Mit einmal blieb der Hase stehen. Sebastian folgte seinem Beispiel. Andächtig sahen beide zum hohen Thron hinauf, von welchem aus man Sebastians Einschätzungen nach sicherlich einen Ausblick über alle hier versammelten hatte. Sehr stolz war Sebastian darauf, in der ersten Reihe stehen zu dürfen.

„Hier sind wir also.", stellte der Hase zufrieden fest. Es war das erste Mal, dass er wieder das Wort an Sebastian richtete.

Ihm zugewandt erwiderte der Junge: „Wer ist denn der Herrscher hier, der normalerweise auf diesem mächtigen Thron sitzt?"

„Aber das ist doch kein Herrscher, du Dummerchen.", antwortete ihm das Häschen schallend lachen.

„Wer ist es dann?"

„Das, mein Lieber, wirst du noch früh genug erfahren.", meinte der Hase nur. „Und jetzt still. Sie müssen jede Sekunde eintreffen."

Genau nachdem er diesen Satz beendet hatte, ertönten auch schon Fanfaren, die über den ganzen Wald hinweg schallten und alle Bewohner dieses wundersamen Gebietes zusammenrief. Begleitet wurde dies von unendlichen Trommelwirbeln. Ein pompöser Umzug begann.

Zuerst zog das Orchester an ihnen vorbei, dessen Mitglieder sich um den Thron platzierten. Dann schritten allerlei Minister und sonstige wichtige Persönlichkeiten an ihnen vorbei, wie Sebastian von dem Hasen erklärt wurde. Auch diese gruppierten sich um den Platz, der für den Regenten bestimmt war. Luftschlangen wurden geworfen und flatternde Bänder zierten den Himmel.

Plötzlich wurde es unglaublich hell. Erschreckt kniff Sebastian die Augenlider zusammen. Was mochte das nur sein?

Da wurde der Schein auch schon schwächer und schwächer. Endlich erkannte Sebastian, welche Veränderung die strahlende Erscheinung hervorgerufen hatte.

Auf dem Thron saß... ein Ei, welches bestimmt die Größe eines Hauses besaß.

Fasziniert konnte Sebastian den Blick nicht mehr davon abwenden und hätte fast übersehen, dass alles um ihn herum sich verneigte. Auch er fiel auf die Knie. Schillernd in allen Farben des Regenbogens drehte sich das Ei vor seinen Bewunderern im Kreis.

„Herzlich Willkommen, meine lieben Hasen, Hühner und Küken." Ob es wohl das Ei war, welches da gesprochen hatte?

Ruhig fuhr die dunkle Stimme fort: „Heute hat das Warten ein Ende. Endlich ist es soweit. Der entscheidende Tag ist gekommen. Das Fest kann beginnen. Nun, da ihr euch alle hier um mich versammelt habt, möchte ich erklären, weshalb es sich bei dieser Zeremonie um etwas Besonderes handelt. Genau an diesem Tag habt ihr die Ehre, eines der sagenumwobensten Ereignisse zu bestaunen. Wie jedes Jahr werden wir die große Osterzeremonie abhalten. Aber damit nicht genug. Diese Mal haben wir die Ehre, einen besonderen Gast willkommen zu heißen. Ich bitte, Sebastian auf die Bühne."

Ungläubig sah sich der Junge um. Hatte er da richtig gehört? Er war der Ehrengast? „Es ist der einzige Mensch, der jemals diesem Fest hierzulande beiwohnen wird. Er ist der Auserwählte. Natürlich darf er uns hier immer wieder besuchen, sobald er die Lust dazu verspürt. Ich, das himmlische Ei, das am Anfang aller Dinge stand, erkläre hiermit die Osterzeremonie für eröffnet."

Kaum war der Klang dieser Worte verhallt, teilte sich das Ei auch schon direkt vor Sebastians Augen in zwei Hälfte. Unzählige Hasen mit Eierbeladenen Kiepen sprangen daraus hervor. Alles erhellte sich erneut.

Genauso, wie das Ei erschienen war, verschwand es auch wieder und kaum wurde Sebastian nicht mehr von dem gleißenden Licht geblendet, stellte er fest, dass er sich direkt vor dem Gartenhäuschen in seinem Garten befand. In der Hand hielt er ein winziges Schokoladenei, welches in goldenes Papier verpackt war.

War dies alles nur ein Traum gewesen? Doch da bemerkte er, dass zu seinen Füßen ein dunkelbraunes Häschen kauerte und ihm freundlich mit der Pfote zuwinkte. Sogleich kniete sich Sebastian vor es, um sein daunenweiches Fell zu streicheln.

Der Hase öffnete seine Pfote und reichte ihm einen winzigen Zettel aus feinstem Blütenpapier. Behutsam faltete Sebastian diesen auseinander. Darauf stand in säuberlicher Schreibschrift geschrieben: „Frohe Ostern! Das himmlische Ei"