IV. Diebe und Halunken
Grenzgebiete zwischen Subat und Hiron, 450 nach der Eroberung
Lannigans Warnschrei kam zu spät, als dass Solofar reagieren konnte. Glöckchen klingelten laut gegen seinen Kopf, schwarze Flügel verdeckten den Himmel, und der Drache unter ihm brüllte auf. Für einen Augenblick war er schwerelos, bis er donnernd auf dem staubigen Boden aufkam, Tiborazo Nastura über sich, ein Knie im Nacken, das andere in der Nierengegend. Glas splitterte unter seinem Körper. Die Gifte. Wenigstens ist keines von ihnen ätzend. Er schnappte heftig nach Luft, Metall klirrte gegen seine Zähne, Kälte drückte plötzlich gegen seine Mundwinkel und zerrte an seiner Haut.
„Ganz ruhig, Mann, oder ich schneide dir die Kehle durch." Grob riss Nastura das Metall nach hinten, und in Solofars Nacken flammte der Schmerz auf, als sein Kopf brutal nach hinten gebogen wurde. „Wie...", begann er, doch der wütende Schrei einer Frau unterbrach ihn. Mit wehender Mähne wandte er sich um, das Metall in Solofars Mund scheuerte schmerzhaft gegen seine Zunge.
Aus dem Augenwinkel schielte er zu Lannigan, der mit wirren Gesten eine Gestalt aus wirbelndem Dreck dirigierte, braun wie die aufgeworfene Erde der Felder, die sich um die Straße erstreckten. Sein Pferd tänzelte panisch, das Weiße in seinen Augen glänzte in der Abendsonne.
Eine Panthera mit dem grau gescheckten Fell eines Nebelparders und einem einzelnen, gefiederten Flügel rollte sich fauchend ab und sprang wieder auf die Füße. Sie wollte sich auf Lannigan stürzen, doch die Gestalt aus Erde, Steinen und Dreck warf sich ihr wie ein Sandsturm entgegen. Mit dumpfen Geräuschen, wie Faustschläge, trafen Gryff und Erde aufeinander, und sie kreischte erneut auf. Lannigan lachte und lenkte das Pferd grob zur Seite, eine Hand an den Zügeln, die andere hielt seine Verteidigung aufrecht. Der Staub ballte sich zusammen, während die Frau sich wieder auf die Füße kämpfte, die Messer fest in den Händen.
Solofar spürte, wie Nastura über ihm Luft für eine Warnung holte. Mit fahrigen Fingern tastete er nach seinem Parierdolch, bekam ihn zu fassen und stach blindlings nach seinem Angreifer. Zu seiner Überraschung traf er ihn am Rücken. Nastura knurrte wütend, der Zug an dem Metall lockerte sich, und er nutzte die Gelegenheit, um nach Nasturas Fingern zu beißen. Wie würdelos. Ich, Solofar Darke von Murrim, ein Ritter Ilrons, muss meinen Gegner beißen wie ein gewöhnlicher Strauchdieb, um freizukommen. Seine Zähne schlossen sich um Nasturas schmutzige Hand, er schmeckte Blut, und mit einem Heulen ließ Nastura los.
Heftig stieß Solofar den Sirea von sich, sprang auf die Hufe und zog sein Schwert. Angeekelt spuckte er das Metallteil aus. Eine Trense. Entsetzlich komisch. Er kickte es in den Straßengraben. „Lasst die Waffen fallen!", wies er Nastura an, der seinen Säbel bereits in den Händen hielt.
Nastura tastete nach seiner Wunde. „Hast mich tatsächlich erwischt, Darke", knurrte er, ohne sein Schwert dem Staub zu übergeben.
Solofar lächelte freudlos. „Gern geschehen." Er warf einen schnellen Blick zu Lannigan, dessen Staubkreatur der Frau mehr und mehr zusetzte. Staub hüllte sie ein, Steine schlossen sich um sie. „Hör auf zu spielen und töte sie!", rief er ihm milde gelangweilt zu.
„Nein!", fuhr Nastura dazwischen. „Lass sie frei!"
Solofar blickte ihn skeptisch an. „Stalfeyr will ihren Kopf, von ihrem Körper war nie die Rede. Ich werde ihm bringen, was er will."
„Ich schneide dir deine verfluchten Rippen aus dem Körper, wenn du sie tötest!", brüllte er.
