Eine merkwürdige Warnung
Bis zum Mittag war es noch Zeit. Obwohl sie befürchteten, dass einige Einwohner Arwans sie noch fortjagen würden, statteten sie mutig einigen Geschäften einen Besuch ab. Mit dem Ring zu bezahlen war ungewohnt aber die Händler akzeptierten diesen anstandslos. Zum Glück blieben negative Reaktionen seitens der Bürger nahezu aus. Nur hin und wieder ernteten die Sucher durchdringende aber flüchtige Blicke. Die Flugblätter mit den Zeichnungen ihrer Gesichern waren verschwunden.
Rechtzeitig erreichten sie das Rathaus in der Nähe des zentralen Marktes. Nach kurzer Zeit erblickten sie ein bekanntes Gesicht, auf dem sich ein herzliches Lächeln formte, als es die drei sah.
"Laya?" Kira kniff die Augen zusammen. Die Priestergewänder hatte sie gegen einen streng geschnittenen, langen Mantel eingetauscht. Dunkle Lederschuhe lugten darunter hervor.
"Hallo ihr drei. Es freut mich euch zu sehen. Habt ihr es bei Gor nicht mehr ausgehalten?"
"Doch. Er war ganz nett," entgegnete Ingwer freundlich. Laya schien zu spüren, dass die junge Sucherin mit den Gedanken woanders war.
"Keine Sorge Kind. Wir werden sie finden. Früher oder später. Ihr entschuldigt mich? Ich muss mich vorbereiten. Wen sucht ihr?"
"Carl Windfall. Wir wollten uns erkundigen, ob Arlon Quinia entführt hat. Johan machte Andeutungen." Jack sah sich suchend um.
"Das alte Plappermaul. Hört zu. Ich kann dazu nichts sagen. Carl müsste gleich hier sein. Ich gehe davon aus, dass er als Aufseher der Bünde mit Arlon gesprochen hat. Vielleicht kann er euch einen Tipp geben. Da kommt er übrigens."
Mit einem leichten Knicks winkte Laya zum Abschied und verschwand im Inneren des Gebäudes.
Carl ließ nicht lange auf sich warten. Seine Schritte wirkten seltsam staksig, so als ob er sich mit jedem Aufsetzen des Fusses versichern wollte, dass der steinerne Boden ihn hält. Er war über und über in dünnen blauen Stoff gehüllt, ein schmaler Schal verdeckte sein Kinn.
Kira stellte sich ihm in den Weg: "Verzeiht. Seid ihr Carl Windfall?"
"Wer möchte das wissen?" Er machte Anstalten, weiterzugehen, während er sprach.
"Das sind Jack und Ingwer, ich bin Kira. Wir sind die Sucher. Johan sagte uns wir würden euch hier finden. Er lässt grüßen."
"Sucher. Sososo. Ihr seid das? Den Ärger, den ihr veranstaltet habt, sieht man euch nicht an. Nun gut. Ich kenne Quinia schon lange und vertraue ihrem Urteil, was die Auswahl der Sucher angeht. Euch ist klar, dass ihr euch dafür verantworten müsst, wenn der unschöne Spuk hier vorbei ist?" Seine Stimme hob und senkte sich rhythmisch.
Kira ahnte, dass der Vorsteher der Bünde wenig Verständnis für ihre Situation aufzubringen schien. "Das wissen wir. Es tut uns leid, was passiert ist. Mit dem Bäcker haben wir gesprochen und uns entschuldigt."
"Aha. Na gut. Das ist für den Anfang das Mindeste, was ihr hättet tun können. Aber deswegen seid ihr nicht hier, oder?"
Das Ratsmitglied tippelte nervös mit dem rechten Fuss. Kira sah ihn an und dachte nach. Vielleicht trug er seinen Namen, weil ihm alles nicht schnell genug ging? Ein ruhiger Zeitgenosse war er nicht.
"Wisst ihr, wer die Fürstin entführt hat," fragte Ingwer und verschluckte sich dabei fast.
"Man sagte uns, dass es Arlon gewesen sein könnte. Stimmt das?" ergänzte Jack. "Den konnte ich noch nie leiden."
"Wer sagt das? Egal. Ihr seid Sucher und werdet eure Quellen haben. Arlon ist es in der Tat gewesen. Darüber zu niemandem ein Wort, verstanden?"
