REFUGIUM
In den Barone-Bergen, Westen von Nyradon, 447 nach der Eroberung
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Das Zirpen der Grillen klang nach dem Flirren der Luft über heißem Gestein. Gnadenlos schien die Sonne auf das Gehöft nieder. Ruhe lag über den alten Mauern, dem staubigen Hof und den knorrigen Olivenbäumen, über den Reihen aus Weinstöcken, dessen Blätter die Häuserwände empor krochen, und dem gelblich angelaufenen, trockenen Gras.
Der alte Luchs hob die Axt, seine Arme zitterten, als er sie auf den Holzscheit niederfahren ließ. Wieder und wieder schlug er zu, ohne, dass das Holzstück nachgab, die dumpfen Schläge schienen seltsam gedämpft in der drückenden Hitze. Splitter flogen. Der Schatten der Blätter über ihm huschten über sein Gesicht und ließen sein Fell noch fleckiger erscheinen, als es ohnehin war.
Ein letztes Mal schlug Gianno zu, und der Scheit gab nach. Beide Hälften fielen ins trockene Gras, der Alte ließ ermattet die Axt sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Kann ich dir helfen?" Tiborazo trat langsam hinter der Scheune hervor, die Hände in den Gürtel gehakt. Sobald er sie löste, zitterten sie vor Zorn und Angst. Seine Augen brannten immer noch von seinen Tränen.
Der Luchs sah sich zu ihm um, ein Halblächeln entblößte seine gelben Zähne. „Hat Cato dich weggeschickt?", fragte er.
„Aye."
Gianno nickte und blickte auf seine Weinberge hinab. „Aye, er hasst es, wenn die Angehörigen zusehen." Prüfend musterte er den Sirea. „Eine zweite Axt liegt dort drüben." Er wies auf den Eingang der Scheune, in denen die Pferde schnaubten. Putz blätterte von der Wand, schwere Bruchsteine kamen dahinter zum Vorschein.
Tiborazo schlurfte in die Scheune, der Geruch von Hitze, Heu und Staub umgab ihn. Der Griff der Axt war heiß unter seinen Händen, als er das Werkzeug nahm und zu Gianno zurücktrat. Der Luchs beobachtete ihn wachsam, die Axt mehr wie eine Waffe statt wie ein Beil zum Spalten von Holz in den Händen. Tiborazo konnte es ihm nicht verübeln. Bevor sein Sohn eingewilligt hat, Whisper zu versorgen, wollte er mich davonjagen. Ich bringe nur Probleme, hat er gesagt. Ich habe gefleht, dann habe ich gedroht, und auch er wird nicht vergessen haben, was ich gesagt habe. Aber sein Sohn war bereit, uns zu helfen.
Tiborazo nahm den ersten Scheit, stellte ihn auf den Block und spaltete ihn mit einem einzigen Schlag. „Wie groß?"
Gianno trat gegen einen anderes Stück Holz. „So."
Der Sirea nickte und begann mit der Arbeit. Gianno machte sich daran, die fertigen Scheite zurück in die Scheune zu bringen. Die Sonne prallte mit gnadenloser Härte auf sie hinab, die Hitze des nyradonischen Sommers. Bald schon stand auch Tiborazo der Schweiß auf dem Fell, der Geruch überdeckte den süßlichen Duft des Feigenbaums, zwischen dessen Blätter die Sonne hervor blinzelte und flackernde Schatten auf ihr Fell warf.
Der Gedanke an eine Pause von der Arbeit ertränkte schon bald Tiborazos wirbelnde Gedanken an Whisper, wie sie sich, heiß vom Fieber, auf ihrem Lager im Haupthaus des Hofes hin und her warf, die Hände in Schienen aus Holz, Metall und Stoff. Cato hatte ihr Salva und Hels gegeben, damit sie ohne Schmerzen schlafen konnte, doch das Fieber hatte sie dennoch fest im Griff. Seit Tagen hatte Tiborazo neben ihrem Bett gesessen und sah zu, wie sie sich schreiend unter den nassgeschwitzten Laken wand. Cato hatte ihn wieder und wieder aufgefordert, zu gehen, mit professioneller Höflichkeit und dennoch eiserner Härte in der Stimme, doch als Tiborazo sich weigerte und stattdessen versprach, ihn nicht zu behindern, hatte er ihn geduldet. Bis ich es nicht mehr ausgehalten habe, und ihn beschuldigt habe, nicht alles erdenklich Mögliche zu tun, damit sie wieder gesund wird. Damit ihre Hände wieder heilen können. Damit sie vergisst, was ihr geschehen ist, sodass sie ruhig schlafen kann, ohne von Albträumen geweckt zu werden. Fast hätte ich diesem verflucht seelenruhigen Arzt die Zähne ausgeschlagen, als er mich zum gehen bewegen wollte.