„Eher erstickt Ihr an Eurem eigenen Blut." Solofar hob drohend seine Waffen. „Ergebt Euch, oder ihr beide sterbt auf dieser von den Göttern verlassenen Straße in den Osten."
„Nein." Widerwillig warf er sein Schwert zu Boden. „Jetzt lass sie inRuhe."
Solofar nickte dem erwartungsvollen Lannigan zu, der seinen Staub sichtlich enttäuscht zurückzog. Dennoch wehte er wartend um sie herum, bereit zum Zuschlagen, sollten ihre Gegner ihren Worten nicht folgen.
De Guille funkelte sie wütend an, schwer atmend, doch sie machte keine Anstalten, anzugreifen. „Was wollt ihr? Wie habt ihr uns gefunden?", fauchte sie. „Wer seid ihr?"
„Fragen über Fragen", seufzte Lannigan, die Hufe seines aufgeregten Pferdes knirschten im Dreck der Straße. „Euch zu finden war einfach. Ein paar Fragen an einen Wirt hier, eine gut platzierte Drohung dort. Ein gewisses Gefühl", er bewegte die Finger, und der Staub schlich näher an De Guille heran und ließ die Federn ihres Flügels zittern, „für die Dinge war ebenfalls von Vorteil. Und jetzt rückt die Krone heraus."
Nastura blickte sie an. „Der Ipotame ist Solofar Darke. Ich habe dir von ihm erzählt." Sein bernsteinfarbener Blick richtete sich auf den schadenfroh grinsenden Lannigan. „Und dieser Sohn einer verfluchten Hure ist der, der mir mein gesamtes Gold aus den Taschen gezogen und danach Beattys Taverne in die Luft gejagt hat. Mit nichts als einem Fingerschnippen."
Lannigan wedelte mit der Hand, der Staub tanzte um sie herum. „Es war mehr als ein Fingerschnippen. Du musst wissen, Darke, dieses Arschloch wollte mich töten, zusammen mit ein paar anderen, und ich habe, nun ja, Panik bekommen."
Solofar bedachte beide mit milde amüsierten Blicken. Eine Taverne zerrissen, wegen einem Streit zwischen einem drittklassigen Roten Magier und meinem Erzfeind. Welch seltsame Zufälle die Welt bisweilen bereit hält.
„Die gesamte verfluchte Taverne." Nastura blickte ihn hasserfüllt an. „Du hast Freunde von mir getötet."
Nasturas Schwert erhob sich in die Luft und mischte sich unter den fliegenden Dreck. „Dann komm bitte nicht auf dumme Ideen, aye?" Der Magier wandte sich an De Guille. „Weil du meinen Namen nicht zu kennenscheinst: ich bin Draith Lannigan."
Die Frau umklammerte ihre Messer fester. „Soll mich das beeindrucken, Mann?", fauchte sie und spuckte in den Dreck. Staub lag über ihrem grauen Fell und ließ es silbrig schimmern.
Zeit, diesem Geplänkel ein Ende zu setzen. „Mein Auftrag lautet, Euren Kopf vor Stalfeyrs Füße zu legen, Miss de Guille. Zusammen mit seiner Krone. Ich hoffe, das wisst Ihr. Und ich denke kaum, dass Ihr, oder auch Euer geschätzter", ihr Geliebter, flüsterte John Rhymer in Solofars Kopf, „was auch immer er ist, mir und Lannigan widerstehen könnt."
„Hast du dich allein nicht getraut, uns zu jagen, Darke?", spottete Nastura.
„Da Ihr nicht allein seid, hielt ich es nur für angebracht, mir ebenfalls Unterstützung zu suchen." Solofar klopfte sich etwas Staub von seinem schwarzen Waffenrock.
„Einen Roten Magier. Noch dazu einen mit einer Menge Leben auf dem Gewissen", knurrte Nastura, seine Hände zuckten.
„Ich habe nie behauptet, ausgleichend oder gar gerecht zu kämpfen." Solofar bedachte ihn mit einem arroganten Blick. „Und wage es nicht, nach deinen Waffen zu greifen. Du weißt, zu was Lannigan imstande ist. Was er mit einer Taverne vermag, kann er auch De Guille antun."
Nastura knurrte, doch schwieg, bebend vor Zorn.
