WISSEN UND MACHT
You want... sum soundtrack?
Hier bitte: Shimmy She Wobble aus dem Gangs of New York Soundtrack (ein großartiger Film, den ich jedem wärmstens ans Herz legen kann), das Lied wegen dem dieses Kapitel existiert. Abspielen am Anfang.
https://youtu.be/lC5oT3EEMs0
und Chaperon Rouge von Saltatio Mortis. Abspielen, sobald Tiborazo der Prozession zusieht.
https://youtu.be/TEkwnyCtZSQ
Wirklich, lest es mit Soundtrack, es ist wesentlich cooler so. Ich für meinen Teil bekomme bei Chaperon Rouge immer Gänsehaut, weil ich mir nebenbei die Prozession der Zentauren vorstelle.
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Alpha Centauri, Hauptstadt von Hiron, 448 nach der Eroberung
Nackte Zentauren, verschmiert mit Blut und Farbe, tanzten an Tiborazo vorbei. Glöckchen, wie sie auch in seiner Mähne hingen, klingelten in Haaren, an den Schweifen und den Hufgelenken der unzähligen Männer und Frauen. Tiefe Pauken ließen die Straßen erzittern, Marschtrommeln klirrten blechern, silberne Flöten kreischten schiefe Töne um das Stakkato der Hufe auf dem Straßenpflaster. Zentauren aller Farben drängten sich zwischen den Häusern, sprangen umeinander wie übermütige Pferde auf der Weide und bockten wie junge Fohlen, die Bewegungen fahrig und unkontrolliert von Alkohol und Drogen. Ihr Geschrei und Gelächter schmerzte in Tiborazos Ohren.
Eine Frau mit langen, hellblonden Haaren, zu strähnigen Schnüren verfilzt, stieß ihn an und schüttete dabei ihren Wein über sein Hemd. Bevor er auch nur zu einer Beleidigung anheben konnte, war sie auch schon verschwunden, verschluckt von der tobenden Menge, zwischen donnernden Hufen und wogenden Pferdeleibern. Im Licht der Fackeln und bunten Laternen, der Flammen der Feuerspucker und dem auf blitzendenFeuerwerk schienen sie noch mehr wie ein endloses, hungriges Meer. Die Streifen und Symbole, die sie sich auf ihre Haut gemalt hatten, gaben ihnen das wilde, grausame Aussehen einer Horde barbarischer Wildpferde.
Wütend bleckte er die Zähne und drängte sich tiefer hinein in das Getümmel, die Hände an den Waffen. Der Geruch von gebratenem Fleisch und Fisch, von Blut und Feuer, von Schwarzpulver und Schweiß erfüllte seine Nase, als er einen der unzähligen Grillstände passierte, und er wandte mit zusammengekniffenen Augen den Blick ab.Bei den Göttern, ich stinke schon genauso wie sie, dabei feiere ich nicht einmal mit ihnen. Verärgert versuchte er erneut, den Wein von seinem Wams zu wischen, doch der Fleck breitete sich nur noch mehr aus, zusammen mit dem Geruch nach billigem, miserablem Alkohol.
Ziellos wanderte er weiter, durch das Chaos und die Feuer, die die ganze Stadt erleuchteten und den Himmel mit ihrem Rauch verdeckten, auf einen Platz, gesäumt von Tavernen und Bordellen. Vor ihm teilte sich die Menge, um die Prozession durchzulassen, und Tiborazo fand sich unvermittelt in der vordersten Reihe wieder. Die Beine der Zentauren hinter ihm drückten ihn in den Rücken und sein Zorn auf diese bei allen Göttern verdammten Pferdemänner brach an die Oberfläche.
Er riss die Pistole aus dem Gürtel und presste sie dem Mann unter den Kopf. „Geh zurück. Weit genug, dass du mir nicht auf den Sack gehst", knurrte er.
Der Zentaur hob beschwichtigend die Hände und lachte betrunken. „Lässt sich nicht vermeiden, Mann", lallte er. „Wenn du nicht feiern willst, bist du hier und heute verdammt falsch."
„Ich bin nicht hier, weil ich es will", fauchte Tiborazo.
Der Zentaur zuckte mit den Schultern und griff nach der Flasche, die eine Frau neben ihm ihm reichte. „Das tut mir leid", nuschelte er trocken.
