17. Verzweifelte Lügen
"Mein Boot ist nicht schnell genug um ihnen zu entkommen." panisch drehte Sahana an ihrem Steuerrad, doch ihren Worten folgten Taten. Schwarzgekleidete Männer warfen Seile zu ihnen und kletterten an Bord. Sie waren überall und umzingelten sie in einer enormen Geschwindigkeit.
Eliza fühlte Panik durch ihre Adern pumpen. Angstschweiß durchnässe sie so stark wie der Regen. Sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, eine Idee zu entwickeln, doch nichts passierte.
Ihr Verstand war wie leer gefegt, zurück blieb Hilflosigkeit. Es gab keinen Ausweg. Sangai würde Vincent töten. Er würde sie töten. Es war aus. Angsterfüllt drehte Eliza sich zu Vincent und zog sein Gesicht zu sich.
In seinen Augen ertrank sie, seine warmen Arme umfingen sie. Sie konnte seinen Atem an ihrem Gesicht spüren während seine Bartstoppeln sanft kitzelten. Der Moment schien ewig zu sein, eingefroren in ihrer Frucht einander zu verlieren.
Es war das erste Mal, dass Eliza sich eingestand was sie für ihn empfand. Wohin ihre Zuneigung führen würde, sollten sie die Möglichkeit haben, sie auszuleben. Eliza würde ihn lieben. Seinen Humor, seine Zuversicht, seine unendliche Freundlichkeit.
Ihr Herz flüsterte klopfend seinen Namen. Verzweifelt küsste sie ihn mit all ihrer unausgesprochenen Liebe. Sein Blick sprach Bände, doch auch er konnte die Worte nicht über seine Lippen bringen.
"Sieh an wer da versucht hat aus seinem Deal auszusteigen. Einfach so." Sangai stand an Deck mit Regenmantel und einem Regenschirm. Sein wölfisches Grinsen war breit und grausam. Er wirkte entspannt und begierig darauf seine Beute zu verschlingen. Hartnäckig stellte Eliza sich ihm entgegen.
"Dieser Deal war nie freiwillig!"
"Und dennoch hast du versagt!", schrie er ihr entgegen, "und du auch." Sein Blick richtete sich auf Vincent.
"Bitte lass es mich erklären.", versuchte Vincent mit seinem Ziehvater zu verhandeln, doch Eliza sah die Böswilligkeit in Sangais Blick. Dieser Mann war niemand, der zurückweichen oder gar mit sich verhandeln lassen würde.
"Du wirst gar nichts tun. Ich habe genug von deinen Ausreden. Bringt sie auf mein Schiff.", befahl er seinen Männern, die sofort gehorchten. Eliza trat zurück, flüchtete sich in Vincents Arme und schrie die Männer zornig an.
"Haut ab, ihr Arschlöcher!"
"Ihr bekommt sie nicht!" Vincent hielt sie fest und versuchte es den Männern schwer zu machen. Nun griff auch noch Sahana ein, zog ihre Cousine hinter sich und versuchte zu kämpfen. Nichts hatte Erfolg.
Die schirre Überzahl der Gegner besiegte sie bevor es überhaupt zu einem richtigen Kampf kam. Quälend langsam wurde sie ihnen entrissen. Nur ihr goldener Armreif verblieb in Vincents Hand. Weinend und um sich tretend wehrte sie sich vergebens.
"Das kannst du nicht tun!", schrie Sahana und wollte Sangai angreifen. Einer seiner Männer verpasste der jungen Frau einen Schlag gegen den Kopf, woraufhin diese stumm zusammenbrach. Eliza schrie auf und wollte ihrer Cousine zur Hilfe kommen, doch mehrere Hände hielten sie davon ab. Vincent kniete neben Sahana und besah sich die Verletzung. Wie schwerwiegend es war konnte Eliza nicht sagen, ihre Fantasie spielte ihr jedoch das schlimmste vor.
