Kapitel 2
Irgendwann werde ich am Arm gepackt und eine Treppe hinab geführt.
Unten angekommen lässt Levi mich los und zieht die metallische schwere Feuerschutztüre auf. Dahinter beginnt der Teil des Hauses, den der Alpha seinen Besuchern wahrscheinlich gerne vorenthält.
Nackte, graue Betonwände, ovale Kellerleuchten deren Plastikabdeckungen von einem Gitter an Ort und Stelle gehalten werden, ein billiger Linoleumboden in Taubenblau.
Da ich kein Gast bin, schiebt mich Levi weiter zu der ersten der beiden weißen Türen auf der rechten Seite des Flurs. Ohne Widerstand und ebenso wortlos wie er, betrete ich dann auch das Zimmer.
Noch immer jagen vereinzelte Bilder dieser grausamen Bestie durch meinen Kopf.
Die Augen leuchtend, wie zwei glühende Kohlestücke. Das von Blut durchtränkte eigentlich graue Fell nun schwarz glänzend im fahlen Mondschein. Rot verfärbter Schaum an den Lefzen hängend.
Das Monster in mir.
Ein Blutwolf. Unkontrollierbar und unaufhaltsam.
Ob Levi nicht doch noch etwas gesagt hat, bevor er mich hier einschloss, weiß ich nicht. Erst nachdem ich mehrmals tief durchatme, kann ich mich wieder ganz auf meine Umgebung konzentrieren.
Ich habe eine Zelle erwartet, doch ganz so schlimm ist es nicht und das einzige Gitter ist das der Lampe, wie bei den Lampen im Flur.
Aber es gibt auch keine Fenster, die man vergittern müsste, und die Türe sieht stabil genug aus, selbst einem heranpreschenden Wolf standzuhalten.
Ein schmales Bett, mit hellblauer Bettwäsche bezogen, steht an der Wand der Tür gegenüber. An der linken Wand steht ein kleiner Campingtisch mit einem Klappstuhl. Rechts gibt es einen oben abgerundeten Durchgang, zwischen dem ein weißer Duschvorhang gespannt ist.
Da dieser nur zur Hälfte zugezogen ist, erkenne ich dahinter eine Toilette und ein Waschbecken. Die Wände selbst sind ebenfalls aus grauem Beton.
Nach all der Anspannung des Tages, nach der Angst, der zerschlagenen Hoffnung und der Besorgnis wegen meiner Verwandlung, kann ich nicht mehr.
Tränen brennen in meinen Augen, meine Schuhe streife ich mit den Füßen ab und lasse sie liegen, wo sie landen. Dann lege ich mich ins Bett, ziehe die Decke bis über meinen Kopf und rolle mich zusammen wie ein kleines Kind.
Die Tränen laufen nun über mein Gesicht und hinterlassen heiße Spuren. Mit den Armen meine Knie umschlungen, summe ich leise vor mich hin, damit meine Gedanken schweigen.
Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist. Es kommt mir vor wie Stunden, in denen ich mich meinen düsteren Vorstellungen hingegeben habe.
Lange hat das Summen nämlich nicht geholfen.
Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass ein sofortiges Todesurteil das beste wäre. Wenn niemand weiß, was mein Halsband vor der Welt versteckt, wird mir sicherlich ein gnädigerer Tod gewährt.
Deshalb überlege ich auch, mich auf Leon zu stürzen, der leise meine Zimmertüre öffnet. Mit einem Biss in meine Kehle, sobald er sich verwandelt hat, könnte er die Sache bereits regeln.
Aber es gibt noch diese leise Stimme, die es nicht gerecht findet jetzt aufzugeben, und offensichtlich die Macht hat meinen Körper daran zu hindern.
Ich habe David überlebt und werde auch dieses Rudel überleben, flüstert sie verheißungsvoll.
Solange ich noch meinen Gedanken nachhänge, kommt Leon in den Raum. Er geht direkt auf den Tisch zu und stellt dort einen Teller und eine Wasserflasche ab.
