𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 𝟙𝟟-𝕃𝕪𝕣𝕒
Durchhalten, sagte ich mir immer wieder. Durchhalten,durchhalten,durchhalten.
Wie lange würde ich die Luft noch anhalten können? Ich sah nicht viel durch das dunkle Wasser. Das andere Ufer konnte ich nur schemenhaft ausmachen, es kam mir so unerträglich weit weg vor. Mein Hals kratzte und mein Kopf tat weh,so als würde jemand meine Ohren langsam und gewaltsam zusammendrücken. Mit letzter Kraft trat ich mich mit den Beinen vorwärts durch das Wasser,dem Licht entgegen. Über mir befand sich eine -wahrscheinlich ebenfalls steinerne- Decke. Mir war nicht klar gewesen,dass diese verdammten Mauern ober mir so lang waren.
Ich schloss die Augen. Wenn ich das Ziel nicht sah,würde mir der Weg dorthin erträglicher vorkommen?
Durchhalten. So lange hatte ich die Luft noch nie angehalten. Ich konnte nicht mehr. Meine Ohren und Brust drohten zu explodieren. Meine Kräfte schwanden. Nein,sie waren schon weg. Nur die Hoffnung, Luft zu bekommen zog mich vorwärts. Mein Gesicht brannte,obwohl ich unter Wasser war,das Herz raste wie verrückt. Panik überkam mich,als mir langsam aber sicher die Luft ausging. Schneller.
Ertrinken war ein lautloser,unschöner Tod. Wenn ich jetzt aufgeben würde,würde es einige Zeit dauern,bis mich die Kameras,die normalerweise dank dem Aufspürer jeden Tribut in sekundenschnelle finden konnten,aufspüren würden.
Für Madge,schoss mir der Gedanke durchs Hirn. Ich durfte nicht einfach schon am Anfang sterben und sie zurücklassen!
Ein Schwimmzug. Durchhalten. Schwimmzug. Durchhalten. Schwimmzug. Durchhalten.
Ich schien schon eine Ewigkeit in diesem Rhythmus zu schwimmen. Aber ich spürte,wie ich langsam ohnmächtig wurde. Noch einmal zwang ich mich, mit einem kräftigen Zug nach vorne zu schwimmen. Danach ließ ich mich in das Wasser sinken,meine Arme fielen schwach herab. Wenigstens hab ich's versucht.
Ein letztes Mal öffnete ich die Augen,um nach oben blicken zu können.
Und stockte.
Ich war ungefähr zwei Meter von Licht entfernt. Kräftig biss ich mir auf die Lippen,um nicht gegen meinen Willen einzuatmen. Meine Lunge drohte zu explodieren.
Schwimmzug. Durchhalten. Schwimmzug. Durchhalten.Noch einmal zwang ich meine kraftlosen Beine dazu,durchs Wasser zu gleiten. Ich rang sofort nach Luft ,als mein Kopf die Wasseroberfläche durchbrach.
Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen.Bald würde ich mich erholt haben.Doch meine Gliedmaßen waren immer noch schwer. Ich drohte, wieder herunterzusinken.
Einige Male blinzelte ich heftig,versuchte,wieder normal zu sehen, aber so weit war ich noch nicht.Mit letzter Kraft schlug ich um mich. Da-meine Finger hatten etwas gestreift.Kraftlos streckte ich den Arm ein weiteres Mal aus und schloss die Finger um die feste Materie. Das Ding hätte alles sein können-von einem Krokodil bis hin zu Man Freds Kartoffelnase-ich hätte es nicht gemerkt.
Scheinbar war es jedoch ungefährlich.Eine Weile hing ich nur im kühlen Wasser, die Augen hielt ich geschlossen.
Ich konnte nicht sagen, wie lange dies so ging, bis ein lautes Platschen neben mir ertönte.
Irgendetwas störte die Stille meiner halben Bewusstlosigkeit.
Dump.Dump.
Es stieß gegen mein Knie.
Dump.
Da! Schon wieder.
Genervt schlug ich die Augen auf. Um mich herum erkannte ich nun grauen Stein und dunkles Wasser.Langsam kam ich richtig zu mir. Jetzt erst merkte ich, wie kalt mir eigentlich war.
Was war eigentlich mit der Glasscherbe passiert?
Ich sah mich genauer um.Der Stein bildete einen kleinen Kreis um mich herum und ragte einige Meter in die Höhe.Ganz oben kam nur wenig Licht herein,da sich ein kleines Dach über dieser Konstruktion befand.Meine Finger umklammerten ein Metallteil in dem Stein, das man mit Mühe als Leitersprosse identifizieren konnte.Das nervige Ding war ein Wassereimer.
Kein Zweifel. Ich befand mich in einem Brunnen.