Tiborazo riss ihm die Flasche aus der Hand und trank. Wenn ich schon hierher zitiert wurde, dann kann ich genauso versuchen, diese himmelstürmende Scheiße in Wein zu ertränken. Schwerer, schwarzer Rum floss seine Kehle hinab, und er verzog wütend das Gesicht. „Mir auch."
Der Mann nahm ihm die Flasche wieder ab und hob zu einer Antwort an, als die Menge in Jubel ausbrach. Das Donnern und Scheppern der Trommeln schwoll an, die Flöten waren wie silberne Nadeln in Tiborazos Ohren. Priesterinnen heulten und sangen, ihre Hufe klapperten ohne jeden Takt über den schmutzigen Boden. Ein roter Blitz erhellte den Platz, der Knall klingelte in seinen Ohren.
Soldaten in weißen Überwürfen trugen Banner vorweg, Waffen an den Seiten. Selbst sie hatten Blut und Farbe im Gesicht. Weitere Wachen und Ritter folgten, die mannshohen Schwerter stolz in den Händen, gefolgt von tanzenden Priestern, Gauklern, Feuerspuckern und Musikern. Dudelsäcke heulten, Geigen sangen, Becken klirrten, das Brummen der großen Trommeln ließ Tiborazos Zähne klappern. Sein Fell sträubte sich, und er schauderte. Die Siege der Troubadouren hatten genauso geklungen, wenn auch wesentlich taktvoller und weniger so, als folterten die Spielmänner ihre Instrumente zu Tode.
Tiborazo ertappte sich dabei, als er mit den Fingern den Schlag der Trommeln auf sein Bein tippte, und ballte die Hand zur Faust. Unter anderen Umständen hätte ich mit Freuden mit ihnen gefeiert. Ich hätte getrunken, getanzt, vielleicht sogar gespielt wie sie alle. Unwillkürlich tastete er nach seiner Schalmei, das Holz war glatt und kühl unter seinen Fingern. Aber da ich weder nach Alpha Centauri noch zu diesem Fest wollte, und da mich wahrscheinlich nichts und niemand hier wegbringen kann, nicht einmal ich selbst, werde ich es ertragen müssen. Bis die Rhymers mich finden, oder ich sie.
Das Gebrüll der Menge schwoll an, als acht Zentauren, fuchsfarben, schwarz, braun, grau, weiß und sandbraun, geschmückt in den verschiedensten Farben, heran taumelten, lachend und über und über mit Blut verschmiert. Frische Tierhäute, noch mit Resten von Fleisch und Sehnen daran, hingen über ihre Rücken. Einer von ihnen trug einen ganzen Drachenkopf auf dem eigenen Haupt, Blut rann über sein Gesicht und verkrustete in seinem struppigen blonden Bart, die stumpfen, toten Augen des Drachen schimmerten im Fackelschein. „Der Geist sei mit euch!", brüllte er, und die Menge jubelte.
Was für Barbaren. An normalen Zeiten scheinen sie ganz normal, und sobald sie ihren Gott anrufen, scheinen sie, als gälten jegliche Regeln für alle, außer für sie. Jemand warf eine Flasche auf die Prozession, eine schwarze Zentaurin mit einem Bärenfell auf dem Rücken fing sie und trank. Nachlässig warf sie sie zurück, der Inhalt spritzte über die Umstehenden.
Weitere Wachen folgten, die einen Wagen eskortierten. Tierkadaver waren an Gestellen darauf befestigt, Drachen, Hirsche, Wölfe, Wildkatzen, kleine Tiere wie Hasen, Marder und Eichhörnchen, Füchse, Wildschweine, Bären und Einhörner, alle mit stumpfen Augen, manche gehäutet, andere mit blutigem Fell. Pfeile steckten in einigen von ihnen, die Priester tanzten um sie herum. Die Glöckchen an ihren Knöcheln klingelten hell.
„Der Geist sei mit uns!", grölte der Zentaur hinter Tiborazo, und der Sirea biss mürrisch die Zähne zusammen. Wann kommen sie endlich... ich will hier weg. Oder mich zumindest so sehr betrinken, dass ich diesen verdammten Tag vergesse, an dem ich den falschen Mann tötete.
