✧Kapitel 8✧
Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, veränderte sich alles an Ahmad. Sie sackte auf einem Stuhl in sich zusammen, stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Was auch immer sie vorher geglaubt hatte, Mercator zeigen zu müssen, sie konnte es nicht länger aufrechterhalten.
Ich erstarrte an Ort und Stelle. Ahmads Schultern hoben und senkten sich heftig und sie stieß Geräusche aus, die zwar irgendwie wie Worte klangen, aber gleichzeitig auch nicht. Es waren tiefe Nicht-Laute und als Ahmad einmal aufschaute, sah ich, dass um ihre Augen herum Feuchtigkeit ausgetreten war.
Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich handeln musste.
Ich wusste zwei Dinge. Erstens: Ahmad bekleidete einen hochrangigen Posten auf der Perseus. Sie war mit dafür verantwortlich, welchen Kurs die Menschheit nahm und wie sie in ihrer neuen Heimat ankommen würde. Sie war also wichtig für die Menschen. Zweitens: Sie hatte einen irgendwie gearteten Defekt. Ich wusste nicht, worum genau es sich handelte, aber ich befürchtete, dass es zu großem Schaden führen könnte, wenn sich keiner der Menschen um sie kümmerte.
Aus Menschen sollte keine Feuchtigkeit austreten!
Entsprechend tat ich das Einzige, was ich tun konnte: Ich krabbelte die Wand des Raumes mit den vielen blinkenden Lichtern nach oben, hoffte, dass Ahmad zu beschäftigt mit ihrer Fehlfunktion war, um mich zu bemerken, und verschwand in den Luftschächten.
Kein Mensch würde mich verstehen, sollte ich versuchen, die Aufmerksamkeit auf Ahmads Notsituation zu lenken, also konnte ich nur zu Kira laufen. Hoffentlich nahm sie mich noch nicht als Ärgernis wahr.
Sobald ich in den Lüftungsschächten war, funktionierte meine Orientierungselektronik wieder. Hier sollte ich mich gemäß meinem Design aufhalten, also wusste ich sofort, in welche Richtungen ich mich zu wenden hatte – auch, um zurück zu Kira zu kommen.
In ihrem Zimmer verzichtete ich dieses Mal darauf, direkt auf ihre Ladestation zu fallen, sondern wählte den ernsthafteren Weg die Wand hinunter. Durch die Konzentration, die das erforderte, wurde mir jedoch ein entscheidendes Problem zu spät klar: Kira war nicht da.
Ihr Schreibtisch war leer, das ganze Zimmer war weiß und erst ohne Kiras farbenfrohe Anwesenheit fiel mir auf, dass die Quartiere der Menschen fast so einfarbig waren wie mein gewöhnlicher Lebensraum.
Aber darum ging es nicht.
Wieder blieb mir nur eine Option: Ich wusste nahezu nichts über Kiras menschliche Gewohnheiten, aber immerhin wusste ich, dass sie sich gelegentlich bei Fred aufhielt. Also würde ich versuchen, Fred dazu zu überzeugen, Ahmad zu helfen.
Als ich in Richtung von Freds Labor los eilte, fragte ich mich beiläufig, ob die Menschen mich noch als einzelnen Lemming wahrnehmen würden oder ob ich schnell genug war, nur noch eine blaue Schliere für sie zu sein.
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Zu meinem Glück hielt Fred sich in seinem Labor auf. Er war tief über ein großes Gerät gebeugt, das ich nicht identifizieren konnte, das aber fast die gesamte Längsseite des Raumes einnahm.
Als ich den Raum betrat, richtete Fred sich gerade auf, eine Maschine in der Hand, die blinkte, mir aber nichts mitteilte. Mit einer Hand stützte er sich auf dem metallenen Gehäuse des großen Geräts ab und fuhr sich mit den Fingern über den Mund. Sogar auf die Entfernung konnte ich sehen, dass die Haut unter seinen Augen ... eingedellt war. Sie lag tiefer als das letzte Mal, das ich ihn gesehen hatte.
Ich flitzte auf Fred zu. Irgendwie würde ich es schon schaffen, ihn dazu zu bringen, mir nachzulaufen und Ahmad zu helfen, doch dafür musste er mich erst einmal sehen. Kurz bevor ich ihn erreichte und zum Beispiel sein Bein hinaufklettern konnte, wurde ich allerdings praktisch dazu gezwungen, innezuhalten.
Da war etwas am Rande meines Blickfeldes, das meine Aufmerksamkeit verlangte. Und zwar ganz unbedingt, meine ganze Programmierung hatte sich auf dieses eine Ding ausgerichtet. Es handelte sich um ein Kabel, das lose neben dem gigantischen Gerät baumelte, an dem Fred gearbeitet hatte.
Meine Kameras zuckten nach oben zu dem Kabel und dann wieder zurück zu Fred. Ich sollte wirklich ganz unbedingt hinauf zu diesem Kabel klettern.
