☀︎ C A L E B - 22 ☀︎
Als Caleb den Aufzug verließ, spürte er die Spannung im Flur. Der polierte Marmorboden reflektierte das gedämpfte Licht der Deckenlampen, und alles schien in einer gespannten Stille zu verharren. Jeder Schritt, den er tat, hallte in den weitläufigen Fluren wider, und die Mitarbeiter, die sich aus ihren Büros lehnten, schauten ihm nach, ihre Blicke voller Neugier und Spekulation.
Lisa, die sich sonst immer beherrscht und professionell gab, eilte sichtlich aufgewühlt auf ihn zu. Sie trug ein enges, dunkelblaues Etuikleid, das ihre schlanke Figur elegant zur Geltung brachte. Ihr Haar waren zu einem strengen Dutt zurückgebunden.
"Caleb!", rief sie aus, als sie ihn erreichte. "Wo waren Sie? Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht!"
Caleb warf ihr einen kurzen, ruhigen Blick zu. "Ich hatte eine Woche außerplanmäßigen Urlaub, Lisa."
Sie sah ihn besorgt an. "Ist alles in Ordnung?"
Caleb nickte. "Ja, alles ist in Ordnung. Ist Richard in einem Meeting?"
Lisa griff nach ihrem iPad. "Ja, er ist gerade in einer Besprechung mit den Leuten der Paradies-Gruppe. Wollen Sie ihn sprechen?"
"Ja, bitte informieren Sie Sarah und sagen Sie ihm, dass ich ihn in meinem Konferenzraum treffen möchte."
"Natürlich." Sie tippte etwas auf den Bildschirm ein.
"Danke, Lisa." Er ging an ihr vorbei, als ihre Stimme ihn aufhielt.
"Mr. Thomson ... ist wirklich alles in Ordnung?" Sie wirkte unsicher.
Caleb lächelte sanft. Lisa war ein guter Mensch. Ein bisschen durchtrieben und unterwürfig vielleicht, aber er schätze ihre Loyalität und ihren Einsatz sehr. Wenn das alles vorbei war, würde er ihr ein Empfehlungsschreiben für Benson ausstellen. "Machen Sie sich keinen Gedanken."
Er wandte sich ab, betrat sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und fokussierte sich ganz auf das bevorstehende Telefonat. Er wählte Benson Crosbys Nummer. Nach dem ersten Klingelton ertönte dessen markante Stimme. "Caleb?"
"Ja. Bitte sag mir, dass alles vorbereitet ist." Caleb sah angespannt an die Decke.
"Die Verträge sind in Stein gemeißelt. Die Anwälte haben alles rauf und runter geprüft und abgesegnet. Es existiert nicht das kleinste rechtliche Schlupfloch."
"Sicher?"
Benson antwortete mit einem Anflug von Zufriedenheit in der Stimme. "Zu tausend Prozent, alles ist wasserdicht. Unsere Anwälte haben gründlich gearbeitet."
"Fein." Caleb nickte zufrieden und atmete gelöst aus.
"Ich hätte nie gedacht, dass du so einen Schritt machen würdest, Caleb. Nicht du." Benson schnaufte. "Ich rechne es dir hoch an, dass du bei all dem an mich gedacht hast. Jemand anderes hätte dir sicher mehr Geld für deine Anteile gegeben."
"Es geht nicht ums Geld. Es geht um Prinzipien." Es ging um Becky. Um Rache.
Benson lachte leise. "Du meinst, es geht darum, Richard endlich mal in die Schranken zu weisen?"
"Nenn es, wie du willst."
"Egal wie man es nennt, wir ziehen an einem Strang. Richard hat sich über die Jahre viele Feinde gemacht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihm alles um die Ohren fliegt."
"Bist du schon im Restaurant?"
"Gleich ja. Ich hoffe, er trifft erst nach meinem Hauptgang ein, dann ist seine Reaktion mein Dessert. Aber schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann, wenn er eins und eins zusammen zählt, wenn er erfährt, an wen du verkauft hast."
Caleb schnaufte zufrieden. "Du wirst sein freudiges Gesicht sehen, sobald er dort ankommt."
Benson ließ ein kurzes Lachen hören. "Darauf freue ich mich schon. Pass auf dich auf, Caleb. Und wenn du doch wieder einsteigen willst, ich suche bald einen neuen CEO."
Caleb lachte auf. "Danke, mein Bedarf ist zunächst gedeckt."
Die Männer legten auf. Caleb sah noch einen Moment aufs Handy, dann wartete er.
Die Minuten zogen sich hin. Jede Sekunde fühlte sich an, als würde sie sich verdoppeln. Caleb wusste, dass Richards Stolz und sein gigantisches Ego ihn zwingen würden, so schnell wie möglich in sein Büro zu stürmen.
Dennoch war da dieses nervöse Flattern in seiner Magengegend, nicht vor Angst vor Richard, sondern vor der Intensität seiner eigenen Gefühle. Die Wut, die Entschlossenheit, die Rache – sie kochten alle in ihm und drohten überzulaufen.
Dann, plötzlich und ohne Vorwarnung, schwang die Tür auf. Richard trat ein. Seine scharfen, stechenden Augen, die jeden in seinem Umkreis einzuschüchtern konnten, trafen auf Calebs.
Schlagartig stieg Calebs Puls an. Er begann zu rasen. Er machte sich auf seinem Stuhl fest. In seinen Gedanken sprang er über den Tisch und prügelte Richard krankenhausreif. Doch stattdessen atmete er tief durch, erinnerte sich an das Endspiel, das er sich so sorgfältig ausgemalt hatte, und behielt die Kontrolle.
Richard trat ein. "Thomson." Seine Stimme war kalt, beinahe spöttisch. "Sieh einer an."
Caleb rührte sich nicht von seinem Platz. "Richard", erwiderte er, seine Stimme ruhig und beherrscht.
Richard blieb stehen, schaute sich kurz im Raum um und fixierte dann Caleb mit einem durchdringenden Blick. "Du hast also beschlossen, wieder aufzutauchen. Ich dachte schon, du wärst weggelaufen."
"Warum sollte ich weglaufen?" Caleb hob eine Augenbraue. "Wo wir doch so viel zu besprechen haben."
Richard lachte höhnisch. "Besprechen? Du und ich? Das einzige, was es hier zu besprechen gibt, ist dein Betrug."
Caleb neigte seinen Kopf zur Seite und lächelte, ein kaltes, berechnendes Lächeln. "Ich fürchte, Richard, diesmal geht es nur beiläufig um mich."
"Was redest du da?" Richard kniff die Augen zusammen, eine Spur Unsicherheit in seinem Blick.
"Nun, während meiner kleinen Auszeit habe ich einige Überlegungen angestellt. Über das Unternehmen. Über dich. Und ich habe eine Entscheidung getroffen."
Richard rollte mit den Augen. "Oh, bitte. Spar dir das theatralische Gerede. Was willst du?"
Caleb legte die Hände flach auf seinen Schreibtisch und stand langsam auf. "Ich habe meine Anteile verkauft."
Richards Gesicht verlor für einen Moment die Farbe. "Was hast du getan?"
"Ich dachte, es sei Zeit für frischen Wind", antwortete Caleb gelassen.
Richard schnappte nach Luft. "Du hast ... an wen? Wer war so dumm, dir deine Anteile abzukaufen?"
Caleb genoss den Moment der Oberhand. "Nun, ich denke, du kennst ihn gut. Sehr gut sogar. Er hat bereits einen Sitz im Verwaltungsrat und einige sehr spezifische Pläne für das Unternehmen."
Richards Augen weiteten sich, sein Atem beschleunigte sich. Er versuchte, seine Verwirrung zu verbergen, doch es war klar, dass er die Kontrolle über die Situation verloren hatte.
"Wer, verdammt noch mal, Caleb?!", setzte er nach.
Caleb straffte seine Schultern und kreuzte die Arme vor seiner Brust. "Ich habe an Benson verkauft."
"Das hast du nicht!" Richard starrte ihn fassungslos an. "Das kannst du nicht ernst meinen?!"
"Oh, ich meine es sogar sehr ernst." Caleb ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken. "Du kannst dir kaum vorstellen, wie sehr Benson sich gefreut hat, als ich ihn anrief."
Das war der Moment, in dem Richard realisierte, was dieser Verkauft wirklich für ihn bedeutete. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Stifte darauf einen kleinen Satz machten. "DU IDIOT! Was hast du getan?! Du hast Benson damit zum Mehrheitsbeteiligten gemacht!"
"Oh ... jetzt wo du es sagst. Tatsächlich. Das ist mir gar nicht aufgefallen", erwiderte Caleb ruhig und berechnend. Er genoß es, Richards kleine Welt zusammen fallen zu sehen.
"Damit ruinierst du mich, ist dir das eigentlich klar?" Richard starrte Caleb völlig überrumpelt an. "Benson ... er wird mich absetzen," dämmerte es ihm.
Caleb zog eine Braue in die Höhe. "Er wird dir seine Pläne in Ruhe präsentieren. Er wartet bereits auf dich. Im 'Clarins'. Er hat einen schönen Tisch reserviert und freut sich schon darauf, dir zu erklären, wie es nun weiter geht, sobald wir hier fertig sind. Ich fürchte jedoch, deine Tage in der Firma sind gezählt."
Richard atmete hastig. Mit einem Finger weitete er seinen Kragen. "Das kannst du mir nicht antun, Caleb."
"Ich kann. Und ich habe."
Richard rang nach Atem, seine Adern am Hals traten hervor. "Damit werdet ihr nicht durchkommen, ihr Wichser! Nein!" Er ließ den Blick auf den Boden sinken, als würde er dort ein Staubkorn Hoffnung für sich finden. Dann platzte es plötzlich aus ihm heraus. "Das ist wegen diesem Flittchen, oder?! Du kleiner Trottel! Hast dich verliebt in das süße kleine Ding und jetzt willst du den großen Retter spielen? Deswegen setzt du alles aufs Spiel? Was hat sie dir für Flausen ins Ohr gesetzt?"
Calebs Augen verfinsterten sich. Richards Worte stachen wie Nadeln in Calebs Herz. "Halt sie da raus!"
Richard lachte sarkastisch. "Das naive Ding wusste genau, worauf sie sich einließ, als sie mich rangelassen hat. Sie dachte, sie könnte mit den Großen spielen und hat am Ende selbst gebrannt. Und jetzt willst du mir wegen ihr das Geschäft zerstören? Mein Geschäft? Du undankbarer..."
Richard wurde mit so einer Kraft von den Beinen gerissen, dass er nach hinten taumelte. Caleb war förmlich über den Schreibtisch gesprungen, hatte ihn fest am Kragen gepackt. Nur Zentimeter trennten die Gesichter der beiden Männer.
"Halt dein dreckiges Maul!", zischte Caleb mit purem Hass.
Richards Gesicht verdrehte sich zu einer hässlichen Grimasse. "Du denkst also, du könntest mich einschüchtern? Weil du dich in diese Schlampe verliebt hast?"
Caleb spannte seine Faust, sein Puls raste, seine Finger juckten danach, Richard ins Gesicht zu schlagen. Jeder Muskel in seinem Körper schrie danach, seinem Zorn freien Lauf zu lassen. Doch dann blitzte ein Gedanke durch Calebs Kopf. Er durfte Richard nichts antun, zumindest nichts, was sichtbare Spuren hinterlassen würde. Das könnte seinen Plan gefährden.
"Jeden Knochen in deinem verdammten Körper würde ich dir am liebsten brechen", knurrte er. Stattdessen zwang er sich, tief durchzuatmen und langsam von Richard abzulassen.
Richard hustete, versuchte wieder zu Atem zu kommen, während er sich den Hals rieb. Er zog sein Jacket zurecht, ehe er Caleb böse anfunkelte. "Du wirst bereuen, was du getan hast, Thomson."
Caleb hob eine Augenbraue. "Wir werden sehen."
Richard schnaubte verärgert, ehe er auf dem Absatz kehrt machte und aus dem Büro stürmte.
Er hörte wie seine Schritte im Flur hallten. Dann hörte er seine zornige Stimme bellen. "Fitches! Ich will, dass Sie sofort ins 'Clarins' kommen. Und bringen Sie alle verfügbaren Anwälte mit! Diese elendigen Pisser wollen mir meine Firma wegnehmen..."
Calebs Puls beruhigte sich nur langsam, während er die entfernten, wütenden Worte von Richard hörte, der offensichtlich mit seinem Anwalt telefonierte, während er abrauschte.
Er atmete tief ein und lehnte sich an seinem Schreibtisch an. Er konnte sich genau vorstellen, wie Richard in einem Anfall von Wut und Ego ins Auto springen und geradewegs zu Benson ins Restaurant rasen würde, den Highway entlang.
Das Problem mit erfolgsverwöhnten, arroganten Männern, die glaubten, sie könnten die Welt dominieren, war nicht ihre Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. Es war ihr Unvermögen, die Konsequenzen dieser Entscheidungen vorauszusehen, besonders wenn ihr ungebändigtes Ego die Kontrolle übernahm.
Richard war genau in die Falle getappt, die Caleb ihm gestellt hatte.
– ❤︎ –
Nach dem aufgeladenen Gespräch mit Richard setzte Caleb sich an seinen Schreibtisch, um noch einige Dinge zu erledigen. Obwohl die Spannung im Raum greifbar war, musste er fokussiert bleiben. Es gab noch einige Dinge, die er vorbereiten musste, bevor er das Büro für immer verlassen würde.
Er durchforstete seine Schubladen, sortierte alte Papiere und Dokumente, warf überflüssige Unterlagen in den Aktenvernichter und behielt nur das, was wirklich wichtig war. Seine Anwesenheit hier war fast zu Ende, und es war ein bittersüßes Gefühl.
Zwischendurch schrieb er einige Empfehlungsschreiben für seine engsten Mitarbeiter, die er über die Jahre geschätzt hatte. Es schien ihm nur fair, ihnen für ihre harte Arbeit und ihre Loyalität zu danken.
Als die Dunkelheit hereinbrach, packte Caleb seine persönlichen Gegenstände in eine Kiste. Er war fast bereit zu gehen, als sein Handy vibrierte. Eine Push-Nachricht der New York Daily.
"Verheerender Unfall bei Ausfahrt 72 des West Highways. Auto prallt ungebremst gegen Betonpfeiler. Ein Toter."
Ungebremst. Ein Toter. Caleb spürte, wie sich seine Magengrube zusammenzog. Er zögerte, doch dann klickte er auf den Link zum Nachrichtenartikel. Und da war es – ein Foto von Richards Auto, völlig zerstört, einen Betonpfeiler umwickelnd.
Er starrte auf das Display, sein Herzschlag beschleunigte sich, während der Text des Artikels verschwamm. Aber er hielt sich zurück, ließ nichts durchscheinen, zumindest nicht äußerlich.
Seine Schultern versteiften sich unmerklich, als er das Handy ausschaltete. Er legte es auf den Tisch und atmete tief durch. Für einen kurzen Moment gingen Calebs Gedanken an einen anderen Ort, an einen Ort zwischen Genugtuung, dunkler Befriedigung und süßer Rache.
Es gab keine Zeugen für seinen Gedanken, nur die stummen Wände und der dunkle Himmel draußen.
Dann endlich sammelte er sich wieder. Er nahm seine Kiste und verließ das Büro, seine Schritte hallten im leeren Flur wider.
Er sah nicht zurück.
Ein neues Kapitel begann, ein anderes hatte sein Ende gefunden.
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