"Wir werden schweigen. Ehrenwort." Ingwer überkreuzte zwei Finger zum Schwur und lächelte.
"Probiert es in den Hallen der Wachen. Sagt Hauptmann Garvan, ich hätte euch geschickt. Aber seid gewarnt. Er wollte ohnehin mit euch über die Sache auf dem Markt sprechen. Zieht euch warm an. Sein Spitzname lautet Meister Jähzorn."
Mit diesen Worten nickte er knapp und eilte in das Innere des u-förmigen Gebäudes, dessen schmale Fenster Tag und Nacht verschlossen waren.
Garvan war leicht zu finden. Sie entdeckten ihn heftig diskutierend vor der Wachbarracke, vertieft in eine Unterhaltung mit einem jungen Mann, der schuldbewusst mit gesenktem Kopf zuzuhören schien.
Der Hauptmann war hoch gewachsen, seine Haut tiefbraun und mit Narben übersäht. Kira war sich nicht sicher, ob er hier aus der Gegend stammte. Seine lederne Rüstung hatte bessere Tage gesehen, ein dünnes Schwert baumelte an seinem Gürtel.
Als er die drei sah, bedeutete er ihnen näher zu treten. Der Junge nahm die Beine in die Hand und macht sich aus dem Staub.
"Ihr müsst Kira, Ingwer und Jack sein?" Er musterte die drei eingehend. "Wir haben einen guten Zeichner, der Bilder von Flüchtigen anfertigt. Wirklich gut, der Mann." Er drückte einen Finger auf das rechte Nasenloch und schneutzte sich.
"Das war mein Sohn. Hatte nichts besseres zu tun als zu klauen. Als ob ich ihm das beigebracht hätte. So ein Früchtchen. Unglaublich."
"Wir waren beim Ratsmitglied Windfall, er hat uns erzählt, sie könnten uns helfen," bemerkte Ingwer.
Der Wachmann neigte den Kopf vor und flüsterte: "Ihr solltet euch zunächst selbst helfen und nicht so einen Mist verzapfen. Wisst ihr eigentlich wie lange mich Johan genervt hat, damit ich euch nicht einsperre, wie es sonst mit jedem anderen passiert wäre? Entführer seid ihr keine, aber schreckhafte Angsthasen. Naja, vielleicht ändert sich das noch."
"Ist es Arlon gewesen?" Kira war eine Sekunde schneller als Ingwer.
Garvan nickte. "Einer meiner Leute hat an dem Abend, als die Nebel sich in eurem Haus breitmachten, ein Gespräch mitbekommen, sich dabei aber nichts gedacht. So mancher kommt auf dumme Ideen, ohne diese wahr zu machen, deshalb ließen wir es dabei bewenden. Erst später meldete sich der junge Mann, aber da standen für einen Großteil der Arwaner die Schuldigen schon fest."
"Kann man uns so leicht etwas in die Schuhe schieben?" Jack fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.
"Menschen tun viele dumme Dinge. Glaubt mir, davon kann ich mehr als ein Lied singen. Im nachhinein war es leicht festzustellen, wer der Rädelsführer war. Arlon benutzt seit jeher Kirschseife und genau dieser Duft hat ihn entlarvt. In besserer Verfassung wäre ihm das nicht passiert."
Ingwer schien die Antwort ziemlich zweideutig zu sein: "In besserer Verfassung? Geht es ihm schlecht?"
"Ginge es Dir in einem Kerker bei Wasser und Brot gut?" Jack lächelte schnippisch.
Ingwer schaute ihn böse an, ehe Garvan fortfuhr.
"Es ist schwer zu beschreiben, was mit ihm ist. Kommt mit. Ihr werdet sehen was ich meine." Garvan tat einen Schritt und drehte sich noch einmal um: "Kommt mir nicht auf die Idee, eure Kräfte anzuwenden. Sollte das passieren, werde ich eigenhändig dafür sorgen, dass euch hier wirklich niemand mehr sehen will. Das gilt vor allem für Dich, Ingwer. Wut ist ein schlechter Ratgeber."
Die Angesprochene schüttelte langsam den Kopf: "Ich bin sauer und würde ihm am liebsten den Hals umdrehen aber ich bin nicht dumm."
"Okay. Ich vertraue Dir. Die Entführung ist übrigens nicht das einzige Vergehen, dessen er beschuldigt wird. Genaues darf ich nicht sagen."