"Vincent. Bitte sag mir, dass sie lebt.", sprudelte es hoffnungslos aus ihr hervor. Nickend stand ihr Freund auf und machte einen Schritt auf sie zu. Schneller als sie sehen konnte, wurde er von mehreren Männern zu Boden gerungen und in Handschellen gesteckt.
Wieder schrie Eliza ihre Frustration heraus. Sie wollte stärker sein, mächtig genug um jeden ihrer Feinde von Boot zu schleudern. Sie wollte Vincent retten und Sangai in den Tiefen des Meeres verschwinden sehen. Sangai stellte sich ihr genervt entgegen und schnalzte mit der Zunge.
"Hör doch auf, Kind. All das nutzt dir nichts. Und um ihn solltest du erst recht nicht trauern. Er war es schließlich, der mich über alles am laufenden gehalten hat. Er hat jeden deiner Schritte aufgezeichnet. Allerdings war seine Frau, nicht so glücklich über diese kleine Affäre informiert zu werden. Nun ja, es war nicht die erste oder Vincent? Du konntest einem hübschen Mädchen nie widerstehen."
Niederträchtig wanderte Sangais Blick von ihr zu seinem Ziehsohn.
"Was?", stammelte sie verwirrt. Woher kam dieses Gerede von einer Ehefrau? Vincent war verheiratet? Er hatte sie belogen...nein..unmöglich.
"Du lügst.", knurrte sie ihren Feind an und suchte Vincents Blick. Tränen sammelten sich in ihren Augen als sie in Vincents Gesicht sah und die Wahrheit erkannte. Er bestritt keines von Sangais Worten. Schock riss Löcher in Elizas Herz. Stumm sah er ihr entgegen. Das Gesicht von Schuld und Verzweiflung verzehrt. Warum sagte er nichts? War er ihr keine Worte schuldig?
"Vincent...", wisperte sie atemlos und spürte einen Schlag auf ihrem Kopf. Schmerz durchzuckte sie. Schwärze brach über sie herein. Das letzte dass sie sah, war Vincent, der wütend auf sie zu hastete.
Vincent sah Eliza zu Boden fallen und riss sich los.
"Eliza!", weit kam er nicht. Männer packten ihn und hielten ihn erneut zurück. Eliza wurde aufgehoben und weggetragen. Ihr erschlafftes Gesicht ließ Übelkeit in ihm hochkommen. So sollte seine Eliza nicht aussehen.
Sie hatte selbst beim schlafen immer ein kleines Lächeln auf den Lippen. Nun war es verschwunden, zerbrochen unter Sangais Druck. Genauso wie ihre Beziehung.
All die Worte, die er hatte aussprechen wollen, rasten durch seinen Verstand. Er hatte ihren flehenden Blick nach einer Erklärung gesehen und versagt. Stumm war auch sein Herz in kleine Teile zersprungen. Die Hilflosigkeit zehrte ihn auf. Langsam verschwand die Frau, die er liebte aus seinem Sichtfeld. Sangai nahm ihren Platz ein.
"Dachtest du wirklich, dass es so einfach werden würde?", fragte Sangai belustigt, "jahrelang warst du eine Schande in meinem Haus. Ein nutzloses Stück, das nur durch meine Gnade jeden weiteren Tag erleben durfte. Ohne meine Gutmütigkeit wärst du längst tot und so zahlst du es mir zurück. Mit Untreue und Verrat?!"
"Sie ist keines deiner Laborratten!", schrie er seinem Ziehvater entgegen. Sangai lächelte kalt.
"Da hast du recht. Sie ist wertvoller. Du allerdings bist das Gegenteil. Nichts als ein weiterer wertloser Mensch, der seinen Platz nicht kennt."
"Zumindest weiß ich noch was es heißt ein Mensch zu sein. Du hast Menschlichkeit und Liebe schon vor Jahrhunderten vergessen." Sangai legte den Kopf nachdenklich schief.
