Nebelgeister
Weit kamen sie an diesem Tag nicht mehr. Heftiger Regen setzte Vier und den Suchern stark zu, so dass sie gezwungen waren, sich einen Unterschlupf zu suchen. Ein netter Viehbauer mit der größten Nase, die Kira je gesehen hatte, gestattete ihnen zu bleiben. Er hatte einen pechwarzen Humor und erzählte unentwegt Witze über ein habgieriges Zwergenvolk südlich von Khoor von dem auch Vier nicht sagen konnte, ob es wirklich existierte.
Immerhin verbrachten sie einen gelösten Abend, auf den eine schlaflose aber immerhin trockene Nacht folgte. An Ruhe war kaum zu denken, denn die Tropfen hämmerten unentwegt und mit überirdischer Kraft auf die Wände des Holzhauses ein.
Am frühen morgen war die Stimmung schlecht. Vor allem Kira fiel es unendlich schwer, die gewohnte Umgebung verlassen zu müssen. Sie war überglücklich, dass Johan an ihr Tagebuch gedacht hatte und sie konnte nicht anders, als die Nacht hindurch alles zu notieren, was ihr in den Sinn kam. Ihre Sorgen wurden zwar nicht weniger, aber die Seiten des Buches schienen die Ordnung, die ihre chaotischen Gefühle ihren Gedanken nicht gönnten, ein wenig wiederherstellen zu können.
Ingwer blieb ebenso wie sie wach, war aber zu erschöpft, mit ihr zu sprechen und nickte immer wieder ein. Kira tat ihre Freundin sehr leid. Ab und an strich sie ihr über die Wange, während sie schlief. Wer weiß, ob nicht Yus, die Göttin des Gleichgewichts ihr dadurch schönere Träume schickte? Ihr Leben bestand aus einer Reihe trauriger Verluste. Erst ihre Eltern, dann ihre einzige Verwandte und nun musste sie den Ort verlassen, der eigentlich eine sichere Heimstatt sein sollte. Kira schwor sich, sie niemals im Stich zu lassen.
Am morgen des nächsten Tages schlief Kira tief und fest bis sie unsanft geweckt wurde. Sie war eingenickt und hatte das aufgeschlagene Buch als Kopfkissen benutzt.
"Sei nicht so grob, Jack," sagte Vier leise.
"Aber sie schnarcht so laut," entgegnete dieser entrüstet.
Kira zwang ihre Augen auf und starrte in einen Becher heißer Suppe, die Vier ihr hinhielt: "Das mit dem Buch ist keine gute Idee," sagte er so laut, dass es alle hören konnten. "Wir würden es wem auch immer sehr einfach machen. Ich hatte nicht vor, unseren Verfolgern eine Einladung zukommen zu lassen."
Alle nickten betreten, aßen hastig und setzten ihre Reise bei Sonnenaufgang fort. Je weiter sie nach Osten kamen, desto karger und hügeliger wurde es. Ingwer erzählte selten mal etwas über ihre Reise nach Arwan, erinnerte sich aber daran, dass sie auf ihrem Weg zu Quinia hier gewesen sein musste. Aber diese Erinnerung war alt und blaß.
Vier hingegen kannte sich gut aus und erzählte spannende Geschichten über den Landstrich, berichtete von Überfällen, mit denen aktuell aber nicht zu rechnen sei, schilderte Schlachten zwischen verfeindeten Bauernschaften und auch von Bränden, die zahlreiche Familien ins Unglück stürzten. Das alles sei lange her.
Kira mochte ihn sehr. Sie schätzte seine Aufrichtigkeit und seinen Mut, aber auch seine Bereitschaft, die drei Sucher abzulenken, gerade jetzt. Manchmal konnte er aber auch nerven, obwohl allen klar war, dass er es nur gut meinte. So schärfte er ihnen während einer der zahlreichen Pausen mehrfach ein, ausschließlich mit Münzen zu zahlen. Wie man Sucher erkennen konnte, war landläufig bekannt und um seinen Rat zu untermauern kaufte er von einem fahrenden Händler warme Lederhandschuhe, die das verräterische Zeichen verbergen sollten.
