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Kapitel 10


Sofort schoss Leos Puls in die Höhe, ihr Blick huschte zwischen Bollerwagen und Fluchtweg hin und her. Der Bollerwagen würde sie verraten, so viel stand fest. Nahmen sie ihn mit, würden sie viel zu viel Lärm machen, ließen sie ihn stehen, verrieten sie, dass sie ganz in der Nähe sein mussten. In diesem Moment verfluchte Leo sich für ihre Unachtsamkeit. Aber am meisten ärgerte sie sich darüber, dass ihr nichts schlaueres als Wegrennen einfiel. Und Wegrennen war eine wahrhaft dumme Idee in diesem lichten Wald.

Aber die Hütte, die Leo so liebte, lag noch ein gutes Stück tiefer im Wald. Die würden sie nie erreichen. Die Mauerreste, die sich zwischen den Bäumen befanden, boten bei Weitem nicht genug Deckung und viel Zeit blieb ihnen nicht mehr.

„Was sollen wir tun?", wisperte Sofia, die nun auch Angst zu bekommen schien.

„Auf die Bäume", sagte Leo leise. Schon als sie das sagte, kam ihr diese Idee abstrus vor. Das grüne, schützende Laub fing erst sehr weit oben an, höher als Leo sich je getraut hatte, zu klettern. Mal ganz zu schweigen von Sofia. Aber jetzt blieb keine Zeit.

Noch nie war Leo jemandem im Wald begegnet, und sie wollte es auch nicht darauf ankommen lassen. Kurzerhand gab sie Sofia eine Räuberleiter.

„Nun mach schon", flüsterte Leo. Nur mit Mühe konnte sie die Panik unterdrücken, die sich in ihr breitmachte. Schon hörte man das Knacken und Rascheln von Schritten. Vielen Schritten. Die Dämmerung, die sich bereits über den Wald senkte, würde ihnen wenigstens ein bisschen Schutz bieten.

„Hochklettern." Leo bedeutete Sofia mit einer Handbewegung, sich zu beeilen, dann flitzte sie auf leisen Sohlen zu einem ein paar Meter entfernt stehenden Baum. Als sie sich kurz zu Sofia umsah, sah sie, wie ihre kleine Schwester die Äste mit zitternden Fingern umklammerte und noch kein Stück hochgeklettert war. Mit angsterfüllten Augen sah sie zu Leo hinüber.

Noch einmal bedeutete Leo ihrer Schwester, zu klettern, und hangelte sich selbst hinauf in den Baum. Leo war keine geschickte Kletterin, aber im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie zumindest das ein oder andere Mal auf einem Apfelbaum herumgeturnt. Jetzt wünschte sie sich, dass sie auch Sofia erlaubt hätte, hoch in die Kronen zu steigen. Dann würde sie jetzt vielleicht nicht stocksteif im Geäst kauern.

Gerade wollte Leo wieder herabsteigen und ihrer Schwester helfen, als sie sie sah. Erst waren es nur dunkle Schemen, die durch den Wald streiften. Groß gewachsen, hager, die Kleidung flatterte um ihre dürren Körper wie bei einer Vogelscheuche. Diese Männer und Frauen sahen mindestens genauso erbärmlich aus wie Leo selbst. Da war ein Junge, nicht viel älter als Sofia, den Leo schon öfters auf dem Markt gesehen hatte. Neben ihm lief ein Mädchen, das höchstens zehn oder elf war. Die anderen konnte Leo von ihrem Baum aus nur schlecht erkennen, aber wenn sie sich nicht täuschte, war niemand in dieser Bande viel älter als Leo. Was diese sieben heruntergekommenen Kinder im Wald trieben, war Leo schleierhaft. So wie sie sich durch die Dämmerung schlichen, konnte es jedoch nichts utes sein. In diesem Moment bereute sie es, kein Küchenmesser eingesteckt zu haben. Wenn sie entdeckt würden, wären sie wehrlos. Trotzdem hängte Leo den Korb voller Pilze an eine Astgabel und kauerte sich sprungbereit hin.

Angespannt beobachtete sie, wie die Gruppe immer näher kam. Nur noch wenige Schritte trennten sie vom Bollerwagen, als das Mädchen stehen blieb.

„Der Boden ist aufgewühlt", sagte sie. Sorge schwang in ihrer Stimme mit. Für einen Moment taten Leo diese Kinder leid. Was um alles in der Welt führte sie hierher? Leo hatte es noch nie gesehen, dass die Kinder der Armen in Gruppen unterwegs waren. Aber vielleicht lag das auch daran, dass es in ihrem Viertel kaum andere Menschen, geschweigedenn Kinder gab.

„Das waren doch nur Tiere, oder?", fragte der kleine Junge mit piepsiger Stimme.

„Schön wär's." Einer der Älteren deutete auf den Bollerwagen. „Hier ist jemand."

„Lauft!", rief jemand.

„Nein!" Der Befehl zerstörte Leos letzte Hoffnung, ungeschoren davonzukommen. „Seht euch doch den Bollerwagen an. Wenn der einem Raubritter gehört, fresse ich einen Besen."

