✧Kapitel 7✧
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, was Angst war, aber ich spürte durchaus ein deutliches Verlangen, nicht in meine Einzelteile zu zerfallen. Worin genau allerdings die Gefahr bestand, war schwer zu beurteilen. Meine Sensoren realisierten Hitze. Keine allzu große Hitze – aber es gab keinen Ausweg, alles um mich herum war orange und wenn ich versuchte, mich zu bewegen, spürte ich einen größeren Widerstand als normalerweise.
Ich war vollkommen orientierungslos, und größtenteils daraus resultierte meine In-Einzelteil-Zerfall-Befürchtung.
Dann allerdings schob sich ein großes, rundes Metalletwas neben mir in das Orange. Es war zuerst eine willkommene Abwechslung, aber dann näherte es sich mir mit beunruhigender Geschwindigkeit und meine Befürchtung bekam ein sehr reales Gesicht.
Bevor ich mich davon wegbewegen konnte, war es unter mir und katapultierte mich gemeinsam mit meiner Umgebung nach oben. Ich war nicht fähig, etwas dagegen zu unternehmen, bis sich das Etwas umdrehte und ich in einem Schwall Orange hinausfiel und auf eine weitere Metalloberfläche prallte. Für einen Moment erhaschte ich einen Blick auf einen weitläufigen Raum mit großen Deckenlampen, dann ertönte ein beunruhigendes Rauschen und ich wurde wieder von dem orangenen Medium, von dem ich nun glaubte, dass es sich um eine Flüssigkeit handelte, bedeckt.
Außerdem hatte ich mich in Bewegung gesetzt. Was genau geschah, konnte ich nicht sagen, aber ich realisierte, dass ich mich nicht mehr an dem Ort befand, an dem ich aus dem Lüftungsschacht gerutscht war.
Dann hörte ich das Piepen. Ich glaubte, dass darüber auch menschliche Stimmen lagen, aber die konnte ich nicht genauer identifizieren. Das Piepen allerdings näherte sich stetig, durchdringend und hoch. Ich wusste nicht, was es bedeutete, aber ich war mir sicher, dass es nichts Gutes war.
Also versuchte ich nicht, mich aus dem Orange zu befreien, vor allem, weil es nicht mehr so heiß war wie am Anfang, sondern verharrte an Ort und Stelle.
Piep.
Bloß nicht bewegen, bloß nicht auffallen.
Piep.
Eines meiner Beine zuckte und ich versuchte, es ruhig zu halten. Was, wenn einer der Menschen entdeckte, dass ich mich in die mysteriöse orangene Flüssigkeit gemogelt hatte?
Piep.
Es war unglaublich laut.
Jemand, den ich nicht sehen konnte, sagte etwas.
Ich wollte losrennen.
Piep.
Das Piepen war leiser gewesen als das davor.
Noch immer verharrte ich regungslos.
Piep.
Was auch immer es gewesen war, wir hatten es hinter uns gelassen. Mir war nichts geschehen.
Jetzt allerdings hielten wir an und erneut ergriff mich die Befürchtung, ich könnte zerlegt werden. Mittlerweile drangen auch eindeutig menschliche Stimmen zu mir durch, aber ich konnte sie immer noch nicht verstehen – jedenfalls, bis ein weiteres Metallteil neben mir in das Orange fuhr, etwas kleiner als das letzte.
Erschrocken flüchtete ich davor, konnte aber einen menschlichen Satzfetzen aufschnappen: „...mittlerweile das Salz gefunden."
Was auch immer das bedeutete, für den Moment war es für mich nicht von Bedeutung, denn das Metallteil schoss nun regelmäßig in das Orange hinab und zwang mich zu waghalsigen Ausweichmanövern.
Irgendwann geschah allerdings, was wohl absehbar gewesen war: Ich hatte gerade einen zweiten Gesprächsfetzen aufgeschnappt („Kürbissuppe nicht mehr sehen") und war damit beschäftigt, ihm eine Bedeutung abzuringen, als das Metallteil mich erwischte.
Erneut wurde ich in die Luft gehoben, orangene Flüssigkeit troff von mir herunter und das zweite Mal wurde mir ein Blick in den weitläufigen Raum ermöglicht – jedoch nur, bis im nächsten Moment ein geöffneter menschlicher Mund mein ganzes Blickfeld ausfüllte. Ich wurde direkt auf ihn zu befördert!