"Für dich scheint das eine Tatsache zu sein, die ich bereuen müsste. Ist es nicht. Hunter, sorg dafür das er nicht wieder aufsteht." Sangai holte aus und verpasste Vincent einen kräftigen Kinnharken. Sternchen sehend stürzte er zu Boden.
"Was ist mit der Frau?", fragte Hunter zögerlich und blickte auf Sahana. Vincent spuckte das Blut in seinem Mund aus und krabbelte zu ihr. Beschützend warf er sich auf sie und blickte seinem Bruder entschlossen entgegen. Sangai zuckte unbeeindruckt mit den Achseln.
"Töte sie. Ich habe für beide keine Verwendung mehr. Danach durchsuch das Schiff und bring es zurück an Land. Wir wollen keine dummen Fragen der Küstenwache."
Mit einem Lächeln auf den Lippen und leise pfeifend bestieg Sangai sein Schiff. Seine Gefolgsleute folgten ihm wie bedrohliche Schatten. Zurück blieb alleine Hunter. In der schwarzen Militärkleidung und der ebenso schwarzen Kappe verschmolz er beinahe mit der Nacht, doch Vincent konnte seinen Blick aus dunklen Augen auf sich spüren.
Hunter war nicht irgendein Ziehbruder, er war der einzige dem Vincent je vertraut hatte. Der einzige, der Vincent Verständnis entgegen gebracht hatte. Nun allerdings war auf dem Gesicht seines Bruders nichts als kalte Entschlossenheit zu sehen.
Hilflos war er ihm ausgeliefert während Sangais Schiff die Distanz zwischen ihnen langsam vergrößerte. Hunter zog seine Waffe und feuerte ohne zögern zwei Mal. In einen Schwimmreifen neben Vincent.
Theatralisch sackte Vincent zusammen und hoffte Sangai glaubte ihnen diese Show. In kleinsten Bewegungen ließ Hunter den Schlüssel für Vincents Handschellen fallen.
"Du hast nicht lange. Warte bis sie außer Sicht sind."
"Was ist mit Eliza?", zischte Vincent bemüht sich nicht zu rühren. Hunter schüttelte kaum merklich den Kopf.
"Es tut mir leid, Bruder. Du kennst Sangais Festung so gut wie ich. Sie ist verloren." Hunter vergeudete keine Zeit und begann seinen Anweisungen folgend das Boot auf den Kopf zu stellen.
Paranoid wie alle Ziehsöhne Sangais glaubten sie beide daran, dass Sangai sie durch ein Fernrohr beobachtete. Die Angst vor diesem Mann saß so tief, der Glaube an seine Unbesiegbarkeit barg mächtige Fesseln. Sowohl für Vincent als auch für Hunter.
Selbst als das Schiff schon meilenweit entfernt war, blieb Vincent mit Sahana im Regen liegen. Zumindest wurde es langsam hell. Die Sonne ging auf und warf ihre orangenen Farben über das Meer. Die Wolken verzogen sich und machten einem starken Wind Platz.
Das Boot schaukelte unangenehm hin und her. Unter sich konnte er Hunter hören. Es schien als würde der junge Mann das Boot zerlegen. Darüber würde die Besitzerin sicherlich nicht erfreut sein. Sahana begann sich unter ihm zu bewegen und leise zu stöhnen.
"Sahana, alles okay?"
"Nein. Mein Kopf tut scheiße weh!", brummte sie und kroch unter Vincent hervor.
"Du musst etwas für mich tun.", Vincent leckte sich angespannt über die Lippen.
"Erst mal müssen wir aus den nassen Sachen. Ich kann meine Finger nicht mehr spüren. Wo ist Sangai?" Sein Schiff war längst über dem Horizont.
"Fort, aber hör mir zuerst zu." Es rumste unter Deck. Sahana riss ängstlich die Augen auf.
"Wer ist da noch?", hauchte sie und suchte an Deck nach einer Waffe. Vincent winkte ungeduldig ab.
"Niemand der uns gefährlich werden kann. Bitte Sahana. Hör mir zu. Du musst ein Messer holen. Schnell." Sahana sah ihn verwirrt an.