Weitere Priester, bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, und Soldaten, stoisch und ruhig, folgten. Ein dürrer Zentaur, über und über bedeckt mit Zeichnungen und Tätowierungen, das Gesicht verdeckt hinter einem Vorhang aus schmutzig bunten Schnüren und fettigen Haaren, streckte lachend die Hand nach ihm aus. Sein Arm war bis über die Ellenbogen mit Blut verschmiert. Tiborazo versuchte, ihm auszuweichen, doch scheiterte, und die Hand wischte ihm einmal quer durchs Gesicht. Klebrige, stinkende Schmiere bedeckte seine Stirn, seine Nase und seine Wangen.
Jäger in schmierigen Lederwämsern, mit Sauspeeren, kurzen Jagdmessern, Pfeil und Bogen und Gewehren tänzelten ihnen nach, die Haare mit Blut nach hinten gestrichen, die Blicke glasig. Hinter ihnen gingen ein Trupp Ritter, mit Langschwertern und stählernen Rüstungen, schmutzige Flecken schimmerten auf dem Stahl.
Das Gebrüll der Zentauren schwoll an, als weitere Spielmänner herantraten, zusammen mit taumelnden Priesterinnen und marschierenden Wachen. Die weißen Banner, die sie trugen, schienen strahlend hell im Schein von Feuerwerk und Fackeln, ein Gegensatz zum schmutzigen Chaos unter ihnen. Das goldene Einhorn von Hiron tanzte auf dem bleichen Stoff. Eine Gruppe weißer Zentauren folgte, ein Mann und eine Frau mit blutigen Kronen auf den Köpfen, zwei junge Männer, eine junge Frau und ein kleines Mädchen, mit langen Beinen wie ein Fohlen, das sich mit überwältigt aufgerissenen Augen an die Hand eines ihrer Brüder klammerte. Schwarze, rote und blaue Zeichnungen waren auf ihren Leibern, Felle auf den Rücken. Die Frau hatte sich eine Drachenhaut um die Schultern geschlungen, die grünen Schuppen hingen wie ein grausiger, rot gesäumter Teppich bis zu ihren Fesseln hinab. Sie lächelte träge, während der Mann sich aufbäumte und etwas schrie, was Tiborazo nicht verstand, und die Feiernden brüllten ihre wortlose Antwort.
Eine Priesterin tanzte heran, eine der unzähligen, und packte Tiborazo an den Handgelenken. Heftig versuchte er, sich ihr zu entziehen, doch sie ihr Griff lockerte sich nicht. „Lass mich los, oder du wirst es bereuen", zischte er.
Sie kicherte, ihre großen Augen waren von einem beeindruckenden Grün. Schwarze Locken wallten um ihren Oberkörper, ein Wasserfall aus Haar und Mähne. „Du bist Tiborazo Nastura, nicht wahr?", fragte sie rau.
„Aye." Misstrauisch musterte er sie. „Warum?"
Sie ließ langsam seine Hände los und strich ihm lasziv über die Handflächen. „Die Rhymers suchen dich." Sanft schlug sie ihn mit dem Schweif. „Komm!"
Mit Ellenbogen, Beleidigungen und gezielten Tritten bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, verschmierte Hände streckten sich nach ihr aus und malten weitere Streifen auf ihr Fell. Ein Mann griff ihr an die nackten Brüste und hinterließ rote Schlieren auf der hellen Haut, sie kicherte und warf ihm einen verführerischen Blick zu. Tiborazo folgte ihr, die Waffen in den Händen, und hielt den Blick fest auf ihr dunkelbraunes Fell gerichtet. Glöckchen klirrten bei jedem ihrer Schritte.
Sie führte ihn fort von der Prozession, hinaus aus den Gassen der Stadt, auf die Stege, die die Häuser des Viertels auf dem Meer miteinander verbanden. Das Rhymer Quarter. Ein ganzes Stadtviertel, das zwei Männern gehört. Zentauren, Krieger und Menschen tobten und tanzten zur Musik der Spielleute, frische Tierhäute waren an Wände genagelt und hingen um die Schultern der Feiernden. Über der Tür einer Taverne hing ein Schweinskopf, Blut hatte eine Lache darunter gebildet. Rote Fußspuren führten in alle Richtungen.