Meine Beine hatten sich noch nie so schnell in Bewegung gesetzt. Ich durchbrach das bisschen an orangener Flüssigkeit, das sich noch um meine Beinchen gesammelt hatte, taumelte über den Rand des Metallteils und landete hart auf dem Tisch.
„War da ein Lemming in deiner Suppe?"
Dort richtete ich mich auf, so schnell ich konnte, schenkte den beiden Menschen, die mich jetzt zweifellos entdeckt hatten, keinen weiteren Blick, hastete über die Tischkante und von dort auf den Boden.
Der ganze Raum war voll mit Menschen. So viele hatte ich nicht sehen wollen. Gerade noch konnte ich sehen, dass sie sich aus verschiedenen Reihen in den Raum ergossen – bevor sie das taten, ließen sie sich von der orangenen Flüssigkeit geben, gingen zu einem Schalter mit einem weiteren Menschen und hielten eine flache Karte an ein Gerät. Dieses Gerät stieß das Piepen aus, das mich so nervös gemacht hatte, deswegen hielt ich mich davon fern und flitzte nur so schnell ich konnte auf den Ausgang zu.
Jeden Moment rechnete ich damit, dass sich ein Schuh auf mich herabsenken würde.
Aber ich erreichte einen Weg in die Gänge der Perseus ohne einen zerquetschenden Zwischenfall. Dort hockte ich mich hinter ein Rohr in eine Ecke und wartete darauf, dass meine Beine nicht mehr den Drang hatten, mich so schnell wie möglich an irgendeinen anderen Ort zu bringen.
Ich hatte keine Ahnung, ob meine Elektronik es überstehen würde, von einem Menschen gegessen zu werden, aber heute war nicht der Tag, an dem ich es herausfinden wollte.
Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte und keine Schritte mehr vor meinem improvisierten Ruheort hören konnte, wagte ich mich wieder nach draußen. Ich musste noch immer die Sterne sehen.
Wie ich sie finden oder zu dem Park zurückkehren sollte, den Kira mir gezeigt hatte, wusste ich nicht, aber ich war mir sicher, dass ich früher oder später darüber stolpern würde. Wie groß konnte das Schiff schon sein?
Ich beschloss, auf mein Glück zu vertrauen, und als sich die nächste Tür zu meiner Seite öffnete und ein Mensch hinaustrat, nutzte ich die Gunst der Stunde und huschte hinein. Die Wahrscheinlichkeit für einen gemeinschaftlich genutzten Raum war in der Nähe des Speiseraums sicherlich höher als in den individuell vergebenen Räumen, wo ich zum Beispiel Kira kennengelernt hatte.
Hinter mir fiel die Tür leise ins Schloss und eine Verriegelung zischte. Das war nicht das allerbeste Zeichen. Wenn es eine Verriegelung gab, war es vermutlich nicht der öffentliche Ort, auf den ich gehofft hatte.
„... keine Lösung findet, müssen wir möglicherweise Konsequenzen ziehen", sagte in diesem Moment eine weibliche Stimme, aber ich schenkte ihr keine Beachtung, zu beschäftigt war ich damit, mir einen Überblick über den Raum zu verschaffen – keine leichte Aufgabe, da er auf menschliche Dimensionen zugeschnitten war.
Meine Hoffnung, hier die Sterne sehen zu können, schien sich nicht zu bestätigen. Als ich das hinaufkletterte, was ich für einen Tisch gehalten hatte, landete ich stattdessen auf einer großen Platte, die in verschiedenen Farben leuchtete und über die Informationen flackerten, mit denen ich nichts anzufangen wusste.
„Und wer würde die Auswahl treffen? Niemand von uns kann eine solche Entscheidung fällen." Zu der ersten Stimme war eine männliche gekommen, die beiden mussten irgendwo weiter hinten stehen.
Offenbar hatten sie mich nicht bemerkt, denn sie führten ihr Gespräch ungerührt weiter. Ich blieb einfach auf der flackernden Platte sitzen, deren Farben mich wahrscheinlich praktisch unsichtbar machten.
„Das ist nicht richtig." Die Stimme der Frau war hart. „Niemand will eine solche Entscheidung treffen, aber es war immer schon klar, dass es die Notwendigkeit dafür geben könnte."