Doch der blasse Panthera hatte gesiegt. Seine eisengrauen Augen hatten keinen Widerspruch erlaubt, kein Funken der Angst schimmerte in ihnen, obwohl Tiborazo beinahe zwei Köpfe größer war als er. Und Tiborazo war aus der kühlen, nach Angst und Verzweiflung stinkenden Kammer hinaus in den glühenden, Armut und Einfachheit atmenden Hof getreten, auf der Suche nach einem Weg, seinen Zorn und seine lähmende Angst nicht länger in sich hineinzufressen.
Stunde um Stunde verging, die Schatten wurden länger, die Sonne näherte sich den dunkelgrünen Hügelkämmen, die niedrigen Wälder aus Eiche und Kiefern nahmen im orangefarbenen Licht einen beinahe violetten Ton an, doch die Hitze verblasste nicht. Der staubige Boden und die alten Steine strahlten sie ab, als käme die Wärme von ihnen selbst anstatt von der Sonne. Längst hatte Tiborazo sein Hemd an einen Ast des Baumes gehängt, befleckt von Schweiß, seinem eigenen und dem von Pferden, von Staub und Blut. Sein Mund war trocken, als hätte er eine Handvoll Sand gegessen, seine Muskeln protestierten nach der Arbeit, dem langen Flug von Port Gizah nach Osten, dem harten Ritt durch durch das Grenzgebiet, hinaus in die Berge von Nyradon, auf der Suche nach einem Heiler, stets mit Whisper vor sich auf dem blanken Pferderücken. Er hatte ihre Hände notdürftig mit Streifen eines gestohlenen Hemdes verbunden, und Catos missbilligender Blick, als er sie abgenommen hatte, hatte Bände gesprochen. Das, und Whispers Schreie, als er die Knochen richtete, bevor sie wieder in ihr Delirium fiel.
Ein letztes Mal hob er einen Scheit auf, legte ihn auf den Block und spaltete ihn. Müde atmete er aus und lehnte sich gegen den Block. Eine Brise ließ seine strähnige Mähne zittern, zu einem dicken, fettigen Zopf zusammengebunden, und kühlte sein verschwitztes Fell. Die Schatten der Blätter flatterten rauschend. Gianno warf die letzten beiden Scheite auf den ordentlichen Stapel neben den Ställen und trat schweigend zu dem Brunnen. Langsam folgte Tiborazo ihm.
Noch nie zuvor in seinem Leben hatte Wasser so gut getan. Es spülte den Dreck und den Staub von seinem Körper, und jeder Schluck schmeckte, als trüge es das Leben selbst in sich. Die Taubheit, die ihn während der Arbeit befallen hatte, das Gefühl, als wäre er fern jeder weltlichen Angelegenheit, allein mit seinen Gedanken, fiel von ihm ab und ließ die träge Müdigkeit zurück, die er von den Feldern im Osten kannte. Die, die vom Holzhacken ebenso wie von Töten kommen konnte, eine dumpfe Erschöpfung mit einem Funken Stolz.
„Einen wie dich könnte ich hier gebrauchen", sagte Gianno ruhig und blicke hinab auf seine Felder, wo drei Männer durch die langen Reihen der Weinstöcke ritten. „Dann wäre einiges leichter."
„Du hast doch drei Gehilfen", bemerkte Tiborazo rau.
Gianno zuckte mit den Schultern und schloss die Klappe des Brunnens. „Zwei Helfer und einen Sohn, aye. Aber keiner von denen ist so stark wie du. Karakale und Luchse sind nichts gegen Löwen mit Drachenblut."
Tiborazo warf ihm einen milde verwunderten Blick zu. Und das kommt von ihm. Dabei hat er gesagt, Mischlinge zwischen Kriegern seien die Ausgeburten der Höllen. „Gibt es keine Löwen, die du einstellen kannst?"
