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2. Eine neue Zukunft

Kira spürte ihre Füße kaum und versuchte vergeblich, die salzige Nässe auf ihren Augen wegzublinzeln.
Mit letzter Kraft zog sie ihren vollgesogenen Umhang enger. Anfangs war sie noch bemüht ihn hin und wieder auszuwringen, um nicht zu schwer tragen zu müssen.
Ingwer, die direkt vor ihr ging, nahm sie nur schemenhaft war. Sie konnte nicht genau sagen, ob der Regen, ihre Müdigkeit oder das dämmrige Licht des Spätnachmittages schuld daran waren.

"Brauchst Du Hilfe?", fragte Trickser der neben ihr Schritt hielt. Anders als sonst hatte er die letzten Stunden kaum gesprochen, aber das war der Sucherin nur recht.

"Ich komme klar", hustete sie mehr als dass sie sprach. "Hast Du noch etwas Brot? Mir ist schwindelig."
Sie hatten die Zuflucht vor drei Stunden verlassen, um Dunkelholz vor Sonnenuntergang zu erreichen. Auch wenn die Reise kurz und ungefährlich sein sollte, hatten sie Proviant eingepackt der jenen, die noch müde und erschöpft waren wieder auf die Beine helfen sollte.

Das Stück Brot, dass Trickser ihr reichte war köstlich und noch etwas warm. Sie hatte nicht viel von ihrer vorläufigen neuen Heimat gesehen, aber Kals Backstube würde sie regelmäßig besuchen. Er musste ihr unbedingt zeigen wie er dieses Brot so knusprig hinbekam. Wenn dazu die Zeit blieb.
"Wir gehen dort lang."  Feran deutete mit einem Stab einen Abhang hinunter. Selbst das laute Prasseln des Regens konnte seine kräftige Stimme nicht abschwächen. "Dunkelholz ist nicht mehr weit".

Lhot, ein stiller aber geschickter Mann  war vorausgeeilt um ihr Kommen anzukündigen. Vier hatte die Idee, nicht gleich zum ganzen Dorf zu sprechen um Tumulte zu vermeiden und so galt es nun erfahrene Dorfbewohner zu wecken, mit denen sie das weitere Vorgehen planen konnten.

Vor fünf Stunden hatten sie die Zuflucht erreicht. Sie war ganz anders, als Kira sie sich vorgestellt hatte. Die wild angeordneten und notdürftig errichteten Gebäude, die arbeitenden Menschen und das freilaufende Vieh erinnerten sie an Arwans Armenviertel, in dem alles halb fertig oder halb kaputt war. Einzig der Geruch in der Zuflucht war angenehmer. Den Tannenduft liebte Kira sehr. Sauberer war es auch, aber Platz für alle von ihnen, den gab es nicht.
Die Wandler und die meisten von Ferans Männern waren dort geblieben um zu beratschlagen, wer wo wohnen sollte. Kira erinnerte sich gut an die zuerst tottraurigen und dann sorgenvollen Gesichter vieler Bewohner, die zu allem Unglück, das ihnen und ihren Familien widerfahren war nun auch noch enger zusammenrücken mussten. Lother, der Steinmetz den sie aus den Tiefen der Mine gerettet hatten bot an bei der Planung und dem Bau von neuen Gebäuden zu helfen. Ein Teil der Zuflucht bestand aus schmalen, wenig wohnlichen Höhlen, die man aber leicht erweitern könne. Vier sagte die Unterstützung aller zu, verlor aber wie auch Feran, der zuerst gesprochen hatte, noch kein Wort über die Wandler.
Vorgestellt hatte er sie als Kinder.

"Du machst Dir Sorgen." Kira erschrak und rutschte mit dem rechten Fuß auf dem moosigen Boden aus. Trickser reagierte sofort, bekam ihre Hand zu fassen und geleitete sie ein Stück, bis der Waldboden fester wurde. Ausladende Kronen bildeten ein schützendes Dach, ließen aber kaum Licht hindurch. Hier unten war es dunkel.

"Warum sollte ich?"
"Du hast vorhin kein Wort gesagt."
"Das wundert Dich?"
"Ja, tut es. Unter der Kuppel konntest Du auch kaum laufen, aber hast mit allen gesprochen. Nicht immer schlaue Sachen, aber was solls."