Drei lange Tage vergingen. Bis zu den Kopalbergen war es nicht mehr weit. Schon von weitem waren die drei dunklen Spitzen zu sehen, die wie gekrümmte Finger in den Himmel ragten. Es war kühler geworden, aber immerhin blieb es trocken. Kira war aufgefallen, dass Vier sich in den letzten Stunden vermehrt umgedreht hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Sie sprach ihn an, während sie an einem kleinen Bach Rast machten: "Ist irgendetwas nicht in Ordnung? Ständig bleibst Du stehen, gehst vor, wartest. Das ist merkwürdig."
"Werden wir etwa verfolgt?" Ingwer sah sich besorgt um.
Vier nickte zustimmend: "Zuerst war ich mir nicht sicher. Aber mein Instinkt sagt mir, dass es so ist. Wer immer das ist, tarnt sich meisterhaft. Seht ihr die Feldformation einige Dutzend Schritt hinter mir? Dort vermute ich ihn oder sie in diesem Moment."
"Lasst uns eine Falle stellen", schlug Jack mit funkelnden Augen vor.
"Du bist ja lustig", giftete Ingwer. "Wer weiß, wer das ist? Wenn er von einem Spürstein aufgefunden werden kann, ist es einer vpn uns. Möchtest Du Lockvogel spielen? Ich nicht. Mir reicht es langsam." Sie trat mit voller Wucht gegen Stein, der mit hörbarem klacken in einem nahen Gebüsch einschlug.
"Nun beruhigt euch bitte. Ich bin sicher, dass es nicht mehrere sind und ich habe sogar eine Ahnung, wer uns gefolgt ist."
Kira stockte kurz der Atem: "Könnt ihr hellsehen?"
"Gewiss nicht. Ich würde eher von hellspüren sprechen. Das funktioniert allerdings nur bei besonderen Menschen, müsst ihr wissen." Vier lächelte schelmisch und legte demonstrativ seine Hand auf eine seiner Seitentaschen.
Ingwer, die etwas entfernt stand und genervt mit den Füßen getrippelt hatte, schaltete am schnellsten: "Es ist ein Sucher?"
"Nicht direkt. Seine Kraft ist einmalig und gefährlich zugleich, vor allem für ihn selbst. Ich habe ihn vor längerer Zeit abgelehnt und er wurde nie offiziell aufgenommen. Was ihn hierhertreibt kann ich nur ahnen. Aber das kann er uns sicher selbst erzählen. Wir werden ihn überraschen, ohne dass uns etwas geschieht. Wie ihr seht, krümmt sich der Weg weiter nördlich und führt an einem kleinen Waldstück vorbei. Sobald wir dieses erreichen, wird Jack zurückbleiben und sich verstecken. Wir drei gehen weiter. Dass jemand fehlt, wird er hoffentlich nicht bemerken. Und schon sitzt er in der Falle."
"So machen wir es. Ich habe keine Lust, irgendeinen Unbekannten in meinem Nacken zu spüren." Ingwer stapfte entschlossen voran.
Bald darauf erreichten sie die Wegbiegung und Jack verschwand hinter einer dicht gewachsenen Baumgruppe. Der Weg führte leicht abwärts und kreuzte einen kleinen Bachlauf, dessen Ufer durch eine ordentlich befestigte Holzbrücke verbunden wurden. Als sie diese erreicht hatten, riskierte Kira einen Blick zurück. Nichts regte sich.
Vier schien ihre Sorge bemerkt zu haben, denn er legte ihr eine Hand auf die Schulter.
"Vertrau ihm. Er wird das gut machen."
Ein paar Atemzüge lang geschah nichts. Dann, wie aus dem Nichts, verschwand ein Teil des Waldbodens unter einem Netz silbriger Rauchschwaden, die sich rasend schnell ausbreiteten. Es war genau jene Stelle, die Jack als Versteck ausgeguckt hatte und die nun wie eine undurchdringliche Wand alle Blicke verschluckte.
Die jungen Sucherinnen schienen wie erstarrt als sie sahen, was geschah. Vier hingegen lächelte nur und machte bereits Anstalten, umzukehren.