Er schüttelte den Kopf und trat auf den Schatten des Feigenbaums zu. „Nicht hier. Die wenigsten Löwen leben auf dem Land, und wenn, dann sind es Soldaten und Landadelige. Auch unser Baron ist ein Löwe." Er seufzte mürrisch. „Die meisten sind ein aufgeblasenes Pack, aber unseren Wein kaufen sie gerne. Deswegen lächeln wir freundlich, und sagen aye und wünschen ihnen einen schönen Tag, mögen die Höllen sie schützen." Stöhnend ließ er sich unter dem Baum nieder und blickte mit zusammengekniffenen Augen zu Tiborazo hinauf. „Du dagegen siehst aus, als hättest du härtere Arbeit hinter dir, als meine Söhne je erfahren werden. Nicht unbedingt die ehrliche Sorte, aber trotzdem hart."
Tiborazo schnaubte. „Da hast du recht. Aber ich habe schon auf Feldern gearbeitet."
„Wo?"
„Im Osten."
„Tierras Santas?"
„Unter anderem. Und es war hart. Gab keinen Penny dafür. Und die Herren waren sicher genauso schlimm wie eure Löwenbarone."
Gianno lachte freudlos. „Wahrscheinlich noch schlimmer. Wir haben nie Scherereien mit denen. Ihr Haushofmeister, der für sie einkauft und mit den Gilden verhandelt, ist ein freundlicher Mann, wenn auch etwas von oben herab. Die Adeligen selbst lassen sich in den Dörfern kaum blicken. Auch die Ritter nicht." Er schwieg kurz. „Fast niemand kommt in Treva vorbei, und noch weniger Leute kommen hier herauf. Und wenn, haben sie selten etwas Gutes zu berichten."
Tiborazo ließ sich neben ihm nieder und zupfte einige trockene Grashalme aus dem Boden. „Passieren denn viele schlimme Dinge hier?" Alles war ihm lieb, um nicht in die Kammer zurückzukehren, in der Whisper vor sich hinvegetierte. Sein schlechtes Gewissen stach in seiner Magengrube, doch er konnte es kaum ertragen, sie so zu sehen. Das Bild, wie aufgeregt sie gewesen war, bevor sie ins Haus des Lords von Port Gizah eingebrochen war, ihre fröhlichen Scherze und sein Name aus ihrem Mund hallte in seinem Kopf wieder, und erneut wallte der Zorn in seiner Brust auf. Heftiger als beabsichtigt riss er das nächste Grasbüschel aus.
Gianno bemerkte es nicht. „Nein. Verdammt, Cato wurde für verrückt gehalten, weil er nach seinem Studium hierher zurück ging, statt in einem Hospital in Eldris zu arbeiten oder gar ein Leibarzt für einen Adeligen zu werden." Seine Augen glänzten vor Stolz. „Er hat einige Angebote bekommen, doch er ist in seine Heimat zurückgegangen. Meine Donna war zuerst wütend, bis er erklärt hat, dass viel zu viele Leute gestorben sind, nur weil es keine anständigen Heiler auf dem Land gibt. Hier und da einen, der behauptet, einen Knochen richten zu können, oder zweifelhaftes Gebräu gegen Fieber verkauft, für einen Preis, für den man anderswo vier Säcke Mehl kaufen könnte, aber keinen, der wirklich weiß, was er tut."
Tiborazo blinzelte in die untergehende Sonne. „Ich bin froh, dass dein Sohn so gut ist, wie er behauptet."
„Weniger hättest du nicht erwarten können. Einige Zeit lang war auch ich wütend auf ihn, weil er unbedingt so weit fort wollte, statt hier zu bleiben. Hastator ist die Hauptstadt, verdammt! Und dann auch noch Medizin lernen, statt etwas Anständiges, wie Schreinerei oder Pferdezucht. So viele Adelige, die mit ihren teuren Schwertern wedeln, die Hintern in teurer Seide, und scheren sich einen Dreck für alle, die geringer sind als sie." Gianno spuckte den Hügel hinab. „Ich hatte Angst um ihn. Nicht mal verteidigen kann er sich. Jede Waffe ist verschwendet an seine Hände, er kann nicht einmal eine Axt schwingen."
Tiborazo nickte. Cato war dünn wie ein Zweig und blass wie der Staub unter ihnen. Wäre er kein Arzt, hätte er ihn als schwindsüchtig bezeichnet. „Ist er je in Schwierigkeiten geraten?"