"Was redest du da? Hast du nicht gerade gesagt, wir wären nicht in Gefahr?"
"Es ist nicht für ihn." Sahana schüttelte den Kopf und bereute es sogleich. Schmerzerfüllt griff sie sich an den Kopf.
"Komm steh auf. Du redest Unsinn. Ich brauche dringend was gegen die Kopfschmerzen und dann überlegen wir uns einen Plan."
"NEIN, hol ein Messer und komm wieder zu mir!", zischte Vincent sie ungehalten an. Eingeschnappt wankte sie zu einer Truhe neben dem Eingang zum unteren Deck. Sie war aus schwerem, schwarzen Holz und schien so wie das Boot schon bessere Tage gesehen zu haben. Sahana öffnete sie und kramte für einige Sekunden darin herum.
"Aha!", triumphierend hielt sie ein Fischermesser hoch und trat wieder zu ihm.
"Und jetzt?", fragte sie müde. Vincent blickte auf das Messer und knirschte mit den Zähnen. Sie würden auch eine Taschenlampe brauchen. Zwar schien die Sonne bereits heller, aber er traute dem elektronischen Licht mehr.
"Hast du auch eine Taschenlampe." Aufstöhnend drehte Sahana sich wieder um und suchte erneut in derselben Truhe nach einer Taschenlampe. Es rumpelte wieder unter Deck und zusammen zuckend blickte sie zur Tür. Vincent folgte ihrem Blick.
"Mach dir keine Sorgen. Such einfach die Taschenlampe."
"Ich habe sie schon. Wer ist da unten?" Kopfschüttelnd winkte er sie zu sich.
"Zuerst musst du mir einen Gefallen tun."
"Okay.", sie zog dieses Wort in die Länge während sie auf das Messer und die Taschenlampe blickte. In ihren Augen sah er unschöne Befürchtungen. Vincent schluckte hart und zeigte auf seinen Nacken.
"Da ist ein Peilsender drin. Bevor wir irgendetwas tun können, musst du ihn entfernen. Such nach einer alten Narbe, ich habe ihn schon eine Weile."
"Das ist nicht dein Ernst oder?", fragte Sahana, doch trat sie mit erhobenem Messer vor.
"Bitte, tu es einfach." Vincent fühlte wie sie über seinen Nacken strich und die Narbe fand. Er war erst zwölf gewesen als Sangai ihm den Peilsender implantierte. Damals hatte er es noch für eine Art Ehre gehalten. Nun kannte er sein Gefängnis sehr gut. Sahana atmete tief durch.
"Bist du sicher?", fragte sie wieder.
"Ja."
"Hey! Was tust du da?", rief Hunter vom Eingang der Kajüte aus und unterbrach Sahanas Tun. Ärgerlich zeigte sie mit dem Messer auf ihn.
"Du! Du gehörst zu Sangai! Was machst du noch hier?" Hunter hob langsam die Hände. Eine nichtssagende Geste. Vincent wusste wie gefährlich sein Bruder sein konnte.
"Ich soll das Boot durchsuchen und es an Land bringen."
"Und uns töten. Aber das wird er nicht tun. Er ist mein Bruder und auch wenn das für Sangai nichts heißt, bedeutet es doch etwas für uns." Sahana blickte zwischen ihnen hin und her.
"Dein Bruder?", fragte sie zögerlich. Ihre Verwirrung war durchaus gerechtfertigt. Hunter und er sahen einander nicht im geringsten ähnlich. Hunters schwarze Haut und dunkle Augen standen im krassen Kontrast zu Vincents weißen Wurzeln.
"Bruder.", bestätigte Hunter, "ich habe euch am Leben gelassen und keine Intentionen das zu ändern. Vincent, du willst den Peilsender loswerden?" Nickend bestätige er ihr Vorhaben. Hunter taxierte Sahana von Kopf bis Fuß.