Die Priesterin tänzelte an einem Bordell vorbei, die Frauen davor pfiffen Tiborazo hinterher. Eine Löwin trat zu ihm, Scham und Brüste mit Blut bedeckt, doch er schob sie angewidert und zugleich fasziniert zur Seite und folgte der Zentaurin in eine schmale Gasse. Sie war beinahe leer, bis auf zwei vögelnde Zentauren und einen in einer Pfütze schlafenden Shacani. Ein Schild quietschte über einer schmalen Tür, eine blaue Explosion in der Nähe erhellte grüne Farbe und schwarze Schrift. Ein Bündel Kräuter, daran festgebunden, regte sich im warmen Wind.
Das Pärchen unterbrach sein Liebesspiel und trabte betrunken kichernd von dannen, als sie die Gasse betraten, der Shacani regte sich nicht. Die Priesterin würdigte ihn keines Blickes und öffnete die Tür unter dem Schild. „Nach dir, Nastura", schnurrte sie verwaschen.
Ihr Tonfall erinnerte ihn an Whisper. Tiborazo musterte sie misstrauisch. „Was ist da drin?"
Sie verdrehte die Augen und warf theatralisch die Haare nach hinten. „Die Rhymers, natürlich."
Er sah sich um, ließ den Blick über den Dreck, den Shacani und die schemenhaften Umrisse von Tiegeln, Kräuterbüscheln und Flaschen im Schaufenster des Geschäfts schweifen. „Hier?"
Ungeduldig scharrte sie mit den Hufen. „Aye, hier. Es mag nicht ganz ihr Lieblingsort sein, doch sie haben ihre Gründe."
Tiborazo zuckte mit den Schultern und zog seine Waffen. „Wenn sie meinen", murmelte er und betrat das Geschäft, die Priesterin folgte ihm.
Innen war es dunkel und still. Hohe Regale bedeckten die Wände, gefüllt mit Dosen, Flaschen und Fläschchen, Beuteln, Tiegeln und Gläsern voller seltsamer Substanzen. Der Geruch nach Staub, trockenen Pflanzen und Alchemie hing in der Luft und trieb Tiborazo einen Schauder über den Rücken. Unbehaglich umklammerte er den Griff seiner Pistole. Ein Pferdeschädel starrte ihn aus leeren Augenhöhlen an und schien ihm mit seinem Blick zu folgen. Federn in den verschiedensten Formen lagen zwischen zerfallenden Büchern und einem Korb voller tiefschwarzer Steine. Aufschriften auf schwarz gestrichenen Schubladen verkündeten ihren Inhalt, auf dem obersten Regalbrett saß ein kleiner Drache mit schwarzweißem Fell und blickte aus riesigen, dunkelblauen Augen zu ihm hinab. Zwei Kerzen auf den Tresen warfen ein schauriges Dämmerlicht auf das Chaos und auf die erstaunlich geordneten Behältnisse hinter der Theke, säuberlich beschriftet. Schwertgriffe lugten aus einer Vase in einer Ecke.
Etwas kitzelte an seinem Nacken, und er fuhr herum, doch nur ein Büschel trockener, intensiv duftender Blumen hing neben ihm von der Decke. Mit hämmerndem Herzen wandte er sich wieder um, und musste an sich halten, nicht zusammenzuzucken, als die Priesterin ihm folgte und die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Klirrend drehte sie den Schlüssel im Schloss um und lächelte ihn strahlend an. „Verzeiht die Unordnung. Durch den Flur neben dem Tresen, das zweite Zimmer, wenn ich bitten darf", wies sie ihm den Weg.
Tiborazo drängte sich an dem Tresen vorbei, versuchte, die Vase mit den Schwertern nicht umzustoßen, und betrat den dunklen Flur. Hinter ihm erlosch das Licht, und der Geruch nach Kerzenrauch breitete sich aus. Die Hufe der Frau klapperten dumpf auf den Holzbohlen.
Schwacher Feuerschein drang aus dem Zimmer, das sie ihm gewiesen hatte, und er trat langsam hinein, die Waffen bereit. Drei Männer standen in dem Raum, eingerichtet mit bunten Teppichen auf dem Boden und den gleichen überladenen Regalen wie zuvor. In einem Kamin brannte ein klägliches Feuer. Mehrere Kerzen, zu einem einzigen Klumpen mit vielen Dochten zusammengeschmolzen, erhellten die Artefakte in den Regalen und die Zentauren davor.