„Selten. Er war gut genug, um zu den Besten zu gehören, aber nicht so gut, dass es ihm jemand übel nehmen würde. Und weil er nicht zu der Sorte gehört, die mit seinen Errungenschaften angibt, hat ihn kaum jemand je bemerkt."
„Nicht einmal, weil er nicht von Adel ist?"
Gianno schüttelte den Kopf. „Donna hat ihm eingeschärft, sich nicht besser, aber auch nicht schlechter darzustellen, als er ist. Das reichte, um nicht beachtet, aber immerhin geachtet zu werden. Und er ist der Sohn eines Winzers. Das ist immerhin besser als die wenigen Kinder von Huren und Hausierern, die es auf die Universität schaffen."
„Aye, Hurensöhne schaffen es selten, mehr zu lernen, als das, was das Leben ihnen beibringt." Ich weiß, wovon ich rede.
Gianno warf ihm einen Seitenblick zu, und erneut wusste Tiborazo, dass der Luchs jeden seiner Gedanken erraten konnte. Der Alte ist zwar nicht von blauem Blut, aber er ist klüger, als ich ihm zugetraut habe. Doch er verlor kein Wort darüber. „Ich dachte das Gleiche über die Söhne von Winzern. Meine Söhne sollten ehrbare Handwerke erlernen oder zur Armee gehen, mein Ältester sollte das Gut erben, und meine Töchter sollten ihre Liebe finden und ein glückliches Leben haben. Dass nun alle von ihnen dank meiner Frau besser lesen können als ich, das hätte ich nie gedacht. Dass einer von ihnen an der Universität der Hauptstadt, dem größten Ort von Wissen in diesem Land, besteht, davon hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt, geschweige denn, dass ich damit zufrieden wäre." Er zuckte mit den Schultern. „Aber jetzt bin ich stolz auf sie alle. Auch auf Cato."
Tiborazo lächelte halb. Mittlerweile bereute er es ein wenig, dass er Gianno beschimpft und bedroht hatte, doch seine Angst um Whisper lauerte noch immer über ihm wie eine Gewitterwolke in der Ferne, ein flaues Gefühl, das ihn immer dann überkam, wenn seine Gedanken sie streiften. Wenn sie über ihn hereinbrach, vergaß er alles andere.
„Du machst dir Sorgen um dein Mädchen, nicht wahr? Aber sie wird wieder gesund", meinte Gianno zuversichtlich. „Vor einiger Zeit war ein Müller hier, der seine linke Hand zwischen den Steinen eingequetscht hatte. Er hat es überlebt, und bald kann er seine Hand wieder so benutzen wie früher."
Es geht nicht ums Überleben. Es geht darum, ob sie wieder stehlen und mit Messern spielen kann wie früher, und das ist etwas ganz anderes als Mehlsäcke schleppen. Tiborazo nickte stumm.
Gianno schien seine Sorgen zu spüren. „Was arbeitet sie? Wenn ich fragen darf", fügte er vorsichtig hinzu.
Der Sirea blickte hinab auf die Felder. Einer der Gehilfen scherzte mit dem Sohn des Winzers, sein Lachen klang bis zu ihnen hinauf. Wenn ich ihm die Wahrheit sage, jagen sie mich fort. „Sie ist Gauklerin. Wirft mit Messern und jongliert mit ihnen .Außerdem spielt sie Geige." Es war nicht einmal gelogen.
Erneut musterte der Luchs ihn, mit seinem üblichen, prüfenden Blick aus eisengrauen Augen, und Tiborazo wusste, dass Gianno sich alles, was er ihm verschwieg, denken konnte. Mein Schwert und meine Pistole sind viel zu gut gepflegt, als dass sie nur Spielleuten gehören, die sich damit ab und an gegen Räuber wehren. Ich sehe so aus, als wüsste ich, wie man kämpft, und er sieht es. „Eine Messermagierin, aye. Wenn sie gesund wäre, würde Treva euch lieben. Sie mit einer Fiedel und du mit deiner Flöte. Und singen kannst du auch passabel."
Tiborazo blickte ihn fragend an.
„Ich habe dich nachts singen gehört, als du neben ihrem Bett gewacht hast. Das schöne Weib von Hastator und Rote Sonne."
„Du kamst mir nicht wie jemand vor, der Lieder kennt."
