☼ B E C K Y - 21 ☼
Die Sonne hatte ihren Höhepunkt überschritten und neigte sich langsam dem Horizont zu, als es an Beckys Tür klingelte. Sie zögerte einen Moment, bevor sie die Tür öffnete. Da stand Charlotte, die Strahlen der Nachmittagssonne rahmten sie ein, und für einen kurzen Moment fühlte es sich an, als wäre die Zeit stehen geblieben.
„Hallo, Becky." Ihre Stimme war immer noch die gleiche - sanft und beruhigend. Sie trat vor und umarmte Becky, und in diesem Moment verschmolzen die Jahre der Trennung, als ob sie nie existiert hätten.
Beckys Augen schimmerten feucht. „Es kommt mir vor wie eine andere Welt, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben."
Charlotte lächelte und strich eine verirrte Haarsträhne aus Beckys Gesicht. „Zeit hat die Angewohnheit, so zu fliegen. Aber du siehst gut aus."
"Ebenso."
Becky trat zurück und schaute Charlotte an. „Danke, dass du gekommen bist."
„Wo sonst sollte ich sein, wenn du mich anrufst?", erwiderte Charlotte, und die Einfachheit ihrer Antwort berührte Becky.
Nachdem sie sich kurz über alte Zeiten ausgetauscht hatten, beschlossen sie, zum Strand zu gehen. Es war ein kurzer Spaziergang, doch er fühlte sich wie eine Reise in eine andere Welt an. Das Rauschen der Wellen, das leichte Salz in der Luft, es war ein Ort, der Heilung versprach.
Sie setzten sich in den Sand, ließen die Zehen von den weichen Körnern umspielen. Die Stille zwischen ihnen war behaglich, die einzigen Geräusche kamen von den Wellen und den gelegentlichen Möwen.
Charlotte räusperte sich. "Wollen wir anfangen?"
Becky atmete tief ein und straffte die Schultern. "Okay."
Charlotte tätschelte ihren Oberschenkel. "Also, alles kann, nichts muss. Merk dir das, okay?"
Becky befeuchtete ihre Lippen. Sie schmeckten bereits nach Meersalz. Sie nickte optimistisch. "Okay."
"Erzähl mir von deinem Alltag. Deinem Alltag nach dem Vorfall", begann Charlotte sanft. Ihre Stimme trug das Gewicht von Jahren der Erfahrung und des Zuhörens. „Wie fängt dein Morgen an?"
Becky zögerte einen Moment. „Hm ... normalerweise wache ich früh auf. Ich versuche, eine Routine zu haben, um mich geerdet zu fühlen. Ein kleines Frühstück, ein bisschen Yoga am Strand, ein kleiner Spaziergang. Ich versuche, so viel selbst zu machen, wie es geht."
„Wie verbringst du den Rest deines Tages?"
„Meistens mit Gesprächen." Becky lächelte sacht, als sie an Caleb dachte.
"Gesprächen mit...?"
"Mit meinem..." Becky war geneigt Freund zu sagen – doch hatten sie es als solches nie betitelt. "Mit Caleb", antwortete sie stattdessen.
Charlotte zog eine Braue in die Höhe. "Dein Partner?"
Becky schnaufte und zuckte mit den Schultern. "I-ich weiß nicht ... ich schätze schon, irgendwie."
"Verstehe." Charlotte grinste. "Wie ist er so?"
Becky schloss die Augen für einen kurzen Moment, bevor sie sprach, als würde sie versuchen, genau die richtigen Worte zu finden. „Caleb ist ..." sie suchte nach Worten, „er ist wie ein Leuchtfeuer, von dem ich nie wusste, dass ich es brauchte. In einer Zeit, in der alles in meinem Leben dunkel war, wurde er zu meinem ständigen Licht."
"Er hat dieses bemerkenswerte Gespür für mich", fuhr sie fort, wobei ihre Stimme von Ehrfurcht getragen wurde. „Manchmal denke ich, er weiß genau, was ich brauche, bevor ich es selbst tue. Es sind diese kleinen Dinge, diese Gesten, die zeigen, wie sehr er sich kümmert. Er bringt mir morgens Kaffee ans Bett, liest mir vor, wenn ich nicht schlafen kann, und hält mich einfach, wenn die Nächte am dunkelsten sind, ohne mich dabei zu bedrängen. Er gibt und gibt und gibt, will aber nichts zurück."
Beckys Augen füllten sich mit Tränen. „In den ersten Nächten, in denen ich besonders verloren war, blieb er wach, hielt mich fest und ließ mich weinen, bis ich einschlief. Aber es ... es fühlt sich nach so viel mehr an als nur Fürsorge. Es ist, als ... als hätte er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, mich zu beschützen und sicherzustellen, dass ich mich sicher fühle. Es klingt vielleicht bescheuert, aber er wacht über mich, als wolle er sicherstellt, dass nichts und niemand mir jemals wieder wehtut."
Becky schluckte. Es auszusprechen ließ sie nur noch stärker spüren, mit welcher unerschütterlichen Entschlossenheit Caleb bereit war, alles für sie zu geben.
„Und das Erstaunlichste an allem ist, dass er nie etwas dafür verlangt. Nicht ein Dankeschön, keine Gegenleistung. Er tut es einfach." Tränen lösten sich von ihrem Wimpernkranz. "Und ... und das ... das macht mich so unendlich traurig, weil ich überhaupt nicht weiß, wie ich ihm jemals das zurückgeben kann, was er mir grade gibt."