Der Eimer war gerade erst neben mir gelandet . Da er wahrscheinlich nicht vom Himmel gefallen war und der Brunnen zudem überdacht war, musste jemand ihn fallen gelassen haben. Aber wer?
Diese Frage wurde mir sogleich von selbst beantwortet.
»Ich glaube, der Eimer war nicht gut befestigt«, sagte eine tiefe Stimme weiter oben. Oh nein. Aurelian. »Das Seil ist ohne ihn wieder raufgekommen. Ich klettere runter und hole ihn.« »Du bist viel zu schwer, die Sprossen brechen unter dir.Ich gehe«,erwiderte eine zuckersüße Stimme.
Na toll. Hatte es in den paar Stunden,die ich jetzt in der Arena verbrachte,einen Moment gegeben ,in dem ich nicht kurz vorm Sterben war?
Ich musste hier rauskommen, bevor Livia zu mir runter kam. Aber schnell. Ich konnte schon die erste Sprosse ächzen hören.
Glücklicherweise schienen sie mich noch nicht gesehen zu haben. Mein Kopf dümpelte unauffällig neben dem Eimer.
Aber vielleicht würde Livia vor Eile ausrutschen und unbewaffnet den Brunnen hinunterstürzen, wenn sie mich sah. Und dann...was dann? Ich konnte nichts tun.
Außer...nein. Ich blickte hinab ins schwarze, tiefe Wasser. Noch einmal wollte ich nicht fast in ihm ertrinken.
Aber was hatte ich für eine Wahl?
Vielleicht könnte ich zurück in die Röhre tauchen.Aber ich müsste gegen den Strom schwimmen. Würde ich es schaffen ?
Hoffentlich.
Kräftig stieß ich mich mit den Beinen von der Sprosse ab und tauchte.
Und tauchte.
Und tauchte.
Mit den Fingern fuhr ich immer wieder über den Rand des Brunnens ,in der Hoffnung, eine Öffnung zu finden.
Da-ich hatte eine gefunden. Obwohl meine Augen offen waren, konnte ich kaum etwas sehen.
Irgendwie schaffte ich es dann doch, hineinzukommen. Diese Röhre war etwas enger als die erste, aber das Wasser zerrte mich in die richtige Richtung. Weg von diesem Brunnen.
Langsam wurde ich wieder schwächer. Ich schloss die Augen und nutzte all meine Energie dazu, vorwärts zu kommen, mit dem Strom zu schwimmen. »Los!«,befahl ich meinen Muskeln. »Weiter!Sonst werde ich mich nie wieder bewegen können!«
Ich schien schon eine Ewigkeit so zu tauchen. Aber ich spürte,wie ich langsam ohnmächtig wurde.Ich wollte nicht einatmen, aber mein Körper gehorchte mir nicht.Ein Hustenanfall war die Folge auf das viele Wasser,das ich geschluckt hatte. Noch einmal zwang ich mich, mit einem kräftigen Zug nach vorne zu schwimmen. Danach ließ ich mich in das Wasser sinken,meine Arme fielen schwach herab. Wenigstens hab ich's versucht.
Dann wurde alles schwarz.
»Pass auf,du bist nicht alleine«,zischte eine warnende Stimme in mir. Doch ich wollte nur weiterhin am Ufer liegen und mein Gesicht gegen das kalte Gras drücken. Warte. Am Ufer?
Ich öffnete mühsam die Augen. Mein Körper war zwischen einem Stein und der Uferkante eingeklemmt. Ich lebte. Ich lebte! Meine Finger klammerten sich kraftlos um die Gräser,so als ob diese mich daran hindern würden,noch einmal unter zu gehen.Ächzend und stöhnend hievte ich mich aus dem Wasser. Mein Herzschlag hatte sich soweit beruhigt,was meine Arme und Beine jedoch nicht davon abhielt,wie spröde Äste einzuknicken. Ich lag wieder im Gras,alle Viere weit von mir gestreckt. Es musste total lächerlich aussehen. Bestimmt filmten mich die Kameras gerade und ganz Panem lachte über mich. Aber das war mir egal. Ich hatte überlebt. Überlebt. Nur das zählte.
Aber es stimmte,die Karrieros waren nicht weit von mir entfernt und solange ich hier lag, könnten sie mich jederzeit finden.
»Nur noch kurz«, dachte ich. Die Sonne war so schön heiß. Und mir war so schrecklich kalt. Für einen kurzen Moment rollte ich mich noch eng zusammen,um keine der nicht mehr vorhandenen Körperwärme abzugeben.
»Genug!« Die Stimme hatte recht. Ich war immer noch in Gefahr.