„Du hast sicher Hunger. Und auf die Gefahr hin, von dir damit verprügelt zu werden, kannst du das auch haben." Dabei zieht er lächelnd ein dünnes Buch aus dem hinteren Hosenbund.
Irritiert sehe ich zu ihm. Dabei weiß ich nicht genau, ob ich lachen oder ihm die kalte Schulter zeigen soll.
Hat er Humor oder macht er sich über mich lustig?
„Du wirst die Nacht hier verbringen", fährt er nach einer kurzen Pause fort und legt das Buch neben den Teller. „Morgen kommt Alpha Silvan zurück und entscheidet, wann und in welchem Umfang du befragt wirst. Solltest du darüber nachdenken, zu fliehen, kann ich dir gleich sagen, dass du es nicht schaffen wirst. Zum einen ist es schon ziemlich schwer, ohne Schlüssel aus diesem Raum zu kommen. Zum anderen halten sich im Haus acht Wölfe auf, auf dem Gelände vier weitere."
Er geht in Richtung Türe, öffnet sie aber nicht gleich, sondern dreht sich nochmal zu mir um und sieht mir direkt in die Augen. Mit einer Hand streicht er sich die Haare aus der Stirn.
„Das heißt aber auch, dass niemand unbemerkt hereinkommen kann. Also nur für den Fall, dass es da noch mehr Rudelmitglieder gibt, vor denen du Angst hast."
Noch ehe ich etwas sagen kann oder verstehe, woher dieses leichte Kribbeln in meinem Bauch plötzlich kommt, geht er aus dem Zimmer und verschließt meine Türe.
Einige Momente starre ich weiter auf die Stelle, an der er zuvor stand, und bin verwirrt. Hat er tatsächlich versucht, mich zu beruhigen?
Sein Blick gab mir jedenfalls dieses Gefühl. Und dieser Blick hat auch das Kribbeln ausgelöst.
Heißt das dann gleichzeitig, dass er zuvor wegen des Buchs einen Witz gemacht hat? War sein Lächeln dabei echt gewesen?
Will er etwa, dass ich mich nicht ganz so elend fühle, wie ich es getan habe, bevor er hereingekommen ist?
Bestimmt schüttle ich den Kopf.
Ich bin eine Gefangene und Leon weiß, was mir blüht. Er selbst hat von den Entführungen und Versteigerungen gesprochen und denkt, ich könnte damit zu tun haben. Ich könnte sogar die Wölfin sein, die diese Mela – wahrscheinlich ein Mitglied dieses Rudels - angesprochen hat.
Wie kann er mir so etwas zutrauen und gleichzeitig aufrichtig nett sein?
Zutreffender ist doch sicher der Versuch mich in falscher Sicherheit zu wiegen, wie David es öfter mal getan hat. Oder die Hoffnung mich damit leichter zur Kooperation zu bringen.
Ich drehe mich auf den Bauch und vergrabe mein Gesicht im Kissen, bevor ich frustriert schreie. Kurz bin ich sogar versucht, mit den Händen und Füßen auf die Matratze einzuschlagen, um meiner Verbitterung Ausdruck zu verleihen.
Ich kann niemandem vertrauen. Hier ebenso wenig wie bei David und wird mir das Halsband wirklich abgenommen, vielleicht nicht mal mehr mir selbst.
Ruckartig setze ich mich auf und wische mir über die feuchten Wangen.
Ich will nicht mehr über das Monster in mir nachdenken oder meine Situation und was mich noch erwarten wird. Schon gar nicht darüber, warum ich Leons Verhalten hinterfrage und weshalb dieser letzte lange Blick von ihm eine gewisse Wirkung auf mich hatte.
Stattdessen werde ich lesen, welches Buch auch immer für mich zurückgelassen wurde. Am besten bis ich einschlafe.
