Ein Zuhause und eine Familie.
Bald stand ich dann vor unserem Haus. Es war hochgezogen, aus knarzenden Dielen gebaut und dunkelbraun angestrichen. Eigentlich sah es so aus, als würde es jede Sekunde zerfallen. Aber ich vertraute der Baukunst meiner Ahnen voll und ganz. Immerhin lebte ich seit 15 Jahren hier und noch nie hatte unser Haus einzustürzen gedroht. Aus der Tasche meiner Hose holte ich einen Schlüsselbund mit zwei Schlüsseln heraus. Mit einem davon öffnete ich dir Tür, trat ein und zog drinnen meine Schuhe aus, nachdem ich sie auf dem Teppich, der mit ethnischen Mustern bestickt war, abgestriffen hatte. Eigentlich war keine Ecke dieses Hauses so richtig sauber, aber Hausschuhe tragen sollten wir trotzdem alle. Also wir alle, das waren die Bewohner dieses Hauses und meine Familie. Meine Mutter, mein Vater und meine zwei Geschwister, mein Zwillingsbruder und meine Schwester.
"Ich bin zuhause!", rief ich. Ich bekam keine Antwort, denn alle schienen so beschäftigt zu sein, dass sie mich nicht hörten. Ich konnte ein Rumpeln von oben hören, ein Hacken aus dem Garten und Schneidegeräusche aus der Küche. Hier zuhause hatten wir Lichter und nachdem ich sie eingeschaltet hatte, konnte ich auch endlich etwas erkennen. Da unser gesamtes Haus von innen, wie von außen aus dunkelbraunem bis schwarzem Holz bestand, konnte man bei Nacht ohne Licht fast gar nichts sehen. Ich trat in die Küche, wo ich von hinten nur eine große, schlanke Figur mit langen braunen Haaren am Herd stehen sah. Heute sah Ana ganz fit aus, stand kaum gebückt vor dem Herd.
"Was gibt's?", fragte ich sie.
"Ah, du bist wieder zuhause. Wie war's bei den Slanskys?", fragte sie mich, ohne von den Rüben, die sie zerkleinerte, aufzusehen.
"Ganz normal, der Garten war wieder überwuchert wie sonst was. Hat den ganzen Tag gedauert."
"Ah. Willst du?", frage sie und deutete mit einer Hand auf ein paar restliche Rüben, während sie schon in eine andere Ecke des Raumes verschwand.
"Klar.", sagte ich und nahm ein Stück um es zu essen. Sie aber schnellte herum und schlug mir das Stück aus der Hand.
"Nicht essen! Schneiden!", war alles, was sie sagte bevor sie wieder verschwand. Also ließ ich mich am Tisch nieder und begann, Rüben zu schälen und zu schneiden.
Danach erachtete ich meine Arbeit in der Küche als getan und sah mich nach einer anderen Aufgabe um. Mehr als arbeiten konnte ich nicht tun, mehr gab es gar nicht zu tun. Und ich hasste es, mich zu langweilen.
Als ich hinaus in den Garten trat, begrüßte ich meinen Bruder, der das Beet bepflanzte und die Hecke schnitt. Er sah aus, als hätte er den ganzen Tag geschuftet, seine lockigen Haare hingen in alle Richtungen. Es war kein seltener Anblick, denn er war sehr ehrgeizig und hörte nie auf, bevor er alles beendet hatte, was er angefangen hatte. Bevor ich mich bemerkbar machen konnte, hatte er mich schon gesehen.
"Zo.", begrüßte er mich.
Ich nickte nur. "Fin."
"Wie weit ist Anastasia in der Küche?" Er nannte jeden bei seinem vollen Namen. Jeden Menschen, sogar unsere Eltern, nur meinen Namen kürzte er ab. Er hatte mich, seit ich denken kann, noch nie Zoraia genannt. Er hatte viele Spitznamen für mich und ich auch viele für ihn. Wir hatten eine enge Verbindung. Wir waren Zwillinge, Fin und ich. Eigentlich hatten wir nicht viel gemeinsam,wir sahen auch nicht gleich aus, ich hatte viel dunklere Haare als er und er hatte markantere Gesichtszüge, aber wir hatten viel zusammen erlebt. Da konnte Ana nicht mithalten. Sie war vier Jahre älter, als wir.
"Sie schneidet Rotrüben, ich weiß auch nicht, was das über den Stand der Fertigkeit des Essens aussagt.", antwortete ich gelassen und setzte mich neben ihn. Er atmete durch die Nase.
"Wo sind Mutter und Vater?". Ich nannte jeden beim Namen, aber Mutter und Vater nannte ich Mutter und Vater. Meine leiblichen Eltern waren noch etwas besondereres, das waren Leute, die ich nicht mit den anderen gleichsetzen konnte. Genauso wie Fin. Aber er nannte Mutter und Vater sehr wohl bei ihren Vornamen. Er war ihnen nicht so nah.
"Sie schlafen.", er klang genervt.
"Ah." war alles was ich antwortete. Er drehte sich wieder zu seiner Hecke und schnitt weiter daran. Er hasste diese Arbeit, das war ein Fakt. Ich sah die Arbeit als etwas befreiendes, etwas normales an, aber er hasste sie. Und doch arbeitete er am meisten von allen.
Es wurde ruhig um uns und ich legte mich neben Fin auf den Boden und sah mir den Vollmond an. Fin und ich redeten über unseren Tag, darüber was wir heute geschafft hatten. Über mehr konnten wir auch nicht reden, denn sehr viel mehr gab es in unserem Leben nicht. Aber es war gut so. Und vergessen waren die komischen Geräusche aus dem Gebüsch.
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