21. Die Heimkehr
Bumm- Bum Bum-Bumm..Vincents Herz schlug weiter, doch sein Verstand stand still. Hatte er wirklich gehört, was er geglaubt hatte zu hören? Tristan schluchzte an seiner Schulter und mit jeder Träne wurde das offensichtliche bestätigt. Cataleya, Elizas Mutter war tot.
So viele Fragen flogen in seinem Kopf herum, dass alleine die Möglichkeit sie in Worte zu fassen überwältigend schien. Langsam, bedächtig löste er sich aus Tristans Umklammerung und sah dem Unsterblichen ins Gesicht. Aus aufgequollenen Augen blickte dieser ihm entgegen.
"Wie?", hauchte er kaum hörbar. Tristan schloss die Augen und atmete zittrig ein.
"Ich kann nicht..", wisperte er kraftlos und trotz ihres Konfliktes konnte Vincent ihn verstehen. Es auszusprechen machte Cataleyas Tod realer, schmerzvoller, aber Vincent hatte keine Wahl. Wenn Cataleya wirklich gestorben war, gab es auf dieser Welt nur noch eine Person die Eliza retten konnte und Vincent musste ihn dazu bringen aktiv zu werden. Zumindest lang genug um Eliza zu retten.
"Was ist passiert, Tristan? Bitte sag es mir." Vorsichtig, aus Angst ihn zu zerbrechen, legte Vincent ihm eine Hand auf die Schulter. Blaue Augen suchten seinen Blick und mit einem tiefen Atemzug, stieß er die nächsten Worte aus.
"Nach Elizas Geburt. Etwas ist schief gegangen. Es ging alles so schnell. In der ersten Sekunde haben wir noch über einen Namen für unsere Tochter gesprochen und in der nächsten hat sie aufgehört zu atmen und die Krankenschwester hat mich mit Eliza aus dem Zimmer begleitet. Eliza hat geweint und ich habe versucht sie zu beruhigen, aber alles was ich hören konnte waren die Ärzte die hektisch Anweisungen gegeben haben. Cataleya hat nicht geschrien...nicht geweint...", tränenerstickt warf Tristan den Kopf in den Nacken, "sie ist einfach gestorben."
Vincent sah die pure Zerstörung, die diese Worte bei seinem Gegenüber angerichtet hatten und begriff langsam was sie wirklich bedeuteten. Nach allem was er wusste, war Cataleya immer an Tristans Seite gewesen, sie hatten Jahrhunderte zusammen verbracht.
Und wenn er in das Gesicht Tristans blickte erkannte er was dieser Verlust ausmachte. Es wirkte fast so als wäre mit Cataleya ein Teil von Tristan gestorben.
"Es tut mir leid. Wirklich. Ich habe so viel von ihr gehört und gehofft ihr zu Begegnen. Weiß Osmann davon?" Tristan schüttelte den Kopf und ließ sich auf den Sessel fallen. Alle Kraft schien aus seinem Körper gewichen zu sein.
"Nein..ich konnte es damals nicht über mich bringen ihm die Wahrheit zu sagen. Er hat sie auch geliebt, auf seine Weise. Alles was ich tun konnte war Eliza in einer guten Stadt zurück zu lassen und dafür zu sorgen, dass gewisse Leute von ihr wussten, sollte sie je nach mir suchen."
"Brotkrumen auf ihrem Weg. Aber du hast es uns nicht leicht gemacht." Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
"Das war auch so gedacht. Ein Teil von mir wollte sie fernhalten, wollte ihr die Misere, die der Tod ihrer Mutter aus mir gemacht hatte, ersparen, aber dann konnte ich meine Neugierde doch nicht zügeln. Ich dachte mir, würde sie mich wirklich kennenlernen wollen, würde sie ihre Wege finden und zum Schluss habe ich Abdel gebeten als Türsteher zu dienen."
"Du vertraust ihm so sehr?"