"Hast du so etwas schon mal gemacht?", die Skepsis in seiner Stimme war übermächtig. Sahana reckte das Kinn nach vorne.
"Ich kann angeln und Fische ausweiden."
"Und dasselbe hast du jetzt auch mit meinem Bruder vor?" Sahana blieb der Mund offen stehen und sackte schließlich zusammen.
"Ich hab zu große Kopfschmerzen dafür. Willst du es machen?" Leicht lächelnd nahm Hunter ihr das Messer ab und trat auf ihn zu. Vincent sah das interessierte Blitzen in seinen Augen. Offenbar hatte Sahana bei ihm Eindruck geschunden. Professionell umfasste sein Bruder das Messer und stellte sich über ihn.
"Ich fange jetzt an."
"Beeil dich.", feuerte Vincent ihn an und machte sich für den Schmerz bereit. Anscheinend nicht gut genug, denn Hunters Schnitt und das herumwühlen in seiner Nackenhaut ließ ihn mehrmals zischend einatmen. Zittrig durchlebte er die Schmerzen.
"Hab ihn. Der steckte zwischen dem ganzen Narbengewebe fest.", triumphierend hielt er ihm den Peilsender hin. So ein kleines piepsendes Ding. Zu lange hatte es ihn in Ketten gehalten, sein Handeln bestimmt. Wütend warf er den Peilsender ins Meer und stand auf.
"Ich hole den erste Hilfe-Koffer.", meinte Sahana und verschwand unter Deck. Hunter und er folgten ihr langsam. Während Sahana seine Wunde verband, holte Hunter ein Glas Wasser und Aspirin für sie. Dankend nahm sie ihm die Tablette ab.
"Habt ihr einen Plan?", fragte Hunter und setzte sich auf die Coach. "Keinen den wir dir verraten würden.", giftete Sahana und ging ins Bad um sich umzuziehen. Hunter sah ihr belustigt nach.
"Ich mag sie. Aber sag mir Vincent..weißt du überhaupt was du da tust?"
"Nein. Alles was ich weiß, ist das ich Eliza liebe und sie retten muss."
"Aber wo willst du anfangen?" Vincent zog sich das nasse Shirt über den Kopf und ersetzte es mit einem trockenen. Es war erneut mit einer Schildkröte bedruckt. Sein Verstand raste und spielte ihre Verbündeten wie ihre Möglichkeiten durch.
"Ich hätte da eine Idee, aber sie ist ziemlich verrückt.", murmelte Vincent.
"Raus damit.", entgegnete Sahana und trat aus dem Badezimmer. Sie trug eine schwarze Jean und einen dunkelblauen Sweater. Irritiert bemerkte Vincent, das ihre Kleidung Hunters ähnlich war. Seufzend versuchte er seine Gedanken in Worte zu fassen.
"Abdel Osmann. Er ist ein alter Freund von Elizas Eltern und ich denke, er weiß mehr als er zugibt. Eliza hat es nicht ausgesprochen, aber an dem Abend als wir bei ihm waren, hat sich etwas verändert. Er muss der Grund dafür gewesen sein. Ich denke, er könnte mich zu Cataleya und Tristan führen." Sahana verschränkte die Arme.
"Und wie genau rettet das Eliza?" Hunter antwortete bedächtig bevor Vincent eine Chance dazu hatte.
"Sangai will Eliza nicht. Sie ist nur der Trostpreis. Ihre Eltern wären der Hauptgewinn. Mit ihnen als Basis könnten wir Elizas Freiheit verhandeln. Soweit wir sicher gehen, dass er sie nicht vor uns findet."
"Wir?", mit hochgezogenen Augenbrauen sah Sahana den Söldner an. Hunter räusperte sich peinlich berührt.
"Ihr natürlich. Nicht ich." Vincent unterbrach ihr Geplänkel.
"Es ist die einzige Möglichkeit. Wir haben weder die Ressourcen noch die Verbündeten um Eliza mit Gewalt aus seinen Fängen zu befreien." Sahana zuckte mit den Schultern.
