II. Roter Hexenmeister
Sie fanden Lannigan in einem niedrigen Gebäude, so klein, dass Solofar gebückt gehen musste, um sich nicht den Kopf zu stoßen. Den abgedunkelten, roten Laternen gelang es kaum, die verqualmte Dunkelheit zu durchdringen. Schwerer, süßlicher Rauch, duftend nach Gewürzen und Erde, waberte um bräunlich verfärbte Stoffbahnen und schwarz angelaufene Holzmöbel. Solofar erhaschte den Geruch von Schwarzgras, von Rotem Kraut, den schneidenden, beinahe frischen Geschmack von Salva, einen Hauch von Hanver und viele andere, die genutzt wurden, um Gedanken, die Schmerzen und das Leben zum Schweigen zu bringen. Gestalten lagen zusammengesunken auf abgewetzten, schlecht geflickten Polstermöbeln, mit Beuteln voller Kräuter und Pfeifen neben sich. Ein fetter Mann in einem dicken, viel zu warmen Mantel saß hinter einem Tisch auf einem Haufen Kissen und starrte kauend und mit vernebelten Augen in die stickige Luft. Eine Frau, so dürr, dass sie neben dem Mann wie ein Zweig neben einem Felsbrocken wirkte, ging mit einem Tablett mit kleinen Schalen, auf denen die Drogen wie Kostproben teurer Spezialitäten angerichtet waren, durch den verwinkelten Raum und versorgte die Süchtigen mit ihren Substanzen.
Der fette Mann zuckte einmal mit dem fleischigen Arm, wohl der klägliche Versuch, Solofar und Nazare zu grüßen. „Willkommen, willkommen", murmelte er undeutlich. „Legt euch nieder und erfahrt die Erlösung. Nach was verlangt es euch?"
Nazare biss die Zähne zusammen und folgte der Frau mit dem Tablett kurz mit den Augen. „Nach nichts", sagte sie nach einem Moment.
Nach Ghora. Stramger. Salva. Schlaf. Trotz seines Hungers packte ihn der Abscheu. Solofar packte Nazare am Arm. „Wir suchen Lannigan", erinnerte er sie leise. „Wer von... denen ist er?"
Nazare schüttelte ihn grob ab und drückte sich an der Frau vorbei tiefer in die Höhle hinein, vorbei an einem Dunkelflügel, dessen schwarzes Blut seine Kissen befleckte, die stumpfen gelben Augen weit aufgerissen, und einem Soaza mit einer schweren Decke um die Schultern. Teilnahmslos blickte er ins Nichts. Solofar ertappte sich bei jedem Berauschten bei der stillen, flehenden Hoffnung, er möge nicht Draith Lannigan sein.
Vor einer schmalen Liege blieb Nazare stehen und trat dem darauf liegenden Mann, beinahe vollends verborgen unter einem fadenscheinigen, schwarzen Mantel, fest in die Seite. Ein Büschel roter Haare lugte aus dem dunklen Stoff hervor. „Draith. Hoch mit dir."
Der schwarze Mantel regte sich und Lannigan stöhnte etwas Unverständliches.
Erneut trat Nazare zu, kräftiger als zuvor. „Bei der Mutter der Schlangen, beweg deinen hässlichen Arsch!"
Lannigan fluchte und zog den Mantel enger um sich.
Nazare warf Solofar einen unsicheren Blick zu. Ich habe besseres zu tun, als diesen benebelten Magier sanft zu wecken. Gezzarro ist in Gefahr, und ich werde es nicht zulassen, dass er stirbt, nur weil der Mann, den wir brauchen, zu berauscht ist, um auch nur seinen eigenen Namen zu sagen. Solofar trat vor und packte Lannigan am Kragen, zerrte ihn von seinem Bett und warf ihn auf die schmutzigen Holzplanken.
Fahrig griff Lannigan nach etwas, um sich festzuhalten, erwischte den kleinen Tisch und riss die metallenen Schalen darauf mit sich. Hell klirrten sie über den Boden.
Er stieß einen empörten Laut aus und setzte sich schwankend auf. „Was, bei allen Höllen, soll der Scheiß?", wollte er wissen, die Worte verschwommen.
Nun, er hat kein Schwarzgras genommen. Sonst würde er uns angreifen. Wenigstens etwas. „Ihr seid Draith Lannigan?"
„Aye, der bin ich." Er blickte sich um, seine kurzen Haare standen in alle Richtungen von seinem Kopf ab. „Nazare, warum hast du mich geweckt?"
„Gezzarro di Varia, der Panthera, den du letztens bis auf den letzten Penny ausgenommen hast, ist in Gefahr. Wir brauchen deine Hilfe, um mit ihm zu fliehen", erklärte Nazare schnell.