"Mit meinem Leben. Und er hat mich nicht enttäuscht. Du liebst meine Tochter ehrlich und nur aus diesem Grund hat er dir meinen Wohnort verraten. Auch wenn ich es kaum glauben kann, du bist mehr...besser als ich es erwartet hätte, wenn man bedenkt wer dich erzogen hat." Langsam setzte sich Vincent wieder ihm gegenüber auf dem Hocker und nickte verständnisvoll.
"Sangai hat sein Bestes gegeben."
"Das kann ich mir vorstellen. Sag mir nur eines. Wird sie sich freuen dich zu sehen?" Unbehaglich knetete Vincent seine Hände und dachte über Tristans Worte nach. Würde sie ihm vertrauen wenn er kam, oder würde sie ihn für seine Lüge hassen? Sangai hätte die Sache mit seiner Frau niemals erwähnen sollen.
"Nun?", harkte Tristan nach und blickte ihm neugierig entgegen. Betrübt schüttelte Vincent den Kopf. Er musste so ehrlich sein wie es Tristan mit ihm gewesen war.
"Als Sangai sie entführt hat, erzählte er ihr, dass ich eine Ehefrau habe."
"Ist es wahr?" Vincent legte den Kopf schief. Lange Zeit war es für ihn wahr gewesen.
"Die Frau von der Sangai gesprochen hat, war meine erste Liebe. Bei einem meiner Einsätze als ich gerade mal sechzehn war, habe ich mich in sie verliebt. Sie war genauso jung wie ich. Ich lief mit ihr fort und wir haben in Vegas eine dieser speziellen Kirchen gefunden. Schneller als wir beide es erwartet hatten, waren wir verheiratet."
In seinem Kopf sah er sie immer noch lächelnd am Altar stehen, wunderschön und verliebt. Er war so glücklich an diesem Tag gewesen. In seiner jugendlichen Naivität hatte er wirklich geglaubt mit ihr eine Familie gründen, ein Heim erbauen zu können.
"Ich nehme nicht an das Sangai deine Entscheidung respektiert hat.", mutmaßte Tristan und traf damit ins Schwarze.
"Er hat sie umgebracht. Vor meinen Augen...langsam und qualvoll. Er wollte nicht, dass ich weich oder gar sensibel bin und hatte wohl gehofft diese Erfahrung würde mir beides austreiben."
Nach diesem Erlebnis hatte er sich selbst abgeschottet, weder Freundschaft noch Liebe in sein Leben gelassen. Niemals wieder wollte er der Grund dafür sein, dass jemand starb. Und eine Zeitlang war ihm der Drill seines Vaters und der Wunsch ihm zu gefallen genug.
Dann wuchs Bitterkeit und Groll langsam wie eine giftige Pflanze. Alleine die Erwähnung von Vincents verstorbenen Frau weckte ein tiefsitzendes Trauma und ließ ihn sich selbst und die Welt vergessen. Alles was er dann noch sah, war ihr Gesicht im Augenblick ihres Todes.
"Hat es nicht. Du warst stärker als dein Vater und seine grausamen Spielchen", bemerkte Tristan gutmütig und nickte ihm aufmunternd zu. Vincent war sich nicht so sicher, ob er wirklich der gute Mann war für den ihn Tristan und auch Osmann hielten. Auch er hatte in seinem Leben viele schlimme Dinge getan, Taten auf die er nicht stolz war.
"Nicht immer. Es gab eine Zeit in der ich alles getan hätte um ihm zu gefallen. Eliza hat mir einen anderen Weg gezeigt." Sie war die Erste gewesen, der er den Schlüssel seines Herzens angeboten hatte. Ein sanftes Lächeln stahl sich auf Tristans Lippen.
"Ganz so wie ihre Mutter." Für einige Sekunden hingen sie ihren Gedanken nach und sahen dem Feuer beim Verzehr der Holzscheite zu.
"Ich werde dir helfen.", flüsterte Tristan schließlich und stand schwerfällig auf, "ich bereite alles vor. Morgen ziehen wir los." Vincent folgte ihm.
"Warte, du weißt doch noch gar nicht wohin es geht."