Kira wurde sehr wütend. Was hatte er ihnen verschwiegen? Gab es keinen Grund, sich Sorgen zu machen?
"Warum grinst ihr? Ich finde das nicht komisch!"
Der erfahrene Detektor schmunzelte und schien nun doch zu bemerken, dass es gut gewesen wäre, die Gefährten einzuweihen:
"Entschuldigt. Nein, Grund zur Sorge gibt es nicht. Dieser Nebel ist zwar furchteinflößend, aber völlig ungefährlich. Ich glaube auch nicht, dass Jack etwas zugestoßen ist. Darüber hinaus wird uns der junge Mann, der Schuld an dieser unwirklichen Szene ist, sicherlich auch etwas zu Quinias Entführung sagen können, wenn ich mich nicht täusche."
Als Ingwer den Namen ihrer Tante hörte, fing ihr Herz an zu rasen. Sie ballte vor Wut die Fäuste und ihre Füße setzten sich fast wie von selbst in Bewegung. Vier konnte sie nur mit Mühe zurückhalten. Ehe sie sich losriss, gab er ihr einen Rat: "Ich verstehe Deine Wut. Aber lasse sie nicht an ihm aus. An Quinias Tod ist er nicht schuld. Glaub mir."
"Das ist mir verdammt nochmal egal!" Ihre Stimme überschlug sich. Bevor sie zu einem Kreischen wurde, rannte sie voran, so schnell sie konnte.
Der Nebel verzog sich langsam. Kira und Vier eilten hinterher. Schon bald erreichten sie die Biegung und sahen Jack, der kniete und eine schmächtige Person im Schwitzkasten hielt. Es war ein junger Mann, der wild mit den Arm ruderte, aber gegen seinen Widersacher keine Chance hatte. Dichtes Wurzelwerk lag locker um ihn herum. "Hierher," rief Jack. Sein Gefangener drehte den Kopf und entblößte ein wutverzerrtes Gesicht. Die kurzen Haare klebten feucht an ihm, die abgetragene Kleidung war rissig und übersäht mit Dreck. Dunkle Augen funkelten die Sucher hasserfüllt an. Kira schätzte, dass er nicht älter als zwanzig Sommer sein konnte.
Ihr Verfolger versuchte erneut, sich zu befreien. "Lass mich los, du schmieriger Hund."
Vier baute sich mit verschränkten Armen vor ihm auf: "Reg Dich ab. Immerhin hast Du uns verfolgt. Nicht immer sehr geschickt, aber bemüht." Der Angesprochene zuckte bei diesen Worten zusammen, als hätte ihn ein heftiger Schlag getroffen. Vier bedeutete Jack, ihn loszulassen. "Er wird nicht fliehen."
Widerwillig löste Jack seinen Griff, blieb aber wachsam. Kira bemerkte, dass Ingwer große Mühe hatte, ihre Wut im Zaum zu halten. Sie stellte sich versetzt zwischen die beiden, fühlte sich aber nicht ganz sicher.
"Stell Dich doch einfach mal vor", sagte der Detektor. "Und keine weiteren Spielchen. Du würdest es bereuen."
"Jaja, schon gut. Man nennt mich Trickser." Vorsichtig zog er die Augenbrauen hoch und musterte jeden, die Arme verschränkt.
"Sehr gesprächig bist Du ja nicht. Ist das Dein richtiger Name?" Kira konnte das kaum glauben.
"Nein. Ist er nicht. Ich habe ihn mir ausgedacht. Aber warum, das geht euch gar nichts an."
"Und woher kennt ihr euch?" Jack nickte in Richtung des Detektors, der aber keine Anstalten machte, etwas zu sagen. Trickser errötete und sah zu Boden.
Augenblicke vergingen, in denen kein Wort fiel. Sichtlich genervt begann Vier, zu erzählen:
"Ich kenne Trickser schon recht lange. Er wäre einer meiner ersten Sucher geworden, wenn ihn nicht unglückliche Umstände dazu gebracht hätten, einen anderen Weg einzuschlagen. Also wurde er ausgeschlossen." Erwartungsvoll sah er den jungen Mann an. Nur widerwillig erzählte dieser kleinlaut:
"Sags doch einfach. Einiges ist schiefgelaufen und ich musste eine Weile in den Knast. Nicht, dass es einen guten Grund dafür gab. Man hat mir was angehängt, das schwöre ich. Aber das ist lange her."
