Kapitel 3
Kapitel 3
Die Dunkelheit hatte die Stadt nur an Stellen verschluckt, an denen es keine Laternen gab und so musste sich Emmerilla vorsehen, nicht allzusehr aufzufallen. Da sie von Lika bereits wusste, wie sie ein wenig Magie zu nutzen hatte, war es ihr ein leichtes sich mit weiten Sprüngen über die Dächer der Stadt hinwegzubewegen.
Kuro wohnte in ihrer Nähe. Vom Elsterbecken, wo sie ihre Wohnung hatte, musste sie nur Richtung Arena und bei der Universität ein wenig abbiegen. Dann hatte sie die Gegend erreicht, in der Kuro wohnte. Er besaß eine kleine Wohnung im obersten Stock unter dem Dach eines Mehrfamilienhauses. Zumindest hatte es die Skizze so gezeigt. Jetzt, wo sie auf dem Dach der Krankenversicherung sah und in die Richtung blickte, in der sie das Haus vermutete, konnte sie seine Wohnung nicht finden. Die Häuser ähnelten sich zu sehr, um genau sagen zu können, wo sie sich befand. Sie seufzte und verdrehte ein wenig die Augen. Eigentlich hatte die die Stile bis hierher genossen. Der Wind, der ihr durch die Haare wehte, war so angenehm, gerade dann, wenn sie sich im Flug von einem Haus zum anderen befand, doch damit war jetzt wohl Schluss. "Weißt du wo ich hin muss?", fragte sie leise und hoffte auf eine Reaktion.
"Sieh die Welt, wie sie sein könnte. Nicht wie sie ist. Betrachte die Welt durch meine Augen und erkenne dein Ziel. Immer.", kam die kryptische Antwort und die junge Frau verdrehte die Augen. Was sollte sie denn damit anfangen? Seine Hinweise hatten die gleiche Bedeutung wie 'Gehe um die Ecke, wenn du Ecke gehen willst.' Damit konnte sie nichts anfangen. Doch in Ermangelung von weiteren Tipps blieb ihr keine ander Wahl als sein Spiel mitzuspielen. Die Welt sehen, wie sie sein könnte. Wie sah jemand wie August die Welt? Er hatte sie vollgelabert mit Farben und Schönheit und weiß der Kuckuck nicht noch alles. Mit andern Worten, er war besessen, von der Idee ein Maler zu sein. Oder noch viel mehr.
Sie schloss ihre Augen und ließ es geschehen, dass sie seine Weltanschauung für einen kurzen Moment übernahm. Farben, Musik, Schönheit. Der Wind trug eine sanfte Melodie an sie heran. Sphärische Klänge von unfassbarer Schönheit und Anmut. Überrascht öffnete sie ihre Augen wieder und sah, wie er es tat. Um eines der Häuser schlangen sich Ranken gemacht aus Kristall und Licht. Lavendelblüten, deren violett viel zu intensiv war, blühten auf ihnen und zeigten ihr den Standort ihres Zieles. Die Melodie schien sie zu dem Haus hinzutragen und die Lavendelblüten waren wie ein Leuchtfeuer inmitten all des Dunkels und der Nacht.
"Das ist es. Das ist der Blick eines Künstlers. Mein Blick. Ist er nicht wunderschön?"
Emmerilla öffnete den Mund, doch es kam kein Ton hervor. Sie war schlichtweg sprachlos und verharrte in ihrer Position, um den Anblick noch ein wenig länger genießen zu können. Diese Farbenpracht war einfach wunderschön. Allerdings war da etwas, was sie ebenfalls spürte und was nicht so ganz hier hinein passte. Sie wandte den Kopf von der Hauswand mit den Lavendelblüten weg und betrachtete sich den Rest der Stadt, die fast in vollständiger Dunkelheit lag. Die Musik wurde disharmonisch und in der Nacht tauchten dunkle Blüten auf, die wirkten, als würden sie von Schwarzlicht beschienen werden. Sie gleichen den Lavendelblütenranken an dem Haus, doch sie wirkten verdreht. Voller Dornen und Spitzen. Nicht mehr schön und harmonisch. Sie störten das Gesamtbild.
"Was hat das zu bedeuten?", fragte Emmerilla ein wenig überrascht und vorsichtig. Sie war sich ziemlich sicher, dass das nichts gutes war.
"Das bedeutet, dass hier Kritker lauern. Menschen und Wesen gleichermaßen können fürchterliche Kritiker sein. Und was macht man mit Kritkern? Man lässt sie verstummen. Für immer", kam die Antwort und wieder war Emmerilla aufs höchste verwirrt.
