ablehnung lag noch etwas anderes. Sie wusste nicht, was es war und eigentlich ging es sie auch nichts an, jedoch hatte sie einen Moment das Gefühl gehabt, Einsamkeit in seinem Blick zu erkennen. Wenn dies der Fall gewesen war, dann war dieser kleine Einblick in seine Seele schnell wieder verschlossen. Trotz allem ging ihr dieser seltsame Blick nicht mehr aus dem Kopf und so kam es, dass sie dank ihrer Überlegungen, beinahe verpasst hätte, wie sich etwas am Lehrertisch rührte. Erst als Ruhe in der Großen Halle eintrat, blickte sie nach vorne und lenkte ihre Konzentration wieder auf das Hier und Jetzt.
Albus Dumbledore, welcher sich nun neben den Sprechenden Hut stellte, der auf einem dreibeinigen Hocker lag, und von dem Hayley bereits einiges gehört hatte, besaß kastanienbraune Haare, die ihm bis zu den Schultern gingen. So viel sie wusste, war er für das Haus des Gründers, Godric Gryffindor zuständig und lehrte das Fach Verwandlung an der Schule für Hexerei und Zauberei. Der Professor wartete bis vollkommene Stille im Raum eingekehrt war, während er seinen Blick über die Erstklässler schweifen ließ, ehe er mühelos das Wort ergriff.
»Ich werde Sie der Reihe nach aufrufen und dann werden Sie sich den Sprechenden Hut aufsetzen, damit er Ihr Haus bestimmen kann«, erklärte er, bevor er anfing die ersten Namen von einem Blatt Pergament vorzulesen.
Der Zaubererhut, welcher normalerweise nicht sonderlich lange brauchte, um das Haus eines Schülers zu bestimmen, hatte an diesem Tag seltsamerweise seine Probleme. Dies wurde auch sogleich bei der ersten Kandidatin jedem deutlich bewusst. Zwar entschied er sich wie üblich für ein Haus, doch als die Erstklässlerin sich den Hut abnehmen wollte, meinte er, es wäre doch besser, wenn sie in ein anderes Haus gehen würde. Diese mehreren Umentscheidungen verwirrten die Anwesenden zutiefst und brachten Hayley dazu, ihren vorigen Vorsatz fallen zu lassen und nervös von einem Fuß auf den anderen zu tappen. Ihre Anspannung stieg schließlich immer höher, bis schließlich ihr eigener Name aufgerufen wurde.
»Campbell, Hayley!«
Innerlich zitternd stieg sie die paar Stufen, die zum Lehrertisch führten, hoch und ließ sich auf dem hölzernen Hocker nieder. Professor Dumbledore reichte ihr folglich mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen den magischen Hut.
Sobald sie ihn aufgesetzt hatte, fing er bereits an, leise zu ihr zu sprechen: »Ah … eine Campbell. Jeder aus Ihrer Familie war ein besonderer Fall. Es ist schwer, da die Familie Campbell immer aus jedem Haus eine Eigenschaft besitzt, so ist es auch bei Ihnen … Aus Hufflepuff ist es die Treue und die Hilfsbereitschaft … Aus Ravenclaw haben Sie die weise Intelligenz sowie die Fähigkeit Unlogisches von Logischem zu trennen … und aus Gryffindor den Mut und die Selbstbeherrschung … Sie sind aber auch ehrgeizig und wissbegierig – vieles, was man in Slytherin erwartet … Sie wären für jedes Haus bestens geeignet und jeder der vier Gründer wäre stolz darauf, Sie in seinem Haus aufnehmen zu dürfen. Was ist denn Ihr Wunsch?«
Diese Frage überraschte Hayley, weswegen sie zuerst ihre Gedanken wieder ordnen musste. Schließlich dachte sie über die Worte des Hutes nach. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, wusste sie nicht einmal, was sie darauf antworten sollte. Tatsächlich hatte sie nie darüber nachgedacht, wie ihr in diesem Augenblick bewusst wurde. Die Vorstellungen ihrer Familie waren einfach zu unterschiedlich, weshalb sie es auch nicht gewagt hatte, sich für ein Haus zu entscheiden. Ob sie das überhaupt selbst entscheiden konnte, war auch eher fraglich. Eigentlich hatte sie ja immer gehofft, dass der Sprechende Hut wissen würde, welches Haus am besten für sie geeignet wäre. Aber wenn dieser selbst es nicht einmal wusste, was hatte sie dann hier in Hogwarts verloren?
