Kapitel 2
"In heaven there is no beer. That's why we drink ours here." - Frankie Yankovic
Die Tatsache, dass wir uns um fünf Uhr mittags in einer Bar trafen um etwas zu trinken, sprach schon für sich. Mein Lebensstil war einfach nicht gesund.
Als wir am Tisch ankamen, an dem Julio und ein mir unbekannter Mann saßen, lief Jeff förmlich zu seinem Geliebten, um ihn abknutschen zu können.
Zum Glück waren die Leute hier in San Francisco aufgeschlossen und kümmerten sich nicht weiter um das gleichgeschlechtliche Pärchen.
„Amélia, mi hermosa!", rief er aufgeregt und erdrückte mich beinahe mit seinen Armen. Seit dem Tag an dem wir uns kennengelernt hatten, nannte er mich Amélia. Seiner Meinung nach verlieh das ‚A' meinem Namen eine gewisse spanische Würze.
„Julio, du erdrückst mich."
„Excusa." Er ließ wieder von mir ab und legte seinen Arm um Jeffs Schultern. „Das ist Keith. Er ist ein Kunde von mir und völlig straight." Den letzten Teil flüsterte er nur noch.
„Hi, Amélie."
Ich streckte ihm meine Hand entgegen, die er ergriff, aber nur um mich näher an sich zu ziehen. Seine Lippen lagen auf einer und dann auf der anderen Wange, die er küsste. „Ich dachte in Frankreich begrüßt man sich mit einem Kuss auf der Wange."
Ich bejahte und brachte nur ein schwaches Lächeln zustande. Keith hatte wohl nicht verstanden, dass man sich in Frankreich nur mit Luftküssen begrüßte und niemand wirklich einen richtigen Kuss auf die Wange bekam.
„Ich heiße Keith. Julio hat mir schon viel von dir erzählt, Amélie."
Keith hatte zwar ein Million-Dollar-Grinsen, schwarze, gepflegte Haare, einen muskulösen Körper und ein tolles Gesicht, aber ich hatte in den letzten zwanzig Sekunden entschieden, dass ich ihn nicht leiden konnte. Bei dem Typen fingen meine Alarmglocken an zu läuten und ich würde dieses Signal gewiss nicht ignorieren.
Ich strafte Julio mit einem giftigen Seitenblick, der ihm zeigen sollte, dass ich verstand, was er vorhatte und ich es ganz und gar nicht gut hieß.
„Was kann ich euch zu trinken bringen?" Eine hübsche blonde Kellnerin kam an unserem Tisch zum Stehen und ich sah, dass Keith seine Augen nicht von ihrem Ausschnitt nehmen konnte. Augenverdrehend bestellte ich ein Glas Wasser, denn dieses konnte ich schnell austrinken und mich wieder auf den Weg nach Hause machen.
„Möchtest du nichts Stärkeres?"
„Nein, danke."
Schulterzuckend wandte er sich wieder der Kellnerin zu. „Für mich ein Bier, Süße."
In der Erwartung, dass der Abend sein baldiges Ende finden würde, hörte ich Keith mit einem Ohr zu, als er über seinen Tag erzählte. Er prahlte damit, dass er 120 Kilogramm auf der Bank stemmen konnte und ich war mir sicher, das letzte Buch, das er gelesen hatte war voll mit Bildern und jede Seite war mit maximal fünf Wörtern bedruckt worden.
Sobald die Kellnerin mir mein Wasser brachte, würde ich es mit einem Schluck austrinken und eine Migräne vortäuschen, nicht dass dies nötig war, denn das leichte Pochen hinter meinem linken Auge wies daraufhin, dass wirklich eine Migräne im Anmarsch war.
Jeff und Julio tuschelten, kicherten und betasteten sich gegenseitig. Womit sie jedoch mit diesem ‚Date' für Keith und mich hinaus wollten, verstand ich nicht. Er sah zwar wirklich gut aus, doch der Charakter war ausschlaggebend und Keith hatte keinen, der mir gefiel.