"Jetzt noch mal so, dass auch ich es verstehe", forderte sie wenig begeistert, hörte wie Aurich seufzte und murmelte: "So fantasielos...", und dann lauter: "Das heißt, dass hier Feinde sind. Verstehst du jetzt? Böse Leute und fiese Kreaturen, die dir mit einem Hieb, das Gesicht vom Kopf schneiden können."
"Gesicht vom Kopf", murmelte sie und klang geschockt. Sie hätte ja verstanden, wenn er den Kopf von den Schultern gesagt hätte, aber musste er gleich so rabiat werden? "Was meinst du mit Kreaturen?", fragte sie, weil sie bisher mit solchen Wesen noch nichts zutun gehabt hatte. Aber jetzt näherten sie sich über die Häuser. Durch Aurichs Sicht konnte sie diese in sehr weiter Entfernung erkennen. Aber eben nur als Blumen mit leuchtender Farbe, aber nicht wirklich als das, was sie wahrscheinlich waren. "Und wie stellt man das hier wieder ab?"
Da war es wieder. Dieses dunkle Lachen, das ein finsteres Versprechen in sich trug. "Gar nicht, meine Liebe. Du hast dich darauf eingelassen, die Welt so zu betrachten wie ich es tue. Das heißt, solange wie ich in dir stecke -das klingt so herrlich unanständig- wirst du diesen Blick behalten." Zwischen Emmerilla und Aurich herrschte eine gedankliche Stille. Die letztlich von ihrem Partner gebrochen wurde. "Einfach die Augen kurz schließen und alles ausblenden." Die Antwort kam mehr gemault und ein wenig schnippisch, dennoch folgte sie den Anweisungen.
Hätte er das ernst gemeint, hätte sie gar nicht gewusst, wie sie diesen Kampf hätte bestreiten sollen. Wie konnte man denn so kämpfen, wenn man nicht einmal die Gegner richtig sah.
Sie öffnete ihre Augen wieder und stellte fest, dass sich ihre Sicht wirklich wieder verändert hatte. Sie sah wieder normal und vermisste fast sofort die Farben der Lavendelblüten. Dennoch konnte sie sich darauf jetzt nicht konzentrieren. Sie suchte mit den Augen die Richtung ab, in der sie die falschen Blumen bemerkt hatte und entdeckte tatsächlich Schatten, die sich über die Häuser auf sie zubewegten.
Emmerilla kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen, doch das war sehr schwer. Dennoch glaubte sie zu sehen, wie sich diese ... Kreaturen ... gebückt und irgendwie springend fortbewegten. "Wie komme ich an die Waffe ran?", fragte sie und überlgte, ob es wohl so war wie bei Lika, doch als sie die Energie in ihren Händen sammelte passierte rein gar nichts.
"Strecke deine Hand aus, sprich Rosendorn und schon kommt sie. Begierig und willig", erkärte er ihr und wieder bekam Emmerilla eine leichte Schamesröte. Warum musste er das so sagen?
Sie streckte ihre rechte Hand aus und verkündete im Brustton des Zweifels, "Rosendorn." Neben ihrer Hand erschien ein violettes Siegel. Voller Symbole und Zeichen drehte es sich langsam um die eigene Achse und aus dem Mittelpunkt erschien gemächlich ein weißer Gewehrkolben. "Nimm sie und zieh sie raus." Ihre Hand legte sich um den Kolben und mit einem eleganten Schwung materialisierte sich das komplette Gewehr. Es erinnerte etwas en eine große lange Schreibfeder, so wie der Lauf gestaltet war. Auf dem Gewehr selbst befanden sich Ätzungen und Gravurun in Form von Rosenranken und Blüten. Auf dem Lauf prangte ein Zielfernrohr aus poliertem Gold. Diese Waffe, war ein Kunstwerk und Emmerilla konnte sich nur schwer vorstellen, das man damit wirklich schießen konnte, ohne dass es beim ersten Schuss kaputt ging.
"Knie dich nieder, lege an und blicke hindurch. Was du hier in Händen hältst, ist eine Waffe von höchster Präzesion und Güte. Die geschliffenen Kristalle im Zielfernrohr, werden dir dein Ziel so nah kommen lassen, dass du denkst, es stünde direkt vor dir. Vier Schuss stehen dir zur Verfügung, bevor du nachladen musst. Doch sei gewarnt, meine Rosenblüte. Der Vierte ist absolut tödlich und verbrennt die Seele seiner Opfer im tosenden Feuer der Leidenschaft", erkärte er ihr und sie konnte sich förmlich vorstellen, wie er sich dabei im Kreis drehte, den Kopf in den Nacken gelegt und die Arme von sich gestreckt. Fehlte nur noch, dass er gruselig zu lachen begann.