Gianno lachte rau. „Ich stelle Wein her. Ich liefere ihn auf Volksfeste in den gesamten Hügeln. Verdammt, ich kenne jedes Lied, das gesungen wird. Selbst wenn ich ein miserabler Sänger bin. Luca ist wesentlich besser."
„Luca?"
„Mein zweiter Sohn. Cenzo ist mein ältester." Er wies hinab auf die Felder, wo der junge Luchs seine Flinte über die Schulter legte und unter seinem breitkrempigen Hut ins unter dichten Blättern bedecktenTal blickte. „Er wird meinen Hof erben. Lange wollte er ihn nicht. Dachte, er würde Abenteuer erleben und uns zu Reichtum und Ruhm bringen." Er schnaubte trocken, und doch voller Stolz. „Hat sich oft unten im Tal betrunken und erzählte von all den großartigen Taten, die er vollbringen würde. Allerdings ist er ein schlechter Kämpfer, und als nicht einmal der alte Ritter vom Eichental ihm das Schwerter schwingen beibringen konnte, hat er aufgegeben und ließ sich von mir unterweisen. Mittlerweile ist er froh, nicht aufgebrochen zu sein. Er ist nicht halb so mutig, wie er von sich glaubte."
Tiborazo stimmte in sein leises Gelächter ein, froh darüber, von sich und Whisper abgelenkt zu haben. Je weniger er weiß, desto besser. „Und Luca ist Sänger?"
„Nein. Er ist Soldat in Eldris. Hat es bis zum Hauptmann gebracht, und soweit ich es verstanden habe, ist er verdammt gut darin. Gelobt von seinen Vorgesetzten, beliebt bei seinen Untergebenen und natürlich bei den Mädchen." Sehnsüchtig blickte Gianno ins Tal. „Ich hoffe immer, dass er eines Tages nicht nur von irgendwelchen Mädchen erzählt, sondern von einem bestimmten, das er heiratet und so einen Grund hat, nicht alles beim Fechten zu riskieren. Mein Jüngster eifert ihm nach, aber er ist viel zu schüchtern, als dass er sich mit vielen Weibern einlässt. Kommt nach seinem Vater. Wenn Donna damals nicht noch mehr mit dem Zaunpfahl gewunken hätte, wäre ich wohl immer noch allein mit ein paar Gehilfen auf diesem Hof." Er grinste versonnen. „Du und dein Mädchen, seid ihr verheiratet?"
„Wir sind nicht einmal ein Paar", gab Tiborazo zu. Selbst wenn ich mir nichts auf der Welt mehr wünsche, als dass es so wäre.
Fragen standen in Giannos Augen, die Tiborazo von vielen Fremden kannte, von vielen, die ihn und Whisper kennengelernt hatten. Wie es klappen sollte, zwischen mir und ihr, einer Halb-Gryff und einem Sirea. Immer schauen sie mitleidig und ein wenig abgestoßen, wie er jetzt auch, weil ich das Blut eines Löwen habe und sie das eines Nebelparders. Weil bei ihr ein Faroun seine Spuren hinterlassen hat und bei mir ein Dracon. Doch der Luchs bewies weit mehr Taktgefühl als viele andere. „Nur Freunde?", hakte er zweifelnd nach.
„Aye", bestätigte Tiborazo bedauernd. „Leider."
Gianno lachte heiser. „Vielleicht braucht sie einfach noch ein wenig Zeit. Aber sie wird dir verfallen. Für die Damen bist du sicherlich nicht unansehnlich. Bin schon froh, dass meine Töchter nicht hier sind, sonst würden sie dir glühend hinterher laufen."
Die meisten sind fasziniert, bevor sie mich kennen. Einfach, weil ich Flügel und Hörner habe. Das hat nichts damit zu tun, ob sie mich gutaussehend finden oder nicht. Dann kaufe ich mir lieber eine Hure, bei der ich wenigstens weiß, dass ihre Liebe nur geheuchelt ist. Und warte auf Whisper. Tiborazo rang sich ein halbherziges Lachen ab, in dem Wissen, dass Gianno seine Gedanken ahnen konnte. „Wo sind deine Töchter?", fragte er, um von sich abzulenken.
„Isa ist mit einem Bäcker einige Döfer entfernt verheiratet. Lauria will Jägerin werden und hat sich bei der Ausbildung in den Sohn ihres Meisters verliebt." Gianno lächelte. „Sie haben sich verlobt und wollen noch diesen Sommer heiraten, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen hat."