Mein Herz schlägt viel zu schnell, die feinen Härchen in meinem Nacken sind aufgestellt, Gänsehaut hat sich auf meinem Körper ausgebreitet und gleichzeitig steht mir der Schweiß auf der Stirn.
In meinem Traum wurde ich von meinem eigenen Blutwolf gejagt und es war ihm deutlich anzumerken, dass er Spaß an der Jagd hatte. Mehrmals habe ich seinen heißen Atem in meinem Nacken gefühlt, konnte den Luftzug spüren, von seiner Pranke ausgelöst die dicht an mir vorbeischoss.
Aber immer wieder ließ er mich davonkommen, hat mit mir gespielt. Dabei leuchteten seine roten Augen aufgeregt und leicht schaumiger Speichel tropfte von seinem Maul.
Es war nur ein Traum, versuche ich mir einzureden. Mehr schlecht als recht. Denn eigentlich war es so viel mehr.
Heißt es nicht Träume seien Spiegel unserer Seele? Ist meine Seele dann so schwarz, wie mir der Rachen des Blutwolfs vorkam, sobald er das Maul mit den tödlich scharfen Zähnen aufgerissen hat?
Würde ich Spaß am Morden haben? Vielleicht sogar an der Angst, die meine Opfer hätten?
Und falls ja, läge das dann nur in der Natur meines Wolfs oder gibt es diese düstere Seite tatsächlich in mir. Irgendwo tief verborgen.
Ein Schauer erfasst mich, unangenehm und kühl, doch er löst meine Starre, die seit dem Aufwachen anhielt.
Das Buch liegt neben meinem Kopfkissen. Der erste Teil einer Buchreihe über ein sehr ungleiches Ermittlerpaar, das Morde aufklärt. Nichts noch nie Dagewesenes aber leicht zu lesen, spannend und zwischendurch auch mal witzig.
Doch gerade steht mir nicht der Sinn nach lesen.
Ich bin müde, habe keine Ahnung ob es schon morgens oder noch mitten in der Nacht ist, meine Augen sind leicht geschwollen und mit Sicherheit gerötet. Zudem zieht es hinter meiner Stirn und pocht in meinen Schläfen. Mein Hals ist trocken.
Ich muss länger geweint haben, als gedacht.
Bisher habe ich weder das Essen noch das Wasser angerührt. Was genau mich davon abhielt, kann ich nicht sagen. Womöglich bin ich paranoid und rechne damit, vergiftet zu werden, oder ich will nicht in der Schuld dieses Rudels stehen.
Völliger Schwachsinn. Ersteres habe ich mir vor wenigen Stunden beinahe schon herbeigesehnt und Letzteres kann mir komplett egal sein. Es ist ja nicht gerade so, dass ich hier freiwillig bei Vollpension eingecheckt hätte.
Über mich selbst grinsend stehe ich auf und gehe zum Tisch.
Die kalte Soße auf dem ebenso kalten Fleisch hat eine unappetitliche Haut, die Erbsen daneben sind bereits ein wenig verschrumpelt und weisen unzählige Dellen auf. Mehrere Spitzen, die sich beim Schöpfen am Kartoffelbrei gebildet haben, sind eingetrocknet.
Selbst wenn ich Hunger hätte, würde ich diese Mahlzeit stehen lassen. Doch ich nehme das Wasser.
Noch während mir das kühle Nass die trockene Kehle hinunterrinnt, öffnet sich meine Türe. Erschrocken drehe ich mich um und verschlucke mich beinahe.
Eine junge Frau kommt herein. Sie ist sicher nur ein oder zwei Jahre älter als ich. Ihre glänzenden, hellbraunen Haare sind kinnlang und umrahmen ihr hübsches Gesicht.
Ist das vielleicht Mela? Soll jetzt sofort meine Verwandlung stattfinden?
Bevor ich das erfahre, poltert über unseren Köpfen eine unzufrieden klingende Männerstimme los.
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