Kapitel 8 (2/3)
Kratzen des Kugelschreibers - mehr vernahm man nicht, als wir im Pausenraum saßen, jeder für sich auf seinem kleinen Hocker und jeder so leise und bekehrt, dass man das Rauschen in den Ohren hörte.
Terry hatte den Platz direkt neben dem Schreibtisch ergattert, nachdem die Maßreglung seiner Chefin vorbei war. Jetzt wischte er sich nur unablässig übers Gesicht und stöhnte genervt.
Ms Hutter saß direkt neben mir. Ihre Tasche drückte sie verstört an sich und die großen Kulleraugen huschten ängstlich im Raum umher. Bei jeder Bewegung zuckte sie zusammen, als fürchtete sie gleich verschlungen zu werden.
Und ich? Ganz ehrlich? So entspannt wie gerade war ich schon lange nicht mehr gewesen. Mein Atem ging ganz ruhig und meine Gedanken rasten nicht, wie es bei meinen Begleitern der Fall sein musste. Es war eine Art Leere, Gleichgültigkeit, die mich erfasste. Das Wissen, dass jetzt sowieso alles vorbei war - schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Deshalb fürchtete ich auch nicht, was mit mir passieren würde, mit meinen Begleitern, mit meinem Herrn. Vielleicht wäre es ein guter Zeitpunkt gewesen, von dieser Welt zu verschwinden, gerade gab es nichts mehr, was ich hätte verlieren können.
Ein Mann mit braunen, langen Haaren und einem faltigem, schattigen Gesicht erhob sich und verließ den Raum, der von den Polizisten bewacht wurde, die gerade in der Nähe gewesen waren. Dieser Mann war der Ladendetektiv. Terry hatte mich zwar nicht verraten, aber wer hätte schon geahnt, dass jeder Winkel dieses Geschäfts durch Kameras beobachtet wurde? Und natürlich waren wir wegen dieser zwei Schokoriegel, die noch nicht mal einen Meter vom Regal entfernt gewesen waren, aufgeflogen.
Ein kleines Lächeln trat auf mein Gesicht. Dass ich mit dieser Welt abgeschlossen hätte, sagte es und dass es nichts brachte, mich in Beklemmung zu hüllen. Vielleicht schien hier meine unvernünftige Art durch, die ich meistens so gut es ging unterdrückte. Aber ich wollte zumindest lächelnd untergehen.
Keine halbe Stunde dauerte es mehr, bis ein wenig Abwechslung in die völlig depressive Stimmung kam. Anscheinend war mein Herr angekommen. Die beiden Polizisten teilten sich auf. Während der eine nach draußen ging, um meinem Herrn wohl den Sachverhalt zu erklären, blieb der andere bei uns, damit die Straftäter nicht fliehen konnten.
So ein riesiger Wirbel für einen Sklaven, der eine Winzigkeit stehlen wollte - War den Leuten eigentlich bewusst, wie lächerlich das nach außen wirkte? Doch als Sklave stellte man im Rechtssystem sowieso eine Nummer für sich da. Ich konnte nichts falsch machen. Zumindest konnte ich nicht direkt dafür bestraft werden. Alles ging auf meinen Herrn zurück, ganz gleich was ich anstellte. Er müsste für mich bezahlen, er müsste für mich ins Gefängnis gehen... Ich würde vielleicht einen Kopfschuss kassieren, aber für mich wäre es damit immerhin vorbei. Möglicherweise war es besser, wenn bestimmte Menschen einfach nicht existierten.
»Hey, Killian.« Ich blickte zu Ms Hutter, die eine Hand auf mein Knie legte und sich an einem zittrigen Lächeln versuchte. »Tut mir leid. Gerade bin ich niemandem eine große Hilfe. Für mich sind solche Situationen sehr einschüchternd. Ich will nur, dass du weißt, dass ich dir nicht böse bin.«
Davon konnte ich mir zwar auch nichts kaufen, aber ich erwiderte ihr Lächeln schwach.