Der größte der Zentauren, schlank, mit braunem Fell und scharfen Gesichtszügen, die schwarzen Haare zu einem Zopf gebunden, nickte ihm zu. „Master Nastura. Es freut mich, Euch endlich begrüßen zu dürfen. Und nun steckt Eure Waffen weg, es wird niemand sterben heute Nacht. Von jenen draußen einmal abgesehen."
Tiborazo senkte das Schwert nicht. „Steck dir deine Befehle sonst wo hin. Wer bist du?"
Der Zentaur lächelte blass und wechselte das Glas in seiner Hand in die andere. Ein Smaragd blitzte an seinem Finger auf. „Mein Name ist John Rhymer. Dies", er wies auf einen weiteren Zentauren mit braunem Fell und struppigen dunklen Haaren, der Körper übersät mit blutigen und schwarzen Zeichnungen, eine Flasche in der Hand, „ist mein Bruder Avory."
Die Rhymers. Natürlich. Ich bin dort, wo sie mich haben wollten, und ich werde für das, was ich getan habe, bestraft. „Ich dachte es mir. Und er?", wollte Tiborazo wissen und wies mit dem Schwert auf den letzten Mann im Raum.
„Er ist der Besitzer dieses Ladens."
Der Zentaur lächelte breit durch seine fransigen schwarzen Haarsträhnen, beinahe ein wenig entschuldigend. „Starry Belladonne", stellte er sich vor. „Alchemist."
Die Priesterin drängte sich an Tiborazo vorbei zu Starry und küsste ihn innig. Tiborazo hob milde überrascht die Augenbrauen, John blickte reserviert zur Seite, und Avory kicherte betrunken. Sie unterbrach den Kuss und blickte zu Tiborazo. „Ich bin Crestia", sagte sie.
„Meine Frau", fügte Starry stolz hinzu.
Tiborazo dachte daran, wie Crestia mit den Männern auf dem Fest gefeiert hatte, an ihre verführerischen Blicke, und dass sie nackt durch die halbe Stadt getanzt war. Kurz fragte er sich, ob Starry davon wusste, ob es ihn kümmerte, doch er wandte sich wieder John zu. Er hatte besseres zu tun. „Warum bin ich hier? Warum habt ihr mich von Burall bis hierher gebracht?"
„Wir haben Euch nicht gebracht. Ihr seid aus freien Stücken hier." Avory grinste ihn über den Rand seiner Flasche hinweg an.
„Natürlich!", fauchte Tiborazo. „Der Kapitän des Schiffes, das mich von Ranboroughs nach Kameria bringen sollte, war plötzlich abergläubisch und duldete keine Sireas an Bord, obwohl ich meine Überfahrt schon bezahlt hatte. Das nächste Schiff hat mich nach Usan gebracht. Ich habe mir nichts dabei gedacht, habe mir ein Pferd gekauft und bin nach Süden geritten, dachte schon, ich wäre sicher, aber am nächsten Morgen bin ich auf einem Wagen nach Caseba aufgewacht." Er funkelte Avory wütend an. „Obwohl ich nur mit einem Karawanenführer geredet hatte, der nach Osten aufbrechen wollte."
Avory hob verschlagen grinsend die Hände. „Ich wasche meine Hände in Unschuld."
„Wann ist es Euch aufgefallen, dass Ihr nicht nach Naesat zu Miss de Guille weiter reisen würdet, wie Ihr es vorhattet?", fragte Johnregungslos.
Tiborazo ließ wütend die Waffen sinken. „Als ich in Bergen abhauen wollte und ich zwei Tage später bemerkt habe, wie die Zentauren mich wieder nach Westen getrieben haben. Dann habe ich mir gedacht, dass ich genauso gut auch direkt hierher reiten und mir eure Moralpredigt anhören kann." Oder euer Todesurteil, das ich mir nicht gefallen lassen werde.
Avory kicherte. „Wir und Moral in einem Satz, das ist wahrlich selten. Fast unerhört."