Also zwang ich mich aufzustehen. Das war zu viel für meinen geschundenen Körper. Ich sank auf die Knie und hustete das ganze Wasser aus,das ich versehentlich geschluckt hatte. Vorsichtig stützte ich mich mit den Armen ab,als ich wieder normal atmen konnte. Ich ließ meinen Blick über die Umgebung schweifen. Es dämmerte bereits,also war ich länger beim Füllhorn geblieben als ich gedacht hatte. Warme Orange- und Rosatöne färbten den Himmel, während die Sonne in der Ferne hinter einer Berggruppe unterging. Es waren fast keine Wolken zu sehen,also würde man später viele Sterne sehen können,die durch die Nacht leuchteten. Da das Kapitol jeden Ablauf der Arena kontrollieren und vorherbestimmen konnte, war das sicherlich Absicht. Hatten sie heute etwas Besonderes geplant oder waren sie einfach gütig genug,um den Tributen wenigstens eine sichere Nacht zu garantieren? Zögernd erhob ich mich. Vor mir erstreckten sich die kalten,steinernen Mauern des Gebäudes,aus dem ich gerade entflohen war, in die Höhe. Ich trat näher ans Ufer heran. Eine Art Wassergraben erstreckte sich vor mir,kaum breiter als dreißig Meter. Hier wäre ich beinahe ertrunken? Fast war ich ein bisschen enttäuscht,obwohl ich wusste,dass das totaler Blödsinn war. Hauptsache ich lebte noch.
Ich legte den Kopf in den Nacken und trat drei Schritte zurück. Eine Burg. Das Füllhorn befand sich in einer Burg. Deshalb also die vielen Steintreppen und der Wassergraben. Wieso hatte ich das nicht gleich erkannt? Ob die Karrieros davon wussten? Sie befanden sich ziemlich sicher noch drinnen. Beim Füllhorn war es am sichersten und das wussten sie natürlich.
Unruhig drehte ich mich im Kreis und nahm die Umgebung in mich auf. Zwar war die Burg ringsum von einer Grasfläche umgeben,aber mehrere Meter vor mir begann ein Wald. Er wurde von Sonnenstrahlen in ein weiches Licht getaucht und sah wunderschön und geheimnisvoll aus. Dort,wo das üppige Gras mit vielen, hübschen Blumen darin aufhörte,war nichts als Wald. Und Wälder boten viel Platz zum Verstecken. So schnell ich konnte humpelte ich zum Waldrand,was einige Zeit dauerte. Inzwischen war die Sonne bereits nicht mehr zu sehen.Ich musste tief,tief in den Wald rein,sonst würden mich die Karrieros-oder jemand anders-bald finden. Sorgsam achtete ich darauf,so wenig Geräusche wie möglich zu machen,was alles andere als leicht war.
Wo sollte ich nur die Nacht verbringen? Ich hatte nichts,weder Essen noch sonst etwas,was mir beim Überleben helfen konnte. Wenigstens würde ich so schnell keinen Durst mehr haben. Vom Wasser hatte ich erstmal genug.
Ich lief einige Minuten orientierungslos durch den Wald. Ich konnte schon fast nichts mehr sehen, die Nacht brach herein. Ich machte vor einem Baum mit vielen Ästen halt. Er war perfekt zum Klettern. Katniss hatte das letztes Jahr oft gemacht,so hatten nicht mal die Karrieros sie gefunden. Außerdem hatte ich sowieso keine Option. Und so schwer konnte das nicht sein,richtig?
Falsch gedacht. Ich war so schon nicht die Sportlichste, und dank meines Ausdauertrainings im Wasser,bei dem ich fast drauf gegangen war,konnte ich gerade noch meine Arme und Beine bewegen. Ich kletterte ächzend immer weiter nach oben. Sollte sich ein Tribut in meiner Nähe befinden,hätte er leichtes Spiel mich zu finden,denn ich war ungefähr so leise wie ein Elefant auf Drogen.
Schnaufend lief ich mich zwischen zwei Ästen nieder. Der Baumstamm drückte mich unbequem im Rücken. Ich war weit genug in der Höhe,um im Dunklen trotz der hellen Sterne nicht sofort gesehen zu werden,aber tief genug unten,um mir nicht sofort das Genick zu brechen und zu sterben,sollte ich im Schlaf vom Baum fallen. (Was ziemlich sicher passieren würde.)
Seufzend ließ ich ein Bein vom Ast baumeln. Mit den Händen hielt ich mich vorsichtshalber trotzdem noch am Stamm fest. Ich vertraute meinem Gleichgewicht nicht.
War Madge noch am Leben? Und was war mit Rory und Gale? Bestimmt. Ich schätzte meine Distriktpatner schlau genug ein,um dem alljährlichen Füllhorngemetzel zu entgehen. Hey,sogar ich hatte überlebt. Leute wie Madge, Rory und Gale schafften das doch mit links.