Kira konnte ihn im Dämmerlicht lächeln sehen, aber erwidern konnte sie es nicht. "Hast Du gemerkt, dass viele von ihnen verunsichert waren? Was ist, wenn sie uns nicht bei sich haben wollen? Wo sollen wir dann hin?"
Trickser blieb abrupt stehen.
"Pass auf. Ich habe ein Rätsel für Dich." Er vergewisserte sich, dass sie unbeobachtet waren, nahm ihre kalte Hand und drehte die Innenseite ihrer Handfläche nach oben. Seinen Zeigefinger ließ er darüber kreisen. Wie aus dem Nichts entstand ein pulsierender Rauchwirbel, der auf ihren Gliedern tanzte.
"Was fühlst Du?"
"Willst Du mich auf den Arm nehmen?"
"Ja und nein. Kennst mich doch."
Die Sucherin rieb mit der freien Hand ihre Augen frei und sah ihn abschätzend an. "Keine Ahnung, ob ich das wirklich tue. Du bist selbst ein großes Rätsel, wenn Du verstehst."
"Denk schon."
Der Wirbel wuchs langsam in die Breite. Weder Wind noch Regen konnten seiner Form etwas anhaben. "Also? Rate."
"Ich fühle mich nasskalt, aber das meinst Du wohl nicht. Fasziniert vielleicht, weil Du das da kannst." Sie bewegte ihren Kopf tranceartig hin und her, den Rhythmus des Rauchgebildes nachzeichnend.
"Genau. Wir sind besonders, aber keine Monster und das werden wir ihnen beweisen."
"Wie soll das gehen? Es hat kaum einer mit uns gesprochen. Wenn ich von Mißtrauen ein Bild zeichnen sollte, so wären darauf die mundlosen Gesichter der Bewohner."
"War ich in den ersten Tagen bei euch gesprächig? Nein, war ich nicht. Ein Halunke bin ich trotzdem nicht."
Kira grinste breit. Er schaffte es immer wieder, sie aus der Reserve zu locken. Sie musste einfach mitspielen.
"Das kann ich mir bei Deinem Leben überhaupt nicht vorstellen. Wobei ich es kaum wirklich kenne."

Lautes donnern ließ sie ihren Kopf nach oben reißen. Der Regen wurde stärker und selbst das dichte Gehölz bot kaum mehr Schutz. Hoffentlich war es nicht mehr weit. Sie alle schleppten sich langsam vorwärts, immer auf der Hut, nicht vom Weg abzukommen, den Feran ging.

"Was ist mit den Wandlern? Ich mag sie sehr, kann mir aber nicht vorstellen wie es ist, wenn sie ihre tödlichen Kräfte anwenden. Allein die Vorstellung ist grausam."

Die beiden gingen hinten und merkten gerade noch, dass die anderen stehen geblieben waren.

Bisher hatten sie die befestigte Straße gemieden, um nicht entdeckt zu werden, Feran deutete für alle gut sichtbar nach Osten. "Wir nehmen die Straße eine Weile. Wir kommen so schneller voran. Kurz vor dem Dorf gebe ich Zeichen, wir werden einen Pfad durch den Wald nehmen, um unerkannt zu bleiben. Alle verstanden?"

Einträchtiges nicken überall. Trickser hatte seine Kapuze wieder aufgesetzt. Seine Gesichtszüge konnte Kira nicht mehr sehen. Ob das Absicht war? Sie sah nur noch seinen Mund.

"Vier ist kein ängstlicher Mensch. Als er sagte, er habe Wandler noch nie getroffen war Furcht in seinen Augen. Mehr als deutlich. Als ob seine Alpträume real geworden sind."

"Mag sein Kira. Weißt Du, denk einfach nicht so viel nach. Wir werden das Beste aus der Situation machen."