Sie blickte durch das Zielfernrohr und erkannte selbst im Dunklen, dass die Konturen irgendwie steif wirkten. Steinern, aber doch eine Mobilität besaßen die ihresgleichen suchte. Kopf, Brust, Unterleib. Beinahe automatisch zielte sie an diese Stellen.
"Das wichtigste kommt jetzt. Wenn du zielst, atmest du aus. Damit wirst du ruhiger. Wenn du abdrückst, wird Rosendorn nach oben gehen. Das ist völlig normal. Einfach wieder runterkommen lassen und erneut zielen. Der Hebel an der Seite ist ein praktischer Nachlademechanismus. Einfach nach unten drücken und fertig. Die ersten drei Schüsse sind verhältnismäßig leise. Der vierte jedoch ist ein Paukenschlag, der das Ende einläutet. Sei also vorsichtig. Mit Rosendorn in deinen Händen, leitest du die letzte Szene ein. Den Schlussakkord eines Lebens. Viel Vergnügen." Da war es wieder, sein Lachen. Grausam und schön gleichermaßen.
"Viel komplizierter, als die Waffen von Lika", murmelte sie und erinnerte sich daran, wie einfach es gewesen war mit den beiden magischen Pistolen zu schießen. Auch wenn diese eher ausgesehen hatten, als würden sie Bälle und keine Kugeln verschießen. Was sie auch getan hatten. Enerigekugeln jeglicher Form.
Emmerilla atmete tief ein und dann wieder aus, bevor sie begann zu zielen. Sie hatte dabei Aurichs Worte im Kopf und versuchte alles richtig zu machen. Aber auf was sollte sie zielen? Den Kopf oder doch lieber den Körper, der leichter zu treffen war? Sie biss sich ein wenig nachdenklich auf die Lippen und da es ihr erste Schuss war, entschied sie sich für den Körper. Dort würde sie hoffentlich treffen.
Mit Rosendorn zu zielen war wirklich sehr eigenen, doch sie begann die Waffe bereits jetzt zu lieben. Als Schafschützin hatte sie sich zwar bisher noch nicht versucht, doch mit einem Team würde das durchaus Sinn ergeben. Vor allem mit einer Waffe wie dieser.
Erneut atmete Emmerilla ein und aus, um zu zielen und die erste Kugel abzufeuern.
Sie legte ihren Zeigefinger auf den Abzug, krümmte ihn und zog ihn nach hinten. Ein Knall ertönte, aber er war viel zu volltönend, zu mächtig, als das man sagen könnte, sie hätte gerade ein Gewehr abgefeuert. Mündungsfeuer explodierte aus dem Lauf, in Form einer aufgeblühten Lilie und eine Kugel bahnte sich ihren Weg durch das Dunkel der Nacht. Die junge Frau bekam das Gewehr zu fassen und richtete ihren Blick schnell wieder durch das Zielfernrohr. Sie musste einfach sehen, wie die Waffe eines Künstlers zuschlug. Zu schnell für das menschliche Auge, bildete sich Emmerilla ein, einen Schweif erkannt zu haben. Glitzernd wie die Morgensonne auf einem Tautropfen. Die Kugel fand ihr Ziel und durchschlug die steinerne Haut der Kreatur. Lavendelblüten stoben auf und an der Stelle des Lochs begann eine Rose zu blühen.
Niemals hätte Emmerilla geglaubt, dass sie etwas so faszinieren konnte, wie dieser Moment. Es war, als würde sie reine Magie sehen und spüren. Adrenalin schoss ihr durch den Körper, als sie zusah, wie das steinerne Wesen noch im Lauf auseinanderfiel und Teile von ihm von der Rose wie ein Monument umschlungen wurden, das an eine Ruine aus längst vergangenen Tagen erinnerte.
Jedoch währte der Augenblick nicht lange, denn die zweite Kreatur kam ihr immer näher. Sie war nicht so groß wie ihr erstes Ziel und würde damit auch schwerer zu treffen sein.
Emmerilla lud nach und ließ sich wieder auf den Bauch fallen, um erneut zu zielen. Dieses Mal ging es schon wesentlich leichter, als hätte sie sich an die Waffe in ihrer Hand gewöhnt. Auch wenn sie nicht glaubte, dass es so leicht gehen würde.
Erneut atmete sie ein und aus, um ihr nächstes Ziel zu erfassen. Sie verstand, was Aurich damit meinte, wenn er sagte, er machte sie wunderschön. Dieses Gewehr war ein Pinsel, der seine Leinwand traf.