„Und dafür verbündest du dich mit dem?" Lannigan wies nachlässig auf Solofar.
„Gezzarro begleitete mich von Hastator bis hierher. Ich werde ihm beistehen", sagte Solofar. Selbst wenn ich ihn für seine Taten bezahlen lassen sollte.
„Schön und gut, der schlechteste Spieler, der mir je begegnete, hat ein Problem. Ich sehe aber nicht, warum mich das jucken sollte." Lannigan verschränkte trotzig die Arme.
Solofar hockte sich neben ihn und senkte die Stimme. „Die Selketien verfolgen ihn und somit auch uns. Wir werden ihren Schergen nicht ewig entkommen können. Dadurch, dass niemand sonst in dieser Stadt die Fähigkeiten hat, den Selketien nennenswerten Schaden zuzufügen, sollte es zu einem Racheakt kommen, von mir einmal abgesehen, bin ich auf Eure Hilfe angewiesen." Nazare zischte wütend, doch er beachtete sie nicht. „Es ist ein Auftrag, wenn Ihr so wollt."
„Ein Auftrag", echote Lannigan. Schweigend blickte er in den dampfigen Raum, dann brach er in leises Gelächter aus. „Ich soll gegen die Selketien kämpfen? Nicht, dass ich es nicht könnte, aber du weißt, wer sie sind? Was sie können?" Er blickte Solofar mitleidig und verächtlich an. „Wenn ich die Hand gegen sie erhebe, schneiden sie mich in Stücke."
„Ich weiß", sagte Solofar und rang seine aufwallende Ungeduld nieder. „Ich war einer von ihnen. Und nun bin ich zu meiner Schande entsetzlich in Ungnade gefallen."
Angst flammte in Lannigans Augen auf und erlosch wieder. „Ich an deiner Stelle würde fliehen."
Solofar biss gereizt die Zähne zusammen. „Ebendies habe ich vor. Doch ich denke, dass die Selketien sich an mir rächen werden, dafür, dass ich sie benutzt habe, um mir ihr Wissen zu erschleichen. Dass ich es wage, mich gegen sie zu erheben. Sie werden uns verfolgen und schließlich überfallen. Für jenen Teil brauche ich Euch. Ihr werdet mir und einigen anderen", Solofar wies auf Nazare, „helfen, einen sicheren Ort zu erreichen, an dem die Selketien keinen Einfluss haben."
Lannigan blickte ihn an, und Solofar erkannte echtes Interesse hinter dem Nebel in seinen Augen, zusammen mit Scharfsinn und einem hinterlistigen Funkeln. Er ist ein gefährlicher Mann. Selbst, wenn er kaum älter als zwei Jahrzehnte ist, und in einer Drogenhöhle in Skorpio liegt. „Und ich soll mein", er gestikulierte vage in den verrauchten Raum, „bequemes Leben aufgeben, nur weil du in ein bisschen Gefahr geraten bist? Bei den Höllen, so schlecht, wie der Panthera gespielt hat, ist es eine gerechte Strafe, dass er jetzt in Schwierigkeiten ist."
Nazare trat ihn in die Seite. „Stell dich nicht dümmer als du bist, Draith. Du bist ein Roter Hexenmeister. Du arbeitest für alle, die dir das richtige Gold geben. Dein bequemes Leben, wie du es nennst, besteht aus Hurenhäusern, Rotem Kraut, Würfelspielen und dem Ehrgeiz der Trinker, die glauben, einen wie dich beim Würfeln besiegen zu können. Nichts, was du hast, gibt es in einer anderen Stadt nicht. Du wartest nur auf einen Grund, hier abzuhauen, und wir geben ihn dir."
Lannigan blickte eingeschnappt zu ihr hinauf. „Ich schütte dir einmal das Herz aus, und du verrätst es allen? Ich hätte wissen sollen, dass du eine falsche Schlange bist." Er kicherte leise, und Nazare leckte sich unbeeindruckt über die Lippen. Ihre Zunge war dünn und gespalten.
„Du hast nicht einmal eine Lieblingshure", fügte sie verächtlich hinzu. „Und schlechte Spieler wird es überall sonst auch geben."
„Davon einmal abgesehen wollen wir einen schlechten Spieler befreien", sinnierte Lannigan. „Und meine Lieblingshure möchte wohl dabei helfen." Erneut blickte er Nazare an.
Ihre hellen Augen blitzten, ihre Pupillen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Schwarze und goldene Schuppen wellten sich auf ihrer Haut, als sie ihm erneut in die Rippen trat. „Halt dein Maul", zischte sie. Lannigan lachte.