"Verstehe. Wenn das unsere einzige Chance ist, bin ich dabei. Wo lebt Osmann?"
"Türkei, Ankara." Pfeifend verdrehte sie die Augen.
"Das ist verdammt weit weg."
"Ich weiß.", merkte Vincent an und fuhr sich verzweifelt über die feuchten Haare. Nachdenklich strich Hunter über sein Kinn.
"Dieses Boot kommt ursprünglich aus Sri Lanka oder?" Sahana nickte.
"Dann könnte ich uns zumindest dorthin bringen. Ich kann Sangai sagen, dass es dort vermisst werden und an jedem anderen Hafen auffallen würde. Damit wärst du der Türkei schon ein wenig näher."
"Und ich weiß wie du den Rest des Weges schaffen kannst.", berichtete Sahana aufgeregt, "ich habe einen Freund oder eher Bekannten, der ein Privatflugzeug hat. Ein reicher Pimp. Aber er könnte dich unbemerkt nach Ankara bringen."
"Das hört sich nach einem Plan an.", Hoffnung ließ Vincent die Kälte und Erschöpfung vergessen.
"Woher kennst du einen reichen Pimp?", fragte Hunter neugierig. Sahana zuckte mit den Achseln.
"Er steht auf meine Schwester."
1901 Türkei
Tristan fiel auf. Das tat er immer an Orten die üblicherweise nicht von rothaarigen Weißen besucht wurden. Der Palast des Sultans führte diese Kategorie an. Er war an Reichtümern und Schätzen nicht zu vergleichen und nach den Jahren des ärmlichen Nomadenlebens genoss Tristan den Luxus.
In traditioneller türkischer Kleidung flanierte er durch die Gänge und tratschte mit den Adligen und Reichen. Sein türkisch war gut, sehr gut. Mit dem exquisiten Essen, den atemberaubenden Aufführungen und der guten Musik fehlte in dieser lauen Sommernacht nur eine Sache. Cataleya. Sie war nicht mit ihm in die Türkei gereist.
Stattdessen hatte sie ihren eigenen Weg über Nordafrika gewählt. Tristan empfand Traurigkeit über die sich trennenden Wege, doch nach all ihren gemeinsamen Jahren wusste er, dass sie sich wieder treffen würden.
Dieses Mal hatten sie sogar einen Ort ausgewählt, der ihnen als Treffpunkt dienen sollte. Frankreich. Sie wollten einander in Frankreich wiedersehen.
Dieser Gedanke hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Geschickt nahm er ein Glas Wein entgegen und trat langsam an die Balustrade. Unter ihm erstreckten sich Gärten und danach die Stadt Istanbul. Eine stark wachsende Metropole, deren Charme Tristans Herz gewonnen hatte. Über ihm glitzerten die Sterne.
"Es ist eine schöne Nacht, nicht wahr?", ein Mann trat zu ihm. Blitzende grüne Augen erregten sofort seine Aufmerksamkeit. Dieser Mann sah gut aus. Tristan spürte sein Herz eine Sekunde aussetzen.
"Ja, wunderschön.", stammelte er unsicher wie er mit dieser Begegnung umgehen sollte. Der Fremde lächelte ihn an.
"Ich heiße Abdel Osmann."
"Tristan Kesis." Lachend nahm Abdel einen Schluck aus seinem Weinglas.
"Na ich hoffe doch nicht." Verwirrt dachte Tristan über seine Worte nach und erkannte worauf Abdel anspielte. Tristan benutzte meist den Titel Mönch in der jeweiligen Sprache des Landes als seinen Nachnamen. Irgendwie hatte etwas an dieser Bezeichnung eine ankernde Wirkung auf ihn.
"Es ist nur ein Name. Nichts weiter dahinter." Abdel trat näher zu ihm.
"Das freut mich. Ich habe dich schon eine Weile beobachtet Tristan."