"Junge, ich kenne Sangai schon sehr lange und jeder Unsterbliche kennt seine kleine Burg in Russland. Sangai war immer verdammt stolz auf dieses Ungetüm am Arsch der Welt. Du kannst auf dem Sessel schlafen, er lässt sich ausziehen. Mach es dir gemütlich und schlaf ein wenig."
"Ich weiß nicht ob ich das kann.", seufzte Vincent und strich über seine müden Augen. Sein Körper wollte schlafen, doch sein Geist trieb ihn weiter an. Tristan trat zu ihm.
"Du brauchst deine Kraft. Eliza braucht sie. Also schlaf." Ohne weitere Worte verschwand sein Gastgeber im Schlafzimmer und ließ Vincent alleine zurück.
Energielos ließ er sich auf den gemütlichen Sessel fallen, starrte in die Flammen und drehte Elizas goldenen Armreif in seinen Fingern.
ELIZA
Die Kälte nahm zu und die Schmerzen in ihrem Rücken brachten sie beinahe um den Verstand. Rückenmark..sie hatten ihr Rückenmark entnommen und weitere Test gemacht.
Es hörte nicht auf, immer wieder kamen sie und nahmen von ihr. Egal wie oft sie bettelte, flehte und fluchte. Keiner der Mediziner, Wissenschaftler oder Pfleger zeigte Mitgefühl oder gar Reue. Sie alle trugen einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. Genauso unbeteiligt blickte auch Eliza an die Decke und wartete darauf, dass der Tag vorüberzog.
"Guten Morgen, kleine Eliza. Wie geht es dir an diesem wundervollen Tag?", Sangai kam fröhlich wie immer in ihr Zimmer und setzte sich ihr gegenüber auf den vorbereiteten Stuhl. Zögerlich richtete sie ihren Blick auf ihn. Sein hässliches Grinsen brachte sie jedes Mal zum Kochen.
"Super.", zischte sie und ballte die Hände unter der Decke zu Fäusten. Sangai strich seinen Anzug glatt und lächelte sie an.
"Das freut mich zu hören. Ich bringe großartige Neuigkeiten!" Eliza verdrehte die Augen und genoss das leicht ärgerliche zusammenziehen Sangais Augenbrauen. Zumindest konnte sie ihn immer noch mit ihrer Art nerven. Es war ein kleiner Sieg, aber immerhin ein Sieg.
"Also willst du sie hören?", fragte er und wedelte mit einem Zettel umher. "Sicher. Ich höre."
"Die guten Wissenschaftler haben das Gen gefunden, das Unsterblichkeit auslöst. Es war ein schwieriges Problem, aber sie haben es endlich gefunden und jetzt kommt das Beste.", dramatisierend hielt er inne und sah sie erwartungsvoll an. Eliza bekam ein ganz schlechtes Gefühl.
"Du hast es."
"Ich habe was?", krächzte sie fragend und versuchte angestrengt seine Worte zu verstehen. Sangai seufzte genervt.
"Du hast das Gen! Du bist unsterblich. Es ist nur eine Frage der Zeit bis du aufhörst zu altern. Die Wissenschaftler sind sich sicher aus deinem Blut ein Serum für Unsterblichkeit machen zu können. Ist das nicht wunderbar?" Schockstarr blickte Eliza an sich herunter, registrierte all die Kabel und Schläuche, die Kälte und den Schmerz und begriff, dass diese Entdeckung ihr Schicksal besiegelt hatte. Sie würde nicht so einfach sterben und Sangai würde sie nach dieser Wendung nie wieder in Ruhe lassen. Sie war eine unsterbliche Laborratte.
"Ich sehe, du brauchst Zeit um das zu verarbeiten. Ich komme später wieder."
Pfeifend verließ er das Zimmer und ließ sie schluchzend zurück. Verzweifelt versuchte Eliza sich umzudrehen und verspürte sofort den stechenden Schmerz der medizinischen Eingriffe.
Ihr Leben würde nur schlimmer werden. Für einen Moment wollte sie sich die Schläuche rausreißen oder sich die Zunge abbeißen, Hauptsache sie wäre am Ende tot.