Solofar seufzte gereizt. „Es kümmert mich nicht im Geringsten, was euch in der Vergangenheit verband oder trennte, doch ich hoffe, ihr seid schlau genug, es für den Dauer unserer Mission aus dem Weg zu schaffen. Ich für meinen Teil möchte nun erfahren, Master Lannigan, seid Ihr bereit, zu helfen?"
Lannigan erhob sich schwankend und klopfte umständlich seinen Mantel ab. „Bereit nicht, doch sie hat recht. Diese Stadt ist voller Gift." Amüsiert blickte er sich um. Nazare stieß ein gekünsteltes Lachen aus. Fest sah er Solofar an. „Ich möchte drei Kreuzer. Im Voraus. In Münzen, wenn ich bitten darf."
Ungerührt erwiderte Solofar seinen Blick. „Zwei. Und noch einmal zwei, wenn wir mit Gezzarro in Sicherheit sind."
Lannigan hob eine rötliche Augenbraue. „Der kleine Panthera scheint dir ganz schön am Herzen zu liegen."
„Seht zu, dass Ihr mit der gleichen Kraft zur Tat schreitet wie ich, oder es wird Euch leidtun", versetzte Solofar kalt.
„Drohst du mir?"
„Offensichtlich."
„Und du denkst, du bist mir gewachsen?" Lannigan bewegte die Finger. Münzen schwebten aus seinen Taschen, umgeben von rötlichen Schlieren, und verharrten kreiselnd in der Luft. Die Planken unter ihm wölbten sich und brachen splitternd. Der fette Mann stieß einen gedämpften Laut der Empörung aus, doch Lannigan sah ihn scharf an, und er verstummte.
Solofar betrachtete das brechende Holz, die schwebenden Münzen und nickte zufrieden. „Ihr werdet gute Dienste leisten, davon bin ich überzeugt." Er hat Macht. Nicht viel, zumindest scheint es mir so, doch genug, um den Selketien zu schaden. Er streckte eine Hand aus. „Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit."
Skeptisch beäugte Lannigan seine Hand, Solofar konnte förmlich sehen, wie er sich fragte, ob das Angebot eine Falle war. Zögerlich schlug er ein, sein Gesicht verzog sich zu einem gelbzahnigen Lächeln. „Ebenso", sagte er, etwas gezwungen fröhlich. Die gebrochenen Planken legten sich, die Münzen flogen in seine Hände, und er ließ sie in seinen Taschen verschwinden. Gespannt blickte er von Solofar zu Nazare. „Gehen wir."
Nazare öffnete die Tür und schlüpfte mit Lannigan in den gleißenden Streifen aus Licht. Solofar hielt inne. Der Weg durch die Wüste wird weit. Meine Vorräte an Stramger sind beinahe leer. Ebenso Nebelessenz, die jedoch hier kaum zu bekommen sein wird, Ghora und Hels.
Er tastete seine Taschen ab und sah sich zu Nazare um. „Ich habe etwas bei Lannigans Lager vergessen", behauptete er, doch spürte, dass die Lüge wenig überzeugend war. „Wartet vor der Tür."
Nazare musterte ihn überrascht, doch zog Lannigan anstandslos hinaus.
Solofar spürte, wie der fette Mann ihm hinterher blickte, als er ihnen aus der feuchtwarmen Schwere der Drogenhöhle in die staubige Hitze von Skorpio folgte. Nazares Blick traf seinen, und er erwiderte ihn herausfordernd. Wenn sie auch nur ein Wort zu Gezzarro sagt, werde ich sie töten. Und dann werde ich meinem besten Freund etwas erzählen müssen, was ich ihm nie sagen wollte. Dass die Wege der Selketien nicht die ungefährlichsten sind. Dass sie nicht spurlos an mir vorbei gingen. Und dass ich nun abhängig von Substanzen bin, deren Besitz und Verkauf im Norden streng verboten und noch strenger verurteilt ist. Nur die Niederen brauchen Rotkraut, Schwarzgras und Ghora, um leben zu können. Nur die Verlorenen geben sich dem Rausch hin.
Aufmerksam sah er sich um, doch noch immer schien kein Selketien ihnen auf den Fersen zu sein. Jede andere Kompanie hätte Alarm geschlagen. Doch niemals sie. Bei ihnen weiß das Opfer nicht, ob sie es bereits jagen, oder ob es sich noch in Sicherheit wiegen kann. Er löste die Zügel seines Drachen von dem Ring, an dem er ihn angebunden hatte, und lockerte die Waffen in den Scheiden.