Eine halbe Stunde lang sagte niemand ein Wort. Sie erreichten die gut befestigte Handelsstraße nach Süden und folgten ihr. Es war bereits fast dunkel aber keiner hatte es gewagt, die Laterne zu benutzen, die schwer an Tamms Rucksack baumelte. Die Angst entdeckt oder überfallen zu werden war groß. Gegenwehr leisten hätten sie kaum. Die Strapazen der Gefangenschaft spürte Kira in jedem Zentimeter ihres Körpers. Sie würde gerne schlafen. Sonst nichts.

                              ~○~

Der Wald lichtete sich, trotz aller Dunkelheit. Der Regen ließ nach, die Kälte aber blieb. Sie erreichten eine Biegung, die zu beiden Seiten von Steinquadern flankiert wurde. Nach wenigen Metern wurden darauf weiße Buchstaben sichtbar. Das Zeichen darunter, zwei senkrecht verlaufende Striche, die von einem Kreis auf Abstand gehalten wurden, hatte Kira nie zuvor gesehen.

"Das ist ein Grenzstein. Wir haben Dunkelholz fast erreicht", sagte Vier. Starke Böen rissen an Stämmen und Ästen. Sie wichen in den Wald zurück und näherten sich durch kleine Senken.

Ein lautes knacken direkt vor der kleinen Gruppe ließ Kira zusammenfahren. Zitternd konzentrierte sie sich auf die Quelle des Geräuschs. Grelles Licht blendete sie plötzlich.
Jack und Ingwer rissen reflexartig die Hände hoch, ließen sie aber ebenso schnell wieder sinken, als sie Tamms breite Silhouette aus den Schatten heraustreten sahen. Zwischen kahlen Baumstämmen waren spitze Holzplanken in den Boden eingelassen. Kleine Lücken zwischen ihnen füllte pechschwarzes Buschwerk aus, deren spitze Blätter sich krallengleich in den Rillen und Furchen des hözernen Mauerwerks festzuhalten schienen.

Ferans langjähriger Freund winkte sie zu sich und verschwand durch einen schmalen kaum sichtbaren Durchgang.

Hastig zwängten sie sich auf die andere Seite der Palisade und fanden sich auf der Rückseite eines langen Gebäudes wieder.
Feran grüßte den kräftigen Schmied freundschaftlich.
"Sind alle da?"
"Porger, Hilgar und Clahra. Ja. Das Gröbste musste ich ihnen erzählen. Sind ziemlich fertig."
"Irgendwelche Details?"
"Habe dichtgehalten. Kennst mich doch."
Feran nickte anerkennend und wandte sich langsam den Suchern zu.

"Das hier ist Porgers Tischlerei. Die Palisade ist sein Werk. Ist ein junger Bursche aber einer der besten Handwerker die ich kenne. Hilgar ist Wirt, von allen anerkannt, hat echt Haare auf den Zähnen und findet meist klare Worte. Clahra hat einen guten Draht zu den Wachleuten an der Grenze. Sie ist Zureiterin aller Pferde in Dunkelholz. Ohne sie läuft hier und in der Zuflucht nicht viel."

"Warum müssen wir das wissen? Ich habe keine Lust, Worte zu verdrehen. Da sag ich lieber gar nix." Trickser zog seine Mütze tiefer ins Gesicht.

"Sie werden fragen, wer ihr seid und ihr solltet ihnen antworten, ohne euch um Kopf und Kragen zu reden. Sucher kennen sie bereits, aber sie mögen keine Überraschungen. Wichtig ist, dass sie euch vertrauen. Mit den Wandlern gehen wir schon ein großes Wagnis ein." 

"Wir sollen sie anlügen?", fragte Kira. "Nein. Wir sollten aber schlechte Nachrichten nicht auf einmal ausplaudern," erläuterte Vier.

"Schlechte Nachrichten?", schnaubte Ingwer. "Jetzt verstehe ich, warum nicht zumindest Yayu bei uns ist. Wenn ich ihr das erzähle, wird sie das sehr kränken."

"Nicht nur sie, da bin ich sicher", ergänzte Vier und deutete mit seinem Stock auf Feran. "In den nächsten Tagen ist Zeit zum reden. Habt etwas Geduld. Die Lage ist komplizierter und gefährlicher, als sie sich anfühlt."