Ich spürte ein leichtes Rumoren in meinem Bauch. Nicht lange und ich würde bald Hunger bekommen. Vielleicht hätte ich doch schnell etwas vom Füllhorn mitnehmen sollen. Obwohl mich das sicher am Schwimmen gehindert hätte. Für den Moment war ich froh,dass ich überhaupt lebte und einen soweit ruhigen Ort gefunden hatte. Morgen würde ich weiter sehen. Vielleicht fand ich ja Madge und die anderen.
Mit wachsendem Selbstbewusstsein mich und den Baum betreffend löste ich langsam beide Hände vom Stamm und massierte mir den steifen Nacken. So schwer war das gar nicht. Mit ein bisschen Übung würde ich vielleicht bald so wie Katniss werden.
Die Hymne des Kapitols erklang. Ich fiel vor Schreck fast vom Baum. Schnell hielt ich mich wieder mit beiden Händen an einem der vielen wackelnden Äste neben mir fest. Hoffentlich hatte das keiner gesehen.
Ich reckte meinen Oberkörper,um an den vielen Ästen vorbei den Nachthimmel sehen zu können. Dort wurden jeden Abend immer die toten Tribute projeziert,damit man wusste,wer noch im Rennen war und wer nicht. »Scheiß Äste«,murmelte ich. Die vielen Bäume versperrten mir die Sicht.
Ein paar Leute erkannte ich nicht- Ein Hoch auf den dichten Wald-,aber die meisten toten Tribute konnte ich richtig zuordnen,zumal ihr Distrikt zusammen mit ihrem Gesicht am Nachthimmel erschien. Zwei aus fünf,die beiden Mädchen aus sechs, alle vier aus acht,neun und 10,ein Junge aus 11 und einer aus drei. Achtzehn tote Tribute insgesamt. Wären wir bei den normalen Spielen,wären jetzt mehr als die Hälfte weg. Aber so lebten noch dreißig Tribute. Madge war unter ihnen. Auch Gale und Rory auch. Und ich. Erleichtert lehnte ich mich nach hinten an dem Baumstamm und gönnte meinen Augen eine Pause.
Mit einem dumpfen Knall traf mein Körper am Boden auf. Fluchend rieb ich mir den schmerzenden Rücken. Ich wusste es. Ich konnte nicht mal friedlich auf einem Baum übernachten,ohne es komplett zu versauen.
Wäre ein Tribut in der Nähe,hätte er mich schon längst getötet,also setzte ich mich auf den Waldboden und lehnte mich an den Stamm jenes Baums,auf dem ich gerade noch geruht hatte. Seufzend schloss ich die Augen. Die Sonne ging gerade auf,also hatte ich fast die ganze Nacht durchgeschlafen. Das war viel länger gewesen als ich erwartet hatte. Was sollte ich jetzt tun? Warten und hoffen,dass Madge mich fand? Ein leises Rascheln ließ mich die Augen aufreißen. Gab es hier wilde und gefährliche Tiere?
Eine dunkle Gestalt sprang lautlos auf mich zu. Oh nein.Kein Tier. Ein Tribut. Das war es mit mir gewesen. Ich hatte mein Glück überschätzt. Heute würde mein Gesicht auf dem Nachthimmel erscheinen. Mit rasendem Herzschlag blieb ich sitzen. Mein Körper jedoch hatte einen größeren Überlebensinstinkt als mein Kopf. Alles in mir schrie Lauf!
Ich zählte die Fluchtmöglichkeiten auf,während ich mich aufrappelte. Entweder zurück zur Burg -und den Karrieros- oder dem Tribut entgegen. Zeit für eine Entscheidung blieb mir nicht,denn die Gestalt war verdammt leise und schnell. So schnell war doch kein normaler Mensch.
Ich tat das Einzige, was mir einfiel und kletterte wieder auf den Baum. Lächerlich,ich weiß.
Gleich würde der Sprinter mich sowieso erreicht haben. Wenigstens starb ich in Nähe meines geliebten Baums. Ich war gerade mal zwei Meter über dem Boden,als der Tribut vor mir zum Stehen kam. Ich konnte dank dem schummrigen Licht nicht erkennen,wen ich vor mir hatte. »Lyra,sei gefälligst nicht so laut!«
Diesmal fiel ich nicht vom Baum,aber ich schwöre,ich war kurz davor. Ich blinzelte wie verrückt,um sicherzugehen ,dass ich nun nicht komplett durchdrehte. Aber das tat ich nicht. Ich atmete zitternd ein,als mir bewusst wurde ,was gerade passierte.
Meine Schwester hatte mich gefunden.
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