7
Im Leben gab es Höhen und Tiefen, es war also an uns sie zu meistern. Die Ironie daran? Gerade ich hatte mir diesen Spruch ausgedacht, aber das war lange vor dem Unfall gewesen, nämlich als Lucys Hund gestorben war. Ich war natürlich ebenfalls traurig gewesen, wir waren noch Kinder und hatten Taby, wie sie die Hündin genannt hatte, sogar bei ihr im Garten beerdigt. Ich erinnerte mich noch genau an unsere Grabreden, die wir auf die Schnelle geschrieben hatten. Sie waren nicht lang, aber allemal besser als die Rede, die ich für Lucy gehalten hatte. Man stellte es sich immer so leicht vor etwas über einen geliebten Menschen zu schreiben, dabei war es schwerer als an einem Tag Profiturnerin zu werden.
Ich schleppte mich müde in den Klassenraum und ließ mich auf meinen neuen Platz fallen. Da es den Mrs. Abbington anscheinend so gut gefallen hatte Ashley allein sitzen zu lassen, musste ich nun neben dem Monster sitzen, welches man Tyler nannte. Vielleicht war es auch ganz gut, immerhin sprachen wir nur das Nötigste und ignorierten uns den Rest der Zeit. Vielleicht waren wir doch gar nicht so verschieden, obwohl ich nie so mit meiner Schwester umgehen würde wie er mit Ned. Ich wusste, dass etwas nicht mit ihm stimmte, deswegen sah ich es irgendwie als mein neues Ziel zu erfahren was genau es war.
»Guten Morgen, ich hoffe-«
»Spar dir das.«, unterbrach Tyler mich. Er dachte anscheinend gar nicht daran es mir leicht zu machen. Vielleicht sollte ich versuchen das Gespräch etwas aufzulockern, doch wie? Immerhin sah er nicht so aus als ob er sich gern mit mir unterhalten würde. Ich ließ meinen Blick durch die Klasse schweifen, um ein geeignetes Thema zu finden, doch da fiel mir Ashleys energischer Blick auf. Die Party am Freitag! Ich wollte zwar selbst nicht hin, aber vielleicht würde er sich ja auf ein Gespräch einlassen.
»Bevor ich es vergesse, Ashley hatte mich gestern gebeten dich auf ihre Party am Freitag einzuladen.«, meinte ich schnell. Er lachte trocken, man musste kein Sherlock sein, um zu wissen dass er wahrscheinlich genauso wenig Lust darauf hatte wie ich.
»Ich wusste nicht, dass ihr Freunde seid. Sagt ihr auch schon ABF zueinander?«
»Nein!«, platzte es ohne weiteres aus mir heraus. Verdammt, das konnte nicht wahr sein... Er wusste es nicht. Ich hatte überreagiert. Vielleicht hätte ich es auf die leichte Schulter nehmen sollen, doch das konnte ich einfach nicht.
»Da wird sie bestimmt ziemlich enttäuscht sein, wenn du so überzeugt bist.« Meine Zähne malten aufeinander, kapierte er denn gar nichts? Allein der Ausdruck ABF, wir waren keine zwölf mehr. Es zerstörte eigentlich alles. Ich konnte so etwas noch nie ernst nehmen.
»Wir sollten langsam etwas für den Vortrag tun.«, wechselte ich abrupt das Thema.
»Natürlich, dann gehen wir heute nach der Schule zu mir.«, bestimmte er. Ich in seinem Haus? Warum musste ich gerade nur an jeden schlechten Horrorfilm denken, den ich jemals gesehen hatte? Vielleicht hatte er in seinem Keller einen Brunnen und eine weiße Kampfameise von Hund.
»Gut wir fahren, aber warte vor der Schule.«, sagte ich schnell, da Mrs. Abbington auch schon den Klassenraum betrat. Ich ging sofort wieder etwas auf Abstand und malte etwas auf meinem Block herum. Vielleicht hatte Dr. Grayson doch irgendwo recht, irgendwie musste ich wieder so werden wie früher und alles was passiert war vergessen.
Ich dachte ich hätte mich verhört, als Lucys Vater den Satz, der alles veränderte, ausgesprochen hatte, aber als ich spürte wie meine Mutter mir über den Rücken strich, wusste ich dass es Wunschdenken war. Es fühlte sich so an als würde die gesamte Welt innerhalb einer einzigen Sekunde über mich zusammenbrechen. Es reichte eine Sekunde, um aus jemanden einen komplett anderen Menschen zu verwandeln und das war sie, die eine Sekunde.
»Warum?«, hörte ich meine eigene zitternder Stimme sprechen. Sie hörte sich nicht nach mir an, eher wie die eines Kindes als ob sie jeder brechen könnte. In meinen Augen füllten sich die Tränen und in meinem Kopf sammelten sich die Fragen an. Fragen nach dem Wieso, Weshalb, Warum... War es meine Schuld? Hätte ich sie gestern nicht verlassen, hätte sie es vielleicht nicht getan. Warum hatte ich nicht gemerkt was mit ihr los gewesen war?