Sie schüttelte ein wenig den Kopf. Das war nicht der richtige Augenblick um abzudriften. Sie musste sich konzentrieren. Außerdem wollte sie wirklich nicht noch weiter in diese düstere Welt hinein geraten. Auch wenn Aurich sie mit Farben füllte.
Die Blonde betätigte den Abzug und erneut bewegte sich Rosendorn. Sie war nicht schnell genug, um durch das Zielfernrohr zu schauen, doch das Wesen war nah genug dran, dass sie erkennen konnte, wie die Kugel seinen Arm und einen Teil seines Flügels erwischte. Stein krachte zu Boden und die Rose erhob sich in den Trümmern. Doch das Wesen, das einem Wasserspeier glich, kam weiter auf sie zu gehoppelt.
Sie fluchte leise und ließ sich erneut fallen. Noch zwei Kügeln, dann musste sie nachladen. Doch wahrscheinlich würde das Wesen dann bereits bei ihr sein.
Emmerillas Herz begann heftig zu klopfen und das Adrenalin sorgte nicht gerade dafür, dass sie sich genug beruhigen konnte, um anständig zu zielen. Im Gegenteil. Sie war zu nervös. Zu überfordert mit der neuen Situation. Ihre Hände begannen zu zittern und sie bekam Panik.
Von weiter Ferne hörte sie eine ihr wohlbekannte Stimme. Doch waren es keine Worte. Es war ein Summen. Eine Melodie. Sie drang in ihren Kopf und sorgte dort für völlige Leere. "Ganz ruhig, meine Rosenblüte. Dieses Gewehr ist mehr, als es den Anschein hat. Brich es entzwei und fühle die Wunder von Kunst und Tod gleichermaßen. Drücke den Hebel ganz nach unten und lasse sie wissen, dass du hier die Künsterlin bist. Sie sind nur Leinwände." Das Summen dauerte an und die junge Frau tat, wie ihr geheißen. Den Hebel ganz nach unten ziehend, löste sie einen Mechanismus aus, der das Gewehr teilte. Kolben und Lauf lagen nun in ihren Händen. Doch was nun?
"Lass die Leinwand kommen. Hebe den Kolben. Ziele. Und wenn du nicht mehr verfehlen kannst... schenke dieser armseligen Leinwand die Farbe, die sie verdient. Läute. Die. Letzte. Szene. Ein."
Wie immer waren seine Anweisungen sehr kryptisch, doch Emmerilla hatte das Gefühl mittlerweile besser zu verstehen, was er wollte. Obwohl es nur eine knappe Stunde war, die sie mit ihm bisher verbracht hatte. Dennoch bestand da eine Verbindung zwischen ihnen.
Emmerilla hob die beiden Teile der Waffe und wartete darauf, dass der Wasserspeier näher kam. Das Ding war echt hässlich, wo sie es jetzt so betrachten konnte. Es war zwar irgendwie aus Stein gehauen, glich dabei aber nicht wirklich einem Kunstwerk. Es sei denn man sah moderen Kunst als Kunstwerk an, was sie definitiv nicht tat. Sie fand keine Schönheit in Farben und Formen die absolut nicht zusammenpassten. Und so sah dieses Wesen auch ein wenig aus. Als hätte ein Kleinkind versucht einen Wasserspeier aus Lehm zu basteln.
Mit seinen holprigen Schritten und Sprüngen kam es immer näher, bis es hoch in die Luft sprang, um sich auf sie zu stürzen. Der einzige Laut, den es von sich gab, war das Geräusch, das es machte, wenn es auf den Hausdächern aufkam. Ansonsten war es leise. Leblos, wie seine Augen.
Emmerilla erschauderte und drückte reflexartig ab, weil sie den Anblick nicht mehr ertragen konnte. Die Kugel schoss durch das Wesen hindurch und riss es vor ihr förmlich in Stücke. Die entstehende Rose schützte sie vor den Steinsplittern, die überall auf dem restlichen Dach verteilt waren und ihren Weg nach unten suchten, dabei aber von Rosenranken aufgehalten wurden, bevor sie über das Dach rollen konnten.
Heftig atmend und mit klopfendem Herzen besah sich Emmerilla die Dach. Ein Schlachtfeld war es nicht wirklich und dennoch wusste sie, dass sie gerade irgendwas getötet hatte. Doch dass nur Steine zurückblieben, beruhigte sie ungemein.
"Was zur Hölle treibst du da", erklang eine Stimme und erschrocken wandte sich Emmerilla um, nur um einen jungen Mann zu erkennen, der das Fenster dem Dach gegenüber aufgerissen hatte und sie mit großen, ungläubigen Augen anstarrte. Augen, die sie kannte.
Kuro Kobayashi. Was für ein Zufall. Was sollte sie denn jetzt davon halten?
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