„Wenn der einem Raubritter gehört, kannst du keinen Besen mehr fressen", sagte ein Mädchen düster.

„Da!" Jemand deutete auf Sofia. Leos Herz rutschte in die Hose. Ihre Schwester war nur einen einzigen Ast hochgeklettert, sodass sie sich nur knapp über Kopfhöhe der größeren Kinder befand.

„Wen haben wir denn da? Ein kleines, armes Mädchen. Wie wir." Die Worte klangen sanft, trotzdem traute Leo dem Frieden nicht. Sofia trug nichts bei sich, was man stehlen könnte, trotzdem machte Leo sich Sorgen.

„Komm doch runter. Wir tun dir nichts", sagte ein größeres Mädchen. Zu Leos Erleichterung blieb Sofia, wo sie war. Trotzdem war die Anspannung kaum auszuhalten. In diesem Moment spürte Leo nur zu gut, dass sie Sofia um jeden Preis beschützen würde. Ohne Sofia war ihr Leben nichts wert. Das war Leo schon früher bewusst gewesen, aber so deutlich wie jetzt hatte sie es noch nie gespürt.

„Wie heißt du?", fragte das kleine Mädchen. Inzwischen war die Dämmerung so weit fortgeschritten, dass Leo sie nur schemenhaft erkennen konnte. Ein paar der anderen wurden beinahe unsichtbar im Wald, was Leo nur noch mehr beunruhigte.

„Schneewittchen." Sofias Stimme zitterte so heftig, dass Leo beinahe vom Baum gesprungen und zu ihr geeilt wäre.

„Schneewittchen? Was ist denn das für ein seltsamer Name?", fragte einer der größeren Jungen. Als Sofia schwieg, fuhr er etwas sanfter fort. „Bist du alleine hier draußen?"

„Nein", sagte Sofia trotzig. Sofort blickten sich die Kinder misstrauisch um und Leo wünschte sich, ihre kleine Schwester hätte gelogen. So konnte sie das Überraschungsmoment jedenfalls vergessen.

„Ach ja? Wer ist denn noch hier?", fragte der Junge weiter, diesmal jedoch alles andere als freundlich klingend.

„Meine große Schwester", sagte Sofia trotzig. Da lachten die Kinder. Es war, als würde man die Stille des Waldes mit einem scharfen Schnitt durchtrennen. Die Vögel der Dämmerung kreischten empört, Tiere schossen zurück in ihre Verstecke und für einen Moment war der Wald in Aufruhr. Dann wurde es gespenstisch still.

„Zeig dich", befahl jemand. Aber Leo dachte nicht daran.

„Zeig dich, oder wir pflücken die Kleine vom Baum." Die scharfe Stimme machten aus den noch recht harmlosen Worten eine ausgewachsene Drohung. Einen Moment lang dachte Leo über Alternativen nach, aber ihr fiel keine sinnvolle ein. Also sprang sie gehorsam vom Baum. Sofort wirbelten die Kinder zu ihr herum, manche hoben die Fäuste, zwei zogen sogar ein Messer. Leo wurde übel. Mit langsamen Schritten kam sie auf die Gruppe zu. Vorsichtig, ruckartige Bewegungen vermeidend, damit sich niemand bedroht fühlte.

„Stehen bleiben", befahl der Junge, der bisher am meisten gesprochen hatte. „Was macht ihr hier?"

„Holz sammeln", antwortete Leo knapp. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Rein theoretisch gab es für die Kinder keinen Grund, ihnen etwas zu tun, aber Leo wusste, dass das keine Garantie für ihre Sicherheit war.

„Dich kenne ich doch", sagte da das älteste Mädchen. „Du bist die vom Marktplatz."

Die anderen gafften mit offenen Mündern. Eine Weile sagte niemand etwas, dann räusperte sich der große Junge. „Wollt ihr mit uns mitkommen?"

„Wohin?", brachte Leo nach einem Moment der Stille hervor. Die Tatsache, dass diese Kinder sie zu bewundern schienen, brachte sie vollends durcheinander. Langsam aber sicher gewann sie den Eindruck, dass sie keinen Feind vor sich hatte. Das Gefühl, dass so viele Kinder ihr nichts Böses wollten, ja, sie sogar bewunderten, war überwältigend. Mit einem Mal erschien die Welt nicht mehr ganz so feindselig.

„Wir fliehen. Wir haben genug von dieser Stadt. Jeden Tag dieses verbitterte Leben. Völlige Armut und trotzdem fürchten müssen, dass man machtlos dastehen und alles verlieren könnte, was man noch besitzt", sagte der Junge. Seine Stimme klang fest und fast so, als habe er diese Worte schon oft gesagt. Die anderen Kinder stimmten ein Jubeln an, verstummten aber sofort, als Leo zusammenzuckte.

„Unsere Familien waren nicht ... schlecht", sagte ein Mädchen, dass nicht viel jünger als Leo war. „Aber wir hatten Angst. Diese Stadt ist einfach nicht sicher. Das weißt du ja am Besten."