»Wir kennen die Gründe nicht,
aber-«
»Die Polizei ist dran.«, unterbrach ihr Vater ihre Mutter. Er wirkte ernst, aber man sah genau den Schmerz in seinen Augen. Ich konnte es nicht glauben oder besser nicht akzeptieren. Vielleicht war das alles doch ein riesiger Scherz und sie saß in Wahrheit seelenruhig bei sich zuhause. Ich wusste nicht was mich in diesem Moment dazu brachte, doch ich sprang auf und rannte los. Ich wollte es nicht und ich wusste gar nicht erst wohin, meine Füße trugen mich einfach.
»Du bist also weggelaufen?«, fragte mich Marlin, als ich meine Augen vorsichtig öffnete und mir mit dem Taschentuch, welches sie mir reichte, die Tränen wegzuwischen.
»Nein, ich... ich wollte nicht weglaufen, ich hielt es nur irgendwie nicht aus.«, sagte ich leise und versuchte ihr dabei in die Augen zu sehen. Ich hatte Dr. Grayson nie davon erzählt, er hätte es bloß wieder falsch aufgefasst. Ich hoffte nur, dass sie mich verstand.
»Ich weiß wie schrecklich es ist so etwas zu erfahren, gerade wenn man sich nahe stand. Willst du weiter darüber sprechen oder sollen wir über etwas Anderes reden?« Ich zog leise die Luft ein. Vielleicht war es wirklich besser, wenn ich ihr erstmal nicht mehr über diesen Tag erzählte, sie könnte mich für verrückt halten, immerhin hatte ich die Brücke gefunden ohne zu wissen dass sie sich dort umgebracht hatte.
»Ein anderes Mal vielleicht.« Sie schenkte mir durch ihre Lesebrille ein schiefes Lächeln und notierte sich etwas auf ihren Block. Als sie ihn rausgeholt hatte, meinte sie sie wolle sich Notizen machen, um später nichts zu vergessen. Dr. Grayson hatte es auch immer getan, bei unserer letzten Sitzung hatte ich sie einfach genommen und sie in den Kamin geschmissen. Da ich laut ihm depressiv war und mein Verhalten nicht steuern konnte, durfte er mir dafür auch keine Schuld geben.
»Wenn du dich an Lucy erinnerst, woran denkst du dann zuerst?« Ich sah in meine ineinander verschlungenen Finger. Es war eine leichte Frage, ich wusste aber nicht genau wie ich antworten sollte, denn es waren viele Dinge. Sei es das Armband mit unseren Namen, welches ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, worauf einer von uns auf dem Mond- und der andere auf dem Sternanhänger seinen Platz gefunden hatte, sie hatte es jeden Tag getragen. Oder auch ihre braunen Haare, die sich in der Sonne dunkelrot färbten. Aber auch ihre Stimme, wenn sie gesungen hatte.
»An ihr Lächeln, wenn wir uns morgens in der Schule sahen, glaube ich.«, antwortete ich nach einer Weile wahrheitsgemäß. Meine Finger verschlungen sich ineinander, mir gefielen die dreißig Minuten bei ihr, doch ich wollte auch endlich raus, obwohl dort schon Tyler wartete. Ich hatte ihm gesagt, dass ich noch ein paar Dinge klären müsste, da ich nicht wollte dass jemand von meinen 'Problemen' erfuhr. Es würde nur die große Runde machen und ein paar Lügen hinzugefügt werden, sodass mich später alle für verrückt hielten.
»Gut, nicht jeder würde so antworten.«, murmelte sie, während sie meine Antwort notierte. Die meisten erinnerten sich an die Leiche, wenn jemand ihrer Lieben gestorben war. Mir ging es am Anfang genauso, aber es hatte mit der Zeit aufgehört. Nun träumte ich nur noch davon, wie auch diese Nacht.
»Hast du Albträume?«, fragte sie wie aufs Stichwort. Ich hatte es schon immer gehasst über meine Träume zu reden, wenigstens das hatte sich nicht geändert. Träume hatten für mich etwas ganz Besonderes, obwohl sie manchmal eher verstörend waren, doch trotz allen waren sie für mich privat. Vielleicht lag es aber auch daran, dass man an Hand von Träumen mehr über einen Menschen herausfinden konnte.
»Ja«, antwortete ich lediglich. Sie nahm ihre Brille ab und sah mich durchdringend an. Ich kannte diesen Blick, denn Lucy hatte es gehasst, wenn ich sie so ansah.
»Was für eine Art?«, hackte sie nach. Ich seufzte leise und senkte meinen Blick. Ich konnte verstehen warum sie es wissen wollte, Träume verrieten manchmal, ins Besondere in meinem 'Fall', was in einem vorging. Natürlich hatte ich versucht meine Träume selbst zu analysieren, da ich mich selbst nicht mehr verstand, jedoch hatte ich dabei keinen Erfolg. Ich fuhr mir durch mein Haar. Es gab nichts Schlimmeres als von einer Sekunde auf die andere nicht mehr dieselbe zu sein.