Der Drang war so stark, dass ich ihm schließlich nachgab. So dramatisch Ahmads Situation gewesen war, so sicher war ich mir jetzt, dass ich zu diesem Kabel musste. Vielleicht konnte es ja die Antwort auf zwei meiner Probleme sein.
Also schwang ich mich nicht auf Freds Bein, sondern auf das des Tisches, und krabbelte dort nach oben, bis ich das Kabel erreichte.
Ich war von so großer Sicherheit durchflutet, dass es gar kein Fehler sein konnte. Und jetzt, wo ich hier war, wusste ich auch, was ich als nächstes zu tun hatte – so sicher wie normalerweise, wo das Loch war, das es zu stopfen galt, oder die Stelle, die von Rost befreit werden musste.
Mit einer Sicherheit, die mir in der letzten Zeit gefehlt hatte, kroch ich nach vorne zu dem Kabel, bis an seine vorderste Spitze. Etwas kribbelte durch meine Beine.
Dann streckte ich meine verbliebenen zwei Beine, die ich nicht zum Festhalten brauchte, nach der metallenen Maschine vor mir aus.
In dem Moment, als ich sie berührte, wusste ich, dass ich einen Fehler begangen hatte. Ich hatte etwas losgetreten, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass es da war.
Es war genau der Augenblick, in dem Fred sich aufrichtete und seine hoffnungslos abstehenden Haare zu richten versuchte. Strom, der nicht meiner war, floss durch mich und riss mich mit – und übertrug sich von mir aus auf das Gerät, das an einigen Stellen Funken sprühte.
Das war der Moment, den meine Elektronik auserkor, um herunterzufahren. Die Übertragung meiner Sensoren und die meiner Kameras riss ab.
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„Du bist Blobb, habe ich nicht recht?"
Langsam fuhren meine Kameras wieder hoch. Ich rappelte mich auf – irgendwie war ich falsch herum gelandet – und starrte das menschliche Gesicht an, das sehr nah über mir hing. Fred trug wieder das seltsame Gestell über seinen Augen, das sie eigenartig vergrößert erscheinen ließ.
Ich leuchtete immer noch blau, aber der seltsame Drang, mit dem Kabel in Kontakt zu kommen, war verschwunden. Zumindest vorläufig.
„Das hätte schlimm ausgehen können, Blobb", sagte Fred. Meine Ströme funktionierten noch nicht wieder richtig, für den Augenblick konnte ich mich nicht daran erinnern, warum ich überhaupt hier war. Und wovon redete Fred?
„Hätte ich dich nicht gerade in dem Moment gesehen, als du die Verbindung zwischen Kabel und dem Scanner hergestellt hättest, hätte ich ebenfalls einen Stromschlag bekommen."
Einen Stromschlag? War das gewesen, was mit mir passiert war? Es musste wohl so sein.
„Und ich hätte das wahrscheinlich nicht so gut verkraftet wie du", sagte Fred ernst. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte, war da immer ein freundlicher Ausdruck in seinen Augen gewesen und er hatte schneller gesprochen als gerade. Jedenfalls mit Kira, aber ich wusste nicht, ob das einen Unterschied machen konnte.
„Verstehst du das, Blobb?", fragte Fred nach und riss mich aus meinen Freundlichkeits-Überlegungen. „Hätten wir gerade nicht sehr viel Glück gehabt, hättest du mich töten können."
Töten. Ich kannte das Wort, auch wenn es mir in der Realität noch nie begegnet war. Es bedeutete, dass ein Mensch dauerhaft aufhörte zu funktionieren, weil seinen Schaltkreisen irreparabler Schaden zugefügt worden war. Bei allem, was ich tat, ging es darum, zu verhindern, dass die Menschen starben. Wobei – das stimmte nicht ganz. Es ging darum, das Schiff zu schützen, das wiederum verhinderte, dass alle Menschen starben. Deswegen schätzte ich, dass es auf das Gleiche hinauslief.
Zögerlich hielt Fred mir die Hand hin. „Kira hat mir gesagt, dass ihr einen Weg gefunden habt, miteinander zu kommunizieren. Stimmt das?"
Langsam betrat ich seine Hand. Dann drückte ich einmal mit meinen Füßen auf seine Handoberfläche. Gerade, als ich das getan hatte, wusste ich wieder, worin mein Auftrag bestand – aber dieses Mal ging es nicht darum, ein Kabel zu berühren.
Dieses Mal wollte ich auf Freds Schulter krabbeln, wie zu dem Zeitpunkt, als Kira mir das Schiff gezeigt hatte. Ich war mir sicher, dass das der richtige Weg sein würde, derjenige, der mich endlich zur Erfüllung der Aufgabe bringen würde, die mir mit dem blauen Leuchten gestellt worden war.
Also machte ich mich an den Aufstieg entlang von Freds Arm. Er zuckte zwar kurz zusammen, ließ mich dann aber gewähren, schließlich hatte er mich genau in der Position schon bei Kira auf der Schulter gesehen.
Gerade, als ich an Kira dachte, hörte ich ihre Stimme.„Hallo, Fred."
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