Schritte näherten sich mir und ich war schon drauf und dran, mich zu verstecken, da entfernten sie sich auch schon wieder und gingen zurück in Richtung der weiblichen Stimme.
„Waren diejenigen, die diese Prozesse in Betracht gezogen haben, die gleichen, die auch den Antrieb für dieses Schiff entwickelt haben? Oder diejenigen, die unsere Scanner entworfen haben?"
Die Schritte rissen nicht ab. Wäre ein solches Verhalten nicht sinnentleert gewesen, so hätte ich vermutet, dass die Person ziellos von einer Stelle zur anderen lief und wieder zurück.
„Das ist hier nicht von Bedeutung. Die Scanner sind kaputt, das ist die Tatsache, nach der wir uns ausrichten müssen. Alles andere ist müßig und wird entweder von Chronisten nach unserer glücklichen Landung aufgearbeitet werden oder in den Weiten des Weltraums in Vergessenheit geraten."
„Und Sie haben natürlich schon entschieden, wer bis zu diesem Zeitpunkt noch mit Sauerstoff und Nahrungsmitteln versorgt wird, Ahmad?"
Ich wusste natürlich, dass ich nicht hätte hinhören sollen, das Gespräch war nicht für mich bestimmt, und wenn die beiden Sprechenden sich hierher zurückgezogen hatten, dann war es das wahrscheinlich auch nicht für die meisten Menschen.
Aber ich wollte wissen, was vor sich ging. Auch wenn es nicht leicht war, die Bedeutung für mich zu erschließen, so wollte ich doch wissen, was die beiden Menschen sich zu sagen hatten. Es wirkte wie etwas, das Auswirkungen auf die ganze Perseus haben würde – und ich war schließlich ein Teil davon. Der Einfluss des Schiffs auf mich war genauso groß wie derjenige meiner Programmierung. Also presste ich mich gegen die bunt blinkenden Lichter und tastete mich näher an die beiden heran, bis ich sie mit meinen Kameraaugen erfassen konnte. Ich habe schließlich immer schon gesagt, dass ich etwas übereifrig bin.
„Noch ist nicht der Zeitpunkt gekommen, wo ich über so etwas entscheiden muss."
Die Frau, die mit Ahmad angesprochen worden war, trug eine vollkommen faltenfreie, schneeweiße Uniform von der Art, wie ich sie an Tagen, wo das Schiff nichts anderes zu tun hatte, manchmal zur Reinigung bekam. Ihre Schultern waren von glitzernden Fäden verziert, die beinahe aussahen wie Sterne.
Die dunklen Haare (nicht Kopffortsätze, ich wünschte, Kira wüsste, was ich schon alles gelernt habe) trug sie streng nach hinten gebunden und ihre Lippen waren in einem dunklen Rot angemalt, das gar nicht nach einer Warnung aussah – der einzigen Bedeutung, die ich bisher mit roter Farbe verbunden hatte.
„Aber dieser Zeitpunkt wird bald kommen", sagte ihr Gegenüber in dem Moment, als ich einen Blick auf Ahmad erhascht hatte. Es war ein Mann, aber er stand mit dem Rücken zu mir, sodass ich außer seiner hellgrauen Uniform und seinen Haaren von der gleichen Farbe nichts von ihm erkennen konnte.
„Das wissen wir noch nicht. Unser Zielkurs steht noch immer fest, es ist nicht ausgeschlossen, dass wir Gemini B finden."
„Aber der Treibstoffverbrauch –"
„Meine Entscheidung steht für den Moment, Mercator." Sie presste die Lippen aufeinander. „Wir werden darüber erneut debattieren, wenn wir Sichtkontakt zu dem Planeten haben. Bis dahin fahren wir fort wie geplant."
Es herrschte Schweigen zwischen den beiden Menschen, aber Mercator rührte sich nicht von der Stelle, was ich als sehr untypisch kennengelernt hatte. Vor allem, weil Ahmad immer noch ungerührt in sein Gesicht starrte – auch das erkannte ich als untypische Verhaltensweise.
Schließlich aber wandte er sich ab.
„Ich hoffe, die Geschichte wird Ihnen recht geben", sagte er zu Ahmad. „Anderenfalls wird möglicherweise keine Menschheit mehr existieren, die von Ihrem Versagen berichten kann."
Dann ging er an mir vorbei und in gerader Linie aus dem Raum hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen oder einen Blick zurück zu werfen.
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