»Wie wäre es mit einem Vergleich, Miss Campbell?«, durchbrach der Hut ihre Gedanken und bot ihr mit seinen Worten etwas an, als hätte er ihre Unstimmigkeit gespürt. »Sie verbringen jeweils ein Jahr in einem anderen Haus und am Ende dieses Laufes werde ich mit Sicherheit sehen, welches Haus Ihnen am besten liegt. Sie hätten genügend Zeit, um darüber nachzudenken.«
Eine Weile ließ sie sich diese Worte durch den Kopf gehen, bis sie schlussendlich zu dem Entschluss kam, dass dies wohl das Beste sein würde. Sie könnte sich eine eigene Meinung bilden und bliebe fürs erste von der Reaktion ihrer Verwandten verschont.
Der Sprechende Hut deutete ihr Schweigen erneut richtig und richtete das Wort an die Schüler und die Lehrkraft von Hogwarts, nachdem er selbst abermals die vier Häuser im Geiste durchgegangen war.
»Ihr wisst, dass ich mich immer entscheiden kann, egal wie lange es dauert oder ich mich umentscheiden muss, aber dieses Mal ist zu viel unklar … Es ist eine Tatsache, dass die Campbells in jedes Haus passen würden, so wie man es ebenfalls erkennen würde, wenn man diese Familie in Bezug auf Hogwarts zurückverfolgen würde, doch es war bisher noch nie so kompliziert für mich, wie bei dieser hier«, er hielt kurz inne, ließ den Anwesenden sich ein Bild von der Lage machen, ehe er weiterfuhr, »Aus diesem Grund habe ich eine Entscheidung getroffen. Sie wird jedes Jahr in einem anderen Haus der vier Gründer verbringen, damit schlussendlich die bestimmten Eigenschaften herausstechen und ich mich endgültig entscheiden kann.«
Alle Blicke lagen nach diesen Worten auf Hayley und dem Sprechenden Hut, was in der jungen Campbell leichtes Unbehagen hervorrief. Langsam begann leises Gemurmel und Getuschel, um sie herum, was allerdings wieder erstarb, sobald der Hut sich unerwartet an den Schulleiter wandte.
»Sind Sie damit einverstanden, Professor Dippet?«
Die Aufmerksamkeit wurde schlagartig dem Angesprochenen gewidmet, was diesen offenbar noch mehr durcheinander brachte. Kurz schüttelte er unmerklich den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen, bevor er einen hilfesuchenden Blick zu Professor Dumbledore warf. Eine hilfreiche Antwort erhielt er allerdings nicht, denn der Verwandlungslehrer schien äußerst abwesend zu sein, wobei Hayley eine tiefe Falte auf seiner Stirn entdecken konnte.
»Also …«, räusperte sich der Schulleiter schließlich. »Wenn es keine Umstände macht und Miss Campbell damit einverstanden ist, dann … eh … sehe ich keinen Grund, es nicht wenigstens zu versuchen«, stammelte er nervös.
Nach diesen Worten ertönten nach und nach leise Stimmen von überall aus der Halle, die durcheinander ihre Gedanken über diese Entscheidung mit der Welt teilten. Nur gedämpft nahm Hayley sie allerdings zur Kenntnis und konzentrierte sich auf den Hut, der immer noch auf ihrem Kopf saß. Es kam ihr so vor, als würde er angestrengt darüber nachdenken, in welches Haus sie dieses Jahr gehen sollte. Gab es da überhaupt eine richtige und eine falsche Entscheidung? Immerhin würde sie sowieso alle Häuser einmal durchnehmen.