„Deswegen, sagt mir nun einen Grund, warum ich euch nicht töten und die Krone und mein wohlverdientes Geld einsammeln sollte." Solofar schob den Dolch in den Gürtel, zog die Pistole und entsicherte sie. Lannigans Staubwesen wehte um sie herum und ließ Fell und Haare wirbeln.
„Stalfeyr möchte wirklich meinen Kopf?", fragte De Guille bebend, doch mit zunehmender Sicherheit in der Stimme. Die Hände mit den Messern darin zuckten.
„In der Tat. Ihr habt ein wertvolles Artefakt gestohlen." Solofars Arm mit der Pistole zitterte nicht.
Nastura und De Guille wechselten einen Blick. „Und wenn ich verrate, wer mich beauftragt hat?", fragte sie schließlich vorsichtig.
„Dann bringen wir euch beide um, nehmen uns die Krone, und finden ihn. Wir töten ihn und legen dem alten Drachen zwei Köpfe und eine Krone vor die Füße." Lannigan lachte dreckig.
„Ohne mich werdet ihn ihn nicht finden. Er versteckt sich gut", fauchte De Guille heftig.
Das war einfach. Ein wenig zu einfach, doch nun, lassen wir sie glauben, ich wäre so naiv. Solofar setzte sein liebenswürdigstes Lächeln auf, von dem er genau wusste, dass es kleinen Kindern Angst einjagte. „Nun, dann sagt es uns. Wenn ich Stalfeyr seinen Kopf bringe, verzichtet er vielleicht auf den Euren", lockte er. Als ob die Drachen nach einem derartigen Frevel nicht nach ihr suchen würden. Doch dies wäre nicht länger meine Aufgabe.
Der Nebelschatten schob die Messer in die Scheiden, dennoch wich ihre angespannte Haltung nicht. „Sein Name ist Chytion Silberstad. Ein adeliger Dracon."
Silberstad. Nun, das ist er, der Name, den Avory nicht herausfinden konnte. Geradezu erschreckend einfach.
„Sein Haus war in den Feuerkriegen ein Anhänger des ausgelöschten Hauses Isenfall, und er will Stalfeyr ebenso am Boden sehen wie einst seine Herren. Deswegen hat er die Drachenkrone gestohlen. Es ist ein Zeichen von Stalfeyrs Macht, dafür, dass er rechtmäßig herrscht. Dass man sie ihm wegnehmen kann, wird ihm im Rat des Adels keine Freunde einbringen." Sie lächelte verächtlich. „Es war wirklich lächerlich einfach."
Macht, immer dieser Hunger nach Macht. Ich bin wahrlich ein strahlendes Beispiel, wie all jene sein sollten, die nach ein wenig Befehlsgewalt hungern. Das Erbe abgegeben, um den eigenen Weg zu gehen. „Wo ist Silberstad jetzt?"
„Im Süden. Er hält sich in einem kleinen Ort an der Grenze versteckt, sicher vor Stalfeyrs Schergen. Dort will er seine Macht und seine Truppen sammeln, um dann gegen ihn anzutreten."
Wenn dieser Silberstad klug wäre, würde er es nicht einmal versuchen. Das Haus Stalfeyr triumphierte nicht ohne Grund über Isenfall. „Schön. Dann werden wir zu ihm aufbrechen. Ihr, Miss de Guille, werdet ein Treffen mit ihm arrangieren."
„Ich werde ihm eine Nachricht überbringen." Sie wandte sich zum gehen, doch Lannigans Staubwirbel schnitt ihr den Weg ab.
„Haltet Ihr mich wirklich für so dumm? Nein, Ihr werdet uns direkt zu ihm führen." Solofar lächelte, versuchte, es freundlich wirken zu lassen, doch es gelang ihm nicht.
„Er hat Wachen. Viele Wachen", wandte De Guille ein. „Er würde dich töten, wenn ich ihn nicht vorher beschwichtige."
