☼ B E C K Y - 1 ☼
Becky lehnte sich gegen das von der Sonne gewärmte Holzgeländer des 'Sandpoint Inn' und genoss die milde Brise, die das Salz des Meeres mit sich trug. Sie schaute auf das schier unendliche Blau vor sich, welches sanft in den Horizont überging. Schäumende Wellen kräuselten die Oberfläche, während Möwen mit eleganten Schwüngen die Szenerie bereicherten. Es war der perfekte Ort für Ruhe und Gelassenheit, bevor die Arbeit im Gasthaus wieder ihren Lauf nehmen würde.
Doch ein tiefes, dröhnendes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Ein Auto rollte elegant und mit einer Selbstverständlichkeit auf den Parkplatz des Gasthauses, wie ein Raubtier, das sein Territorium betrat. Das helle Sonnenlicht ließ den dunklen Lack des Aston Martin Vantage imposant schimmern.
Das musste er sein. Beckys einziger Gast für dieses Wochenende. Neugierig stieß sie sich vom Geländer ab, ließ ihre Hände in die Gesäßtaschen ihrer Jeans gleiten und sah die Veranda hinab.
Der Mann, der einen Moment später ausstieg, passte zu der Ausstrahlung des Wagens. Er war groß, breitschultrig und hatte eine fast schon erhabene Aura, die ihn wie eine unnahbare Statue erscheinen ließ. Sein dunkles Haar war sorgfältig gestylt, und sein Gesichtsausdruck strahlte eine Intensität aus, die nur wenige Männer besaßen.
Er hielt einen Moment inne, um seine Umgebung zu überblicken, ehe sein Blick auf Becky fiel. Ihre Augen trafen sich für einen kurzen Moment, dann ließ er den Blickkontakt auch schon wieder abreißen. Becky sah, wie er um den Wagen schritt, um seinen Koffer auszuladen. Dann ging er die wenigen Treppen zum Gasthaus hinauf.
Becky atmete tief ein. Mit einem letzten Blick auf das Meer drehte sie sich um und ging ebenfalls hinein, um ihren neuen Gast zu begrüßen. Als sie durch den Speiseraum in den Flur zur kleinen Rezeption trat, wartete er bereits auf sie. In der einen Hand hielt er sein Handy, während er mit den Fingern der anderen leise auf das Holz der Rezeption trommelte. Seine Präsenz füllte spielend leicht den Raum, und Becky wäre wahrscheinlich eingeschüchtert, wäre dies hier nicht ihr Terrain.
"Hi, ich bin Becky", begrüßte sie ihn also unbedarft, und schenkte ihm ein warmes Lächeln. "Herzlich Willkommen in Sandpoint."
Er sah kurz von seinem Handy auf. Seine Augen waren von einem intensiven hellen blau, das im bemerkenswerten Kontrast zu seinem fast schwarzen Haar stand. "Caleb, Caleb Thomson", sagte er mit tiefer Stimme und ohne weitere Begrüßungsfloskeln. Er schien das ganze Prozedere des Check-Ins abkürzen zu wollen.
Becky presste einen Moment lang ihre Lippen aufeinander. So einer war er also. Typ – der Ergebnisorientierte. Wenn auch überaus attraktiv.
"Mr. Thomson, es freut mich sehr. Sie sind geschäftlich hier nehme ich an?" Becky konnte nicht umhin, den dunkelblauen Anzug zu bewundern, den er trug. Maßgeschneidert, da war sie sich sicher. Sie lächelte anerkennend.
"Das bin ich, ja", antwortete er knapp.
"Nun, ich sollte Ihnen dann vielleicht direkt sagen, dass das WLAN hier nicht das Stabilste ist, vor allem wenn...", begann sie, doch er unterbrach sie.
"Es wird schon gehen, vielen Dank", wiegelte er ab, seine Stimme klang entschlossen und ein wenig gelangweilt.
Sie biss sich nickend auf die Lippe. "Oh okay." Dann lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf das Schlüsselbrett und angelte sich den Schlüssel fürs beste Zimmer des Hauses, welches sie bereits vorbereitet hatte. Als sie aufsah, trafen sich ihre Blicke kurz und sie lächelte. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Von dort haben sie einen perfekten Panoramablick aufs Meer."
Becky führte ihn die knarzenden Holzstufen hinauf, ehe sie das Zimmer erreichten. Sie öffnete die Tür für ihn und ließ ihn eintreten. Dabei fiel ihr auf, wie wahnsinnig gut er roch.
Ungeachtet davon ließ Caleb seinen Blick durch den Raum schweifen und sie konnte nicht anders, als zu hoffen, dass er sich hier wohl fühlen würde – doch entgegen ihrer Erwartung kommentierte er das Zimmer nicht weiter.
Becky räusperte sich. "Nun ... wenn Sie mich brauchen, finden Sie mich unten. Ansonsten kommen Sie erst einmal an", sagte sie, freundlich wie immer.
Er nickte ihr zu und schenkte ihr ein höfliches, mattes Lächeln. "Danke."
– ❤︎ –
Becky gab ihr Bestes, um ihrem Gast eine angenehme Zeit zu bereiten. Sie hatte für ihn das feinste Abendessen zubereitet, dass sie zu bieten hatte. Sie war extra zum Markt gefahren, um die frischesten Zutaten zu besorgen. Fürs Dessert hatte sie sogar eine besondere Mousse au Chocolat gemacht, die sonst nur an besonderen Anlässen auf den Tisch kam.