Ich hoffe, eines Tages werde ich mit Whisper auch so glücklich wie seine Kinder. Jedes von ihnen führt ein einfaches, glückliches Leben, etwas, was ich niemals erreichen werde. Es sei denn, ich gebe alles auf. Das Töten, das Jagen, die Gefahren. Ich wäre nur noch ein weiterer Spielmann unter Unzähligen. Und ich weiß weder, ob ich das kann, noch, ob ich es will. Kurz stellte er sich Whispers Reaktion vor, wenn er ihr vorschlug, ihre Raubzüge an den Nagel zu hängen. Zu einer einfachen Frau zu werden. Sich in die Gesellschaft einzufügen. Aber sie mag die Gefahren zu gerne. Egal, was ihr passiert ist, sie hat nie aufgegeben oder hat es bereut, etwas getan zu haben. Sie wird niemals zulassen, dass sie so wird wie alle anderen.
Hufschläge rissen ihn aus seinen Gedanken, auch Gianno wandte sich um. Im ersten Moment dachte Tiborazo, es seien Cenzo und seine Gehilfen, doch sie ritten noch immer durch die Reihen der Rebstöcke. Zwei Reiter kamen hinter den hohen Lavendelbüschen und den knorrigen Olivenbäumen, die den Weg vom Tor zum Gehöft säumten, hervor, in edler Kleidung, auf Pferden, die Gianno wohl einen Jahresertrag gekostet hätten. Einer von ihnen, ein hochgewachsener Panther, trug die eleganten Fechtwaffen Nyradons am Gürtel. Der andere, ein vernarbter Löwe mit kurz geschorener Mähne und Brandzeichen auf den muskulösen Armen, schien keine Waffen bei sich zu haben bis auf ein breites Messer in seinem Stiefel.
Tiborazo kannte die Männer, und wusste, dass Ercole mit diesem Messer weit Grausameres anrichten konnte als Corvo mit Rapier und Parierdolch. Anscheinend wollen auch die Götter nicht, dass ich ein gewöhnliches Leben habe. Gianno zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen und wollte sich erheben, doch Tiborazo hielt ihn auf. Beiläufig nahm er die Axt und trat zu den Reitern.
„Nastura", begrüßte der Panther ihn. Im Sonnenlicht waren die Zeichnungen auf seinem schwarzen Fell noch deutlicher zu erkennen. „Was, bei allen Höllen, tust du hier?"
„Das Gleiche könnte ich dich fragen, Corvo." Tiborazo hielt die Axtlocker in der Hand.
„Wir haben dich gesucht." Corvo lehnte sich auf den Hals seines Pferdes, das feucht in die glühende Luft schnaubte. „Der Cardinale verlangt nach dir."
„Und nur, damit du mir das sagen konntest, bist du mit deinem Halsabschneider von Hastator bis hierher geritten?" Tiborazo streifte den Löwen mit einem verächtlichen Blick.
„Die Spione seiner Exzellenz konnten dich ums Verrecken nicht finden, nachdem du aus Port Gizah abgehauen bist. Dieser Nebelschatten wurde aus dem Fort von Lord Mantara entführt, und sogar ich, der nicht rechnen kann, kann eins und eins zusammenzählen und mir denken, dass du sie befreit hast. Nur, wo du hin warst, das wusste keiner." Corvo rückte seinen Schwertgurt zurecht. „Bis du in einem dieser von allen Göttern verlassenen Grenzweiler aufgetaucht bist. Danach musste man nur noch der Spur des dreckigen Mischlings folgen, der nach einem Heiler suchte."
„Und dann den Heiler finden", ergänzte der Löwe rau.
Corvo warf ihm einen kurzen, herablassenden Blick zu. „Was selbstverständlich nicht weiter schwer war, weil es nur einen einzigen verdammten Heiler in den ganzen Bergen gibt, der mehr als nur ein Scharlatan mit einem Gespür für Kräuter ist."
Ich habe es auch nicht darauf angelegt, meine Spuren zu verwischen. Die Minotauren gehen niemals über die Grenze, und die Pantheras scheren sich nicht um die Streitigkeiten ihrer Nachbarn. Aber dass der Cardinale mich suchen könnte, daran habe ich nicht gedacht. Tiborazo nahm die Axt in beide Hände und beobachtete, wie der Löwe eine Hand von den Zügeln nahm und unauffällig auf seinen Oberschenkel legte, beunruhigend nahe an seinem Stiefelschaft. „Ihr habt mich gefunden. Und jetzt?"