John wirkte ekelhaft selbstzufrieden, als er seinen dunkelroten Gehrock glättete. „Freut mich, dass Ihr zu guter Letzt auch den Weg hierher fandet", sagte er kühl.
„Es ist mir eine Ehre, Euch in meinem Laden begrüßen zu dürfen", meinte Starry fasziniert. „Bevor Ihr wieder geht, könnt ihr..."
John brachte ihn mit einem Blick zum schweigen. „Ich denke, Ihr wisst auch, warum Ihr hier seid. Ihr habt Ferris Couverre getötet. Einen Mann, der in unserem Sold steht. Und ich gedenke nicht, dies unbeachtet zu lassen. Auch nicht, dass Ihr im Laufe der letzten vier Jahre, seit Ihr in Parai auftauchtet, mehr als zwanzig unserer Spione aufdecktet und diese zum Teil verjagt, gehängt oder ausgepeitscht wurden. Außerdem habt Ihr eine nicht unwesentliche Zahl an Mordanschlägen derart behindert, dass sie unter äußerst ungünstigen Umständen erneut geplant werden mussten."
Tiborazo breitete die Arme aus. „Aye, das habe ich. Aber ich bereue es nicht, euch und euren verfluchten Spielchen in die Suppe gespuckt zu haben."
Crestia hob eine Augenbraue. „Machst du das alles, weil du ein Held sein willst?", fragte sie beeindruckt.
„Nein. Es waren Aufträge von denen, die ihr zu stümperhaft überwacht habt. Sie haben bemerkt, dass etwas faul war, und haben mich angeheuert, um ihre Ratten auszuräuchern."
„Oh, der mächtige Rattenfänger. In unseren unwürdigen Händen." Avory trank einen großen Schluck und schlenderte näher, neben seinen Bruder.
„Aye, der bin ich. Stets zu Diensten." Tiborazo verneigte sich spöttisch.
„Eigentlich müssten wir Euch dankbar sein. Ihr helft uns, das Spreu unserer Spione vom Weizen zu trennen." Avory musterte ihn anerkennend. „Diejenigen, die sich von Euch erwischen lassen, können wir aus unseren Diensten entlassen und durch jene ersetzen, die Euch nicht einmal dann auffallen würden, wenn sie mit unseren Eisenringen vor Eurer Nase herumwedeln würden. Aber leider habt Ihr Couverre getötet, und der Tod von etwas, das unter unserem Schutz steht, ist nicht hinzunehmen."
„Vor etwas mehr als einem halben Jahr, kurz bevor Ihr von Mellerc nach Burall aufbracht, hat mein geschätzter Bruder Euch noch als einen unbedeutenden Vorfall bezeichnet", sagte John.
„Als einen nichtssagenden, unbedeutenden Sirea, einen einfachen Zwischenfall", präzisierte Avory.
Natürlich. Als mir Solofar Darke begegnet ist, und er mich mit irgendeinem Gift besiegt hat.Er dachte an die Tiegel und Flaschen, die Starry verkaufte, und ahnte, dass der kleine, unauffällige Mann neben seiner wunderschönen, wilden Frau weit mehr war, als er vorgab.
„Dort fielt Ihr zum ersten Mal unangenehm auf, und als Ihr nur wenige Monate später Couverre getötet habt, kamen wir nicht umhin, Euch zu uns zu zitieren." John leerte sein Glas und hielt es Starry hin, der eilig nachfüllte.
„Und was wollt Ihr jetzt mit mir machen? Mich umbringen?", fragte Tiborazo herausfordernd.
John blickte ihm in die Augen. „Wenn es sich nicht verhindern lässt."
„Habt Ihr mich deswegen hierher gebracht? In ein Haus mitten im Hafenviertel, statt in ein Herrenhaus mit Seidenteppichen? Damit es keine Blutflecken auf eurer teuren Einrichtung gibt?"
„Unter anderem." Johns dünnes Lächeln hielt seinem wütenden Blick stand. „Doch Euer Tod ist erst dann erforderlich, wenn Ihr Euch nicht unseren Befehlen fügt."
Tiborazo trat einen heftigen Schritt auf John Rhymer zu und packte ihn am Kragen, obwohl der Zentaur beinahe zwei Köpfe größer war als er. „Ich nehme von niemandem Befehle an. Schon gar nicht von euch verfluchten Rattenkönigen", knurrte er.