Aber als sie die Nachspeise nun in seine Richtung trug, sah er nicht einmal von seinem Macbook auf. Becky räusperte sich und versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. "Sie ... sie sollten es probieren, es ist wirklich lecker."
"Mhm, danke." Er sah kurz auf, nickte nur und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.
Becky musterte ihn. "Sie scheinen ja wirklich sehr beschäftigt zu sein", stellte sie fest und konnte nicht leugnen, dass sie seine Hingabe zur Arbeit auf merkwürdige Weise attraktiv fand. Sie liebte ihren Job schließlich auch. Mehr noch. Er war ihre Passion.
Doch auch diesmal war Calebs Reaktion auf ihren Small-Talk eindeutig – es gab schlichtweg keine.
Becky jedoch nahm die Abweisung mit einem Lächeln hin. Sie hatte schon härtere Gäste-Nüsse geknackt. "Wissen Sie was? Morgen findet ein Hafenfest statt", erklärte sie, ungeachtet von seinem Tippen auf der Tastatur. "Es ist eine Tradition hier in Sandpoint und wirklich sehenswert. Es wäre schön, Sie dort zu sehen."
Er nickte, ohne aufzublicken. "Danke für die Info."
Becky musterte ihn einen Moment lang. Seine dunkelbraunen Haare lagen in perfekten Wellen an seinem Kopf. Er hatte seinen Anzug abgelegt und mit einer Jeans und mit einem schlichten schwarzen Shirt getauscht, was ihr die Sicht auf seine trainierten Arme freilegt. Er schien also nicht nur eine Leidenschaft für seine Arbeit, sondern auch für Sport zu haben. Dieser Mann war in jedem Fall ein Rätsel, und sie fühlte den unwiderstehlichen Drang, es zu lösen.
Kurzerhand setzte sie sich ihm gegenüber an den Tisch. "Darf ich?"
Caleb schaute auf und runzelte überrascht seine Stirn, als er realisierte, dass Becky nicht das Dazusetzen an sich meinte, sondern das Trinken seines bisher unangetasteten Rotweins.
"Schmeckt mein Wein?" Seine Stimme war tief und das Vibrato darin erinnerte sie an einen Kontrabass.
Becky ließ sich den letzten Schluck genüßlich schmecken und stellte das Glas lächelnd wieder ab. "Natürlich!", sagte sie gut gelaunt und zwinkerte Caleb zu. "Ich hab ihn schließlich ausgesucht."
Er schnaubte ungläubig, doch sein Mundwinkel zuckte kaum merkbar in die Höhe.
"Würde Ihnen auch gut tun", versuchte sie es erneut, ihr Lächeln unvermindert. "Den Wein meine ich." Trotz seiner distanzierten Art konnte Becky nicht umhin, ihn faszinierend zu finden. Er war so anders als die üblichen Gäste, die in Sandpoint vorbeikamen. Attraktiver. Anziehender. Nun gut ... und verschlossener – soviel Zeit musste sein. Aber vielleicht war es grade das, was Becky reizte.
Seine Stirn runzelte sich. "Gut, dass Sie wissen, was mir gut tut ... aber wissen Sie was?" Calebs blaue Augen funkelten sie an, seine Lippen umspielte ein leises Lächeln. Er lehnte sich ihr ein kleines Stück entgegen, als würde er ihr ein Geheimnis verraten. "Meine Arbeit wartet nicht."
Becky schnaubte leise, ehe sie sich ebenfalls ein Stück nach vorne lehnte. "Nun ... das Leben tut es auch nicht", sagte sie herausfordernd, obwohl sie wusste, dass er wahrscheinlich eh nicht darauf eingehen würde.
Er sah sie durchdringend an. Seine Miene war unergründlich, doch das Mahlen seiner Kiefer aufeinander verriet ihr, dass sie ihm in jedem Fall einen Denkanstoß gegeben hatte. "Vielleicht", murmelte er schließlich. Nach einem kurzen Moment riss er sich von ihrem Anblick los und widmete sich wieder seiner Arbeit.
Becky konnte sich nicht helfen, aber irgendetwas in ihr trieb sie an, es noch einmal zu versuchen. "Sind Sie immer so fokussiert?"
Caleb hielt inne, dann räusperte er sich und sah sie endlich wieder an. "Nur, wenn ich arbeiten muss. Und bei allem Respekt, aber das ist genau der Grund, warum ich hier bin, Becky."
"Wie Sie wollen", entgegnete sie, ehe sie aufstand. "Aber nicht, dass Sie Sandpoints schöne Seiten verpassen."
Caleb lehnte sich in seinem Stuhl zurück, dann sah er Becky auf eine Art und Weise an, die sie nicht recht deuten konnte. "Keine Sorge."
"Fein", entgegnete sie, ihre Augenbraue spitzbübisch hochziehend. Ob sie mit ihm flirtete? Möglicherweise. Tat er es auch? Das war schwer zu sagen.
Er schnaubte. "Wenn Sie nun also so freundlich wären?" Er deutete auf sein MacBook.
Becky nickte. "Natürlich, Mr. Thomson. Genießen Sie Ihre Arbeit."
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