Fassungslos starrte Leo die Gruppe an. Jahrelang hatte sie mit dem Gedanken gespielt, zu fliehen, und nun stand eine Gruppe von Kindern vor ihr, die derselbe Gedanke antrieb. Mit ihnen mitzugehen schien verlockend, und doch spürte Leo, wie sich eine tiefe Furcht in ihr regte.

„Wisst ihr denn, wie ihr zur nächsten Stadt kommt?", fragte sie misstrauisch.

„Nein, aber wir haben gehört, dass der Metallschmied in diese Richtung fliehen wollte", sagte ein Mädchen. Leo nickte nachdenklich. Einmal mehr wurde ihr bewusst, dass das eigentliche Problem nicht sein würde, von den Raubrittern unbemerkt aus der Stadt zu fliehen. Während sie das Viertel der Reichen wie die Bluthunde patrouillierten, würde es keiner Menschenseele auffallen, wenn ein paar Armenkinder aus der Stadt verschwanden. Außer vielleicht ihren Familien. Als Leo an ihren Vater dachte, wurde ihr augenblicklich schlecht.

„Kommt doch mit uns. Überall muss es besser sein als in dieser Stadt", sagte der große Junge. Seine dreckigen, vielfach geflickten Klamotten verschwammen mit der Dunkelheit, aber sein schmales Gesicht und die Hoffnung, die sich darauf zeigte, waren noch gut zu erkennen.

Unschlüssig sah Leo ihn an, während ihre eigene Hoffnung immer größer wurde. Diesen fremden Kindern zu vertrauen, fiel ihr nicht leicht, trotzdem wuchs ihr Wunsch, mit ihnen zu gehen von Minute zu Minute.

„Woher kennt ihr euch?", fragte Leo schließlich nach einigem Überlegen. Für einen kurzen Moment kam ihr der Gedanke, dass diese Kinder vielleicht von den Raubrittern geschickt worden waren, um herauszufinden, ob Leo kriminelle Absichten hegte. Aber dann fiel ihr auf, wie abstrus das war. Wenn die Raubritter mit ihr kurzen Prozess machen wollten, hätten sie das schon längst getan. Aber noch war ihr Verhalten entschuldigt worden.

„Wir wohnen im selben Stadtteil. Wohnten", korrigierte sich der große Junge. „Wir haben zusammen gespielt, manchmal sogar zusammen geklaut."

Beinahe neidisch sah Leo die Kinder an. In ihrem Stadtteil wohnte kaum ein Mensch, und ganz sicher keine Kinder. Sofia und Leo waren immer alleine gewesen und Leo wäre nicht einmal auf den Gedanken gekommen, mit den fremden Kindern auf dem Marktplatz auch nur ein Wort zu wechseln. Dort waren sie soetwas wie Rivalen gewesen, die nach den prall gefüllten Taschen der Reichen schielten.

„Wir wollten schon lange gehen. Aber wegen dir haben wir es jetzt endlich gemacht", sagte eins der kleineren Mädchen. In ihren Augen lag Bewunderung, was in Leo eine merkwürdige Mischung aus Scham und Wärme hervorrief.

„Jedem kann mal ein Ausrutscher passieren", sagte das älteste Mädchen. „Aber wir wollen nicht in Stücken enden."

„Wenn sie uns bei der Flucht erwischen, wird es uns aber genau so ergehen", sagte Leo leise.

„Sie werden uns aber nicht erwischen", sagte das Mädchen zuversichtlich. Da hatte sie recht. Niemand würde ihre Flucht bemerken, aber wenn doch, waren sie des Todes. Schon die Tatsache, dass Leo sich gerade auf ein Gespräch mit diesen Kindern einließ, war bestimmt nicht in Ordnung. Außerdem kannte Leo sie nicht. Es gab keinen Grund, ihnen zu trauen. Aber auch keinen, ihnen zu misstrauen. Leo musste sich eingestehen, dass das Angebot sehr verlockend klang. Zögerlich nickte sie.

„Ich will mit euch kommen", sagte sie. „Und meine kleine Schwester natürlich auch." Lächelnd sah sie zu Sofia auf, die sich immer noch keinen Millimeter bewegt hatte. Da huschte ein Lächeln über die dreckigen Gesichter der Kinder.

„Das freut mich. Ihr seid willkommen", sagte der große Junge und trat einen Schritt auf Leo zu. Sofort schoss ihr Puls in die Höhe und das altbekannte Gefühl der Furcht überkam sie, aber er klopfte ihr nur aufmunternd auf die Schulter und schob sie zu den anderen. Es kostete Leo viel Überwindung, nicht vor lauter Anspannung die Schultern hochzuziehen, aber das offene Lächeln der Kinder besänftigte ihr wild schlagendes Herz. Zu Vertrauen fiel Leo schwieriger als gedacht, trotzdem überkam sie das wohlige Gefühl, dass nun alles gut werden würde.