VINCENT
"Bist du dir sicher mit diesem Plan?", fragte Tristan zum gefühlt hundertsten Mal während ihrer Reise in den hintersten Winkel Sibiriens.
"Ja, ich bin mir sicher. Das wird klappen, keine Sorge." Tristan verzog unsicher das Gesicht. Das machte er öfter wenn er mehr Details hören wollte oder ihm schlecht war.
Wie sich herausstellte war Tristan nicht flugsicher, eine Tatsache die Vincent nun nie wieder vergessen konnte. In seinem gesamten Leben war er noch nie angekotzt worden, bis zu jenem schicksalhaften Moment in dem Tristan sich im Flugzeug vorgebeugt hatte.
"Wir sind fast da.", mühsam verdrängte Vincent die Erinnerung und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Sie saßen in einem billigen Mietauto und fuhren durch die weißen Wälder dieser noch unberührten Gegend.
Es gab nur eine Straße und diese, das wusste Vincent genau, wurde genauestens beobachtet. Sangai würde sie bereits erwarten und genau deshalb hatte Vincent Tristan als Köder gebraucht.
Ohne ihn wäre er niemals so nahe gekommen. Langsam tauchte vor ihnen ein in den Berg gehauenes Gebäude auf. Graue Mauern und die vergitterten Fenster im ersten Stock erinnerten an ein Gefängnis.
"Sangai hatte noch nie Geschmack. Sogar Abdels Goldpalast sieht schöner aus.", bemerkte Tristan trocken. Nur zum Teil konnte Vincent ihm zustimmen. Ihm waren beide Villas zu pompös, zu einnehmend. Allerdings sprachen sie Bände über ihre Besitzer und in Sangais Fall gab sein Heim, doch eine klare Aussage drüber was sie erwarten würde. Vor den eisernen Eingangstoren hielt Vincent den Wagen an und wartete.
"Und was jetzt?", fragte Tristan und sah sich beunruhigt um, "müssen wir irgendwo anläuten?" Vincent schüttelte den Kopf.
"Nein, er weiß, dass wir da sind. Er ist nur ein Arsch, der uns warten lassen will um seine Macht zu demonstrieren." Und wie aufs Stichwort öffnete sich das Tor und ließ sie hineinfahren. Nach einer langen Auffahrt blieb Vincent schließlich vor der Eingangstür stehen und stieg aus. Eisige Kälte schlug ihm entgegen und raubte ihm den Atem. Tristan trat zitternd an seine Seite.
"Ich folge dir.", wisperte er. Tief durchatmend schritt Vincent durch die Holztür und wurde von mehreren seiner Ziehbrüder empfangen. Alle standen sie mit erhobenen Waffen und grimmigen Gesichtsausdrücken vor ihm.
"Hallo. Lange nicht gesehen. Na wie geht's so Lance? Alles klar, Günther? Hoffe die Sache mit deiner Knieverletzung ist wieder gut, Diego."
Keiner seiner Brüder zuckte auch nur ein kleines bisschen bei der Erwähnung seines Namens. Vincent konnte es ihnen nicht verübeln. Die meisten von ihnen waren jünger als er und gerade in der harschen Ausbildung zum Soldat in Sangais Privatarmee.
In der Jugend schienen die Männer sehr viel gehorsamer zu sein. Vincent konnte sich nur zu gut an seine eigene Ausbildungszeit erinnern. Die Zeit bevor er Zweifel hatte.
"Schon gut. Gebt ihnen Platz." Wie der ungekrönte König dieses Ortes ging Sangai die lange Eingangstreppe hinunter und gebot seinen Schützlingen mit einer leichten Handbewegung zurückzutreten. Unsicher gehorchten sie und warteten mit erhobenen Waffen auf weitere Befehle.
"Hunter, durchsuche sie nach Waffen." Eifrig trat Vincents Bruder vor und klopfte sie in gleichgültiger Routine ab. Vincent war positiv überrascht ihn zu sehen und bemühte sich jegliche Gefühle hinter einer strengen Maske zu verbergen. Er hatte befürchtet einen seiner jüngeren Ziehbrüder für seine Zwecke einbinden zu müssen.