„Die Rattenkönige. Das gefällt mir", meinte Avory milde amüsiert.
Johns Lächeln verrutschte nicht einen Fingerbreit. „Wir wissen, dass Ihr keine Befehle befolgt, und dass Ihr Aufträge nur dann annehmt, wenn Ihr bestimmen dürft, wie Ihr sie erledigt. Doch wenn das Leben einer Person, die Euch wichtig ist, von Eurer Fähigkeit abhängt, einen einfachen Befehl zu beherzigen, dann denke ich, dass Ihr sehr wohl das tun könnt, was wir von Euch verlangen", sagte er und befreite seinen Kragen aus Tiborazos Fingern.
Whisper. „Lasst sie in Ruhe", knurrte er. „Wenn ihr ihr etwas antut, ich schwöre bei allen Göttern..."
„Wir haben keinen Grund, ihr etwas zu tun, wenn Ihr tut, was ich sage, Master Nastura", unterbrach John ihn.
„Schön." Schwer atmend trat Tiborazo zurück. Plötzlich schien ihm das Zimmer viel zu eng, viel zu heiß. „Was willst du, du verfluchter Sohn einer Pferdehure?"
Missbilligung huschte über John Gesicht und verschwand wieder unter seiner kalten Miene. „Ihr habt nun mehrere Wege. Einer davon ist, in unsere Dienste einzutreten."
Tiborazo lachte auf. „Vergiss es, Mann."
„Das war zu erwarten." John nippte unbeeindruckt an seinem Glas. „Der andere ist, dass Ihr Euch fernhaltet von jenen, die in unseren Diensten stehen. Ihr werdet ihnen nicht nachjagen und sie nicht an den Pranger stellen, ihr werdet so tun, als hättet Ihr nie von ihnen erfahren. Das ist ein Befehl. Solltet Ihr ihn nicht befolgen, wie es Eure Gewohnheit ist, werden einige Männer Whisper de Guille aufsuchen, in ihrer Taverne in Naesat, und ihr weit schlimmere Narben zufügen, als sie bereits besitzt. Sowohl körperlich als auch geistig." Er brachte Tiborazos dräuenden Wutausbruch mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen. „Solltet Ihr es mir oder meinem Bruder heimzahlen wollen, so wisst, dass wir erfahren werden, dass Ihr auf dem Weg zu uns seid und uns früh genug Eurer entledigen werden. Habt Ihr verstanden?"
Tiborazo starrte ihn an. „Ich sollte euch hier und jetzt umbringen. Zwei Tote mehr oder weniger kümmert niemanden in dieser Stadt", knurrte er.
„Es haben schon viele versucht, uns zu töten. Ihr könnt gerne raten, wer an unserer Statt im Hafenbecken schwamm, das Gesicht nach unten und die Augen von Fischen gefressen. Nur, weil wir sterben, bedeutet es lange nicht, dass unsere Macht enden wird."
„Wir sind unsterblich", sinnierte Avory mit geschlossenen Augen. „Nichts, weder Stürme, noch Tarnovec selbst, noch ein wütender Rattenfänger kann uns etwas anhaben."
„Es haben einige versucht, uns in unserem eigenen Spiel zu schlagen, gegen uns zu intrigieren, doch der Sieg war unser. Doch das wäre nicht Eure Sache. Euch steht die Welt der offenen Karten besser zu Gesicht."
„Eher die der versteckten, wenn man Eure Betrügereien im Spiel ansieht", spottete Avory beiläufig.
Tiborazo starrte die beiden Zentauren an. Da stehen sie vor mir und erzählen mir alles über mich. Es ist fast unheimlich. „Ihr wisst auch alles, oder?"
„Nein", gab John zu.
„Nur über jene, die sich anmaßen, aus der Menge herauszustechen", berichtigte Avory mit einem süffisanten Lächeln.
„Und du bist bemerkenswert, Nastura", schnurrte Crestia.
„Mit beeindruckenden Fähigkeiten. Euer Sinn, Spione zu finden, und Euer Können an den Waffen ist nicht zu unterschätzen. Es ist einer der Gründe, warum wir Euch nicht töten. Nicht nur wir wissen davon, und nicht nur wir bemerkten es. Einer unserer Männer sang unlängst ein Loblied auf Euch." John legte die Hand auf den Schwertgriff.
