Kapitel 5
Am nächsten Tag lag unsere Aufgabe als erstes darin Hope zu erklären, warum Daniel die Hände gefesselt hatte und das auch so bleiben würde. Ich versuchte außerdem seine unzähligen Entschuldigungen zu ignorieren. So viel getrunken, dass er nicht mehr wusste was er tat, hatte er nämlich nicht. Er sollte jetzt damit leben müssen.
Wir konnten ihn jedoch nicht einfach hier lassen, wir brauchten ihn immer noch als blinden Soldaten für Dreizehn.
Heute würden das Jägerwespen-Gebirge durchqueren. Nur Daniel und ich hatten die Wespen bereits im realen Leben gesehen, die anderen konnten sich das ganze nur vorstellen.
Nachdem wir zusammengepackt hatten, hielt ich Hope bei mir und bläute ihr ein ganz dicht in meiner Nähe zu bleiben. Sie nickte und versprach es mir.
Daniel hatte Hopes Rucksack genommen, als wollte er uns zeigen, dass er immer noch in unserem Team war. Meinen wollte er auch nehmen, aber dann wären wir ja gar nicht vom Fleck gekommen. Schließlich löste Eric seine Fesseln mit finsterem Blick und funkelte ihn drohend an. Ich atmete tief durch und lächelte ihn schwach an. Er ignorierte es und wandte sich dem Wald zu.
„Wir müssen es heute über die Felsen schaffen. So schnell es geht", sagte er schlicht und lief auch schon mit flotten Schritten los.
Ich blickte mich schon jetzt wachsam nach den tödlichen Viechern um. Würden sie erstmal aufmerksam auf uns sein, hätten wir innerhalb ein paar Minuten nur noch ihr Gift statt Blut in den Adern. Es wäre unser Todesurteil. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber eigentlich war dieses Unterfangen doch unmöglich.
„Wie gut könnt ihr schwimmen?", fragte ich schließlich. Alle starrten mich mit einem Blick an, der so viel hieß wie wenig bis gar nicht. Ich schüttelte den Kopf. Das war nicht gut. Wir konnten also nicht durch den Fluss waten und uns bei Gefahr im Wasser verstecken.
Ich bildete mit Hope die Nachhut und versuchte doch den Gedanken aus dem Kopf zu bekommen, dass Daniel seine Lippen auf meine gelegt hatte, dass er es gewagt hatte... Ich blickte nach vorne, er hatte sich nach hinten umgewandt, um nach mir zu sehen. Sein Blick triefte von Entschuldigung und Reue, doch ich erblickte dahinter Verlangen. Vielleicht war es paranoid, aber vielleicht, war es auch die reine Wahrheit und er wollte mich. Wieso musste immer nur alles so kompliziert sein?
Ich wollte doch nur zu Liam... Zu Liam... Und zu Gale... Und zu...
Schnell schüttelte ich den Kopf, denn das würde ich, ich würde zu ihnen kommen. Zu ihnen zurück. Bald schon, es ging ihnen gut. Hoffentlich. Es ging ihnen hoffentlich gut. Wenn es noch einen Gott gab, sollte es ihnen gut gehen, damit ich wieder froh sein konnte. Irgendwie musste das doch möglich sein.
Das Gebiet wurde immer steiniger und immer öfter kreuzten Felsen unsere Weg.
"Wo treffen wir uns, wenn wir uns trennen müssen?", fragte ich Eric, der Daniel zwang weiter nach vorne zu schauen während er antwortete.
"Hope wartet auf uns, wenn wir uns verlieren, dort wo sie rausgekommen ist, wir suchen sie dann und warten bei ihr", erklärte er ruhig wie immer. Er stellte es so sachlich dar, dass es wie ein ganz toller Plan klang, aber das war es nicht, es war Nichts. Es war nicht mal der Ansatz von einem Plan, er hatte keine Ahnung. Aber es war nun mal Eric, also vertrauten wir auf ihn.
Wir durften uns einfach nicht verlieren, dann war auch alles gut. Es würde schon alles gut gehen...
Schließlich blieb Eric stehen. "Bewegt euch leise", meinte ich, "Wir dürfen sie nicht aufschrecken, dann sind wir so gut wie tot und haben kaum eine Chance mehr. Besonders nicht im Gebirge, das Gift könnte uns eine Klippe herunterfallen lassen oder sogar freiwillig springen. Bedeckt so viel Haut wie möglich mit Stoff, dann kommen sie nicht gleich durch. Wird schon gut gehen, wenn wir aufmerksam bleiben."
Schließlich atmete ich tief durch und murrte: "Noch irgendwas anzufügen Daniel?"
Er strahlte mich daraufhin an. "Sie mögen den Geruch von Kiefernnadeln nicht", entgegnete er.
"Hier sind keine Kiefern", knurrte Eric kalt und drehte Daniel wieder grob zum Weg.
"Ich wollte doch nur...", fing Daniel leise an, doch ich marschierte an ihm vorbei und sah den ansteigenden Weg hoch.
Es war eine andere Stelle als gestern, das erste Nest war genau am Eingang einer Schlucht, durch die wir mussten.
"Bleib dicht hinter mir", wisperte ich Hope zu und kämpfte mich nun als Erste möglichst leise den Anstieg hoch. Meine Augen waren fest auf die Jägerwespen gerichtet. Sie durften uns nicht bemerken. Durften sie einfach nicht.
Vorsichtig schob ich Hope vor mich, damit ich sie besser im Blick hatte und wenn möglich von den Wespen abschirmen konnte. Hass keimte in mir auf, Hope war zu jung für das hier, was hatte sich Eric nur gedacht? Wieso war er oft nur so kalt berechnend. Manchmal dachte man fast, ein Menschenleben war ihm egal, aber was wusste ich schon? Vielleicht waren Menschenopfer ja notwendig. Es musste scheinbar so sein.
Hope vor mir war ganz blass, sie schien fürchterlich zu zittern.
"Hey... Hope... Wir schaffen das schon", wisperte ich sanft und wünschte mir plötzlich Prim, die das so viel besser gekonnt hätte. Sie hätte Hope in Windeseile beruhigt. Aber Prim war nicht hier... Sie würde auch nicht herkommen.
Hope blickte zu mir und nickte ängstlich, aber man sah, sie vertraute mir. Sie würde mir ihr Leben anvertrauen, wenn sie müsste. Hoffen wir, es kam nie so weit. Niemals. Ich wollte nicht, dass sowas passieren musste. Wir sollten beide leben. Ich schaffte das schon, uns hier rauszubringen. Ich war stark. War ich doch... Oder?
Ich atmete tief durch und fasste Hope an den Schultern. Mit sanftem Druck schob ich sie weiter auf den tödlichen Bereich zu. Ich fühlte mich, als würde ich sie geradewegs in eine Todesfalle führen. Aber das tat ich ja nicht, oder?
Ich brachte sie in... Nein... ich hatte sie von der Sicherheit fortgebracht... Ich hatte sie in Gefahr gebracht.
Das Wespennest hing bedrohlich nahe vor uns, aber ich war kalt und trieb uns beide immer weiter nach vorne. Immer näher der Gefahr. Ich fühlte mich wie der Teufel höchst persönlich, dass ich Hope stetig voran trieb.
Doch es gab kein zurück. Es gab kein Zurück für uns. Wir mussten da durch.
Ehe ich mich versah schleuste ich Hope unter dem Wespennest durch. Mit stetigem ängstlichem Blick nach oben. Schließlich waren wir durch, die paar Wespen, die dort oben herumschwirrten, hatten uns nicht beachtet. Ein wenig Anspannung fiel von meinen Schultern ab, aber was nicht war, konnte noch werden. Ich trieb Hope an schneller zu laufen und blickte mich schnell nach den Jungs um, Eric nickte mir zu. Sie waren direkt hinter uns. Das war gut.
Aufmerksam lief ich durch die Schlucht. Sie wurde immer enger und enger, schließlich mussten wir seitwärts gehen und die Rucksäcke abnehmen. Mein Herz klopfte wie verrückt in dieser Enge. Ich fühlte mich, als würden sie mich bald zerquetschen und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Gar nichts. Ich fühlte mich eingesperrt. Schließlich stolperte Hope nach draußen. Sie schnappte leise nach Luft.
Ich lief ihr schnell nach. Vor uns war scheinbar die ganze Schlucht in Flammen aufgegangen. Trümmer eines Hovercrafts lagen verstreut überall als mehr oder weniger geschmolzene Klumpen.
"Der war vom Kapitol", wisperte ich und starrte auf den Adler auf einem fast unbeschadeten Heckflügel.
Eric nickte nachdenklich. Er kombinierte schon. "Ich schätze, sie sollten Jägerwespen an die Grenzen bringen, es gab einen gewollten oder ungewollten Defekt und sie sind abgestürzt. Die Wespen müssen sich zuvor befreit haben und hier niedergelassen haben..."
Ich sah keinen Zweck darin darüber nachzudenken, ob das nun sinnvoll war oder nicht. Mich interessierten viel mehr die Jägerwespen, die sich in jeweils vier Stöcken niedergelassen hatten und zwar gar nicht mal so weit oben.
Genau der Weg, der weiter nach oben führte, schien eingenommen von den Wesen, aber wir mussten doch dort lang. Ich sah verzweifelt zu Eric.
Er sah nun auch dorthin, wo ich eben hingeschaut hatte und ging dann einfach los. Ich folgte ihm schnell, Hope an meiner Hand. Sie hielt sie fest umklammert, als könnte ich ihr Schutz geben... Könnte ich das doch bloß tun, ich würde so gerne.
Wir würden das schaffen, wir würden das schaffen, wir würden das schaffen. Wir hielten uns dicht beieinander. Eric schien völlig gelassen zu sein. Daniel trottete einfach lustlos neben ihm her und hatte sich seinem Schicksal gebeugt. Hope schien bald vor Angst durchzudrehen und ich... Ich hatte keine Ahnung, was ich fühlte. Der Gedanke, zu meiner Familie zu kommen, trieb mich an und ließ mich immer weitermachen, aber noch hatte mich keine Jägerwespe gestochen.
Ich drückte Hope fest an mich, als wir hindurchliefen.
Es passierte nichts... Und immer noch nichts... und immer noch nicht... Und wir waren durch...
Ich lächelte fast erleichtert, als ein stumpfer Schmerz sich in meinem Nacken ausbreitete. Ich geriet ins Stocken, aber lief schnell weiter, als Hope mich besorgt anschaute
"Alles gut", meinte ich leise und lächelte sie leicht an, "Lauf vor zu den anderen und halte nach den nächsten Ausschau."
Sie nickte. In ihrem Blick spiegelte sich Zuversicht und Hoffnung.
Als sie weg war. Griff ich zitternd in meinen Nacken und stellte erleichtert fest, dass sie weg war. Vielleicht hatte ich es mir doch nur...
Ich strich zitternd über die Wölbung in meinem Nacken. Nein... sie hatte mich erwischt. Meine Finger fühlten sich feucht und klebrig an. Ich zog sie zitternd hervor. Die Fingerspitzen waren voller Blut und grünem Eiter. Galle stieg in meiner Speiseröhre hoch. Ich würgte und wischte meine Hände an meiner Hose ab, doch es schien nichts zu bringen. Kopfschüttelnd ging ich weiter und schloss zu den anderen auf.
Nur Halluzination, alles gar nicht echt, gar nicht echt...
Ich konnte nur hoffen, dass sie nicht ihre Freunde holte. Ich trieb die anderen an schneller und weiter zu laufen. Immer schneller.
Nervös huschte mein Blick durch die Gegend, als würde gleich ein Schwarm uns einhüllen uns vernichten. Ich spürte, wie mein Atem hektischer wurde und es schwerer wurde, die positiven Gedanken zu halten.
Erics blick lastete schwer auf mich. Er durchschaute mich, ich wusste es, aber er würde nichts sagen, um Hope nicht zu erschrecken. Hoffte ich jedenfalls, aber er war ja schlau. War er das? Ja, Eric war schlau und berechnend. Das war so klar, wie meine feindseligen Gedanken jedem andern gegenüber, die sich in meinem Kopf verfestigten. Ich merkte schon gar nicht mehr, wie meine Hände immer wieder nach hinten wanderten und mich an dem Stich kratzten. Mir war es auch egal, alles wurde mir immer gleichgültiger und gleichgültiger.
"Pass auf, Lily!", rief Daniel erschrocken und hielt mich zurück, bevor ich in einen Spalt stürzen konnte.
"Ich hab auf die Wespen geachtet", knurrte ich nur und kämpfte mich aus seinem Griff. "Die du wahrscheinlich auch noch auf uns gehetzt hast durch dein Geschrei."
Doch es war nicht das Geschrei gewesen, dass sie aufmerksam gemacht hatte, sondern die Steine, die meine unachtsamen Füße herunter gestoßen hatten. Erst hörte man, wie sie immer wieder gegen die Wand prallten und dann ganz dumpf, wie sie gegen den Jägerwespenstock prallten. Einmal... Zweimal... Dreimal... Viermal... Fünfmal...
Anschwellendes Summen drang zu uns hoch und wurde immer lauter und lauter. Es schwoll in meinen Ohren zu einem lauten Dröhnen an, das sehr wahrscheinlich durch den Stich verstärkt wurde. Ich dachte nicht lange nach und schubste Hope den Weg weiter und sie fing augenblicklich an zu rennen und zerrte Daniel, den sie zu fassen bekam, hinter sich her. Eric packte meine Arm und zerrte mich weiter.
"Denk nicht mal dran", kam es leise knurrend von ihm.
Ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte. Woran sollte ich nicht denken? Er trieb mich an und wir liefen schneller und schneller. Ich hatte im Hinterkopf, warum wir wegliefen, doch der Gedanke war so unklar... Er war kaum greifbar... Warum liefen wir nochmal?
Ich wandte mich verwirrt um und sah, wie die Wespen aus der Schlucht aufstiegen und mein Atem stockte.
Verdammt... Deswegen also. Ich blieb stockend stehen und merkte, als ich weiterlief gar nicht, wie ich in eine andere Richtung lief.
Wieso war alles so unklar?
Irgendwas stimmte nicht...
Irgendwas schrie in meinem Kopf. Ich verstand die Stimme nicht.
Ich stolperte über meine eigenen Füße und merke gerade so, wie ich anfing zu fallen und einen Schmerz in der Hand, der sich durch meine ganzen Adern zog. Ich schüttelte die Hand, doch ein zweiter Schmerz durchfuhr mich und dann kam ich dumpf auf dem Boden auf.
Die Luft verließ meine Lungen und eine summende Wolke verdunkelte den Himmel über mir.
Kein klarer Gedanke kam mir in den Sinn, doch eine Stimme schrie: "Lily, lauf!" Also lief ich... Ich lief um mein Leben.
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