Nach dem sie sich vergewissert hatten, dass sie unbeobachtet waren, umrundeten sie das längliche Gebäude. Sie kamen an einer regalartigen Konstruktion vorbei, in der mehrere Lagen Holz über dem Boden lagerten. Feran klopfte und kurz darauf öffnete ein rothaariger Mann einen Teil des doppelflügeligen Holztores.

Ohne ein Wort zu sagen umarmte er Feran herzlich. "Kommt alle rein. Offiziell habe ich geschlossen."

Sie betraten die Tischlerei und fanden sich in einer riesigen Werkstatt wieder. Halbfertige Arbeiten standen und hingen überall, Möbel, Räder, Werkzeuge und unzählige andere Gebrauchsgegenstände verrieten Kira, dass Porger wahrscheinlich einer von wenigen Tischlern im Ort war, denn er stellte alles her, was benötigt wurde. Gehilfen hatte er sicher auch. Die insgesamt vier Werkbänke konnte er kaum alleine nutzen.

Vor einer dieser Bänke saßen ein feister Mann mittleren Alters, dessen gepflegter Schnauzbart deplatziert wirkte, aber klug vom spärlich vorhandenen Kopfhaar ablenkte. Er trug eine verschmierte Schürze, mit der er offensichtlich seine riesigen Hände regelmäßig abrieb. Seinen fleischigen Hals, den man kaum mehr Hals nennen konnte, schmückte ein Lederband, dass einen silbernen Ring hielt.

Die ältere Frau neben ihm wirkte müde. Das Haar hastig zusammengebunden starrte sie auf den Boden, die Stirn faltig, die Augen trüb. Ihre schweren Lederstiefel waren nass aber gepflegt. Es war offensichtlich, dass sie täglich mit Pferden arbeitete und Kira war sicher, dass sie älter als alle anderen hier im Raum war.

Porger räumte die Werkbänke leer und entzündete mehrere Öllampen. "Setzt euch, wo Platz ist."

Kira setzte sich auf ein Holzfass links neben ihr. Frischer Farbgeruch lenkte ihren Blick auf einen tiefen Holzkarren, der notdürftig zugedeckt war. Die Spitzen von Holzschwertern, Miniaturkutschen und bemalten Klötzen lugten gerade sichtbar hervor. Der Anstrich glänzte im Lampenschein. Das musste Spielzeug sein.

Weiter hinten sorgte ein Feuer in einem runden Kamin für einladende Wärme.

"Ist es wahr? Sind sie alle tot?" Clahra sah Feran mit geschwollenen Augen an, die übrigen Gäste schien sie nicht wahrzunehmen. Rote Flecken hatten sich auf ihrem Gesicht und Hals gebildet, sie atmete schwer.

"Ja. Alle. Wir kamen leider zu spät.  Es war ein furchtbarer Anblick. Tut mir aufrichtig leid."

"Womit hat sie das verdient? Bei allen Göttern." Sie sprang auf, eilte zur Tür und verschwand.

Hilgar schüttelte den Kopf, richtete sich langsam auf und griff nach einem gut gefüllten Humpen Bier.

"Der Mann ihrer Schwester war einer von ihnen. Lasst sie ein paar Minuten in Ruhe. Sie fängt sich wieder. Auf die Toten." Er hob den Krug, nahm einen tiefen Zug und musterte die Neuankömmlinge.

"Ich hab nicht viel Zeit. Meine Gäste warten. Die Leute sind durchgefroren und wollen essen. Wozu also dieses Treffen?"

Porger, der Becher mit Wasser und Decken an alle verteilte, antwortete gereizt: "Mach mal halblang, Hilgar. Du kennst Deine Leute. Was würde passieren, wenn wir uns nicht hier sondern am Stammtisch in deiner Wirtschaft treffen und halb betrunken erzählen, dass Feran und seine Männer niemanden retten konnten?" Der junge Tischler verschränkte die Arme und sah den Schankwirt herausfordernd an.

"Komm mir nicht krumm, Junge," polterte Hilgar und richtete sich auf. Sein Kopf stieß fast an einen der tieferen Dachträger. Er musste annähernd zwei Meter groß sein. "Es sind unsere Leute und das weißt Du genau. Sie würden tun, was ich auch täte: die eitlen Fratzen der Handlanger des Hochfürsten aufschlitzen und den Tieren zum Fraß vorwerfen."