„Du kannst jetzt herunterkommen", sagte eins der Mädchen zu Sofia, die daraufhin langsam und steif vom Baum kletterte.

„Dann nichts wie los." Der große Junge legte Leo eine Hand auf den Rücken und schob sie vorwärts, aber Leo entwand sich seiner Hand.

„Kann das nicht auch bis morgen warten?", fragte sie.

„Willst du jetzt etwa ein Nickerchen zwischen den Ausläufern der Stadt machen?", fragte der Junge sie, als sei sie nicht ganz bei Sinnen.

Leo schüttelte den Kopf. „Ich habe in den letzten Tagen viel Geld und ein paar Lebensmittel gestohlen. Wenn wir einen langen Weg vor uns haben, könnten wir die gebrauchen."

„Lass mich raten: Die liegen noch in deinem Haus", stöhnte eins der älteren Mädchen.

„Morgen früh, spätestens morgen Mittag kann ich mich fortschleichen", sagte Leo.

„Wir haben nicht viel zu essen dabei. Das wäre vielleicht wirklich keine schlechte Idee", sagte der große Junge.

„Wer sagt uns, dass sie uns nicht verrät, um sich bei den Raubrittern reinzuwaschen?"

„Sie kann ihre kleine Schwester hierlassen", schlug jemand vor.

„Nein", sagte Leo härter als beabsichtigt. Schnell fügte sie hinzu: „Das würde meinem Vater auffallen."

„Wir vertrauen dir einfach", sagte der große Junge. „Wenn einer nicht zu den Raubrittern hält, dann ja wohl du." Anerkennend klopfte er Leo auf die Schulter.

„Wir vertrauen dir", stimmten schließlich auch die anderen ein. „Und deiner kleinen Schwester auch." Einer nach dem anderen schlossen sie erst Leo dann Sofia in ihre Arme. Die beiden standen im ersten Moment einfach nur überrumpelt da, dann begannen sie, zögerlich die Umarmungen zu erwidern.

Auch wenn sie die sieben Kinder erst seit wenigen Minuten kannten, spürte Leo doch, wie sie ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelten. Als sie alleine mit Sofia den Wald verließ, fühlte sie sich plötzlich seltsam leer und ein Ziehen fuhr durch ihr Herz.

Inzwischen war es schon fast dunkel und nur der Korb voller Pilze konnte ihr spätes Heimkommen entschuldigen. Hoffentlich hatte ihr Vater keine schlechte Laune. Wenn sie tagelang durch die Wälder wandern wollten, wäre es praktischer, nicht zu hinken. Außerdem hatte Leo noch genug Verletzungen, die ihr Schwierigkeiten bereiteten, obwohl die Wunde an ihrem Rücken erstaunlich gut verheilte. Nicht umsonst hatten die Raubritter den Ruf, medizinisch die Besten zu sein. Die Haut aus Stoff des Prinzen war der beste Beweis.

„Dann gehen wir morgen mit den anderen mit?", fragte Sofia aufgeregt.

„Psst. Kein Wort darüber. Das ist absolut geheim", wisperte Leo. Obwohl der Bollerwagen wie immer ordentlich Lärm machte, wollte Leo kein Risiko eingehen. Die Nacht um sie herum war so still, dass es Leo nicht wundern würde, wenn bereits die ein oder andere hungrige Kreatur hinter ihnen herschlich. Immer wieder huschten Fledermäuse über ihren Köpfen, aber Leo hatte nur Augen für ihre irdische Umgebung. Immer wieder glaubte sie, jemanden in den Schatten hinter ihnen zu erkennen, aber niemand zeigte sich. Nach einer Weile waren sie wieder alleine. Wahrscheinlich hatte ihr Verfolger beschlossen, dass sich ein Überfall auf einen Bollerwagen voller Brennholz nicht lohnte. Den Korb mit den Pilzen trug Leo in ihrer freien Hand, damit kein vorlauter Dieb auf die Idee kam, ihn aus dem Wagen zu stibitzen.

Manchmal fragte Leo sich, wieso viele erwachsene Männer lieber in den Schatten blieben anstatt skrupellos zwei kleine Mädchen zu überfallen. Aber die meisten Erwachsenen lebten alleine und waren oft ausgehungert und schwach. Außerdem wusste man nie, ob jemand bewaffnet war oder nicht. Das Risiko war es vielen nicht wert, zumal selbst ein Messerstich in Arm oder Bein hier draußen das Aus bedeuten konnte.

In solchem Momenten war Leo froh, dass in ihrem Stadtteil nur die Ärmsten wohnten, verstreut lebende, scheue Menschen, von denen nur in den seltensten Fällen eine Gefahr ausging. In anderen Stadtteilen klauten die Menschen wie die Raben und Überfälle waren an der Tagesordnung.

„Dann wohnen wir jetzt bei den sieben Zwergen, bis der Prinz kommt und uns rettet", sagte Sofia plötzlich.

„Was sagst du da?", entfuhr es Leo.

„Wir wohnen ...", begann Sofia erneut, aber Leo brachte sie mit einer hektischen Geste zum Schweigen.

„Ich habe doch gesagt, kein Wort über heute Abend." Leo schwieg einen Moment, dann fuhr sie mit gedämpftem Ton fort: „Außerdem ist der Prinz böse. Er wird uns nicht retten, höchstens töten."

„Was?", fragte Sofia mit großen Augen.

„Der Prinz der Raubritter ist ein böser Mann", wiederholte Leo. Doch in dem Moment, in dem sie das sagte, spürte sie, wie sie Zweifel überkamen. Dieser Mann hatte sie rücksichtslos zusammengeschlagen. Aber er hatte auch die Wunde, die ihr Vater ihr zugefügt hatte, verbunden. Als Leo daran dachte, wurde sie rot vor Scham und ein flaues Gefühl machte sich in ihr breit. Was würde sie nur dafür geben, wenn ihr Leben so unkompliziert wäre wie früher? Jetzt, wo Leo ständig fürchtete, dass ihr Vater herausfand, was in den letzten Tagen geschehen war und der bloße Gedanke daran, was die Raubritter beim nächsten Vorfall mit ihr anstellen würden, sie vor Angst fast vergehen ließ, wurde es allerhöchste Zeit, aus dieser Stadt zu verschwinden.

„Kein Wort zu Vater über die Kinder im Wald", wiederholte Leo noch einmal, kurz bevor sie ihr Haus erreichten.

„Keine Sorge. Ich werde die sieben Zwerge nicht verraten", sagte Sofia mit todernster Miene. Beinahe hätte Leo gelächelt, wenn sie nur nicht so viel Angst gehabt hätte.

Als Leo und Sofia den Bollerwagen hinters Haus zogen, verriet das Licht der Flammen, und der Geruch nach Essen, dass ihr Vater schon länger zuhause war.

„Da seid ihr ja endlich." Ruckartig erhob sich ihr Vater und kam auf seine beiden Kinder zugelaufen.

„Wir haben ganz viele Pilze gefunden! Die konnten wir nicht einfach stehen lassen!", rief Leo hastig und streckte ihm wie ein Schutzschild den Korb entgegen. Sofort hielt ihr Vater inne und beugte sich über den Korb. „Nicht schlecht", sagte er schließlich zögerlich.

„Und ich habe heute morgen eine Geldbörse gestohlen", fügte Leo hinzu.

„Das ist gut." Finster sah ihr Vater sie an. Offensichtlich hatte er ziemlich schlechte Laune. „Jemand hat nämlich das Geld unter der Fußbodenleiste geklaut."

„Nein, das ist noch da", sagte Leo, erleichtert darüber, den Grund für die schlechte Laune ihres Vaters zu kennen und beiseite räumen zu können.

„Und warum ist es dann nicht mehr in seinem Versteck?", fragte Leos Vater drohend.

„Ich habe es unter der Matratze versteckt", gestand Leo. Ihr Kopf war wie leergefegt vor Furcht, und so war es beinahe ein Wunder, dass ihr eine passende Ausrede einfiel, bevor ihr Vater zu einer Ohrfeige ausholen konnte. „Ich habe nämlich heute auf dem Markt gehört, dass solche Verstecke immer als erstes ausgeraubt werden. Sie sind zu offensichtlich."

„Zu offensichtlich. Soso." Aber die Wut ihres Vaters schien verpufft. Erleichtert stellte Leo den Pilzekorb ab und begann mit Sofia, das Holz aufzustapeln, während sich ihr Vater wieder hinsetze und mit einem schweren Seufzen an die Wand lehnte.

„Ihr macht mich fertig, Kinder", stöhnte er. „Aber ohne euch wäre ich wohl auch aufgeschmissen."

Als Leo den schuldbewussten Ausdruck auf Sofias Gesicht sah, warf sie ihr einen warnenden Blick zu. Aber auch sie ließen die Worte ihres Vaters nicht kalt. Im Endeffekt wollte er ja nur ihr Bestes, sie beschützen. Manchmal war er wütend und furchteinflößend, aber er war immer noch ihr Vater. Die Person, die Tag für Tag für sie gesorgt hatte. Ihn nun klammheimlich zurückzulassen fühlte sich deutlich schlechter an als erwartet.

Schweigend löffelten sie ihre Suppe und mummelten sich kurz danach in ihre warmen Decken ein. Die würde Leo auch mitnehmen, soviel stand fest. Zu einer Kugel zusammengerollt wartete Leo darauf, dass ihr endlich warm wurde. Aber auch, als ihre Füße nicht mehr eisig waren, konnte sie einfach nicht einschlafen. Dafür war sie viel zu aufgewühlt. In Gedanken ging sie immer wieder durch, was sie alles mitnehmen mussten. Messer, Decken, Essen, Geld, Wechselklamotten, ein Stück Seife, um nicht auf halber Strecke von irgendeiner Seuche erwischt zu werden, eine Trinkflasche, ...

Irgendwann drifteten Leos Gedanken ab und sie war schon fast eingeschlafen, als ihr etwas brühend heiß einfiel. Der Sommermann! Ob er wohl immer noch auf sie wartete? Ein scharfer Schmerz fuhr durch Leos Herz. Ihr Puls begann zu rasen und an Schlafen war nun sowieso nicht mehr zu denken. Was, wenn er noch dort war? Er wusste schließlich, dass es dauern konnte, bis Leo die Gelegenheit bekam, sich fortzuschleichen. Aber wollte sie das überhaupt? Leo wusste immer noch nicht, was ihr blühen würde. Angst und Neugier stritten sich um die Vorherrschaft. Konnte sie es riskieren, sich einen Abend vor ihrer Flucht in die Hände eines Raubritters zu begeben? Aber andererseits könnte es auch von Vorteil sein, einen Raubritter auf ihrer Seite zu haben. Nur für den Fall aller Fälle. Um ehrlich zu sein erschien es Leo unklug, heute Abend nicht zu erscheinen. Was würde geschehen, wenn sie dem Sommermann am nächsten Morgen in den Straßen begegnen würde?

Nicht einmal sich selbst gestand Leo ein, dass sich ein Teil von ihr nach dem Sommermann sehnte, stärker als sich ihr Körper nach tagelangem Hungern nach Essen sehnte.

Obwohl praktisch alle Argumente dafür sprachen, zu gehen, konnte Leo sich nicht dazu überwinden, aufzustehen.

Der Sommermann war kein Feind. Es drohte keine Gefahr, im Gegenteil. Wenn sie jetzt ging, stünden die Chancen auf eine unproblematische Flucht morgen deutlich besser. Schon alleine aus Verantwortung Sofia gegenüber musste sie es tun.

Ihr Vater schnarchte schon seit einiger Zeit, auch Sofias Atem ging sanft und gleichmäßig. Trotzdem blieb Leo liegen. Eine Weile. Dann noch eine Weile. Aber ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr ganzer Körper war angespannt, als stünde sie kurz vor der Flucht. Nur, dass es nichts gab, wovor Leo fliehen konnte. Dabei würde sie nichts lieber tun als rennen. Fortrennen und sich nicht ihren Ängsten stellen. Aber fortrennen war nie eine Lösung.

Nach einer gefühlten Ewigkeit stand Leo auf, schlüpfte lautlos in ihre Schuhe, zog sich ihren neuen Mantel an und schlich sich aus dem Haus. Das Feuer glühte nur noch vor sich hin, trotzdem warf es sein mattes Licht an die Wände und spendete das einzige Licht in dieser pechschwarzen Nacht. Als Leo den Hinterhof verließ, schien es ihr, als würde sie nun endgültig die schützende Wärme ihres Zuhauses verlassen. Beinahe sehnsüchtig blickte sie zu ihrem Haus zurück, das sie schon morgen für immer zurücklassen würde.

Draußen auf der Straße sah Leo für einen Moment gar nichts mehr, nur langsam konnte sie die Schemen der umliegenden Häuser erkennen. Schon lange hatte sie keine so dunkle Nacht mehr gesehen. Schwere Wolken hingen am Himmel und verdeckten Mond und Sterne. Es war, als wäre die Welt verschluckt worden. Nur die Geräusche waren geblieben. Huschen, Rascheln, Flattern, leise, hohe Schreie in der Nacht. Ein Schauer lief Leo über den Rücken.

Eine Weile stand sie einfach nur da und lauschte in die Nacht, aber sie schien der einzige Mensch zu sein, den es um diese Uhrzeit noch auf die Straße trieb. Überall um sie herum gingen die Tiere ungestört ihren Nachttätigkeiten nach. Erst als Leo sich in Bewegung setzte, huschten die Mäuse in ihre Löcher, die Fledermäuse stoben in Seitengassen davon und die Katzen erstarrten in der Dunkelheit. All das sah Leo nicht, aber sie hörte es so deutlich, dass die Bilder von ganz alleine vor ihrem inneren Auge entstanden. In einer so vollkommenen Dunkelheit hörte Leo am besten. Die Menschen fürchteten sich von Natur aus vor der Nacht, aber für Leo war es ein Segen, dass niemand sie sehen konnte. Ihr Gehör war sowieso zuverlässiger.

Immer wieder blieb Leo einen Moment stehen. Nicht etwa, weil sie etwas gehört hätte –das ungestörte Treiben der Tiere verriet ihr, dass außer ihr kein Mensch durch diese Gassen irrte. Aber dafür ließen ihre aufgewühlten Gedanken Leo immer wieder innehalten. Hin und wieder war sie so aufgeregt, dass sie am liebsten losgerannt wäre, damit all die Energie, die sich in ihr anstaute, sie nicht verrückt machte. Aber den Großteil der Zeit fragte sie sich nur verzweifelt, was sie hier eigentlich tat. Ihr Leben lang hatte sie die reichen Mädchen, die mit den jungen Männern und gelegentlich sogar mit den Raubrittern spielten, für verrückt erklärt. Aber jetzt glaubte sie zu verstehen, wie schwer es war, der Verlockung zu widerstehen. Dass es unmöglich war, der Verlockung zu widerstehen.

Schon hörte Leo das Rauschen des Flusses und ihre Schritte wurden langsamer und langsamer. Jetzt war die letzte Gelegenheit, um umzudrehen. Aber eigentlich war die Entscheidung längst gefallen.

Selbst wenn es ihr gelungen wäre, die in ihr aufwallenden Gefühle vollkommen zu unterdrücken, hätte Leos Verantwortung Sofia gegenüber sie weitergetrieben. Der Sommermann hatte sie aufgefordert, zu kommen und Leo konnte nicht riskieren, seiner Forderung nicht Folge zu leisten.

Beinahe in Zeitlupe trugen ihre Schritte sie zu der Stelle am Fluss, wo sie dem Sommermann das letzte Mal begegnet war. Der Baum, an dessen Wurzeln sie geschlafen hatte, war kaum mehr als ein schwarzer Umriss in der Nacht. Wie ein Mahnmal.

Das Rauschen des Flusses war hier so laut, dass Leo nichts anderes hören konnte. Es war ihr unmöglich zu sagen, ob ein anderer Mensch hier war, zumal die Dunkelheit selbst die Häuser um sie herum zu verschlucken drohte.

Wie eine abgestellte Marionette stand Leo dort, zwischen den heruntergekommenen Häusern. Ein Teil von ihr sagte ihr, dass sie nach dem Sommermann suchen sollte, aber sie konnte nicht. Es war schon ein Wunder, dass sie es überhaupt bis hier her geschafft hatte.

Vielleicht reichte es, wenn sie sich irgendwie bemerkbar machte, etwas sagte, anstatt sich hier auf lautlosen Sohlen wie ein Dieb anzuschleichen. Aber kein Ton kam über Leos Lippen.

Hier stand sie nun, ausgeliefert wie ein Reh auf einer Lichtung. Im Gegensatz zu einem Reh war Leo sich ziemlich sicher, dass der Jäger unbemerkt in der Dunkelheit lauerte. Trotzdem hatte sie keinen blassen Schimmer davon, was ihr bevorstand. Ihr Leben würde sie nicht verlieren, da war Leo sich sicher, aber das war auch schon alles, was sie mit Gewissheit sagen konnte.

Die Nachtluft war kalt, aber das nahm Leo kaum wahr. Ihr Körper zitterte schon vor Aufregung genug. Als sie eine Bewegung in der Dunkelheit ausmachte, überschlug sich Leos Herz, aber sie bewegte sich keinen Schritt von der Stelle. Ihre Füße waren wie festgewachsen.

Schon im ersten Moment war Leo sich sicher, dass das Schemen, das sich ihr näherte, der Sommermann war. Die Art, wie er lief, seine Größe, seine Körperform. Obwohl das alles nur sehr vage in der Dunkelheit zu erkennen war, war Leo sich doch sicher. Es war, als habe sie bei ihren Begegnungen unbewusst jede Bewegung, jedes Detail des Sommermanns studiert. Ein wenig verstörte Leo es schon, wie vertraut er ihr schon nach den wenigen Tagen erschien.

„Schön, dass du hier bist." Einen Schritt von Leo entfernt blieb der Sommermann stehen, und sie glaubte, ein Lächeln auf seinem Gesicht ausmachen zu können. Da sie jedoch beim besten Willen nicht wusste, was sie machen sollte, blieb sie einfach stehen und versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln, obwohl sie sich nicht ganz sicher war, ob er das überhaupt sah.

„Du bist ein wunderschönes Mädchen, Leo", sagte der Sommermann leise. Sanft fuhren seine Finger durch Leos Haare und verhedderten sich prompt. Leise lachend beugte sich der Mann zu Leo herab und küsste sie erst auf die Nasenspitze, dann auf den Hals.

„Jetzt komm schon." Der Atem des Sommermanns strich über Leos Hals und ließ sie erschaudern. „Du bist doch nicht hierher gekommen, um wie erstarrt dazustehen."

Leo, die sich immer noch nicht sicher war, ob sie die Gefühle, die sie überwältigten, gut oder schlecht finden sollte, zog die Schultern hoch. Einerseits wollte sie nichts lieber als sich schützend zusammenzurollen, und andererseits lösten die Berührungen ein fremdartiges Gefühl in ihr aus, dem sie nicht widerstehen konnte. Ihr Herz raste, ihre Hände waren eiskalt und zitterten. Das Rauschen des Flusses wurde ohrenbetäubend, Leo wurde schwindelig. Am liebsten wäre sie vor Scham im Boden versunken, aber da schlossen sich warme Finger um ihre Hand.

Leos Herz überschlug sich, als der Sommermann ihre Hand an seine raue Wange führte. Noch nie zuvor hatte sie die Wange eines Mannes berührt, und die kratzige Haut war gleichermaßen komisch und seltsam. Immer noch mit der Situation überfordert ließ Leo den Sommermann ihre Hand über sein Gesicht führen. Es fühlte sich nicht schlecht an, aber Leo verstand auch nicht, was andere Leute daran so interessant fanden. Mit den Fingern sah man die Schönheit des Sommermanns nicht halb so gut wie mit den Augen. Leo war sich nicht sicher, ob sie das Gefühl von Haut unter ihren Fingern wirklich mochte.

„Du hast noch keine Erfahrungen gesammelt, oder?", fragte der Sommermann leise. Plötzlich fühlte Leo sich sehr unerfahren und vor allem unbegabt. Andere Mädchen bekamen das ja auch irgendwie hin, nur sie nicht, sie stand einfach wie erstarrt da. Verzweifelt versuchte Leo sich daran zu erinnern, was andere Menschen in solchen Situationen taten. Es war nicht oft vorgekommen, dass Leo zwei Menschen dabei beobachtet hatte, und was sie dort gesehen hatte, kam ihr auf einmal sehr komisch vor.

„Was ist nun?" In den Worten des Sommermanns klang ein Lächeln mit. Leo zog die Schultern noch ein Stück höher. Der Sommermann trat ein Stück näher. Nun berührte sein Körper Leos, aber sie traute sich nicht, zurückzuweichen.

„Dann zeige ich dir eben, wie das geht", sagte der Sommermann sanft und hob Leos Kinn an. „Augen zu."

Gehorsam kniff Leo die Augen zu. Obwohl es bei der sie umgebenden Dunkelheit kaum einen Unterschied machte, fühlte sie sich plötzlich noch hilfloser, vollkommen ausgeliefert. Leo riss die Augen wieder auf.

„So geht das nicht." Wieder schwang ein leichtes Lachen in der Stimme des Sommermanns mit. Sanft küsste er sie auf die Stirn und zog sie noch enger zu sich heran. Dann nahm er wieder ihre Hände in seine und führte sie zum Rand seines Pullovers.

„Keine Angst. Trau dich", sagte er so leise, dass Leo ein paar Sekunden brauchte, um die Worte richtig zu verstehen. Vorsichtig kam sie seiner Aufforderung nach und strich mit den Fingerspitzen über seine bloße Haut. Der Rücken des Sommermannes war angenehm warm an ihren eisigen Fingern. Das der Mann bei ihren Eisfingern leicht zusammenzuckte nahm sie nur am Rande wahr. Aber dann gelang es dem Sommermann trotz des praktisch nicht vorhandenen Abstands zwischen ihnen, ihren Mantel zu öffnen. Für einen Moment spürte Leo seine großen Hände auf ihren Hüften, dann fuhren seine Hände unter ihr Oberteil. Gleichzeitig presste er seinen Körper so fest gegen ihren, dass er sie ein paar Schritte zurückdrängte, bis Leo eine Hauswand in ihrem Rücken spürte. Erst, als der Sommermann innehielt, fiel Leo auf, dass sie erneut erstarrt war. Plötzlich wünschte sie sich, sie hätte ihr Bett nicht verlassen.

„Du musst noch viel lernen, Leo", sagte er, die Lippen so dicht an Leos Haaren, dass sie die Bewegung spürte. Es kitzelte.

„Reicht das nicht für eine Nacht?", wisperte Leo. Plötzlich hatte sie es mit der Angst zu tun, die immer stärker in ihrem Inneren brodelte.

„Wir haben doch noch gar nicht richtig angefangen."

Leo traute sich nicht, noch einmal zu widersprechen. Schon einmal konnte bei Raubrittern tötlich sein, und obwohl der Sommermann anders war, hatte sie Angst. Angst, ihm nicht zu gehorchen. Angst, was passieren würde, wenn sie ihn verärgte. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und ließ zu, dass der Sommermann ihr über den Rücken und den Hintern strich, dass er ihren Hals und ihre Schultern küsste. Trotzdem fühlte sich manches gut an, manchmal wäre sie am liebsten zurückgewichen, aber die Wand in ihrem Rücken hinderte sie daran.

„Morgen wieder hier?" Es war keine Frage. Der Sommermann hob Leos Kinn an, sodass sie ihm ins Gesicht sehen musste, auch wenn sie in der Dunkelheit nur den groben Umriss erkannte. Leos Nicken war kaum wahrnehmbar, aber der Sommermann schien es zu spüren.

„Gute Nacht, Leo." Er küsste sie noch einmal flüchtig auf die Stirn, dann verschwand er in der Dunkelheit.

Eine Weile stand Leo einfach nur da, blickte in die Richtung, in die er verschwunden war, und versuchte, ihre Gefühle zu verstehen. Um ehrlich zu sein, wusste Leo nicht genau, was sie wollte. Daher war sie mehr als froh, dass ihr wenigstens diese Entscheidung abgenommen wurde. Morgen Abend würde sie nicht mehr hier sein. Morgen Abend konnte sie all diese verwirrenden Gefühle hinter sich lassen und mit den Kindern in ein sichereres, schöneres Leben ziehen. Doch bereits in dem Moment, in dem der Sommermann in der Dunkelheit verschwand, wurde Leo klar, dass sie seine Wärme vermissen würde.

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