Sobald die Kellnerin, die anscheinend Chelsea hieß, wieder an unserem Tisch war, lag Keiths Aufmerksamkeit wieder auf ihr. Besser gesagt ihrem freizügigen Ausschnitt.
Mein Wasser war schneller weg als Chelsea. Mit einem kurzen „Bye" in die Runde verschwand ich und hielt draußen Ausschau nach einem Taxi, das ich mich heute gönnen musste, weil ich viel zu erschöpft war, um nach Hause zu laufen.
Wohnen in San Francisco war nicht anders als in Paris. Die Wohnungen waren klein aber teuer, deshalb störte es mich auch nicht, dass ich in einer Zweizimmerwohnung mit einem winzigen Bad lebte, die knapp eintausend Dollar im Monat kostete.
Erschöpft ließ ich mich auf mein großes Bett fallen, in das noch locker zwei weitere Personen gepasst hätten, und das sich schon in der Wohnung befunden hat, als ich eingezogen bin.
Vielleicht lag es an meinem knurrenden Magen, der sich beinahe schmerzhaft zusammen zog.
Doch da ich vergessen hatte einkaufen zu gehen, musste ich mich mit Resten des chinesischen Essens, das ich gestern Abend bestellt hatte, zufrieden geben.
Nach dem kalten Essen, einer heißen Dusche und einem lauwarmen Tee, konnte mein Körper endlich entspannen und ich ins Land der Träume reisen.
„Wie meinst du das?", fragte ich meinen Bruder, der mich mit Tränen in den Augen und einem angespannten Kiefer ansah.
„Maman hat sich umgebracht", flüsterte er und die ersten Tränen rollten über seine Wangen.
„Aber wieso?"
„Weil sie erfahren hat, dass papa noch eine andere Familie in Amerika hat"
Meine kleine perfekte-imperfekte Teenagerwelt brach in sich zusammen. Das konnte nicht sein! Mein Vater würde uns so etwas nie antun. Nicht mon papa.
„Nein, nein, nein", murmelte ich und schüttelte meinen Kopf. Ich konnte – nein, ich wollte – ihm nicht glauben. Weder das unsere Mutter sich umgebracht, noch dass unser Vater eine andere Familie hatte.
Ich wurde fest an den Schultern gepackt und geschüttelt. „Es ist aber so, Amélie!", schrie Yves mir ins Gesicht. „Papa hat maman betrogen! Er hat uns alle betrogen und angelogen Amélie! Dich, mich, maman und den Rest der Welt! Er ist ein Betrüger, verstehst du das denn nicht?"
„Du lügst", schrie ich und spürte wie meine Knie unter mir nachgaben und ich zu Boden sank. „Du lügst." Meine Stimme war nur noch ein heißeres Flüstern, als mein Bruder über mir stand und auf mich hinab sah.
„Wir sind jetzt alleine, Amélie. Nur du und ich."
Seit fünf Jahren wachte ich jede Nacht schweißgebadet auf und wurde mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Ich hatte schon mit mehreren Psychologen über meine Probleme gesprochen und keiner hatte mir bis jetzt helfen können.
Ich setzte mich auf und blickte auf die Digitaluhr auf meinem Nachtkästchen. 00:31, ich hatte noch dreieinhalb Stunden bevor ich zur Arbeit musste.
Ohne die Schlaftabletten, die sich in der Schublade meines Nachtkästchens befanden, konnte ich nicht mehr einschlafen nach den Albträumen. Da ich schon vorbereitete war, befand sich ein Glass Wasser auf dem Kästchen, sodass ich die Tablette schlucken konnte.
Die Zeit, die das Hypnotikum benötigte um zu wirken, nutzte ich meistens um ein paar Rezepte, die mir durch den Kopf schwirrten, aufzuschreiben. Wenn ich Zeit oder genügend Energie übrig hatte, würde ich sie ausprobieren.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro