11. Kapitel
„Der Körper ist das Grab der Seele."
Platón
* * *
> Wo warst du? < schallte eine strenge, herzlose Stimme durch das düstere Haus.
Liljana zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte versucht so leise wie möglich wieder in das verdunkelte, kleine Haus zu gelangen.
Am besten so, dass sie nichteinmal merkte, dass Liljana weg war.
> Ich war nur kurz in der Bibilotehk. Mutter. < log sie schnell, streifte sich ihren langen Fließmantel von den Armen, und legte ihn sorgfältig über die Lehne des braunen Holzstuhles.
Liljana lief in den mickrig, kleinen Salon des Hauses, welcher mit allerlei Gerümpel zugebaut war,
Sodass der Raum noch kleiner wirkte als er ohnehin bereits war.
Der morsche Dielenboden knarrte ächzend unter ihren Füßen.
Langsam um nichts auf dem Bodenliegendes zu zertrampeln, bahnte sie sich einen Weg zum zersessenen Ohrensessel am Ende des Raumes, welcher wohl vor sehr langer Zeit einmal einen beigen Bezug hatte. Heute war nur noch verschmutztes grau davon übrig geblieben.
Er war nicht sonderlich bequem, das musste Liljana sich eingestehen, doch war er allemal besser als das Sofa aus dem bereits die ersten metallenen Federn hervorlugten, wie große, gwundene Nadeln.
> Du, in der Bibliothek? < fragte ihre Mutter mit misstrauischem Unterton der kaum zu überhören war.
Sie kam gerade die knarzende Treppe hinunter gelaufen, ihre Miene klat wie Eis.
Als währe jegliche Liebe aus ihrem Gesicht verbannt und sowieso niemals dort gewesen.
Die Frau, die Liljana wohl mehr aus Anstand als Überzeugung Mutter nannte, kam nur langsam voran.
Sie hinkte.
Man konnte wohl kaum behaupten die Zeit hätte ihr gut getan.
Durch ihr müdes Gesicht zogen sich tiefe Falten die so nur das Leben einer bestrebten Arbeiterin hinterlassen konnten.
Ihre rauen, ausgemerkelten Hände hielten an dem morschen Geländer der Treppe fest, wie kein Kleinkind seinen liebsten Teddy.
Liljana war gerade erst zu Haus eingetroffen und doch wünschte sie wieder aufbrechen zu können, das Leiden ihrer Mutter setzte auch ihr zu. Ebenso wie ihre Stimmung.
> Ich sagte dir bereits du sollst nicht raus gehen. Nicht in diesen Zeiten. < sie würdigte ihre Tochter keines weiteren Blickes sondern ließ sie einfach hinter sich und humpelte in die Küche.
Denn Liljana sollte nicht die Schwäche in den glasigen Augen ihrer Mutter sehen.
Das Rheuma ließ jeden ihrer Schritte zu einer unglaublichen Überwindung werden.
Wie ein gefräsiger Parasit bahnte sich die Krankheit durch ihre Knochen und hinterließ ihre Spuren.
> Ich weiß, Mutter. < antwortete Liljana bedrückt. Das Haus und all seine schrecklichen Erinnerungen zerdrückten sie geradezu und nahmen ihr die Luft. Sie saß angespannt auf dem Rand des Sessels.
> Und dennoch tust du es. < erwiderte die Frau kühl und schleppte sich weiter in die Küche.
> Währe dein Vater noch hier...< begann sie den Satz, doch beschloss ihn unvollendet zu lassen.
Denn Liljana kannte das Ende bereits.
Und das wussten sie beide.
Stille breitete sich aus.
Liljana rutschte unruhig auf dem Sessel herrum, mit der vergeblichen Hoffnung ihr unbehagen so zu vertreiben.
> Du weißt, jeder Tag könnte mein letzter sein. Und du treibst dich in der Weltgeschichte herum. < Liljana schluckte.
Der Ton ihrer Mutter ließ nichts gutes erahnen.
> Ich lebe in ständigen Schmerzen, und du? Du, gehst. < redete sie weiter auf Liljana ein.
Diese Leier kannte sie von ihrer Mutter bereits zu gut.
Sie machte ihrer Tochter ein schlechtes Gewissen, sie manipulierte schonungslos.
Liljana konnte die Worte nicht mehr hören.
Sie schüttelte den Kopf über all die Anschuldigungen ihrer Mutter.
Schließlich erhob sie selbst das Wort.
> Ich habe auch ein Leben. Und wann kommt denn die Zeit an der ich das Haus verlassen kann!< sie schaute ihrer Mutter nicht in die Augen.
> Ich hatte kein Leben wie du! Ich konnte nicht kommen und gehen wie es mir gefiel. Ich musste Arbeiten und meine Familie umsoren als ich in deinem alter war! Und wie dankst du mir dein Leben?! < die Frau schrie ihre Tochter an.
Liljana stand auf.
Wortlos.
Sie entfloh dieser Situaion und lief in Richtung Flur.
Sie achete nicht mehr auf das herumliegende Gerümpel und achtete auch nicht auf das Schreien ihrer Mutter. Zu verschwommen war ihre Sicht durch die Tränen in ihren Augen.
Wie in trance lief sie wieder aus dem Haus. Durch die Tür, durch die sie eben noch leichtfertig getreten war.
Die Tür viel hinter ihr geäuschvoll ins Schloss und zum wiederholten mal an diesem Tag stand sie auf der Straße.
Eiskalte Luft traf sie wie ein Schlag in ihr blasses Gesicht.
Diese Kälte war jedoch nichts gegen die Kälte ihrer Mutter, deren Worte und deren Taten.
Sie hatte nichteinmal die Zeit gefunden ihren Mantel mitzunehmen und stand nun einfach in der Kälte auf der leeren Straße. Tränen füllten ihre Augen abermals und verschwammen ihre Sicht.
Sie wusste nicht wo sie hinlief.
Aber das war egal, sie wollte einfach nur fort.
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