8. Kapitel
"Schöne Worte sind nicht immer wahr - und wahre Worte nicht immer schön."
Lao - Tse
* * *
Als Mr. Callahan durch die Vordertür stürmte war es bereits kurz vor der Dämmerung.
Kenan saß schweigend am Tisch und wartete schon länger auf ihn.
In Gedanken war Kenan bei seinem Vater, wie jeden Tag.
Der Schmerz würde ihn wohl nie verlassen, der ihn auf Schritt und Tritt verfolgte.
Ungeduldig knetete er seine kalten Hände, nicht wissend was er sonst tun sollte.
Seinen Blick hatte er starr auf die dunkle Tischoberfläche gerichtet, als hänge sein Leben davon ab.
Er war so in Gedanken vertieft, dass er vergessen hatte zu blinzeln. Erst als Kenan dann die schwere Haustür ins Schloss fallen hörte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und rieb seine nun schmerzenden Augen.
Erwartungsvoll drehte sich Kenan zu Mr. Callahan um. Der aus dem Eingangsbereich ohne Schuhe und Mantel auszuziehen durch die Küche lief und auf ohne umschweife Kenan zusteuerte.
> Ich entschuldige mich, dass es so spät geworden ist. < sagte er zerstreut zu dem nervösen Jungen.
Kenan musterte seinen Gegenüber. Dessen schwarzes Haar welches bereits die ersten grauen Spuren aufwies, war nicht wie gewohnt ordentlich nach hinten gerichtet.
Heute Abend stand es ihm kraus in alle Richtungen und sein Anzug sah ebenfalls ungewohnt zerknittert aus. Dies musste wohl an dem heftigen Wind liegen welcher über die Insel tobte.
> Das ist nicht schlimm, schließlich habe ich heute sowieso nichts mehr vor. < erklärte Kenan in ruhigen Tonfall, in der Hoffnung, so Mr. Callahans Hastigkeit zu verringern. Nicht nur um seines willen, denn diese Ruhelosigkeit stürzte den Jungen noch mehr ins Gefühlschaos.
Der Mann lächelte ihm dankend zu, bevor er sich schließlich setzte, versuchte er erfolglos seinen Anzug zu richten und ließ ihn in seinem vorherigen Zustand.
> Der Wind ist einfach unglaublich. < sagte er lachend um die Stimmung ein wenig zu lockern und schaute noch einmal an sich herunter.
Kenan nickte und zwang sich ebenfalls ein lächeln auf, welches – so hoffte er – nicht so gequält wirkte, wie es in Wirklichkeit war.
> Die Briefe habe ich ausgetragen. Das Brot für das morgige Frühstück liegt im Brotkasten. < erstattete Kenan seinem Gegenüber nun Bericht.
> Hervorragend mein Junge, danke. < er klopfte Kenan anerkennend auf seine rechte Schulter.
Dann nahm er seine Hand wieder weg und strich sich durch sein wirres Haar.
Er sah wieder zu Kenan und legte eine Kunstpause ein. Kenan wartete gespannt was Mr. Callahan ihm als nächstes erzählen würde.
> Ich habe dich heute Mittag nicht umsonst gebeten, hier zu warten. < begann er geheimnisvoll.
Kenan stimmte ihm mit einem stummen nicken zu.
Noch immer knetete er seine Hände, nun unter der Tischplatte, sodass Mr. Callahan dies nicht mitbekam.
Den ganzen Tag hatte er sich Gedanken gemacht was Mr. Callahan ihm nun sagen würde.
War es nun vielleicht Zeit für ihn, dieses Haus zu verlassen und sich selbst zu kümmern?
Oder sollte er nur, mehr im Haushalt helfen, da es mit Mrs. Callahans Gesundheit nicht gut stand?
> Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann, Kenan. Du bist der Sohn den ich nie hatte. < sprach Mr. Callahan weiter.
Kenan ahnte das schlimmste voraus. Er musste noch heute Abend seine Sachen packen und das Haus verlassen. Er konnte es Mr. Callahan nicht verübeln, dass der Mann ihn überhaupt bei sich aufgenommen hatte war mehr als zuvorkommend gewesen.
Innig hoffte Kenan jedoch, dass er sich irrte.
> ...und deswegen fällt es mir nicht leicht dir so etwas zuzumuten. < wieder eine Pause.
Kenan drohte vor Angst in Ohnmacht zufallen.
> Ich habe gesehen, dass du dich recht gut mit unserer lieben Emery verstehst. < ohne auf eine Antwort zu warten Sprach er weiter.
> Und sie ist es. Sie ist der Schlüssel für alles. <
Kenan konnte sich kaum rühren. Diese Nachrichten hatte er nun wirklich nicht erwartet.
Sie?
Sein Atem wurde schneller.
Er spürte wie der Stein auf seinem Herzen verschwand und die Angst war wie nie da gewesen.
Es würde alles verändern, sein Leben währe wieder wie früher.
> Das, wie...? < begann Kenan seinen Satz, konnte ihn jedoch nicht vollenden. Er konnte noch immer nicht fassen was ihm gerade offenbart wurde.
> Seit sie mit ihrer Familie wieder zurück kam. Und wir sie heilten, war es uns klar. < erklärte er.
Kenan traute seinen Ohren nicht, und hoffte inständig, dass es sich hier nicht um einen einfachen Traum handelte.
> Und jetzt kommst du ins Spiel. < fuhr Mr. Callahan fort.
Kenan sah überrascht auf. Was sollte er denn tun?
> Wir wollen ihr die ganze Wahrheit erzählen. Damit sind Mr. Und Mrs. Dench jedoch zu unserem Bedauern nicht einverstanden und somit ein großes Hindernis. Sie wollten, dass wir Emery nur heilen. <
Kenan nickte wieder.
> Du musst sie davon überzeugen, dass wir ihr helfen. Ohne dass Mr. Und Mrs. Dench davon etwas mitbekommen. - verstehst du? <
Kenan nickte.
> Aber erst wenn es so weit ist. Noch haben wir ein wenig Zeit. Jedoch wissen wir nicht wie viel, deshalb musst du mit ihr Kontakt halten und sie... <
Mr. Callahan suchte - mit seiner Hand wedelnd - nach den richtigen Worten.
> Ausspionieren? < fragte Kenan ungläubig. So ganz überzeugt war er von der ganzen Sache nicht und das konnte Mr. Callahan an seiner Stimme hören.
> Auspionieren ist so ein harsches Wort. Sagen wir unter Beobachtung halten. < er lächelte Kenan ermutigend entgegen, als hätten schon so gut wie gewonnen.
Kenan wusste nicht ganz wie er sich entscheiden sollte, immerhin konnte er nicht leugnen, dass er ein mehr als schlechter Lügner war.
Es würde nicht lange dauern und es würde alles auffliegen, weil ihm das schlechte Gewissen packte und ihn zu verschlingen drohte.
Wie das Meer meinen Vater verschluckte... dachte er sofort ohne es zu wollen.
Mr. Callahan sah gespannt auf seinen ebenso schmächtigen Gegenüber und wartete auf dessen Antwort.
Er wusste jedoch wie er den Jungen überzeugen konnte und er wusste auch welche Knöpfe er drücken musste um den Jungen umzustimmen.
Ungeduldig tippte Mr. Callahan mit seinen Finderspitzen auf den Tisch und schaute unauffällig auf die Uhr.
Kenan wurde bewusst, dass er keine andere Wahl hatte als einzustimmen.
Er war es Mr. Callahan schuldig, die vielen Jahre die er jetzt schon bei ihm und seiner Frau lebte.
Es war das mindeste was er tun konnte um sich erkenntlich zu zeigen. Kenan würde ihm doch nur erzählen, ob etwas passiert war oder nicht.
Der Junge hatte einen Entschluss gefasst.
Er hob seinen Blick und sah Mr. Callahan in seine fast schwarzen Augen.
> Ich mache es. < sagte er etwas schwermütig.
Auf Mr. Callahans Gesicht breitete sich ein breites, zufriedenes Grinsen aus.
> Großartig! < rief Mr. Callahan mit einem breiten Lachen auf seinen Lippen aus.
> Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann mein Junge. <
Er klopfte Kenan abermals auf die Schulter, als Zeichen seiner Anerkennung. Erfreut stand er auf und wandte sich zum gehen.
> Ach Kenan, das Gespräch bleibt doch unter uns? < fragte er noch, hatte dem Jungen jedoch den Rücken zugekehrt. Seinen Kopf drehte er etwas in seine Richtung.
Kenan nickte eifrig.
Dann sagte er:
> Ja, natürlich. < Mr. Callahan verschwand nach oben und so blieb Kenan allein im plötzlich wieder so düster wirkenden Esszimmer zurück.
Er verharrte noch einige Augenblicke am Tisch, ohne sich zu rühren.
Dann warf er einen Blick in die Küche und schaute auf die große Uhr.
Langsam erhob er sich und rückte seinen Stuhl zurecht. Er löschte die Kerzen und ging dann ebenfalls zu Bett.
Albträume verfolgten ihn. Einer schlimmer als der Andere.
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