Eine Strategie, die ihnen viel Zeit gekostet hätte, doch mit Hunter an seiner Seite, stiegen die Chancen tatsächlich lebendig aus diesem Gebäude herauszukommen um ein vielfaches. Nun musste er nur noch Sangai von sich überzeugen und dafür hielt er eine geheime Trumpfkarte.
"Ich habe keine Waffen entdeckt.", gestand Hunter und verschwand wieder in den Reihen der Soldaten. Zufrieden näherte Sangai sich ihnen. Vincent lächelte den Mörder seiner Mutter gespielt freundlich an.
"Vater, es ist schön dich wiederzusehen."
"Ich bin nicht dein Vater und wünschte ich könnte dasselbe sagen, doch leider hatte ich gehofft, dich nie wieder zu sehen. Hunter muss meine Anweisung nicht richtig verstanden haben, nun ja, der schlauste war er noch nie." Vincent sah aus den Augenwinkeln wie Hunters Wangen eine wütende rote Farbe annahmen, "allerdings ist deine Begleitung höchst interessant.", beendete Sangai seinen Satz mit dem Blick auf Tristan. Vincent spürte dessen verkrampften Körper neben sich und betete, dass sie beide die Nerven behielten.
"Ich dachte mir, dass ich damit deine Aufmerksamkeit bekomme, Vater." Sangais Blick zuckte wieder zu ihm und ein unruhiger Ausdruck schlich sich in seine Augen.
"Was soll das? Du hast mich nie Vater genannt, keine Minute, die du in meiner Obhut, unter meiner Gutmütigkeit gelebt hast. Was soll das auf einmal?"
"Ich habe die Wahrheit gehört. Ich habe endlich verstanden, dass du mein biologischer Vater bist." Überrascht zuckte Sangai zurück, als hätten ihn Vincents Worte verbrannt. Er atmete zischend aus.
"Du weißt es."
"War auch für mich eine unerwartete Wendung. Aber da ich nun weiß, dass ich dein Fleisch und Blut bin, möchte ich in den Schoß der Familie zurückkehren. Ich möchte zu dir gehören. Zu diesem Zweck habe ich Tristan mitgebracht. Sozusagen als kleines Zeichen meiner Reue." Er zeigte auf seine Begleitung und bemerkte wie Tristan erschrocken die Augen aufriss.
"Was? Aber du hast gesagt, dass ich Eliza sehen kann." Vincent zuckte mit den Schultern.
"Ich habe gelogen."
"Bringt ihn in mein Büro und sperrt ihn dort ein.", befahl Sangai harsch und sah zufrieden zu wie seine Soldaten den Gefangenen fort brachten. Tristan schrie wüste Beschimpfungen und Flüche und spielte den Hintergangenen perfekt. Nun musste nur noch Vincent glaubhaft sein. Sangai trat näher und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
"Ich hätte dir diese Ruchlosigkeit nicht zugetraut." Leicht lächelte Vincent seinen Vater an.
"Als ich hörte, dass du mein Vater bist, hat sich alles für mich verändert. Ich habe nicht verstanden warum du mich anders als die anderen behandelt hast, aber das musstest du. Du wolltest, dass ich besser bin als sie, weil ich dein Sohn bin. Ich weiß jetzt endlich wer ich bin und wo ich hingehöre. Ich bin Vincent Sangai, Sohn des Rupert Sangai."
Mit jedem Wort sah Vincent die Lüge weiter in Sangais Herz wandern. Sein Vater wollte, dass seine Worte wahr waren, also ließ er sich täuschen, oder vielleicht wollte er getäuscht werden.
Menschen glauben einer Lüge weil sie wollen, dass sie wahr ist. Und Sangai fiel genau in diese Falle. Er sehnte sich nach einem Sohn, einem Ebenbild, doch noch war da ein wenig Zweifel.
"Und was ist mit dem Mädchen?"