"Da kämt ihr zu spät, Wirt", bemerkte Vier und stand ebenfalls auf. "Ferans Männer waren da sehr gründlich."

Er drückte sich leicht zitternd hoch, stürzte sich auf seinen Stock und sprach langsamer als gewohnt: "Sie haben uns befreit. Dafür sind wir ihnen dankbar. Ohne ihre Hilfe wären wir nicht hier."

"Die halben Kinder da waren wohl kaum Steine schlagen. An denen ist ja nix dran. Warum wart ihr dort?" Hilgars Miene verfinsterte sich.

Kira gefiel die Stimmung in diesem Raum gar nicht. Sie zog ihre Decke fester um sich und sah Ingwer fragend an. Diese schien sie aber nicht zu bemerken.

"Sie haben uns gefangen genommen", antwortete Jack entrüstet. "Wir waren dort um herauszufinden, was vor sich geht."

Nahezu lautlos kehrte Clahra zurück und schloß behutsam die Tür.

"Hört auf euch gegenseitig anzugiften. Wir hängen da alle mit drin. Du hast recht Porger. Wir sollten überlegen, wie wir es sagen, damit sich das Dorf nicht in einen Lynchmob verwandelt. Dank der miesen Ernte ist die Stimmung schon schlecht genug."

Sie zog aus einer Gürteltasche eine flache Metallflasche, entkorkte sie, roch kurz daran und nahm einen Schluck. Süßlicher Alkoholduft mischte sich unter die schweren, öligen Gerüche, die die Tischlerei ausfüllten.

"Stell uns Deine Gäste vor, Feran. Ich gehe davon aus, sie bleiben in der Zuflucht?"

Feran nickte knapp. "Dort sind sie vorerst sicher."

Hilgar schnaubte. "Mag sein, aber sind Du und deine Leute sicher? Spitzel gibt es überall. Kennst das ja. Die Geschäfte müssen weiterlaufen."

"Das sind wir. Keine Sorge."

Hoffentlich schätzt er das richtig ein, dachte Kira. Oder er lügt, um sie in Sicherheit zu wiegen. So gern sie die Wandler auch hatte, gefährlich blieben sie.

"Das sind Jack, Kira und Ingwer. Sie sind Sucher aus der Gegend um Arwan."

"Geboren bin ich im Feuerwald", ergänzte Ingwer ohne aufzusehen.

Hilgar ging vor ihr in die Hocke: "Dich kenne ich doch irgendwoher. Warst schonmal hier, nicht? An Dein Gesicht erinnere ich mich gut. Es war blutig und zerkratzt. Ganz schön zugerichtet."

"Stimmt. Das ist schon eine Weile her. Deine Nichte Illa hat sich um mich gekümmert. Ist sie noch hier?" Ingwer lächelte, das erste Mal, seit ihrer Flucht.

"Aber sicher. Hat einen Sohn bekommen. Über einen Besuch freut sie sich bestimmt."

Clahra näherte sich Kira. Sie roch nach Leder und Alkohol. "Darf ich?" Sie deutete auf die Hände der Sucherin.

Kira streckte ihre immer noch kalten Finger aus. Clahras Hände waren warm und weich. Sie befühlte die Stelle, an der das Sucherzeichen in die Haut gebrannt wurde.

"Tatsächlich." Sie wirkte nun nachdenklicher als zuvor.

"Das ist Detektor Vier. Er hat die drei aufgespürt und unterrichtet sie auch." Feran nickte Vier anerkennend zu.

"Könnt ihr euch keinen Namen leisten", flachste Hilgar und grinste Vier an. "Oder ist er bloß hässlich?"

"Weder noch", entgegnete der Detektor. "Namen sind verräterisch und erzählen ganze Geschichten. Je nachdem woher man kommt. Detektoren reisen viel. Je weniger Offensichtliches wir mit uns rumtragen, desto sicherer sind wir."

"Für wen arbeitest Du?", fragte Porger.

Ingwer rang mit den Tränen. Die Frage schien sie an ihre Tante zu erinnern. An ihre tote Tante. Kira drückte behutsam ihre Hand und sah Vier flehentlich an.

"Für niemanden."

Die anwesenden Dörfler schwiegen eine Zeit lang. Die Antwort hatte sie überrascht.

"Ein Detektor ohne Auftraggeber und Sucher, die in Minen stöbern und sich fangen lassen. Erklärt uns das", forderte Clahra.

"Wir sind auf der Flucht", sagte Jack leise. "Vor Angor Thyme. Was in der Mine passiert ist, geht auf seine Kappe. Die Fürstin wurde entführt, weil sie all das geahnt hat. Sie ist gestorben und wir mussten herausfinden, ob sie recht hatte."

"Sie war meine Tante", sagte Ingwer. "Zu ihr bin ich nach dem Tod meiner Eltern geflüchtet."

"Das tut mir sehr leid, Ingwer", sagte Clahra. "Ich teile Deinen Verlust."

"Pah. Klar ist das schlimm, aber Fürstenpack hat uns immer nur Ärger gemacht," presste Hilgar hervor. "Werdet ihr verfolgt? Kreuzen Angors Truppen hier auf, raste ich aus, das sage ich euch."

"Fürstenpack?", fauchte Ingwer und sprang mit geballten Fäusten auf. "Tante Quinia war weitaus weniger Pack als Du, Wirt." Vier hielt sie fest und zog sie zurück. "Nicht Ingwer. Das bringt nichts."

"Wir haben mit Fürsten bisher sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Das meintest Du doch, Hilgar?" Polger sah den Wirt fragend an.

"Ach, quatscht nicht. Ihr wisst wie ich das meine. Nimms nicht persönlich Ingwer. Über die Fürstin weiß ich eigentlich nichts."

"Sie bleiben in der Zuflucht, versprochen", sicherte Feran zu. "Wenn Angors Leute hier auftauchen sollten, werden sie niemanden finden. Versprochen."

"Wir vertrauen auf Dein Wort", sagte Porger. "Erzählt uns, was in der Mine geschehen ist."

Gemeinsam schilderten sie die Vorgänge in der Mine, erzählten vom Ritual und den grausamen Praktiken der blauen Frau. Sie erwähnten auch, dass die khoorischen Soldaten augenscheinlich keine waren und sie Elis als auch die Gefangenen haben laufen lassen müssen. Aber nicht, dass es die Wandler gab.

"Schwierige Entscheidungen waren das. In meinen Augen aber die Richtigen", verteidigte Feran. "Ich übernehme dafür die Verantwortung".

"Dann laufen die, die unsere Leute auf dem Gewissen haben weiter fröhlich durch die Lande. Ich fasse es nicht." Hilgar schüttelte den Kopf, starrte in seinen nunmehr leeren Becher und knallte diesen auf eine Werkbank. Mit einem deutlich hörbaren knacken barst dieser in zwei Teile.

Clahra sank in Zeitlupe auf den Boden, fixierte einen Punkt an der Decke, die Hände zum Gebet verschränkt: "Wenn doch nur alles gelogen wäre. In Steinen? Nicht zu glauben. Ist es möglich, sie zu finden? Dann haben die Leute wenigstens einen Teil ihrer toten Familienangehörigen bei sich."

"Die meisten überleben das Ritual nicht und gehen zu den Göttern", sagte Ingwer leise und starrte in die Flammen des Kaminfeuers. "Wenigstens diese Gnade erfahren sie."
Kira hatte ihren Kopf an Ingwers Schulter gelehnt und genoss die Nähe. Sie fand, dass Vier sich merkwürdig bedeckt verhielt. Diesen glasigen Blick von ihm entdeckte sie immer häufiger seit ihrer Flucht. Ob er seinen Spürstein noch besaß? Wäre es meiner, würde ich ihn behalten?
Als ob er ihre Gedanken gehört hätte sah er ihr in die Augen, holte Luft und begann, vorsichtig in seiner Gürteltasche zu wühlen.
Feran, der neben ihm stand, berührte ihn wie zufällig am Arm, aber Kira war klar, dass es pure Absicht war.
"Lass nur. Das muss sein.", murmelte Vier, suchte weiter und beförderte einen dunklen Leinenbeutel zu Tage, den Kira nur zu gut kannte. Den Stein schüttete er auf die Werkbank vor ihm.
"Jeder Detektor besitzt einen. Es wären einige weniger, wenn sie wüssten, was sie bei sich tragen," sagte er verbittert.