»Es ist immer derselbe.«, murmelte ich leise. Es gab Tausende wie mich. Tausende denen es schlechter ging, doch die meisten wussten genau warum sie sich so verhielten... oder auch nicht. Die menschliche Psyche war verwirrend, aber dennoch faszinierend für mich.
»Was kommt darin vor?«, grub sie sich weiter in mein Inneres hinein. Ich sah sie aus meinen dunkelgrünen Augen heraus an. Sie war die Erste, bei der ich nicht lügen wollte.
»Es ist nicht viel... Alles ist weiß, nur sie ist zu sehen, auf dieser verdammten Brücke... sie sieht mich an und sagt klar es wäre meine Schuld gewesen.«, sagte ich mit leicht anschwellenden Unterton, da ich versuchte die Tränen zurückzuhalten. Ich hatte schon einmal vor einem Psychologen geheult, er hatte mir deswegen diverse Krankheiten diagnostiziert. Ich wusste zwar, dass Marlin so etwas nicht tun würde, aber man konnte ja nie sicher sein.
»Mehr-« Sie wurde durch das Klingeln der kleinen Weckers auf dem Beistelltisch unterbrochen. Es war vorbei. Irgendwie freute ich mich sogar, doch an den Gedanken an Tyler wurde mir übel. Bei keinen anderen Jungen hatte ich solche Kotzreize wie bei ihm, nicht einmal bei Nathan.
»Danke Marlin, tschüss, hab noch einen schönen Tag.«, meinte ich, nahm meine Tasche und mühte mir ein kleines Lächeln ab.
»Wünsche ich dir auch, bis Freitag. Ach ja, du solltest vielleicht versuchen dich irgendwie abzulenken. Geh raus, mach Sport, etwas was dir Spaß macht.« Dazu zählte Sport leider nicht wirklich. Ich ging früher ab und zu mal Joggen, aber nur einmal um den Block.
»Ich überlege mir was.«, meinte ich und schnellte auf den Gang hinaus. Tyler wartete schon lange, ich wollte nicht dass er Verdacht schöpfte. Immer wenn man sagte, man ginge zum Psychologen, dachten die Leute sich irgendwelche Dinge aus wie zum Beispiel Essstörungen. Das war mit dass Einzigste was meine Eltern Dr. Grayson nicht abgekauft hatten. Seit ihrem Tod aß ich zwar weniger, aber sie wussten wie sehr ich Hunger hasste.
»Du bist echt eine Schildkröte.«, brummte er, als ich nach Draußen kam. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu und ging voraus. Hoffentlich war es schnell vorbei. Wenn er mit mir in einem Auto saß, musste man sich nicht wundern, wenn ich absichtlich gegen einen Baum fuhr. Er trieb einen wirklich in den Wahnsinn.
»Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du auf Oldtimer stehst.«, meinte er, als ich den Motor startete. Er hatte Recht, ich stand wirklich auf alte Autos. Sie hatten einfach etwas Besonderes an sich, was sie aus der Menge hervorhob. Jeder fuhr ein möglichst neues Auto und versuchte damit aufzufallen, ich wollte zwar nicht auffallen, aber alte Autos sah man nicht jeden Tag.
»Was hättest du denn gedacht?«, fragte ich, als ich vom Gelände fuhr. Das Einzigste was ich an Oldtimern hasste war die Kupplung, es nervte ständig schalten zu müssen.
»Ich hätte auf einen Sportwagen getippt.« Ich hatte Mühen nicht gleich lauthals loszulachen. Sah ich denn wirklich so aus als ob ich mir so etwas leisten konnte? Ich war glücklich, wenn ich zehn oder zwanzig Pfund hatte.
»Sehe ich so reich aus?«, fragte ich schmunzelnd. Er lachte leise. Ich hätte ihm einen Jeep zugeordnet.
»Was weiß ich, du hängst mit Ashley rum, da weiß man ja nie.«
»Nein, nein, nein, Ashley hängt mit mir rum. Es ist so als hätte ich Honig am Arsch kleben.«, redete ich schnell und konnte schwören, dass ich ein leises Rumpeln im Motor vernommen hatte, machte mir jedoch nicht weiter Sorgen, da ich dachte es mir eingebildet zu haben.
»Das macht sie gern, die meisten mögen sie, weil ihr Vater Geld hat. Hörst du das auch?«, fragte er auf einmal hellhörig. Hatte ich es mir also doch nicht eingebildet.
»Ja, weißt du-« Ich wurde durch einen Knall im Motor unterbrochen. Ich versuchte mit der restlichen Geschwindigkeit links ranzufahren, dann stieg auch schon schwarzer Qualm von der Motorhaube in die Luft. Ich ließ meinen Kopf auf das Lenkrad sinken. Warum verdammt?
»Oldtimer sind schon was echt Tolles.«, scherzte Tyler. Dad würde mich umbringen. Was sollte ich ihm denn sagen? Ich hatte das Auto doch erst seit vier Tagen!
»Halt einfach die Fresse.«, zischte ich ihn wie eine Schlange an.
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Ich hoffe euch gefällt das Buch bis jetzt. Danke an 87 Reads. ^-^
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