☀︎ C A L E B - 16 ☀︎
Noch nie zuvor hatte Caleb seinen Wagen über solch eine lange Dauer komplett ausgefahren. Das Gaspedal war bis zum Boden durchgetreten. Sein Auto jagte mit einer Geschwindigkeit über die Straße, die er noch nie zuvor gewagt hatte. Alles um ihn herum war nur noch ein verschwommener Strich, und dennoch war seine geistige Klarheit gestochen scharf – sie zentrierte sich nur auf ein Ziel – Becky. Das Bild von ihrem lächelnden Gesicht, das er noch so deutlich vor Augen hatte, stand im krassen Gegensatz zu der panischen Angst um sie, die er jetzt verspürte.
Er konnte kaum atmen, die Enge in seiner Brust, ausgelöst von der schrecklichen Vorstellung, was ihr widerfahren sein könnte, schien ihm den Atem zu rauben. Die Unwirklichkeit der letzten Minuten, der Dialog mit Richard, ließ in seinem Kopf immer wieder die gleiche, quälende Frage aufkommen: Was hatte er getan?
Becky war so zart, so fein, während Richard eine ausladende, beherrschende Präsenz hatte. Ein Mann, der es gewohnt war, sich zu nehmen, was er wollte. Wut durchströmte Caleb, ein siedend heißes Gefühl, das ihm fast die Sicht nahm. Mit voller Wucht schlug er auf das Lenkrad ein und brüllte ein lautes "Fuck!" in die Nacht.
Die tiefe Überzeugung, dass Becky sich niemals freiwillig auf Richard eingelassen hätte, brannte in ihm. Denn je länger Caleb darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich – bei ihrem letzten Treffen hatte Becky ihn angesehen, als wäre er der einzige Mann in ihrem Universum. Als wäre er alles, was sie braucht, alles was sie wollte.
Caleb verfluchte sich innerlich, dass er diese Tiefgründigkeit erst jetzt erkannte. Hätte er bei ihrem Abschied im Inn dann anders reagiert? Wahrscheinlich nicht. Doch nun, mit der Vorstellung, dass ihr etwas passiert sein könnte, machte er sich heftige Vorwürfe, überhaupt gegangen zu sein.
Obwohl die Fahrt unter Beachtung aller Verkehrsregeln eigentlich drei Stunden dauern sollte, brauchte Caleb nur zwei Stunden bis zu Beckys Inn. Als er den Parkplatz erreichte, trat er hart auf die Bremse, riss die Tür auf und stieg aus.
Es war eine sternklare Nacht, die Luft war immer noch warm, aber die feuchte Kühle des Meeres bahnt sich seinen Weg zu ihm. Er ließ keine Zeit verstreichen.
Auf der Veranda brannte noch Licht, das restliche Haus war dunkel. Caleb eilte die hölzerne Treppe hinauf, nahm dabei nur jede zweite Stufe.
Von Becky war nichts zu sehen. Eine Wolldecke lag neben einer Strandliege, achtlos auf dem Boden. Neben der Tür entdeckte er Glasscherben, die im schwachen Licht glitzerten. Nein! Eilig stieg er über die Scherben, sie knirschten unter seinen Schuhen. Mit zitternden Händen stieß er die Tür auf. Finsternis empfing ihn.
Die Stille wurde nur von einem leisen Rauschen untermalt, welches Caleb nicht gleich zuordnen konnte, aber dann erkannte er, dass es Wasser in den alten Rohren des Hauses sein musste. Seine Sinne waren geschärft, als er langsam den Flur entlangging, auf dem Weg zur Treppe.
"Becky?", fragte er vorsichtig hinauf, bekam aber keine Antwort. Kurzerhand ging er hinauf. Oben wurde das Rauschen lauter, begleitet vom sanften Plätschern von Wasser. Caleb folgte dem Geräusch, zunächst in Beckys Zimmer, vorbei an ihrem großem Bett. Der Mondschein, der durch die Fenster fiel, erhellt ihm den Weg gerade genug, um nirgends gegen zu stoßen.
Das Badezimmer war nur durch einen Spalt geöffnet, und als er die Tür langsam aufstieß, offenbarte sich ihm ein Anblick, der ihn förmlich erschlug.
Becky saß in der Badewanne, ihre Beine fest an sich gezogen, ihre Arme fest um ihre Knie geschlungen. Die blauen Lippen, das feuchte, nasse Haar, die abwesende Miene, die auf das stetig einlaufende Wasser starrte – bitte nicht! In diesem Moment, beim Anblick von Beckys zerbrechlicher Gestalt in der Wanne, wurde ihm mit vernichtender Klarheit bewusst, was geschehen sein musste. Eine Erkenntnis, so scharf und durchdringend, dass sie ihm beinahe den Atem nahm. Richards Bild flammte in seinem Geist auf, und eine unglaubliche Wut mischte sich in den Cocktail seiner Gefühle. Caleb fühlte sich wie gelähmt. Es war, als hätte jemand ein Messer in sein Herz gestoßen. Ein stechender Schmerz, den er so noch nie erlebt hatte. Doch er musste nun funktionieren. Für sie.
Mit zögerlichen Schritten näherte er sich ihr, so vorsichtig, als wäre der Boden mit Eierschalen bedeckt. "Becky?", flüsterte er, seine Stimme brüchig und leise, als hätte er Angst, sie könne in tausend Teile zerfallen.
Sie antwortete nicht, ihr Körper zitterte so stark, dass kleine Wellen die ruhige Oberfläche des Badewassers durchbrachen.
Caleb konnte den Anblick nicht ertragen. "Oh Becky...", hauchte er, während er neben der Wanne in die Hocke ging. Ein Sturm der Emotionen toste in ihm. Er wusste, dass er vorsichtig sein musste, nicht nur in seinen Aktionen, sondern auch in seinen Worten. Aber was sollte er tun?
Instinktiv strichen Calebs Finger zögerlich über Beckys eiskalte Wange, eine Berührung, die wie ein Stromschlag wirkte. Beckys grüne Augen, die zuvor in eine unendliche Leere gestarrt hatten, fixierten ihn jetzt mit einer Mischung aus Verzweiflung, Erkennung und Erlösung. Die Isolationswände, die sie um sich errichtet hatte, brachen mit einem Mal in sich zusammen, und Beckys leises Schluchzen schien den gesamten Raum auszufüllen.
"Oh, nein Baby... shhhh", seine Stimme war ein gebrochenes Flüstern, gefüllt mit so viel Schuld und Schmerz, dass es fast körperlich wehtat. Mit einer vorsichtigen, fast zärtlichen Bewegung hob er sie kurzerhand aus der Wanne. Das Wasser tropfte von ihrem blassen, nackten Körper, während sie sich hilflos an ihn klammerte. Ihr Weinen durchbohrte sein Herz, jeder Schluchzer ließ ihn innerlich zusammenzucken. Nein. Nein. Nein.
Caleb trug sie zum Bett und hüllte sie sanft in eine Wolldecke ein. Er zog sie in seine Arme, hielt sie fest, als könnte er so die Dämonen der letzten Stunden vertreiben. Ihre Hände krallten sich in sein Hemd, ihr Schluchzen klang völlig verloren in der Dunkelheit des Zimmers.
„Shhh... ich hab dich...", flüsterte er, während er versuchte, seine eigenen Gefühle im Zaum zu halten. "Es tut mir so leid." Er fühlte eine Ohnmacht, die er noch nie zuvor erlebt hatte, eine tiefe Reue darüber, nicht bei ihr gewesen zu sein, als sie ihn am meisten gebraucht hatte.
Jeder andere Schmerz, den er in seinem Leben gespürt hatte, verblasste im Vergleich zu dem, was er jetzt fühlte. Hass auf Richard, Zorn auf sich selbst und eine quälende Sorge um Becky.
„Du bist jetzt sicher, Kleines", murmelte er an ihrem Scheitel, während er ihren Kopf gegen seine Brust presste. „Ich lasse dich nicht mehr los."
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