Corvo ordnete die zerzauste Mähne seines Pferdes. „Wie ich schon sagte, der Cardinale braucht dich. Ipolito wurde endlich gestürzt, aber leider nicht von den Croces, wie wir es wollten. Stattdessen hat jetzt Giterra die Macht in Usan, und sie will Ipolitos Geschäfte mit uns gewaltsam beenden und ihr eigenes Reich im Nordosten aufbauen. Die ganze verdammte Stadt, die größte Hafenstadt von Nyradon, und das Umland gehören schon ihr. Der Cardinale will, dass du sie tötest."
„Du bist der bessere Meuchelmörder von uns beiden, Corvo. Dafür brauchst du mich nicht."
„Ich verstehe, dass du lieber hier in Frieden sein und auf dein Mädchen aufpassen willst." Selbst Tibroazo hörte, wie geheuchelt Corvos Mitgefühl war. „Aber Giterra ist klüger, als wir dachten. Sie ist nie am gleichen Ort, sie wechselt ihr Zuhause schneller als eine Hure ihre Freier. Dafür brauchen wir keinen Meuchelmörder."
„Sondern einen Jäger", beendete Tiborazo gefasst.
„Aye. Der Preis ist das Übliche. Fünf Kreuzer mehr, wenn du es bis zum nächsten Mid schaffst, und eines der Mädchen gehört einen Monat lang nur dir."
„Bis zum nächsten Mid habe ich noch nicht einmal Giterras Spur aufgenommen."
Über Corvos Züge huschten spöttische Zweifel, doch er verschwand wieder unter seiner falschen Freundlichkeit. „Doch. Wenn du jetzt sofort deine Waffen holst und mit uns kommst. Ich habe gehört, dass du ein Pferd hattest. Sattle es, und auf dem Weg nach Norden erkläre ich dir, was du wissen musst."
„Mit euch werde ich kaum auf die Jagd gehen."
„Wenn wir Eldris passiert haben, reiten wir weiter nach Hastator, und du kannst in aller Seelenruhe nach Giterra suchen. Keine Angst", sagte Corvo lakonisch.
Tiborazo ließ die Axt sinken und blickte hinab auf die Weinfelder. Cenzo und die Gehilfen hatten innegehalten und beobachteten sie betont beiläufig, ebenso wie Gianno. Diesige, staubige Schlieren lagen über den niedrigen Wäldern. „Richte dem Cardinale meine besten Grüße aus, aber ich lehne den Auftrag ab. Ich kann nicht weg von hier", sagte er nach einem langen Moment der Stille.
Corvo richtete sich auf. „Ist es wegen dem Mädchen?"
„Wir kümmern uns schon um sie", bot Ercole an. „Mach dir keine Sorgen, Nastura."
Tiborazo packte die Axt fester und starrte ihn an. Corvo warf Ercole einen strafenden Blick zu und stieß ein gereiztes Knurren aus. „Ihr werdet rein gar nichts tun", zischte Tiborazo heftig. „Ihr werdet von hier verschwinden und dem Cardinale ausrichten, dass ich niemanden umbringen werde, und auch diesen Hof nicht verlassen werde, bis ich es will." Bis ich mir sicher bin, dass es Whisper wieder gut geht. Bis ich weiß, was ich als nächstes tun werde. „Und wenn ihr denkt, ihr könntet etwas tun, um meinen Willen in eine bestimmte Richtung zu lenken, dann glaubt mir, dass ihr es bereuen werdet."
Corvo schien Ercole mit seinen Blicken ermorden zu wollen. „Niemand spricht davon, ihr etwas anzutun", versprach er scheinheilig. „Du solltest nur wissen, dass dein Vertrag mit dem Cardinale erlischt, wenn du ihm nicht gehorchst. Und ich hoffe, du weißt, was das bedeutet."
„Aye, das weiß ich." Kein Schutz, keine Vergünstigungen, keine weiteren Aufträge. Sein Vertrauen zu erringen war nicht einfach, und noch schwieriger war es, ihn dazu zu bekommen, dass ich nach meinen Regeln arbeiten darf, aber das ist es wert. Ich werde Whisper nicht im Stich lassen. Ungerührt erwiderte er den Blick des Panthers. „Ich werde hier bleiben. Sagt es dem Cardinale. Wenn ich mich dazu entschieden habe, meine Geschäfte wieder aufzunehmen, dann kann ich Giterra jagen, aber nicht vorher."