"Es ist wie du sagtest, ich konnte einem hübschen Gesicht nie widerstehen. Und ja die Zeit mit ihr war nett, wir hatten Spaß, aber ich würde sie nicht über meine Blutsfamilie stellen." Und da war sie, die Verbundenheit, nach der sich Vincent seine ganze Kindheit über gesehnt hatte. Sangai glaubte ihm.
"Dann sei willkommen, mein Sohn. Ich wünschte wir könnten weiter reden, aber dein Geschenk macht mich doch zu neugierig. Ich hoffe du kannst mir das Nachsehen."
"Natürlich, Vater, ich werde mir in der Küche etwas zu essen machen und im Salon auf dich warten. Wir haben so vieles zu besprechen."
"Zweifelsohne." Mit einem Lächeln verabschiedete Sangai sich und ging schnellen Schrittes die Eingangstreppe hinauf in den ersten Stock.
Tristan 1983 Sofia
Tristan hatte das unangenehme Gefühl beobachtet zu werden. Immer wieder sah er sich um und versuchte herauszufinden woher das Gefühl kam. Die Sonne stand hoch und der Sommer war gnadenlos. Schwitzend stand er mit Cataleya und Dimetra an seiner Seite auf der Baustelle. Sie hatten Pläne daraus eine Schule zu machen, ein Ort an dem die Straßenkinder, derer sich Dimetra so verbunden fühlte, Ruhe finden konnten.
"Was ist?", fragte Cataleya und trank einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Tristan sah sich erneut um und konnte doch nichts entdecken. Unruhig blickte er zu Boden.
"Ich werde mal schnell auf die Toilette gehen."
"Es ist bald Mittagessen, sollen wir auf dich warten?" Cataleya sah sich nach Dimetra um, doch Tristan winkte ab.
"Nein, geht nur. Ich habe keinen Hunger." Liebevoll küsste er seine Frau und winkte seiner Tochter zu. Diese verstand ohne Worte, seine Intention. Träge spazierte er über die Baustelle zu dem Haus, in dem eine Freundin Dimetras wohnte.
Bei dieser durften sie sich frisch machen. Das Baustellenklo wollte Tristan nicht mal Sangai antun, auch wenn er es verdient hätte. Kaum war er in die Seitengasse zum Eingang des Wohnhauses eingebogen, da erkannte er den Grund für seine Paranoia. Mehrere in dunkle Anzüge gekleidete Personen traten auf ihn zu. Umzingelten ihn und trieben ihn gegen die Wand des Hauses. Er saß in der Falle. Keiner dieser drei Typen wirkte wie ein gewöhnliche Straßenschläger.
"Wer bist du?", fragte der offensichtliche Anführer der kleinen Gang mit einem starken russischen Akzent.
"Ich bin Tristian Dimetrova. Hier mein Ausweis." Der Mann, groß, dunkle Haare und einer dicken Narbe an der Oberlippe riss ihm die Papiere aus der Hand.
"Die sind gefälscht! Hältst du uns für so dumm? Wir haben dich beobachtet, dich und die Frau. Ihr kommt aus dem Nichts, habt keine Vergangenheit oder richtige Papiere. Ich frage nur ungern zweimal, also wer bist du?", zischte er ihn unverhohlen aggressiv an und warf die Dokumente auf den Boden.
"Ich weiß nicht, was Sie meinen. Mein Name ist.."
"Lüg mich nicht an!", ein heftiger Kinnharken schleuderte seinen Kopf gegen die Hauswand und ließ ihn Sterne sehen. Ein weiterer Schlag traf seinen Magen und stöhnend brach er zusammen. Mehrere Tritte gegen seinen Brustkorb hielten ihn davon ab wieder aufzustehen.
"Bitte, ich weiß...nicht...bitte.", stammelte Tristan und versuchte krampfhaft nach einer Lüge zu suchen, die nicht so absurd klang wie seine Unsterblichkeit. Der Angreifer hockte sich vor ihn auf den Boden und holte ein Taschenmesser hervor. Langsam und genüsslich schnitt er damit tief in Tristans Wange.
"Ich gebe dir noch eine Chance. Für welche Regierung arbeitest du? Welches Spiel treibt ihr hier?"
"Was? Nein! Ich bin niemand.", bettelte Tristan und hoffte nur, dass dies nicht sein Ende war. So wollte er nicht sterben. Gerade im rechten Moment sah eine Bewohnerin des Hauses aus dem Fenster und entdeckte Tristans missliche Lage.
"Hey! Wer seid ihr? Polizei! Polizei! Überfall!", schrie sie so laut sie konnte. Unzufrieden gab der Anführer seinen Leuten das Zeichen zu verschwinden.
"Wir kommen wieder, verlass dich drauf. Und beim nächsten Mal wirst du nicht so viel Glück haben." Gequält stand Tristan auf und untersuchte seine Wunden. Keine davon würde ihn umbringen. Kraftlos lehnte er sich gegen die Hauswand und schloss die Augen.
"Tristan? Hey, alles in Ordnung?", die vertraute Stimme ließ ihn sofort die Augen aufreißen. Cataleya blickte ihn besorgt an und strich zärtlich über die Prellung seines Unterkiefers.
"Wer hat dir das angetan?", fragte sie gereizt und suchte mit den Augen nach den Übeltätern. Tristan schüttelte den Kopf.
"Das ist nicht wichtig. Die Regierung weiß von uns, sie wissen, dass unsere Papiere gefälscht sind. Wir müssen verschwinden, am besten noch heute Nacht." Ernst nickte Cataleya, sie verstand die Situation auch ohne viele Worte. Vor ein paar hundert Jahren war es sehr viel einfacher gewesen, Papiere zu fälschen, nun hatte sie die wachsende Bürokratie bereits mehrmals zu überstürzten Abreisen gezwungen.
"Ich hole Dimetra." "Warte.", schnell griff Tristan nach ihrem Arm und hielt sie davon ab zu gehen, "wollen wir sie wirklich zwingen mit uns zu kommen? Sie hat ein Leben hier, eine Zukunft."
Er hatte diese Worte bereits viele Male in seinem Leben ausgesprochen, wann immer es Zeit wurde, eines ihrer Kinder zu verlassen. Cataleya schüttelte trotzig den Kopf.
"Nein, nicht schon wieder.", sie widersprach nicht, konnte es nicht. Die Realität war ihnen beiden nur zu deutlich bewusst. Eine Träne entkam Cataleyas kummervollen Augen und vermischte sich mit Tristans Blut auf dem Asphalt.
"Wir müssen ihr zumindest auf Wiedersehen sagen.", meinte sie leise und ließ sich von ihm umarmen. Tristan brach das Herz. Alleine der Gedanke, seine kleine Tochter zu verlassen, hinterließ ein furchtbares Loch in seiner Brust. Würde er sie am Ende ihres Lebens noch einmal in seine Arme schließen können? Er betete zum Universum, ihm zumindest diesen einen Wunsch zu gestatten.
"Das können wir nicht. Die Regierung darf ihr nichts anhängen können. Sie liebt diese Stadt und ihre Arbeit. Wir dürfen nicht der Grund sein, dass sie alles verliert.", flüsterte er an ihrem Ohr.
Cataleya nickte und löste sich von ihm. Hand in Hand verließen sie die Baustelle und suchten in dem kleinen Zimmer, dass sie bewohnten ihre Habseligkeiten zusammen.
Es waren über die Jahre mehr geworden. Kaum eine Stunde später waren sie aus der Stadt. Beide konnten sie den Blick zurück nicht riskieren, zu sehr fürchteten sie Dimetras Tränen.
Anmerkung der Autorin: OMG, die letzten drei Kapitel sind so anstrengend. Ich komme irgendwie nicht vorran. Kennt ihr das? Ihr wisst genau was passieren wird und doch habt ihr keinen Plan. Das Ende ist immer das schwierigste für mich, weil ich es mit einem guten Gefühl beenden will. Auf jeden Fall sorry, dass ihr so lange warten musstet.
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