Kira fand, dass er die Worte quasi im Mund zermahlte und ausspieh. Zumindest klang es so. Wo mochte er wohl herkommen?
"Lange her?", echote Ingwer. "So alt bist Du doch noch nicht."
"Für meine Kindheit kann ich ja wohl nichts, oder? Wir können ja gerne tauschen, Schätzchen." Er verzog verächtlich die Mundwinkel.
Das war zuviel für die angesprochene Sucherin. Sie packte den sichtlich überraschten Trickser am Kragen und zog ihn mit aller Kraft an sich heran. Wutentbrannt schleuderte sie ihm entgegen: "Das nimmst Du zurück, du verzogener Bastard. Als ob nur Du allein es nicht leicht gehabt hättest. Ich weiß nicht mal mehr, wie meine Eltern aussehen, so lange sind sie schon tot."
Kira ging beherzt dazwischen: "Wenn Du ihn erwürgst, ist das nicht besser, als alles, was er vielleicht getan hat. Bitte beruhige Dich. Ich möchte noch herausfinden, was er mit Quinias Entführung zu tun hatte."
Ingwer ließ Trickser los. Ihre Lippen zitterten vor Aufregung. Jack kramte in seiner Tasche und zog ein Knäuel duftendes Wurzelwerk heraus: "Hier. Kau das. Es wird Dich beruhigen." Ingwer nahm es, steckte es in den Mund und schwieg.
Jack fuhr fort: "Du kommst nicht von hier, oder?"
"Nein. Ich stamme aus Haffheim, das liegt südwestlich der Eisfelder. Es würde mich wundern, wenn ihr davon gehört hättet."
Als Vier in fragende Gesichter blickte, fügte er hinzu: "Haffheim ist von Arwan etwa 14 Tagesreisen entfernt. Ein ziemlich rauher Fleck Erde. Ich war selbst schon dort. Aber guten Schnaps haben sie da."
"Warum bist Du uns nun gefolgt?" Kira rieb ihre Hände, um etwas Wärme zu erzeugen. Es hatte sich merklich abgekühlt. "Ausrauben wolltest Du uns nicht, oder?"
"Das interessiert mich gerade nicht sonderlich. Was hast Du mit meiner Tante gemacht? Spucks schon aus!" Ingwer sah Kira entschuldigend an.
Trickser blickte unsicher von einer Sucherin zur anderen und entschied sich dann dafür, Ingwers Frage zuerst zu beantworten: "Ich habe eine Zeit lang als Söldner gearbeitet. Eigentlich wollte ich das nie, aber meine Fähigkeiten sind einigen Menschen viel Geld wert und von irgendetwas musste ich ja leben. Die letzte beiden Jahre habe ich für Alorn Bruchweg gearbeitet. Ihr kennt ihn bestimmt. Er zahlte gut und ich musste nie viel tun. Habe ihm geholfen, wenn Kunden nicht gezahlt haben. Ihr wisst schon."
Trickser vergrub die Hände in den Taschen und wartete auf eine Reaktion. Vergeblich.
"Eines Tages erzählte er mir davon, dass er die Fürstin entführen wollte. Ich habe ihm gleich gesagt, dass ich das nicht machen werde, aber er beharrte drauf. Da ich ihm noch einiges schuldete, habe ich dann doch zugesagt. Hätte ich das nicht getan, säße ich jetzt wieder im Kerker. Obendrein hat er damit gedroht, meinem Vater Schwierigkeiten zu machen, der auch Händler ist. Ich hatte keine Wahl."
"Natürlich hattest Du die, Du Idiot!", fauchte Ingwer und spuckte vor ihm auf den Boden.
"Du warst das mit dem Rauch, stimmts?", fragte Jack.