In rasantem Tempo umrundeten sie den steinernen Kasernenbau. Sie betraten das graue Gebäude über eine von schwer bewaffneten Männern bewachte Treppe und erreichten die Zellenblöcke. Die Luft war feuchtwarm und roch nach fauler Erde, Urin und Schweiß. Garvan durchschritt den von Fackeln erleuchteten Gang und blieb vor der letzten Tür stehen.
Sie war massiv und mit schweren Eisenbeschlägen verstärkt. Der Hauptmann nickte der Wache gegenüber kurz zu, woraufhin diese die Tür aufschloß.
Der Raum dahinter war karg eingerichtet. Fahles Kerzenlicht hüllte alles in einen Schleier aus Schatten. Auf dem einfachen Bett saß an die kalte Mauer gelehnt ein stark gealterter Mann. Sein Gesicht lag im Halbschatten, Details waren nicht zu erkennen.
"Arlon. Besuch ist hier."
Heiser und gebrochen formte der Mund des Mannes Worte, was ihn sehr anzustrengte. Sein Atem rasselte: "Ich empfange heute niemanden."
Seinen Kopf langsam senkend, musterte er seine 'Gäste': "Wer seid ihr, dass ihr es wagt, mich zu stören. Ich habe besseres zu tun als mich mit Kindern zu unterhalten."
"Ihr habt meine Tante entführt!" Ingwer ballte die Fäuste und wäre auf ihn losgegangen, hätte Kira sie nicht festgehalten mit alle Macht festgehalten.
"Nichts dergleichen habe ich. Ich verkaufte einigen mir kaum bekannten Menschen Anregungen. Mehr nicht." Ein Hustenanfall schüttelte seinen ausgemergelten Körper durch. Nachdem er seinen Atemrhythmus wiedererlangt hatte, presste er hervor: "Du musst Ingwer sein. Quin hat ab von Dir erzählt. Nur Gutes natürlich. Wir zwei haben viel gemeinsam. Das hättest Du nicht gedacht was?"
"Das kann ich mir kaum vorstellen. Mit euch möchte ich nichts gemeinsam haben. Mieser Hund."
"Um die Gemeinsamkeit auszulöschen wirst Du sterben müssen. Leider kann ich dazu nicht mehr sagen. Ich mag alt und verbittert sein, aber Ratsinterna werde ich nicht auszuplaudern. Das verstehst Du."
"Ist mir egal. Wo ist sie?"
"Der junge Mann da," er nickte in Garvans Richtung, "hat mich das auch gefragt. Ich habe nicht vor, irgendjemandem zu erzählen wo sie ist. Vergesst sie einfach."
Arlon verzog die Mundwinkel zu einem dünnen Grinsen. Wenn man ihn so betrachtete, wirkte er wie wahnsinnig. Kira spürte, dass Ingwer vor Aufregung zitterte und hielt sie noch etwas fester.
Jack schob sich vor die heftig atmende Ingwer: "Wir werden rausbekommen, wohin sie sie gebracht haben. Lasst das unsere Sorge sein."
Als Garvan schulterzuckend in Richtung Ausgang deutete, beugte sich der ehemalige Fürst langsam nach vorne. Kira holte tief Luft, als sie die eingefallenen, furchigen Gesichtszüge sah. Die grünlich schimmernde Haut war rauh und leichenblaß. Seine Augen leuchteten schneeweiß aus ihren Höhlen. Arlon schien den Toten näher zu sein, als den Lebenden.
"Ingwer! Sieh mich an. Glaub nicht, ich wäre so gewesen wie Du. Vielleicht lebe ich nicht mehr lang aber lass mich Dir zum Abschied einen Rat geben: lass es nicht soweit kommen. All meine Stärke, alle Macht hat aus mir gemacht was Du jetzt siehst. Lass Dich von ihr nicht verführen. Bekämpfe und zügele sie tagein und tagaus. Nur dann wirst Du bestehen."
Mit diesen Worten sackte er kraftlos zurück. Ingwer starrte ihn an und brachte keinen Ton heraus.
"Arlon, das reicht. Kommt ihr drei. Ich muss euch rausschmeißen, es gibt noch einiges zu tun. Mal gucken, was wir aus ihm noch rausbekommen."
Zusammen mit dem Hauptmann verließen die Sucher den Kerker und machten sich auf den Heimweg.
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