Avory leerte seine Flasche und stellte sie auf einen niedrigen Tisch. „Für Master Darkes Verhältnisse war es in der Tat ein Loblied. Ihr habt ihm einiges an Ärger eingehandelt, und das ist etwas, worauf man beinahe stolz sein kann."
„Ich freue mich", schnaubte Tiborazo lakonisch. Dieser verfluchte Ipotame hat mir auch nichts als Ärger gebracht. Die Kopfschmerzen meines Lebens, nichts gegen den Morgen nach den vier Flaschen schlechtem abisyalischen Rum, und eine hektische, unschöne Flucht nach Norden, weg von den Schergen von Lady Arnaud.
„Also nun, Master Nastura." John leerte sein Glas und stellte es neben Avorys leere Flasche. „Ihr werdet uns und jene, die wir beauftragten, nicht wieder behelligen, und wir werden Miss de Guille so hübsch lassen, wie sie es ist. Sind wir uns einig?"
Tiborazo spuckte an seiner ausgestreckten Hand vorbei auf die Teppiche. „Wir sind uns niemals einig, Rhymer. Aye, ich werde dich und dein verdammtes Rattennest in Ruhe lassen, aber einig sind wir uns nicht."
John lächelte blass und ließ die Hand sinken. „Das war alles, was ich von Euch wollte. Wir haben ein Auge auf Euch, Master Nastura, vergesst das nicht." Er blickte ihn eindringlich an. „Und jetzt raus."
Tiborazo erwiderte seinen Blick. „Du bist eine besondere Sorte Arschloch, John Rhymer. Ich hoffe, dass ich dich eines Tages ohne dein Imperium antreffe, und dann werde ich es dir heimzahlen, dass du Whisper mit in diese Scheiße ziehst." Weg. Ich will nur noch weg. Weg von den Zentauren und ihrem Blut, ihren Intrigen und ihrem wilden Fest. Der Gedanke an das Chaos in den Straßen der Stadt ließ ihn schaudern. Nach Naesat, wo Whisper wartet. Ich will sie umarmen, wenn sie mich lässt, sie bei mir wissen, und ihr sagen, wie sehr ich sie liebe. Doch er wusste selbst, dass er es niemals laut aussprechen würde. Warum auch. Sie weiß es so oder so. Und sie fürchtet es.
„Liebe ist eine schreckliche Angelegenheit, Master Nastura. Lasst Euch niemals mit ihr ein, denn es endet nur in Leid." Johns Blick schien sich in seine Seele zu bohren. „Schwer zu finden, leicht zu entzweien, und sobald man etwas hat, was man mehr mag als sich selbst, wird es zum Nachteil." Hinter ihm umklammerte Crestia Starrys dürren Oberkörper und blickte ihm verliebt in die Augen, anscheinend unendlich weit von ihnen entfernt.
„Woher solltest du das wissen, Rhymer?", fragte Tiborazo verächtlich. „Wer sollte dich lieben können?"
„Ich weiß es, weil ich genug Liebende entzweit habe, als Ihr es jemals schaffen werdet", sagte John eisig. „Fordert mich nicht heraus, Master Nastura. Es gibt nichts, was Ihr mehr bereuen werdet."
Tiborazo lächelte spöttisch, wandte sich um und trat hinaus in den dunklen Flur.
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Ein Kapitel, das auch nur existiert, weil ich einmal ein Jagdfest der Zentauren beschreiben wollte. Und jetzt hat es sogar einen Sinn! Yeahh!
Ich gerate so langsam fürchterlich ins Schwimmen mit meinen Solofar-Darke-Kapiteln. Ich habe nur noch fünf Kapitel Vorsprung und vier unbeendete Storys, die ich irgendwie alle vor eine Wand geschrieben habe, während eine Kriegerpriesterin nach mir ruft und verlangt, dass ihre Geschichte geschrieben wird...
Und genau deswegen werde ich in Kürze, zu Ehren des NaNoWriMo, einen Ausflug in fremde Gefilde wagen. Informationen und Teaser kurz vor Halloween.
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