Trickser nickte schwach: "Wenn jemand unerkannt bleiben möchte, habe ich ausgeholfen. Aber ich mache das nicht mehr. Ich selbst habe die Fürstin auch nicht entführt sondern die gedeckt, die es taten. Es war auch nie die Rede davon, sie umzubringen. Was Alorn mit ihr vorhatte, weiß ich nicht. Er tat immer sehr geheimnisvoll, faselte ständig etwas von ewigem Leben. Vermutlich hat er zuviel gesoffen."
Vier blickte sehr ernst in die Runde: "Ihr seht nun, was Kräfte in den falschen Händen anrichten können. Auch deshalb gibt es die Sucher - um zu verhindern, dass Gier und Hass euch zu Boshaftigkeiten und Rachsüchteleien verleiten. Schlechte Gesellschaft gibt es überall."
Die Worte des Detektors schien Ingwer nur am Rande mitbekommen zu haben: "Denkst Du, das macht irgendetwas besser?"
Jack setzte sich auf einen Baumstumpf: "Lass gut sein. Immerhin ist er ehrlich. Aber all Deine Wut bringt Quinia nicht zurück. Das Gefühl kenne ich. Als mein Onkel Mick an einer unbekannten Krankheit starb, hab ich unseren Haushalt halb zerlegt. Außer einer gebrochenen Hand hat mir das nichts gebracht. Von den Toten auferstanden ist er auch nicht. Ist zwar schon etwas her, aber es hätte gestern sein können, so sehr verfolgt es mich bis heute."
Ingwer schwieg. Sie tat dies eine ganze Weile und niemand sprach währenddessen, als ob alle ahnten, dass etwas Wichtiges in ihr vorging. Leichter Regen setzte ein.
Als sie ihre Stimme hob, klang sie fester und bestimmter: "Warum bist Du uns gefolgt?"
Kira ergänzte schnell: "Und woher wusstest Du, dass wir fliehen?"
"Ich wusste es nicht. Aus Zufall habe ich euch gesehen. Da Vier dabei war, wusste ich, dass etwas nicht stimmt." Er wartete einen Atemzug, als ob er eine verräterische Geste oder eindeutige Reaktionen abwartete. Dann fuhr er fort: "In Arwan hält mich nichts mehr. Seit Angor Thyme dort regiert, wollte ich einfach nur weg. Aber wohin und mit wem wusste ich nicht."
Kira sah Vier an: "Was ist mit diesem Angor? Gibt es etwas, was wir wissen sollten?"
Der Detektor starrte ins Leere und hielt seinen Wanderstab wie eine Krücke, die ihm Halt gibt: "Angor ist kein dahergelaufener Emporkömmling, sondern oberster Advisor des Hochfürsten. Er war es, der die Detektoren ins Leben rief und das Sucher-Programm mitbegründete. Wir mochten uns nie wirklich, weil wir verschiedene Ansichten darüber hatten, wer für das Programm geeignet war und wer nicht. Aber er ist sehr einflussreich. Ihn zu fürchten, ist nicht verkehrt."
Jacks Miene verfinsterte sich: "Dann wird er alles daran setzen, uns zu finden, nicht? Wenn er uns ziehen ließe, würde er sich selbst ein Bein stellen."
Vier nickte zustimmend: "Ja, genau das vermute ich. Er wird sich nicht die Blöße geben und uns in Ruhe lassen. Aber wir schweifen ab." Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
Trickser fühlte sich ertappt: "Ich weiß zwar nicht, warum ihr geflohen seid, aber für mich ist Angor wie ein Schatten, der mich verfolgt und Unglück bringt. Er hat entschieden, dass ich kein Sucher werde und er hat meiner Familie großen Schaden zugefügt. Am liebsten würde ich ihn mit bloßen Händen erwürgen, so sehr hasse ich ihn."
Vielleicht wusste er nicht, dass die Fürstin tot ist, dachte Kira und erschrak. Sollten sie ihn einweihen? Eigentlich war es ihr egal, denn er erweckte nicht den Eindruck, dass er Böses im Schilde führte und er ahnte ohnehin etwas. Zumindest schien es so. Sie sah Vier hilfesuchend an und als ob er ihre Gedanken lesen könnte, nickte er beiläufig.
"Die Fürstin ist tot," flüsterte sie.