Und dann wurde die Tür geöffnet. Zuerst kam der Kollege unseres Wächters, gefolgt von meinem Herrn. Die Haare ganz wild und völlig außer Atem, blieb er direkt vor mir stehen und sah zu mir herab. Ich erwiderte seinen monotonen Blick. Ein Schleier verhüllte unsere beider Gedanken, das war offensichtlich. Und wir beide rissen uns zusammen, weil zu viele um uns herumwuselten.
»Ms Hutter.«, sagte mein Herr kühl und sie schreckte auf. »Ich kann mich nur aufrichtig entschuldigen. Im Moment weiß ich selbst nicht, wo mir der Kopf steht. Das werde ich wieder gutmachen.« Sie schüttelte überfordert den Kopf und biss sich auf die Lippe. »Ich danke Ihnen jedenfalls, dass Sie hier gewartet haben, bis ich komme.«
»K-Kein Problem.« Sie sprang auf, legte sich die Tasche um die Schultern. Einen flüchtigen Blick warf sie zu mir, dann sah sie zu Boden. »Kommen Sie beide morgen nur wohlbehalten zur Arbeit.« Damit verabschiedete sie sich bei den Polizisten und verließ uns. Eigentlich hatte sie nicht bleiben müssen, nach den Aussagen des Detektivs. Aber sie bestand darauf, zu warten, bis mein Herr informiert und gekommen wäre. Eine liebevolle Frau - soviel begriff ich.
Ich wurde gar nicht weiter angesehen, als ich den stillen Befehl meines Herrn verstand. Er drehte sich um und wartete nicht darauf, dass ich ihm folgte. Mit schnellen Schritten ging er und ich kam gehorsam nach. Terry wurde während all dem keine Beachtung geschenkt. Selbst war er viel zu sehr in seinen Gedanken vertieft. Vielleicht hatten sie sich nicht mal gegenseitig wahrgenommen. Hoffentlich war man hier nicht allzu streng mit ihm.
Eine kleine Blase - so fühlte es sich an, als mein Herr und ich hintereinander durch die Mall liefen, auf dem Weg zu den Parkplätzen. Die anderen Leute beachtete ich nicht weiter. Ich starrte nur auf das breite Kreuz unter dem dunklen, flatternden Mantel meines Herrn.
Mein Herz setzte einen Sprung aus. War ich doch nicht so entspannt, wie ich es gerne wäre? Ein Teil von mir hatte aufgehört nachzudenken. Niemals würde mein Herr mich jetzt noch haben wollen. Mit seinen Vermutungen hatte er schließlich recht behalten. Vertrauen konnte er mir nicht, das konnte ich nicht mal selbst. Doch ein winziger, anderer kleiner Teil, wünschte mich in seine Arme, die sich tröstend um mich schlangen, die Tränen aus den Augen wischten, weil ich mich am Ende meiner Kräfte fühlte.
Nun lag es nicht mehr in meiner Macht. Ich hatte es mir selbst verdorben, so wie immer. Vielleicht hätte ich mich sorgen sollen, wie er mich bestrafen würde, was für Konsequenzen nun folgten. Aber ich verdrängte alle meine Gedanken - es hätte mir den Rest gegeben, mir vorzustellen, wie enttäuscht er von mir war.
Wieder diese quälende Stille. Während wir uns ins Auto begaben, während der Fahrt nach Hause und auch, während wir ankamen und mein Herr nicht ein Wort mit mir sprach. Fast war es eine schlimmere Bestrafung, als einfacher Schmerz. Was dachte er von mir, wie sah er mich jetzt - dies nicht mitgeteilt zu bekommen, zerriss einen.
Isaac
Mein Sklave hatte etwas aus einem Laden mitgehen lassen wollen. Polizei, Gewusel, so viele Stimmen - mein Innerstes war so aufgewühlt, meine Hände zitterten und ich konnte mich kaum konzentrieren. Es war genauso wie damals. Nur die Absperrbänder und die dröhnenden Sirenen fehlten.
Und dann auch noch Killians Gesicht. Diese ausdruckslose Mine, diese versteinerte Haltung - machte er sich über mich lustig? War ihm das alles egal? Er bereute nicht mal, was er getan hatte, oder?
Die Polizei hatte mir zwar irgendwas erklärt gehabt, aber kaum etwas hatte ich wirklich wahrgenommen, nur gehofft, so schnell wie möglich nach Hause zu können.
Und als ich ankam, war das erste was ich tat, alles in eine Ecke zu werfen und aus Leibeskräften nach oben zu rennen, um unter die Dusche zu springen.
Das Rauschen des Wassers und die Wärme, die meinen Körper benetzte, beruhigten mich ein wenig. Stöhnend lehnte ich mit der Schulter gegen die Wand, während der Wasserstrahl auf meinen Kopf traf. Das tat ich immer, wenn ich Panik bekam. Dann lief ich unter die Dusche und verharrte solange, bis ich mich einigermaßen im Griff hatte.
War Killian noch unten? War tat er gerade? Ich hatte ihn einfach zurückgelassen und mich hier im Badezimmer verschanzt, während ich gar nicht sagen konnte, was mein Sklave anstellte. Vielleicht war er ja auch schon weggelaufen, jetzt wo er eine Strafe fürchten musste.
Auf einmal fühlte ich einen schrecklichen Stich, mitten in der Brust und verengte die Augen zu Schlitzen. Es wäre wohl besser, wenn er weglaufen würde.
Seit er bei mir war, wandelten wir auf einem schmalen Pfad. Wie oft hatte er mich schon gereizt und war so glimpflich davongekommen, dass ich an meinem Verstand gezweifelt hatte? Dieser Junge sah mich mit seinen runden, unschuldigen Augen an. Sie ließen mein Herz klopfen und meine Hände verselbstständigen. Lange hatte ich kein so starkes Bedürfnis mehr gehabt, jemandem nahe zu sein, wie in den letzten Tagen.
Ich ballte die Hand zur Faust und schlug gegen die Wand. Das Wasser spritzte weg und brach sich an der Haut.
Ja... vielleicht waren da Gefühle gewesen - unbekannte, ungewollte Gefühle. Ich konnte nicht fassen, was er getan hatte, erst jetzt drang es richtig zu mir durch. Waren diese Gefühle denn nur von mir ausgegangen? Hatte ihn alles kaltgelassen, jede Berührung, jeder sanfte Blick?
»Verflucht...«, keuchte ich erschrocken über meine eigene Sentimentalität. Was hatte ich denn erwartet? Dass ich einem Sklaven vertrauen konnte? Dass ich einem Jungen vertrauen konnte, der nichts wert war in dieser Gesellschaft, der unterdrückt und misshandelt wurde? Sie hassten alle Freien, Killian hasste mich.
Gefühle? Ernsthaft? Das war doch ein schlechter Scherz! Niemals könnte ich mich in einen Sklaven verlieben und andersherum ebenso wenig. Das heute war doch der beste Beweis dafür! Ich schickte ihn mit Ms Hutter zum Einkaufen los und er klaute, so frech wie er war.
Bisher hatte ich mich versteckt. Wie eine Schnecke in ihrem Häuschen, gestärkt durch die Vergangenheit und dem Misstrauen. Aber wovor fürchtete ich mich denn?
Killian war mein Sklave. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn da nichts zwischen uns war und er mich so sehr verachtete, dass er mich vor der ganzen Polizei und dem Kaufhaus, meinen Mitarbeitern lächerlich machte, dann sollte ich ihn vielleicht auch mal wie einen Sklaven behandeln...
Ich schaltete das Wasser aus und trocknete mich ab. Die Dusche hatte mir geholfen, mich zu sammeln. Jetzt war ich ganz ruhig und sah alles klar vor mir. Samtpfötchen beobachtete mich, als ich ins Schlafzimmer ging, um mir ein paar neue Sachen überzuwerfen. Durch die Spannung musste sie aufgeschreckt worden sein. Zum Glück sah ich aus den Augenwinkeln, wie sie nicht die einzige war, die langsam in den Raum tapste. Ich nahm bedacht die Rute aus dem Schrank, die dort schon seit Ewigkeiten verstaubte und strich das Holz entlang. Sie sollten nicht dabei sein, wenn ich Killian zeigen würde, dass da nichts zwischen uns war.
Dann wandte ich mich ab und lief nach unten ins Wohnzimmer, wo ich Killian vermutete. Tatsächlich saß er dort auf meinem Sofa und in diesem Augenblick machte es mich furchtbar wütend ihn so zu sehen, auch wenn ich es ja gewesen war, der ihm erlaubt hatte, sich wie ein Freier hinzusetzen.
Aber nein - wir waren nicht auf derselben Stufe. Ganz gleich was uns trennte, sei es der soziale Status, sei es Geld oder Macht oder einfach nur Gefühle - wir würden niemals zusammengehören.
»H-Herr...«, hauchte Killian als er mich erkannte und stand schnell auf. Ich sah genau, wie sein Blick eilig zu meiner Hand und dem dünnen Stock darin huschte. Genauso schnell hing er wieder an mir, aber ich verzog das Gesicht. Wieso schaute er so gleichgültig aus? Bekam er denn nicht mit, was ich vorhatte? Seine versteinerte Miene, seine ausdruckslosen Augen starrten mich an, als wäre ihnen alles egal.
Warum sagte er nichts? Warum hingen seine Schultern nur kraftlos nach unten? Wollte er mich nicht bitten, ihn zu verschonen? Hatte er nicht vor zu weinen, so wie das erste Mal, als ich ihn mit der Rute hatte schlagen wollen?
Wollte er nicht seine kleine Hand nach mir ausstrecken und mich davon abhalten etwas zu tun, das mich selbst innerlich so quälte?
Mit großen Schritten war ich bei ihm und packte ihn am Kragen seines übergroßen Pullovers. Kurz weiteten sich seine Augen, aber sie fielen zurück in dieses monotone Starren.
»Wieso hast du etwas klauen wollen?«, fragte ich und erschrak mich selbst an meiner eigenen, schneidenden Stimme.
»Ich hatte Hunger, mein Herr.«, antwortete Killian sofort gleichgültig, als würde er übers Wetter sprechen. Dabei musste ich ihm doch Angst machen. Zumindest hatte er sonst immer so ausgesehen, wenn ich mal zornig geworden war. Jetzt schien ihm alles egal.
Machte er sich tatsächlich über mich lustig? Fand er es amüsant mit meinen Gefühlen zu spielen, mich erst so zu verweichlichen, dass ich ihn küssen und lieben wollte, um mich dann so arrogant von sich zu stoßen?
Bitte mich nicht zu gehen, bitte um Verzeihung, waren die Worte, die ich innerlich flehte, obwohl meine eiserne Mine nicht davon verriet. So wie heute Nacht, als sein Kopf an meiner Brust gelegen hatte, wo ich den Herzschlag hatte hören können. So wie heute morgen, wo ich ihn angebrüllt und geschlagen hatte. Wieso schlossen sich seine Arme nicht um meinen Hals, damit ich kraftlos werden und die Rute fallen lassen konnte - damit ich ihn küssen und meine Wut vergessen konnte?
Ich stieß ihn so hart von mir, dass er gegen das Sofa fiel und dann keuchend zu Boden glitt. Er hielt sich die gestoßene Schulter und blickte wieder auf.
Ein letztes Mal flehte ich darum, Angst sehen zu können. Schmerz, Trauer, einfach irgendwas, das mich Mitleid hätte haben lassen. Aber nichts weiter außer trübes Grün und ein Mund wie zum Strich gepresst.
Und da vergaß ich alles und hob meinen Arm, um die Rute sausend durch die Luft fliegen und Killian treffen zu lassen.
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