Scrival erwartete sie bereits vor dem schmalen Zugang zu dem Hinterhof, mit fünf Pferden, die vor seinem Gestank nach Blut scheuten, und einem massigen Gryff neben sich. Battistari. Selten habe ich ihn zu Gesicht bekommen. Die schwarzen Streifen auf seinem Fell schienen wie Kohle auf Sand, durchkreuzt von etlichen Narben und Brandzeichen. Äxte steckten in seinem Gürtel, beinahe verborgen unter seinen Flügeln, die er wie einen Mantel um die Schultern gelegt hatte. Gezzarro blickte ihnen freudig entgegen, doch richtete die Augen zu Boden, als er Solofar sah.
„Wohin werden wir reiten?", wollte Lannigan wissen.
„Dort, wo die nächste größere Stadt ist." Fragend blickte Solofar Nazare an.
„Die nächstbeste wäre Fort Denjeb, doch die..."
„...gehört ebenfalls den Selketien. Es wäre Selbstmord, dorthin zu reiten." Von dem Pass durch die Berge einmal abgesehen. Solofar schwang sich auf seinen Drachen, der gierig auf die Pferde starrte, und nahm die Zügel so kurz, dass das geifernde Maul des Drachen dessen Brust berührte. Fest hielt er ihn auf der Stelle. „Was ist mit Nastar?"
„Gehört dem Baron von Manastar, und der ist noch wahnsinniger als die Selketien." Nazare begutachtete skeptisch die Pferde, eines nach dem anderen, und entschied sich schließlich für eine schmale, weiße Stute mit kleinen braunen Flecken. „Port West? Es ist außerhalb der Grenzen von Santaca. Die Selketien werden es nicht wagen, uns bis dorthin zu verfolgen."
„Nein", fuhr Battistari dazwischen, so laut, dass sein Pferd unter ihm einen Sprung zur Seite machte. „Ich bin diesen verfluchten Lykanern entkommen. Freiwillig gehe ich nicht zu ihnen zurück."
Nazare zuckte mit den Schultern. „Bleibt Kushan. Die Stadt gehört den Skrahs der Lamien."
Solofar nickte. „Dann führe uns."
Kein einziger Selketien begegnete ihnen auf ihrem Weg aus der Stadt hinaus. Einzig die üblichen Bettler, Süchtigen und Arbeiter bevölkerten die Straßen. Von allen Städten, die ich bereiste, ist Skorpio die einzige, die man nicht als beschäftigt bezeichnen kann. Sie scheint nur aus jenen zu bestehen, die nicht hierher wollten, doch hier strandeten, aus Jägern, Besitzern von Gasthäusern und Drogenhöhlen, unzähligen Ausgestoßenen, die es versehentlich hierher verschlagen hat und nun nicht wissen, was sie tun sollen, so wie meine hehren Mitstreiter, und den Gläubigen selbst. Außer, es ist ein Fest der Scorpia. Ein Feiertag oder eine feierliche Exekution. Dann scheinen all die Ratten, die in dieser Stadt leben, aus ihren Löchern zu kriechen.
Den schwarzen Schatten sah er nur aus dem Augenwinkel, das südliche Stadttor nur wenige dutzend Meter entfernt. Er erkannte es bereits in der Ferne, ein helles Fenster in die Wüste hinaus, zwischen hohen rötlich braunen Mauern, als Nazare einen Warnschrei ausstieß, sich im Sattel umwandte und mit einer fließenden Bewegung einen Pfeil abschoss. Angespannt wirbelte er herum. Ein schwarz gekleideter Mann kam dumpf auf dem staubigen Boden auf, nur wenige Handbreit an Solofars Drachen vorbei. Nazares Pfeil zerbrach knirschend zwischen seinem Körper und der festgetretenen Erde.
Solofar wechselte einen unwohlen Blick mit der Lamia. Wortlos nahm sie die Zügel kürzer und beschleunigte ihr Pferd in einen zügigen Galopp, auf das Tor zu. Die Männer folgten ihr, die Waffen bereit. Misstrauisch sahen sie sich um, beäugten jeden Schatten und jeden dunklen Hauseingang.
Sand stob unter den Hufen und Krallen auf, als sie das kurze, steile Stück festgetretenen Weg, der die Straße aus Skorpio darstellen sollte, hinter sich ließen und hinaus in den weichen, wehenden Sand der santacanischen Wüste ritten. Sie verlangsamten ihren Schritt nicht, bis die Sonne rot glühend über den Bergen unterging und die brennende Hitze sich in die Kälte der Wüstennacht verwandelte, bis die flirrende Stille von den ersten Schreien der Wölfe und Wüstendrachen zerrissen wurde.
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