Trickser sah sie ungläubig an. "Was? Ich dachte er hätte sie abserviert und verbannt oder so. Wie ist sie gestorben?"
"Bei dem Versuch, sie zu befreien," sagte Jack. "Es war ein Unfall."
"Den ihr verursacht habt?"
"Nicht 'ihr', ich bin es gewesen," berichtigte Ingwer und biss sich unwillkürlich auf die Lippen. "Ich war sicher, dass es funktioniert. Und jetzt habe ich sie auf dem Gewissen."
"Das tut mir sehr leid. Du hast sie sicher sehr gemocht. Ihr wahrt verwandt nicht?"
Ingwer nickte vorsichtig: "Woher weißt Du das?"
"In meinem Beruf muss man Augen und Ohren an vielen Orten haben." Trickser tat so, als nähme er seine Augen aus ihren blassen Höhlen und setzte sie auf einen Baumstumpf in der Nähe.
Vier, der ruhig zugehört hatte, ließ seinen Blick umherschweifen. Das Rauschen des Flusses übertönte alle Geräusche des Waldes. Sie hatten an diesem Tag noch einiges vor und mussten den Abstand zu ihren Verfolgern vergrößern: "Es ist richtig. Wir fliehen, weil ich sicher bin, dass Angor die Sucher zumindest verbannen wird. Wenn ihm nicht sogar Schlimmeres einfällt. Da er mich vermutlich mitanklagt, reisen wir zusammen. Wir tun das aber vor allem, weil die Chance besteht, Quinias Andenken zu bewahren. Wir folgen einer Spur, aber das erklären wir Dir später. Die Zeit drängt. Wer dafür ist, dass Trickser mitkommt, hebe seine Hand. Meine Stimme zählt dabei nicht."
Der Detektor verschränkte die Arme.
Kira fand, dass ihr Mentor ziemlich mitgenommen aussah. Ganz anders, als er sie bei Ihren Eltern aufgesucht hatte. Die Wangenknochen waren deutlicher sichtbar und er schien kaum geschlafen zu haben. Sie musterte den Neuankömmling und hob dann die Hand. Ingwer tat es ihr gleich, benötigte aber länger für die Entscheidung. Jack schüttelte nur den Kopf: "Je mehr wir sind, desto eher fallen wir auf. Nebelwolken hin oder her. Nimms nicht persönlich, ja? Ich bin nur vorsichtig."
"Dann ist es beschlossen. Ihr habt eine gute Entscheidung getroffen. Mit Tricksers Hilfe sind wir schlagkräftiger und reisen sicherer. Nun kommt. Wir müssen los."
Vier griff nach seinem gebogenen Stab und stapfte los. Den Rest des Tages kamen sie gut voran, nächtigten früh und setzten ihre Reise zügig fort.
Kira gefiel es hier sehr, was sie ihre Sehnsucht nach Zuhause etwas vergessen ließ. Üppige Gras- und Weidelandschaften zeugten von einer guten Fruchtbarkeit der Böden und so war es nicht überraschend, an kleineren Bauernschaften vorbeizuziehen, bei denen sie ihre Vorräte auffüllen konnten.
Je weiter sie in nach Südosten kamen, desto weniger schützende Waldflächen gab es. Gegen Mittag erreichten sie eine halb zerstörte, befestigte Straße, die schon bald schmaler wurde und schließlich ganz verschwand. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit tauchten mehrere starre Lichter am Horizont auf, die von den ersten Ausläufern des Kopalberges umarmt wurden, als müsste das gigantische Massiv vor irgendwem schützen.
Kira kniff die Augen zusammen. Reiter waren das nicht. Ein klammes Gefühl machte sich in ihr breit. Sie spürte, dass sie ihre Finger in die Handflächen gebohrt hatte.
Als sie näher kamen, war sie erleichtert. Es waren Häuser, sogar eine Menge. Jack, der in den letzten Stunden unentwegt über Gott und die Welt geflucht hatte, brachte es auf den Punkt: "Hoffentlich gibt es dort Betten."
"Die gibt es." Vier klopfte Jack auf die Schulter: "Was ihr seht, ist das Dorf der Wächter. Einer der merkwürdigsten Orte, die ich je bereisen durfte."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro