Fäden und Lächeln im Gesicht
So saß ich hinter einer Tür und sah Lisas Goldlocken von hinten noch umherschwingen. Ich guckte ihr hinterher, wie sie meinen Namen rief und hinter fast jede Ecke schaute, bis ich sie nichtmehr sehen konnte. Dann erst atmete ich auf. Und auch dann erst bemerkte ich, wo ich gelandet war. Nämlich war ich durch die offene Tür in ein Haus eingedrungen, in dem eine Familie saß und mich mit großen Augen ansah.
"Oh Gott, tut mir sehr leid, lasst euch nicht stören, schönen Tag noch!", da stolperte ich rückwärts wieder aus der Tür hinaus und hörte hinter mir noch sowas wie "Dieses Stadtmädchen denkt wohl, sie kann sich alles erlauben!", bevor ich die alte Holztür hinter mir zuschlug. Ich sah mich um, alle Passanten hatten Lisa davonbrausen sehen und alle wussten wohl, dass es sich bei der Zora, die sie suchte um mich handelte, also wurde ich angestarrt. Mal wieder. Die Situation machte mich kleinlaut, also ließ ich mich anstarren, als ich mich in der Straße umsah. Es war nur ein kleiner Weg, Holzbretter waren über die Wiese verteilt, was die Straße bildete. Ich kannte mich hier gar nichtmehr aus und ich war auch bereits zwei Blocks von dem Ort entfernt, an dem ich Lisa stehengelassen habe. Ich ging auf eine großgebaute, dunkle und hübsche Frau mit einem kleinen Kind im Arm zu.
"Entschuldigung, kannst du mir sagen, wo man jemanden hinbringen würde, der durch Feuer verletzt wurde? Habt ihr hier einen Arzt oder eine Station?" Sie sah mich abfällig an und schüttelte entschieden den Kopf, statt mir eine Antwort zu geben. Dann drehte sie sich weg von mir. Ich beschloss, nicht beleidigt zu sein. Ich ging also noch ein paar Meter die Straße entlang, wo zwei Herren standen. Irgendwie standen sie neben so einem hölzernen Gerüst, auf dem allerlei buntes Zeug lag. Leute liefen an den beiden vorbei, legten Papierstücke und Metallkreise auf ein Holz und nahmen sich dafür einfach etwas aus den Körben. Und den alten Mann, der hinter der Theke stand, störte es nicht, dass er beklaut wurde! Er sah zu und steckte die Papierstücke ein. 'Vielleicht ist es soetwas wie ein Tauschgeschäft', dachte ich in dem Moment. Ich hätte nicht gedacht, dass ich genau dort, an diesem Obststand zum ersten Mal mit Geld und dem Kaufprinzip konfrontiert wurde. Wie wichtig das hier war, hatte ich noch nicht geahnt. Und die zwei Herren mittleren Alters standen daneben und diskutierten über irgendetwas. So viel ich verstand, wollte einer eine Wassermelone und der andere eine Erdbeere. Aber ich hatte eine andere Mission, als das du verstehen. Ich tippte einen von ihnen an der Schulter an und fragte dieselbe Frage, die ich der Frau gestellt habe. Die zwei entschieden sich, mir zu helfen.
"Wir haben ein Krankenhaus im Frühjahrsdorf." Ich sah sie fragend an. "Das ist der Weg da vorne links. Dem musst du folgen, bis er zu ende ist, dann biegst du nach links und schon bist du im Frühjahrsdorf. Dort fragst du einfach noch jemand anderen, wie du zum Krankenhaus kommst." Ich bedankte mich herzlich bei den beiden und verabschiedete mich, um mich sofort auf den Weg zu machen. So folgte ich dem Rat der Männer und lief den Weg, den Lisa gerannt war, um mich zu suchen, entlang. Nach etwa einer Minute fragte ich mich, wie die beiden sich wohl entschieden haben, also drehte ich mich nochmal um und sah, wie die beiden Hand in Hand in die andere Richtung liefen, jeder von ihnen hatte eine Tüte in der Hand, also hatten sie womöglich beides genommen und ich freute mich für sie.
Ich kam an dem Weg an, den sie meinten und lief ihn bis zum Ende. Allerdings hatte ich gedacht, es war soetwas, wie die kleinen Gassen, die ich bisher kennengelernt habe. Aber das hier war eine Hauptstraße, sie war lang und gepflastert und ich konnte das Ende nicht sehen. Also müsste ich ja dann komplett bis zu der Klippe kommen, weil es in diese Richtung ja gar nicht viel weiter ging. Ich begann zu gehen, aber es war ein langer Gang. Ich sah viele Autos an mir vorbeifliegen und Leute an mir vorbeilaufen und auch nach einer halben Stunde sah ich das Ende der Straße nicht. Erst nach einer geschlagenen Stunde, sagte mir ein Fußgänger, dass ich es bald erreicht hätte. Tatsächlich war dem auch so, die Straße endete ganz abrupt. Es gab von hier einen Weg nach rechts und links und ich wusste noch genau, wo ich entlang musste. Ich war froh, dass ich schon bald ankommen würde. Ich lief nach rechts, fragte dann, wie vorgegeben, einen Passanten nach dem genauen Weg zum Krankenhaus. Nach einer weiteren Dreiviertelstunde stand ich davor. Über der Eingangstür stand ganz groß das Wort "Hospital" in Leuchtschrift. Genau so, wie beschrieben. Eine Dame hatte mir gesagt, drinnen sollte ich zur Rezeption gehen und nach der Person fragen, die ich besuchen wollte. Ich öffnete die Tür und sah mich um, wo ich diese Rezeption finden konnte. Dabei fiel mir auf, dass auch hier alles sehr weiß eingerichtet war, auch wenn hier an den Wänden bunte Bilder hingen. Aber der Boden war weiß meliert und die Stühle und Tische waren auch weiß, trotzdem aber war es ganz anders, als in der Villa von Lisa. Denn hier war es nicht so glänzend. Nein, viel eher sah es hier schon sehr abgenutzt aus, dreckig fast. Aber inzwischen hatte ich die Rezeption gefunden ,also wollte ich keine Zeit mehr verlieren. Ich lief schnurstracks hin und sprach eine junge, schwarzhaarige Dame hinter dem Tresen an: "Kannst du mir sagen, ob Niklas hier ist? Der hat so braune Haare, ungefähr bis hier und -", sie unterbrach meine mit Händen inszenierte Beschreibung: "Du musst mir schon seinen Nachnamen sagen, sonst kann ich dir nicht sagen, ob er hier ist. Wir haben 'ne Menge Niklase hier" Ich war erschrocken von ihrem motzigen Unterton. Ich fragte mich, ob ich irgendeine Höflichkeit vergessen hatte, aber stattdessen konzentrierte ich mich jetzt lieber weiter auf Niklas.
"Ich weiß seinen Nachnamen aber nicht. Er müsste vor ein paar Stunden erst hergekommen sein. Vielleicht vor drei, kannst du dich an ihn erinnern?" Sie sah mich total wütend an, aber ich verstand gar nicht, wieso. Aber dann wandte sie den Blick ab und tippte auf irgendeinem Brett mit Buchstaben drauf herum und sah in einen Bildschirm, der aussah, wie einer von diesen Fernsehern, die sie im Dorf alle hatten, nur viel kleiner. Ich war kurz sehr fasziniert davon, dass das, was sie auf dem Brett drückte auch gleichzeitig auf dem Bildschirm erschien. Sie erschreckte mich, indem sie mich aus meinen Gedanken holte: "Vor etwa zwei Stunden ist ein Niklas Kehra eingeliefert worden, kann das sein?" Mein Gesicht erhellte sich.
"Ja, das kann gut sein! Wo ist er?"