Porger trat vorsichtig näher und zeigte auf Viers Werkzeug: "Kennst Du seinen Namen?" Die dunkle Oberfläche berührte er nicht.

"Sie sprechen nicht", antwortet Ingwer und richtete sich so plötzlich auf, dass Kira Mühe hatte, die Balance zu halten. "Man kann sie fühlen, aber auch nicht immer."

"Wustest Du davon, als Du Detektor wurdest?", fragte Tamm und stupste den Stein einige Zentimeter über die schartige Holzplatte. "Ich glaub die haben Dich schön verarscht. Haben sie doch?"

"Als alles begann, gab es noch keine Spürsteine. Die Arbeit war viel schwerer." Vier wickelte das Tuch um das Artefakt und verstaute es hastig. "Stell Dir vor, Du bestellst Dein Feld nicht mit Pflug und Ochse, sondern zu Fuß und mit bloßen Händen."

"Klingt nach viel Frust", schmunzelte Hilgar und schmiss den kaputten Becher auf einen großen Stapel mit Holzresten. "Da sind ganz dunkle Mächte am Werk, wenn ihr mich fragt."

"Wenn mal etwas sein sollte, wendet euch an Hilgar, Clahra oder mich."

Der Tischler griff hinter eine der Werkbänke, zog einen großen Sack hervor und schleifte ihn neben die Tür.

"Den sollte Tamm nehmen", sagte er grinsend zu Feran. "Du weißt Bescheid?"

"Sicher. Becher und Teller, oder?"

Porger nickte und wandte sich den anderen zu. "Für morgen Abend sollten wir ein Treffen auf dem Marktplatz ankündigen. Clahra, Du bist die Älteste, Du kannst schlechte Botschaften am besten rüberbringen. Übernimmst Du die Aufgabe?"

Die Angesprochene sah Hilgar an. "Dir dürfte das schwerfallen, auch wenn Dich alle mögen. Lass mich das machen."

"Nur zu. Diplomatisch quatschen steht Frauen eh besser."

"Sie lügen auch besser", entgegnete Clahra spitz. "Was wir über die Steine und deren Inhalt wissen, behalten wir für uns. Zu niemandem ein Wort, verstanden?" Sie sah jeden der Anwesenden an. Kira fiel auf, dass sie die Sucher besonders lang musterte.

"Werden Soldaten anwesend sein?" Porger sah Clahra fragend an.

"Unwahrscheinlich. Findlingbanden wurden in letzter Zeit häufiger nahe der Grenze beobachtet. Passiert ist noch nichts aber die Patrouillen wurden verstärkt. In beide Grenzrichtungen."

"Gut. Dann sind wir ungestört, Markt ist erst in drei Tagen und Gäste sind es in dieser Jahreszeit nicht mehr viele. Brechen Tumulte aus, müssen wir wohl selbst damit fertig werden." Porger wandte sich den Suchern und Vier zu: "Ich kann mit euch rechnen? Es werden Fragen kommen, die nur ihr beantworten könnt."

"Ich habe nichts dagegen, solange ich was zu essen und ein Bett bekomme und das am besten bald.", grummelte Jack.

"Hier ist es warm. Wenn euch der Geruch nicht stört, ihr könnt hier übernachten. Hilgar wird euch sicher Essen und Trinken besorgen können. Betten und Decken treibe ich auf. Dann müsst ihr nicht den ganzen Weg zurück laufen. Wie klingt das?"

"Gut. Bleiben wir hier." Jeder Teil von Kiras Körper fühlte sich schwer und müde an und lechzte nach Schlaf. Auch wenn hier alles aus Holz bestand, fielen ihr die Augen fast zu. Keine Energie für großartige Vorsicht. Außerdem wussten alle Anwesenden was zu tun ist, falls ich etwas versehentlich in Brand stecke.

So endete der Tag früher als üblich.

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