»Ich denke, wir beginnen dann mit HUFFLEPUFF!«, meldete er sich schließlich wieder zur Wort, woraufhin Professor Dumbledore ihr den Hut von ihrem Kopf nahm und ihr aufmunternd zunickte, als sie sich nicht zu rühren wagte.
Langsam schwoll allerdings höflicher Applaus an und ihre Starre schien sich für diesen Moment von ihr zu lösen. Zögernd stand sie mit weichen Knien auf und wählte den Weg, der zu dem Tisch der Dachsen führte. Sie ließ sich neben einem blonden Mädchen nieder und wie sich nach genauerem Betrachten herausstellte, handelte es sich um die Erstklässlerin, die zuerst das Glück gehabt hatte, von dem Sprechenden Hut ihr Haus bestimmt zu bekommen. Lächelnd reichte die neue Hufflepuff ihr die Hand: »Mein Name ist Emilia Abbott und ich hoffe, dass Sie sich in diesem Jahr bei den Dachsen wohl fühlen werden.«
Freundlich erwiderte Hayley das Lächeln und ergriff ihre ausgestreckte Hand. »Danke für diese warmen Worte, Emilia. Ich fühle mich zugegebenermaßen nun um einiges besser, da ich nun weiß, dass es bereits jemanden im Hause Hufflepuff gibt, den ich kenne.«
»Ich freue mich, dass ich Ihnen mit meiner kleinen Begrüßung eine Hilfe war«, erwiderte sie strahlend. »Aber, wenn ich das sagen darf, ich finde, dass Sie zuversichtlich gegenüber dieser Situation sein sollten. Ich bin mir nämlich sicher, dass der Sprechende Hut weiß, was er tut, auch wenn er heute ein paar Probleme bei der Auswahl hat.«
Dankbar lächelte die junge Campbell sie an, bevor sie sich wieder nach vorne wandte. Immer noch spürte sie die ungläubigen Blicke auf sich liegen, doch ihre Aufmerksamkeit wurde erneut von dem Jungen gewonnen, welcher bereits vorhin ihre Gedanken beherrscht hatte. Nachdenklich blickte er ihr entgegen, als würde er selbst versuchen wollen, zu verstehen, warum der Sprechende Hut diese ungewöhnliche Wahl getroffen hatte. Aber das war lächerlich. Welche Interesse sollte er auch schon daran haben, das herauszufinden? Nach einiger Zeit wandte er sich von ihr ab und sie versuchte zu begreifen, was das eigentlich zu bedeuten hatte. Wer war dieser Junge? Und warum hatte er solch eine ungewöhnliche Wirkung auf sie?
Allerdings war die wichtigere Frage, die sie sich stellen sollte, wie sie ihren Eltern beziehungsweise ihrer gesamten Familie erklären sollte, warum der magische Hut diesen seltsamen Entschluss getroffen hatte. Eins war sie sich jedoch sicher, eine lange Diskussion würde es geben, wenn sie für die Weihnachtsferien zurück nach Hause gehen würde. Aber was sollte sie antworten, wo sie doch selbst noch nicht einmal genau wusste, was ursprünglich passiert war.
Bereits in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass ihre Zeit in Hogwarts noch viele interessante Ereignisse für sie bereit halten würde, wobei sie manche sicherlich nur mit Mühe bewerkstelligen würde.
Damals wusste sie noch nicht, wie recht sie mit dieser Annahme haben würde.
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Der Anfang der Geschichte beginnt bereits mit einem spannenden Ereignis, wobei unsere Protagonistin wohl nur eins tun kann: das Beste daraus machen!
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