„Bis dahin ist es wahrscheinlich zu spät. Dann hat Giterra sich schon abgespalten."
„Gibt es keinen anderen, der sie töten kann?"
„Kaum einen, der gut genug ist. Die Rhymers haben einige in ihrem Sold, doch das Verhältnis zwischen Cardinale und den Herren von Alpha Centauri ist derzeit etwas schwierig."
Tiborazo zuckte mit den Schultern. „Dann wünsche ich euch viel Glück."
Corvo biss die Zähne zusammen. „Ich werde dir nicht drohen, Nastura. Ich weiß, dass das ein Fehler wäre. Aber der Cardinale wird kaum zufrieden darüber sein, dass du ihm den Gehorsam verweigerst. Er weiß zwar, wer du bist, und auch, was eure Bedingungen sind, aber er reagiert zuweilen recht ungehalten auf Ungehorsam. Er könnte dein Mädchen angreifen wollen, und ich denke nicht, dass wir dann noch freundlich miteinander plaudern können, so wie jetzt. Und das wäre entsetzlich schade."
„Das wäre es in der Tat." Tiborazo erwiderte seinen bedeutungsvollen Blick ungerührt und schulterte die Axt. Ich weiß, wie ein Kampf zwischen uns beiden aussehen wird. Ich weiß, wer gewinnen wird, und dass ich seinen Bluthund zu Staub schlagen kann.
„Wenn du den Auftrag annimmst, kann er dafür sorgen, dass dein Mädchen in einem Hospital in Hastator versorgt wird. Das ist weit mehr als das, was ein Heiler in den Barone-Bergen leisten kann." Corvo gab nicht auf.
„Und ich werde sie nicht in Gefahr bringen. Hier ist sie sicher. Mehr als sie es auf der Straße nach Hastator wäre." Und auch ich will mich nicht in Gefahr bringen. Ich bin alles, was sie hat, und wenn ich sterbe, werden alle, denen sie je etwas gestohlen hat, hinter ihr her sein. Solange sie sich nicht verteidigen kann, muss ich bei ihr bleiben.
„Ich kann dir beweisen, dass...", hob Ercole an, doch Corvo brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.
„Corvo, lass es gut sein. Ich werde nicht von hier weg gehen, nicht, bevor ich es sage, und auch nicht dann, wenn der Cardinale mich zu sich ruft wie seinen Schoßhund. Ich komme mit ihm zurecht, glaub mir. Und jetzt verschwinde", knurrte Tiborazo, bevor der Panther erneut anheben konnte.
Corvo blickte ihn lange an. Er schien ruhig, doch Tiborazo sah, wie seine Finger über die schlichten Verzierungen seines Rapiers strichen, und packte die Axt erneut so, dass er sie schwingen konnte. „Nun denn, Nastura", sagte Corvo langsam. „Dann hoffe ich für dich, dass du nie wieder von mir oder dem Cardinale hörst."
Er wendete sein Pferd und ritt davon, Ercole folgte ihm. Tiborazo blickte ihm nach, ihm und den Staubwolken, die die Hufe seines Reittieres aufwirbelten. Keiner der beiden blickte sich um.
Gianno trat neben ihn. Kurz lauschten sie der Stille, die die knirschenden Hufschläge zurückgelassen hatten, während der warme Wind den Lavendel flüstern ließ. „Ich weiß, dass du nicht das bist, was du mir verkaufen willst", sagte er nach einer Weile, seine Miene undurchschaubar. „Ich sehe deine Waffen und deine Narben, ich sehe die deines Mädchens, und ich weiß, dass ihr eine Menge Scheiße von Shyreon bis hierher geschleppt habt."
Tiborazo mied seinen Blick. Diese Scheiße ist nicht nur aus Shyreon. Sie ist überall, wo ich auch bin, egal, ob in den Kriegerstaaten oder im Fernen Osten.
„Aber ich bete, dass, egal, was es ist, mit euch verschwindet, sobald dein Mädchen wieder gesund ist."
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Ich präsentiere voller Stolz: einen Filler voller Environment, in dem ich einen ganz bestimmten Ort in der Toskana einfangen wollte.
Und die Fortführung von Wisperfluch.
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