„Und mich bei dieser Gelegenheit verratet? Ihr müsst mich wahrlich für dumm halten. Es grenzt an eine Beleidigung, Miss." Erneut lächelte Solofar, De Guilles dunkle Augen starrten ihn unverwandt an. „Ich habe einen Roten Magier. Wer ist in der Oberhand?" Es wird mir beinahe leidtun, ihn zu töten. Doch so will es mein Auftrag, und nach allem, was er auf dem Weg hierher angerichtet hat, ist es wahrlich eine Erlösung. Bilder von Schlägereien, an spritzendes Blut und verschüttetes Bier, Lannigans rötlich schimmernde Faust, sein irres und zugleich verächtliches Lachen, sein eigenes Schwert, dessen Klinge sich durch Stoff und Fleisch fraß, um dem Magier den Rücken freizuhalten, erinnerten ihn daran, warum er dem rothaarigen Mann wohl schlussendlich dennoch einen Dolch in den Rücken rammen würde. Das, und der Gedanke an seine Pflicht John Rhymer gegenüber.
Whisper de Guille erstarrte in der Bewegung, als die Steine, verborgen im Schmutz, an ihren Beinen vorbei strichen. „Mit dem Mann in deinem Sold können wir dein großzügiges Angebot kaum ablehnen, oder?", knurrte sie und spuckte in den Dreck.
„Ihr könnt es versuchen. Scheitern werdet ihr dennoch."
„Verdammte Scheiße, das war zu erwarten", fluchte De Guille leise und ballte die schmalen Hände zu Fäusten.
„Holt eure Pferde", wies Solofar sie und Nastura an. „Wir wollen keine Zeit verlieren."
„Und", Lannigan spreizte die Hand und die Erde der Felder wellte sich wie das Meer, knirschend schrammten Steine und Erdschollen gegeneinander und bildeten ein buckliges Wesen aus Dreck und Staub, lauernd zusammen geduckt, scheinbar beobachtend, „stellt keinen Unsinn an." Das Wesen wuchs für einen Moment, bis es in einem Regen aus brodelndem Schmutz wieder in sich zusammenfiel, als würde es abtauchen in ein Meer aus Erdreich. Die Felder schienen ruhig, doch etwas rührte sich dort, bedrohlich und ungewiss.
Fast, als könnte Lannigan Leben erschaffen, und nicht nur vortäuschen. Seine Sandungeheuer haben unseren Feinden in Santaca mehr als einmal das Leben zu Hölle gemacht. Angespannt beobachtete Solofar, wie De Guille und Nastura zu ihren Pferden gingen. Sie sprachen miteinander, doch er verstand nichts außer zusammenhanglosen Wortfetzen. Krone, töten, verraten. Nastura streckte eine Hand nach De Guille aus, um sie an der Schulter zu berühren, doch hielt sich im letzten Moment zurück und ließ den Arm wieder sinken. John hatte tatsächlich recht. Was auch immer zwischen ihnen ist, es ist etwas anderes als nur gewöhnliche Liebe. In Gedanken versunken steckte er sein Schwert in die Scheide und trat zu seinem Drachen, der an den Ketten riss und aufgeregt auf das sich kräuselnde Feld hinaus blickte. Vermisse ich das, was sie haben? Jemand, der auf mich wartet, wenn ich meine Aufträge erledige, jemanden, auf den ich mich freuen kann, wenn ich meinem Handwerk nachgehe?
Mit geübten Handgriffen überprüfte er die Ketten und Riemen des Geschirrs. Der Drache peitschte mit dem Schwanz und stieß einen leisen Schrei aus, und Solofar packte die Zügel fester. Doch nein. Ich vermisse nichts. Ein Schatten des Gefühls, das das Schwarzgras mit sich brachte, wallte in seiner Brust auf, und er lächelte verächtlich. Nun, vielleicht gibt es doch etwas, nach dem ich mich sehne. Selbst, wenn ich noch so lange nicht mehr dem Verlangen nachgegeben habe. Wann war ich zuletzt berauscht? Vor zwei Wochen, vor drei? Weit mehr, als ein gewöhnlicher Süchtiger schafft. Mit der freien Hand strich er sich die Überreste der Giftphiolen von der Brust und tastete in den Satteltaschen des Drachen nach Ersatz. Ein wenig erbärmlich mag es sein, doch wen kümmert es schon? Das, nach dem es mich verlangt, kann man mir nicht für immer nehmen. Nicht mit Schwertern, nicht mit Giften.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Nastura und De Guille auf ihre Reittiere stiegen, und er schwang sich auf den Rücken des Drachen. „Führt mich zu ihm", wies er sie an.
Der Nebelschatten nickte knapp, winkte den Sirea mit den Glöckchen in der Mähne zu sich und galoppierte voran, der anbrechenden Dunkelheit entgegen.
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