"Warum?", misstrauisch beäugte Tristan sein Gegenüber. Selbst wenn dieser teuflisch gut aussah und offenbar einer Flirterei nicht abgeneigt, musste er vorsichtig sein.
Das Geheimnis der Unsterblichkeit musste gewahrt bleiben. Abdel grinste wieder breit. "Mach dir keine Sorgen. Es ist nicht so wie du denkst. Wir beide haben einen gemeinsamen Bekannten. Nio."
Erleichtert atmete Tristan aus. Nio war ein Unsterblicher aus Südafrika. Ein Bekannter, dem er bei seinen Reisen schon mehrmals begegnet war. Abdel wollte ihm damit zu verstehen geben, dass er zu ihrem exklusiven Club der Langlebigen gehörte. Lächelnd stieß er mit seinem Glas gegen Abdels.
"Freut mich dich kennenzulernen."
"Mich auch. Allerdings hätte ich gedacht, deine bessere Hälfte ebenfalls kennenzulernen. Wo ist die berühmte Cataleya?" Tristan verzog das Gesicht. Diese Berühmtheit gefiel ihm nicht.
"Sie ist auf reisen.", entgegnete er knapp. Abdel nickte langsam.
"Tut mir leid, wenn ich dich damit gekränkt habe. Es geschieht nur nicht oft, das ich einem Unsterblichen begegne, der tatsächlich Vater geworden ist. Darf ich dir eine Frage stellen?" Seufzend gab er Abdels Neugierde nach. Dieser Mann hatte Glück, dass seine Stimme Honig gleichkam. Abdel blickte ihn offen an.
"Wie ist es Vater zu werden...Vater zu sein...ich stelle es mir unglaublich vor." Eine Frage mit der Tristan so nicht gerechnet hatte. Mit offenem Mund versuchte er eine Antwort zu finden.
"Äh..ja..es ist unglaublich. Wenn das erste Mal diese kleine Hand nach dir greift und du deine Welt in ihren Augen siehst. Bei der Geburt meiner ersten Tochter wäre ich vor Angst fast gestorben. Cataleya hatte solche Schmerzen und der Gedanke sie zu verlieren war grausam. Doch als Medina ihren ersten Schrei ausstieß, war die Welt wieder in Ordnung. Sie hat alles verändert."
"Ich wünschte, ich könnte das ebenfalls erfahren.", hauchte Abdel völlig fasziniert von seinen Worten. Tristan griff nach Abdels Arm und strich sanft bis zu seiner Hand, hielt sie fest. Nur für einen Moment, niemand sonst durfte ihre Berührung sehen.
"Das kannst du.", meinte Tristan leise, "in den Jahren habe ich verstanden, dass Blut und Wasser nicht so unterschiedlich sind. Ein Kind wird dich als Vater sehen, wenn du es als dein Kind siehst. Blutsverwandtschaft wird unwichtig sein. Aber lass dich warnen. Ein Kind kann dein Herz heilen und im gleichen Augenblick brechen. Ihr Verlust wird eine Narbe hinterlassen."
Abdels trauriges Lächeln sprach Bände über Einsamkeit und unerfüllte Wünsche.
"Besser eine Narbe, als diese unerträgliche Kälte." Sie blickten einander an, erkannten die verwandte Seele in den Augen des anderen. Ohne zu sprechen, verließen sie die Festlichkeiten und ließen sich in Abdels Villa nieder.
Tristan hatte bereits Erfahrungen mit Männern, doch diese waren rein körperlicher Natur gewesen. Nun allerdings ging er eine emotionale Beziehung mit Abdel ein.
Sie verbrachten nicht nur diese eine Nacht miteinander, sondern noch viele weitere.
Anmerkung der Autorin: Hui mir ist der Persepektivenwechsel endlich gelungen!!! Hat ewig gebraucht bis ich es richtig hinbekommen habe. Hoffe es gefällt euch. Für eine Zeit werden wir jetzt Vincent folgen und mit ihm den Höhepunkt des Buches erreichen.
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