Charlotte berührte sanft Beckys Hand. „Manchmal, Becky, ist Liebe das Einzige, was jemand im Gegenzug möchte."
Becky nickte. „Weiß Gott, das tue ich. Sehr sogar. Ich habe es ihm noch nicht gesagt, aber ich tue es. Mit jeder Faser meines Seins. Aber manchmal frage ich mich, ob meine Liebe jemals ausreichen wird, um all die Güte und Aufopferung, die er zeigt, auszugleichen."
„Liebe misst man nicht in Mengen, Liebes", sagte Charlotte leise. "Sie ist einfach da. Und das reicht völlig."
Becky wischte ihre Tränen mit dem Handrücken von der Wange und lächelte.
Charlotte tätschelte Beckys Bein. "Er klingt in jedem Fall nach einem sehr besonderen Mann."
„Ja", flüsterte sie. „Das ist er."
Becky ließ ihren Blick wieder auf das Meer fallen. „Manchmal, wenn ich aufwache und ihn neben mir spüre, bin ich einfach nur dankbar. Dankbar, jemanden wie ihn zu haben, der mich ohne Vorbehalt akzeptiert und schützt. Aber dann ... dann denke ich, dass er vielleicht ... na ja, vielleicht nicht da wäre, hätte es den Vorfall nicht gegeben."
"Wie kommst du darauf?"
Becky atmete tief durch und blickte zu Charlotte. "Ich glaube, ich habe einfach Angst, dass alles zu gut ist, um wahr zu sein. Dass Caleb vielleicht nur aus Mitleid bei mir ist."
Charlotte schaute sie prüfend an. "Becky, Mitleid hält nicht ewig an. Was du beschreibst, klingt nach tiefer Zuneigung und Fürsorge. Wenn Caleb nur aus Mitleid bei dir wäre, dann wären all diese kleinen Gesten, die er zeigt, nicht so ehrlich und kontinuierlich."
Becky seufzte. "Ich weiß, es klingt albern."
Charlotte lächelte sanft. "Es ist nicht albern, solche Gefühle zu haben. Aber manchmal müssen wir auch auf unser Herz hören und den Moment genießen, anstatt uns ständig Sorgen zu machen. Es ist natürlich, solche Gedanken zu haben, besonders nach dem, was du durchgemacht hast. Aber Caleb hat die Wahl getroffen, an deiner Seite zu sein."
Becky nickte langsam.
Die beiden Frauen saßen schweigend da, während die Wellen leise an den Strand plätscherten. Das sanfte Geräusch des Meeres trug ihre Gedanken und Ängste fort, ließ sie für einen Moment vergessen. Doch dann kam ihr wieder dieser eine, bohrende Gedanke.
Becky brach schließlich die Stille. "Da ist noch etwas."
"Erzähl's mir." Charlotte lächelte.
"Manchmal ... manchmal beschleicht mich da so ein Gefühl", Becky atmete tief ein, bevor sie weitersprach, "dass ich all das erleben musste, um Caleb und mich näher zusammen zu bringen. Ergibt das Sinn?"
Charlotte ließ sich einen Moment Zeit, bevor sie antwortete, ihre Augen auf das sich ständig verändernde Muster des Ozeans gerichtet. "Ich verstehe, was du meinst. Manchmal versuchen wir, einen Sinn in all dem Schmerz und den Traumata zu finden, die wir durchgemacht haben. Es ist eine Art, zu versuchen, das Unfassbare zu verstehen und einen Platz für es in unserer Geschichte zu finden."
Becky fuhr sich nervös durch die Haare, bevor sie fortfuhr. "Es ist nur so ... wenn dieser Vorfall nicht passiert wäre, hätte ich dann jemals diese Bindung zu Caleb gespürt? Über die sexuelle Anziehung hinaus, meine ich? Wären wir überhaupt an diesem Punkt? Und dieser Gedanke macht mir Angst, weil es so klingt, als wäre ich dankbar für das, was passiert ist."
Charlotte rückte näher zu Becky und nahm ihre Hand. "Das Leben hat eine seltsame Art, uns auf Wege zu führen, die wir uns nie hätten vorstellen können. Das bedeutet nicht, dass wir dankbar für das Leid sein müssen. Aber vielleicht kannst du dankbar dafür sein, dass du trotz allem jemanden gefunden hast, der dich unterstützt und bei dir ist. Es geht nicht darum, die Verletzung zu schätzen, sondern die Heilung und die Liebe, die danach kam."
Becky atmete tief durch und schloss kurz die Augen. "Ich möchte einfach nur, dass meine Bindung zu Caleb echt ist. Nicht nur ein ... ein Produkt dieser Tragödie."
"Sprich mit ihm darüber. Caleb scheint mir ein Mann zu sein, der dir zuhören wird. Er wird dir deine Ängste nehmen, da bin ich mir sehr sicher."
Becky nickte. Die beiden Frauen lächelten einander an, und in diesem Moment, getragen vom sanften Rhythmus der Wellen, fühlte Becky sich ein wenig leichter, ein wenig hoffnungsvoller. Es war ein Anfang. Ein Schritt in die richtige Richtung.
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