"Zimmer 734." Ich bedankte mich ganz herzlich, während sie nur die Augen verdrehte. Ich lief auf die Treppe im hinteren Teil der großen Eingangshalle zu und lief sie nach oben, bis da "Zweiter Stock" an der Wand stand. Ich lief den langen Gang entlang und murmelte vor mich hin: "728..., 730..., 723..." und dann stand da die Nummer 734 und ich überlegte nicht lange, sondern stürmte in das Zimmer. Und ich hatte schon fast Angst, während ich hineinlief, dass er der falsche Niklas hätte sein können, aber als ich auf einem der zwei Betten im Raum Niklas, meinen einzigen Freund hier, sitzen sah, fiel mir ein Stein vom Herzen.
"Niklas!!", rief ich und umarmte ihn stürmisch, aber nur kurz. Jetzt, wo ich ihn da so sah, fiel mir ein, warum es mir überhaupt so wichtig gewesen war, ihn zu sehen und die Schuldgefühle überkamen mich. Ich starrte ihn förmlich an, denn sein Gesicht machte mir Angst. Die rechte Hälfte seines Kopfes war mit weißem Band überklebt und die andere Hälfte war dreckig. Seine Haare standen wirr in alle Richtungen, die Spitzen waren schwarz. Ich hielt mir die Hand vor den Mund. Er sah schrecklich aus, wirklich gar nicht mehr so voller Leben, wie in den letzten Tagen. Gerade erst heute morgen hatte er gelacht und seine Sommersprossen hatten geleuchtet. Aber sogar jetzt schlich sich ein breites Lächeln über sein Gesicht, nur wieso? "Warum lachst du denn?"
"Ich finde es lustig, wie besorgt du aussiehst. Es ist wirklich halb so wild, Zora. Hier drüben musste 'ne Kleinigkeit genäht werden, es geht mir gut.", er hatte verstanden, wieso ich mich sorgte, aber er begann zu kichern und das könnte ich nun wirklich nicht verstehen.
"Aber du siehst nicht gut aus.", ich sah guckte ihn traurig an.
"Oh wow, danke dir.", er stieß einen lauten Lacher aus, aber ich blieb stumm. Er was sarkastisch und eigentlich fand' ich es lustig. Aber nicht jetzt, nicht, wenn er so aussah. "Wieso macht dir das so viel aus?" Da wollte ich es ihm sagen.
"Das Holz hätte mich erwischen sollen... Ich weiß, das klingt pathetisch, aber so ein Alec hat gesagt, sie hätten auf mich gezielt... Ich hab' mich weggeduckt und stattdessen hat dieses brennende Holz dich erwischt. Das tut mir leid. Ich hab noch nichtmal geholfen, dich aus dem Raum zu ziehen." Ich sah zum Boden, aber nicht einmal das konnte Niklas die Laune verderben.
"Zoraia, mach dir doch bitte nicht so einen Kopf. Ich bin in meinem Leben schon tausend mal wo genäht worden, es ist wirklich nicht so schlimm. Du benimmst dich ja, als wär' ich gestorben! Ich bin eher froh, dass dir nichts passiert ist... Ich meine, dich hätte es bestimmt sehr verwirrt, so wie ungefähr alles. Du schaust immer so verwirrt durch die Gegend, das ist total witzig.", er begann wieder zu lachen. Und das fand jetzt auch ich lustig. Er hatte irgendwie recht. Mir fiel auf, er hatte einen ähnlichen Humor, wie Fin. Er konnte mich ärgern, ohne mich dabei zu beleidigen, deshalb lachte ich jetzt mit ihm. "Wo ist eigentlich Lisa? Sie hat bestimmt den Süßigkeiten-Automaten gesehen.", spaßte er, aber diesmal vertrieb ich ihm das Lachen irgendwie.
"Keine Ahnung, wo sie ist, ich bin abgehauen." Er machte riesige Augen.
"Bitte was? Wie bist du abgehauen?"
"Ich bin einfach weggerannt. Sie ist mir noch hinterhergerannt, aber sie hat wirklich kurze Beine.", diesmal lachte ich, aber ihn konnte ich jetzt nicht dazu motivieren.
"Aber wieso?"
"Na, um herzukommen. Nach dir zu gucken... und äh, Ich wollte mal was sehen und nicht immer nur hören, dass ich es erklärt bekommen würde, wenn die Zeit reif wäre. Ich hab noch nie irgendwas erklärt bekommen, seit ich hier bin! Schau mal, ich wusste nichtmal, dass man in diese Richtung weitergehen konnte, dass hier noch ein Dorf ist. Lisa hat gesagt, dass hier die Klippen sind und -", ich unterbrach mich selbst, weil mir etwas auffiel: "Warte mal.. du hast mir das doch gesagt... Wo sind denn die Klippen auf dieser Seite?" Es wurde auf einmal ganz still und er öffnete den Mund zögerlich, aber schloss ihn immer wieder.
"Ich glaube wirklich, das solltest du Lisa fragen." Ich schüttelte den Kopf vehement.
"Ich dachte, du weißt sowas, sie können ja nicht weit weg sein. Immerhin ist das hier schon ein ganz neues Dorf... Wie viele Dörfer gibt es denn hier bitte?" Er atmete aus. Ich war geduldig, weil ich wusste, dass er es mir sagen würde.
In dem Moment kam ein großer Mann in einem bunten Kittel in den Raum. Er begann, irgendwelche Formalitäten mit Niklas zu klären. Dann zog er ihm kurz dieses weiße Band vom Gesicht und ich konnte die Naht sehen und erschrak, weil ich es mir komplett anders vorgestellt hatte. Diese Hälfte des Gesichts war teilweise ein bisschen verbrannt und schmutzig und übersaht von Schürfwunden. Ich hoffte für ihn, dass es nicht so schmerzhaft war, wie es aussah. Abe das bezweifelte ich, immerhin war ihm ein brennendes Holz ins Gesicht geworfen worden. Der Arzt wickelte sein Gesicht wieder mit dem weißen Band zu, gab ihm die Hand und verließ uns.
"Zora, ich hab' eine Idee. Willst du mit mir einen Spaziergang machen? Ich würde dir gerne was zeigen." Er sah so geheimnisvoll aus, aber ich vertraute ihm. Ich nickte und wir verließen gemeinsam das Zimmer, um den Weg zurückzulaufen, den ich vorhin gekommen war. Es war eine Zeit lang still, aber eine Frage beschäftigte mich.
"Aber dieses Nähen.. Ist das wirklich, wie mit Nadel und Faden? Piekst der dir wirklich mit einer Nadel in deinen Kopf und zieht einen Faden durch?" Ich erschauderte schon beim Gedanken daran. Er lacht wieder einmal und fragte mich, ob das bei uns anders lief. Ich sagte nur, dass ich es nicht wusste, weil ich noch nie bei unserem Arzt war. Er begann also, mir haargenau zu erklären, wie man jemanden nähte. Den ganzen Weg erzählten wir uns Geschichten, von unseren Verletzungen und Arbeitsunfällen, eine schlimmer und lustiger, als die andere. Aber sie waren sich im Grunde ähnlich und ich kam mir für ein paar Minuten kaum fremd vor.
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Hõlaaa.
Ich weiß, diesmal kam wirklich *extrem* lange nichts, aber deswegen ist dieses Kapitel auch mehr als doppelt so lang, wie meine normalen Kapitel. Ich hoffe sehr, euch gefällt es.
Ich bin zufrieden, wie sich das Buch gerade entwickelt. Als echtes Buch gesehen, hat es einen Handlungsstrang, den ich als gut einstufen würde. Wenn ich es am Ende nochmal überarbeite wird sich natürlich einiges ändern. Ich hoffe ihr wisst, dass das hier im Leben nicht das Buch ist, wie es am Ende sein wird.
Ich weiß, dass es als Wattpad-Buch ein totaler Fail ist, aber wie ihr (vielleicht) wisst, ist diese ganze Wattpad-Sache hier ja nur der Rohbau, um alles zu entwickeln . (Deswegen ist konstruktive Kritik ja auch 6-Fach so wichtiggggg)
Wie dem auch sei, vielen Dank fürs Lesen,
Ich würde mich sehr über Kommentare freuen,
Hab' euch lieb,
Eure Julia
❤️❤️❤️
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